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ZUR GESCHICHTE DER LEIPZIGER MESSE Jürgen Kuc^ynski und Manfred Unger N achrichten von Messen sind uns aus weit zurückliegenden Zeiten überkommen, sind Messen doch fast so alt wie der Warenhandel. Sie waren, wie auch ihr Name besagt, Schwestern religiöser Feste, da zu solchen sich zahlreiche Men schen am Hauptsitz der Götter versammelten und Friede unter den Menschen herrschte. Bis in die Gegenwart ist die Idee des Friedens, heute die Idee der friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, mit dem Begriff der Messe verbunden. Nach dem Untergang des Römerreichs wurde wohl die erste Messe Europas in St. Denis bei Paris im Jahre 629 eröffnet. Im 11. Jahrhundert hören wir von der Kölner Oster-Messe. Zweihundert Jahre lang, von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, strahlte der Ruhm der Messen der Champagne, die, nicht weit von den Grenzen Deutschlands, Frankreichs und Italiens gelegen, auf erträglichen Straßen und durch Schiffahrt vom Mittelmeer wie von England und Skandinavien erreichbar waren. Überdies war die Champagne politisch neutral, noch nicht mit Frankreich vereint, und so eine Insel des Friedens. Als die Champagne, sich in Frankreich eingliedernd, ihre friedliche Neutralität aufgab, verloren die Messen dort an Bedeutung. Jahrhundertelang gab es keine Messen von europäischer Bedeutung mehr, wie die in der Champagne. Kriege wüteten bald hier, bald dort. Der Historiker kennt die Messen von Bristol und Stourbridge in England, von Bordeaux, Rouen und Lyon in Frankreich, von Novi und Senigallia in Italien, Archangelsk in Rußland, Leipzig, Frankfurt am Main und an der Oder in Deutschland. Aber keine von ihnen wurde zu „dem Mittelpunkt friedlichen Handels“. Seit dem 16. und erst recht dem 18. Jahrhundert begann sich jedoch ein neues Handelszentrum in Europa herauszubilden: Leipzig und seine Messe . . . nicht wegen der Friedlichkeit des Landes, sondern wegen der zunehmenden Bedeutung Osteuropas für den Westen und Westeuropas für den Osten. Hier trafen sich die Händler und Kaufleute Rußlands und Englands, Frankreichs und Polens, Italiens und Ungarns wie vieler anderer Länder auf deutschem Boden. Und bis heute, bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist es so geblieben. Vielleicht gab es Messen, die einzigartiger zu ihrer Zeit waren - im großen Tale von Mesopotamien oder im alten Griechenland, in Frankreich oder in Italien zur Zeit des frühen Feudalismus wie auch seiner Blüte. Niemals aber hat der Ruf einer Messe so lange so laut geklungen, wie der der Leipziger Messe, deren 800jährige Gründung wir in diesem Jahre feiern. Bevor wir jedoch aus Anlaß unseres Jubiläums in die Ferne zurückblicken, ist es nicht unan gebracht, den Standort, von dem aus wir die Vergangenheit fixieren, zu bestimmen.