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Mittwoch, 7. November 1SW. Nr, 47, Erster Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge Veranttvcrttichcr Ucdnklenr : Fritz Nrn kolb. Für bic Znserale veranlworilich: 7l r t h u r Kupfer, keide in Nur. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes ^onntagsblatt. :prcchsiun-c brr Kc-aknon inil 7Iiis»a!n»e der Lonniagc nachmittags von 4—z Uhr. — Telcgrannn Ndrejsc: Tageblatt 7lue. — Fernsprecher 202. Für unverlangt ringcsandtc Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag Gebrüder Beuthner ()nh.: Paul Beuthnert in Ane. Bezugspreis: Durch unsere Voten srci ins Haus monatlich so Psg. 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Wegen der Krawalle in Muschin leiteie die Posener Staatsanwaltschaft eine Uniersuchung wegen Landfriedens- bruch, Widerstands gegen d>e Staatsgewalt und wegen Be amte nbele idi g u ng gegen den Abgeordneten von Chlavowsky, serner gegen den Maurer Kordchlewsky und >0 andere Personen ein. König Friedrich August in gesieru abend von Wien nach T ar bis ab gereist? Der I. bulgarische Miu i üervräs i den ! Burmco ist gcst orb en. * Näheres siche unten. Die dösen Demagogen. Die deutschen Städte sind unruhig geworden und schimpfen. Sie verlangen schon seit einiger Zeit die Oefsnung der Grenzen in sehr energischer Form, und da sich diese Eröffnung nicht erzwingen läßt, halten ihre Vertreter recht aufrührerische Ncdcn und kündigen der Regierung die Freundschaft. Das ist im Lande der frommen Sitte und der schweigenden Bürgertugend bisher unerhört gewesen, und man findet es begreiflich, wenn ein sreikonscrvatives Agrarierblatt bereits von demagogi schen Umtrieben (!) spricht und in nicht allzuweiter Ferne schon die Flammciizeichen der R e v 0 l u t i 0 n (!!!) leuchten sieht. Hat man sich doch erst vor kurzem im Berliner Stadtverordneten hause höchst ungebührlich benommen und widersetzliche Reden gegen die hohe Obrigkeit im Munde geführt! Und inanderen Städten war man ebenso wiederborstig, und man sprach sogar von der Einberufung eines deutschen Städtctages, der gegen die Regierung Front machen sollte, eine Absicht, die man allerdings bis aus weiteres wieder fallen ließ. Aber trotzdem: Unerhört in der Tat! Wohin sollen wir dabei kommen? Unmatzgeblichst glauben wir, das fromme Agrarierblatt braucht noch gar nichts zu befürchten. Wir erinnern uns aus den Jahren 1991 und 1902, datz gerade die Freunde dieses Blattes in noch viel lebhafteren Ausdrücken sich gegen die Regierung wand ten. Im Zirkus Busch in Berlin gab's agrarische Vorstellungen, bei denen man das so niedliche „Die Minister können uns sonst was!" des alten Herrn v. Dicst-Daber wieder hervorholte, und nicht nur der Regierung, sondern auch dem Könige kündigte man die Treue für den Fall, daß nicht die hohen Eetreidezölle kämen, für den Fall, daß man nicht der unbeschränkten Viehein suhr mit einem scharfen Verbot für immer Schranken setzte. Die agrarische Revolution von damals ist in dem Augenblick ver stummt, da im Reichstag die hohen Zollsätze und die Beschränkun gen der Vieheinsuhr beschlossen wurden, und seither gibt cs leine loyaleren Staatsbürger mehr, als die Agrarier mit ihrer hochkonservativen Gesinnung. Wie nun damals die ostelbischen Junker nicht mit den Dresch flegeln und Sensen gen Berlin vor die Ministerpalais gezogen sind, so werden auch die Städter sich mit scharfen Reden und pa pierenen Protesten begnügen — das Resultat dieses Kampfes wird von dem der Agrarier freilich bedeutend abweichen. Denn während die ostelbischen Junker erzielten, was sie woll ten, werden die Städter vermutlich noch lange um die Aus hebung der Grenzsperre ersuchen müssen, wenn sie ihnen über haupt je gewährt wird, was unter dem gegenwärtigen Regime freilich ziemlich ausgeschlossen erscheint. Nun wird man, dieses Resultat sich vor Augen haltend, allerdings nicht sagen können, datz die Nichterfüllung dieses Wunsches gerade besonders viel zur Stärkung der Freude am herrlichen deutschen Reich beitragen wird. Denn wir haben recht wenig von dem glotzen, geeinten Deutschland, wenn wir uns in ihm nicht mehr satt essen können, sehr wenig, wenn die Gehälter und Löhne nicht mehr hinreichen, die nötigsten Lebensbedürfnisse zu bestreiten. Es ist wahr, die Loyalität desBUrgertums ist aus eine harte Probe gestellt, wenn der Bürger sehen mutz, daß zu Gunsten einer bevorrechteten Kaste sein Mundvorrat fortgesetzt beschnitten wird. Man mutz von einer Lebensmittetteuerung sprechen, denn nicht das Fleisch allein ist teurer geworden im deutschen Reich, die neuen Steuern, die Einfuhrzölle sorgen schon dafür, datz auch die übrigen Lebensmittel fortgesetzt im Preise stei gen. Ein Zug bitter st er Unzufriedenheit geht durch das Volk, und wenn die Reichsregierung es daraus angelegt hätte, der Sozialdemokratie im nächsten Reichstag die abso lute Majorität zu verschaffen, sie könnte dieses Ziel nicht besser und ersolgreichcr propagieren, als sie cs jetzt tut. Wo sollen wir denn hinkommen? Der Arbeiter kann unmöglich mehr mit seinem Verdienst seiner Familie ein einigcrmahen erträgliches Auskommen bereiten. Er fordert Lohnerhöhung. Der kleine Be amte schnürt sich den Schmachtriemen noch um ein paar Löcher enger, der mittlere Beamte macht ein langes Gesicht, der Bürger mutz ansangen, zu knausern, die Industrie kann bald die Löhne I nicht mehr erschwingen, die von den Arbeitern gefordert werden müssen, wenn sie nicht verhungern sollen. Ueberall Teuerung, überall Notstand! Und die Regierung meint wunder was sie tut, wenn sie eine — allgemeineViehzählung veranstaltet. Du lieber Himmel! Von der Konstatierung, datz es im Deutschen Reich zu wenig schlachtreifes Vieh gibt, wird man auch nicht satt, und autzerdem weih man das ja schon lange. Freilich gewinnt man Zeit, und das ist wohl der Zweck der Uebung. Uns dünkt, man rechnet in mahgebenden Kreisen damit, datz sich in kurzer Frist die enormen Preise wieder etwas herabmindern, aber dieser Glaube wird wohl kaum allgemein geteilt werden können, und die Preise, die wir vor der Teuerung zahlten, kommen im Leben nicht wieder. Der Hunger ist ein schlechter Ratgeber, wie man weih, aber Befürchtungen, wie das agrarische Blatt sie hegt, braucht man wohl kaum zu haben. Freilich ist sicher, daß die gegenwärtige Teuerung und die absolute Tatenlosigkeit der Regierung der Sozialdemokratie einen bedeutenden Stimmenzuwachs bringen werden, aber die Loyalität des Bürgertums ist auch in schwierigen Zeiten fest und unerschütterlich. Und wenn man jetzt auch von einer tiefgehenden Verdrossenheit sprechen mutz, von revolutio närer Gesinnung ist in den Reden der Städtcvertreter, die bis jetzt gehalten wurden, nichts zu spüren. Die Regierung sollte sich aber auch hüten, den Bogen allzu straff zu spannen, er möchte mit der Zeit doch brechen! Wenn je, dann wäre esjetzt nötig, datz sofort die geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, eine völlige Auspowerung des deutschen Volkes zu verhindern. Durch ihre Untätigkeit zieht die Regierung nicht eine Revolu tion, wohl aber eine Opposition heran, die eines schönen Tages kurzen Prozeß machen kann. Und dann könnte den Agrariern weher geschehen, als die Regierung verantworten möchte! Politische Tagesschau. Anc, 7. November >909. Gegen den Kaiser machi jcyl in ganz ausfallender Weise die konservative Presse mobil. Das Organ des Bundes der Landwirte, die D. Tageszeitung betont, datz die „königs- »nd staatStrcnc Presse" in jedem einzelnen Falle, wo ein Anlatz dazu vorhanden zn sein scheine, sachliche Kritik üben müsse und fährt dann fort: Wenn der Träger der Krone außerhalb der verfassungsmäßigen Schranken etwas sagt oder tut, das be denklich erscheint, so muß auch an den Stufen des Thrones freimütig die Wahrheit gesagt werden, selbstverständlich mit der Ehrerbietung, die dem Könige von Gottes Gnaden jedenfalls Eykloue. Von Dr. Rh. Müntzer. (Nachdruck verboten.) Die furchtbaren Nachrichten von den grausigen Verheerungen, die gewaltige Zyklone im asiatischen Ost e n und in Ame rika angerichtet haben, sind noch in aller Erinnerung. Noch ist der Schaden nicht bewertet, doch dürfte er sich sicherlich nach Mil lionen beziffern. Nach alledem dürste cs auch nicht uninteressant sein, sich ein wenig über die Art dieser mächtigen Wirbelstürme zu verbreiten, ihr Entstehen, Wüten und Vergehen zu schildern, soweit dies nach den Quellen der Wissenschaft und den Beobach tungen von Augenzeugen möglich ist. Die Zyklone sind tropische Wirbelstürme und bewegen sich zwischen dem zehnten Grad nördlicher und dem zehnten Grad südlicher Breite. Ihre Bahnlinie ist kreisförmig oder eine Kurve anderer Art. Sie bewegen sich mit einer Geschwindigkeit bis zu 99 Kilometer in der Stunde. Die Durchmesser der Zyklone schwanken dabei zwischen 99 und 25,99 Kilometer; jedoch kann man den Satz aufstellcn, datz die Gesährlichkeit des Zyklons sich mit der Ausdehnung seines Durchmessers verringert. Die Höhe der Zyklone Uber dem Erdboden, d. h. ihre Achse, schätzt man bis zu 25 Kilometer. Die Zyklone bewegen sich — wenn sie auch häufig schon in einer Richtung von Westen nach Osten beobachtet worden sind — nicht immer in derselben Richtung. Auch ihre Richtung ist abhängig von der durch die Rotation der Erde her- vorgerusenen Ablenkung ihrer Windbahn. So kommt es denn, datz der Verlauf der Sturmdrehung und seine Bahn vorher kaum berechnet werden kann. Auch an bestimmte Jahreszeiten find diese Sturmarten für gewöhnlich nicht gebunden; sie treten im Sommer wie im Winter aus. Immer aber hat ihic Auftreten, sei es nun auf dem Lande oder aus dem Meere, etwas Furcht- ba res. Da hören wir z. V. die folgende lebenswahre Schilde rung: „Es ist etwa 4 Uhr nachmittags — ein Augenblick atem- k5fer Spannung. Der Tornado bricht aus uns los. Die Tann bäume krachen und die Wände des Hauses schwanken hin und her; sie find sicherlich nicht imstande, den Anprall auszuhalten. Wir hören jetzt keinen bestimmten Lärm, denn die Bretter und ande res Holz an d er Außenseite krachen ganz fürchterlich. Alles im Innern ist finster. In etwa 15 Minuten ist der Sturm vorbei." Nichts hält der Gewalt dieser Stürme Stand. Unbarmherzig und unweigerlich zerbrechen und vernichten sie alles, was sich ihnen in den Weg stellt, und noch hat der Geist des Menschen nichts zu ersinnen vermocht, was ihrem Wüten Einhalt zu gebieten ver möchte. Aber das Aussehen dieser Wirbelstürme informiert uns das folgende charakteristische Bild: „Die schwarze, tintige, trichterförmige Wolke senkte sich rasch zur Erde hernieder, und als sie diese erreichte, zerstörte sic alles, was ihr unterkam. Alles wurde in die Höhe gerissen und in dem gewaltigen Strudel dieses entsetzlichen Scheusals herumgcwirbelt. Die umgebenden Wolken schienen gegen den Wirbel zu rollen und hineinzustürzen." Das Barometer kündet mit tätlicher Sicherheit das Nahen eines Zyklons. Mit einem Mal sällt das Barometer ungeheuer stark. Dann bleibt cs stehen. Windstille ist eingctreten. Und nun nimmt das Unwetter seinen furchtbaren Verlauf. Das währt Minuten, wohl auch Stunden. Dann aber beginnt das Baro meter ebenso schnell, wie es vorhin gefallen, und ebenso plötzlich unausgesetzt zu steigen, bis cs sein Maximum erreicht hat: die Atmosphäre ist wieder im Gleichgewicht; der Orkan ist vorüber. Die hauptsächlichsten und gefährlichsten Wirbelstürme wur den beobachtet im indischen Ozean, im Meerbusen von Bengalen, chinesischen Meer, im japanischen Meer, bei den Antillen und bei den Sundainseln. Als Hurrikan, Tornado, Taifun ist der Zyklon am bekanntesten. Alle Zyklone haben die Eigenschaft als kleine, dunkle Wolken, die ungeheuer rasch näher kommen, ihr Erscheinen anzukünden. Bei diesen Wolken unterscheidet man dann noch beim Näherkommen einen ganz besonders dunkel gehaltenen Kernpunkt. Das ist der Punkt, nach dem die Bewegung des Zyklons gerichtet ist. In wenigen Minuten ist darauf der ganze Himmel bis an den fernsten Horizont in die tiefste Finsternis gehüllt. Der Regen strömt, als gösse es in Eimern. Der Sturm heult, Blitze zucken und Donner rollt. Aber alles das, mag es für die Zeit der Dauer noch so furchtbar sein, währt nur Minuten. Dann kommt der tote Wind. Der Zyklon ist vorüber. Wind stille. oder doch nur ein schwacher, warmer Lusthauch liegt über dem Land, und ebenso schnell wie es zuvor dunkel geworden ist, hat nun wieder das Licht gesiegt. Aber nicht immer tritt der Zyklon in dieser Form auf. Oft sind seine Erscheinungen gerade umgekehrt. Nach fast feurig be rührender Lust, setzt er plötzlich mit eiskalten Luftströmungen ein und zerstört durch diesen jähen Temperaturwechsel auf diese Weise noch das letzte, was seine rohe Wirbelsturmgewalt übrig gelassen. Man hat ja ost — meist in jedem Jahre mehrere Mal — Gelegenheit, sich von den Verheerungen der Zyklone ein Bild nach den in der Tagespreise abgcdruckten Berichten zu machen. Sie sind immer wieder lebendig und reich an einem Uebermatz von grauenerregenden Einzelheiten. Wir geben jetzt einigen Augenzeugen, denen man das Prädikat guter Beobachter erteilen kann, das Wort: „Am frühen Morgen eines Novembertages herrschte ziemlich starker Nordostwind. Der Himmel war wolkig, aber autzer im Südost nicht ganz bedeckt. Die Wolken bewegten sich sehr langsam aus West oder ein klein wenig südlich davon und sandten lange Streifen gegen Osten aus. Diese Streifen hatten etwas bandartiges im Aussehen. Unser Beobachter schätzte sic ziemlich lang, aber wenig breit. Er fährt dann fort: „Im Augenblick, als das erste Band an uns anlangte, ging der Wind, der noch immer, und zwar etwas stärker aus Rordwest wehte, über Nord nach Südwest um, und zur selben Zeit siel ein heftiger, kalter Windstoß von der bleifarbigen Wolke herab und hielt so lange an, bis beide Bänder vorübergezogen waren. Aus keinem von beiden fiel jedoch Blitz oder Regen; gleichsam als Nachhut dieser regulären Armee folgte ein verworrener Pöbelhaufen von Wolken unter ununterbrochenem Grollen des Donners." Eine noch interessantere Schilderung gibt ein ande rer Eyklonbeobachter. Er schreibt: „Der Niederschlag hatte etwa 39 Minuten angehalten, als man dann im Südwesten eine Wolke in Form einer Wasserhose sich bilden sah, die rasch gegen Rordost flch bewegte. Die Wolke, von der der Trichter herabging, schien, aus einer Entfernung von 13 Kilometern gesehen, in fürch terlichem Aufruhr zu sein. In der Tat konnte man während des Hagelfalles in den Wolken eine Art Stürzen bemerken; sie kamen