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— ... ....... Veit EWIGffRSH »Iileitile - D'tnstaq. IS. November UM». ^er MimM! «r. 62. Erster Iatzraavg. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Srzgsbirgs v. luiiiivi'iilichci K<i>akt>iir ,ij rift > » I> c> l k>. ^u> c>i? Inserate eeranlii>i.'rUi.t>: NrIhur !< np > e r. tieide iu Nne. mit dor ivö.-hontlichdn Untdr!>fltuna^bciiago: ^üuftn^ltcs ^onut.fg^bkitt. 5,-rechslniide .>»-i Red ktiou nnt Ausnahme der Soniil.ift» ii.ninniii.ifts ea« , !Il>r. Teleftramm-Adresse: Taftelilatt Ilm». — ,H-rnspre.1 er 2»2. ä'Nr nnveilanftt rinaesanAe Niannstri^'re lann Geii'äl» in.in aeleistei ive.de,i. Ornck nnd Neil.ni G e l> r n der 1- e n 11. n c r tJnh. i Hanl ^enihneri in Aue tZ e t II ftS p l eis: Onrch liniere xiaten frei ins liaus monatlich 511 Hsft. ^'ei der rftent>,isIssicNc alnreholl monatlich »v Hsft. "Nd rvöchemlich >1I Hfft. !'ei der Post deneNt nnd seltisl abftcholt vierteljlilirli.il 1 Nil !Nk Ourch den Urieitrdger frei ins li.ms > «.leljälirlich i n2 Nik - .Einzelne Nninnier >o Hfft — Iienncher Postzeilnngs- kataloft — -Lrscheim täftlich in den tNiNaasslnnden, n.n Ausnahme von Sonin und .Hiertaften. Annahme von Anzeigen ins spätestens ',>/» ildr vormulafts. Ml iinin.n nn von aröftcren Anreiacn .IN i-enimmie» stellen 1.1 nn nnr d.nni ftelnirftt weiden, wenn sic nm Lane vorher bei nns ein,reden n ie r 11 o n sp re is 1 Oie iicdenftesp.ülene iiorpns eile oder de.en Aaum ,u psft., ÄcNannn 2ö Pisa Lei ftrdfteren Anslräften entsprechender Aadan. Diese r-»«rtt»ev »rn»s»Hs;t <» Seiten Tas Wichtigste vom Tage. Dir Kaiserin übernahm das Protektorat über den l I. internationalen Kongreß sür Hygiene, der im Sep tember nächsten Jahres in Vertin stattsindet. Der Reichsanzeiger verössentlichl die Entlassung des preußischen L a n d w i r t s ch a f t s m i n i st e r s von Pod- b i e l s k i. Prinzeß Hermine von Reuß ä. L. hat sich gestern aus dem sürstlicheu Schloß in Bückeburg mit dem Prinzen Johann Georg zu C ch ö n a i ch - L a r o l a th verlobt. Die L a n d r e ch t p a r t e i bereitet im Herzogtum Braunschweig eine M a s s e n a g i t a t i o n zu Gunsten des Herzogs von Cumberland vor. Die Polen in der Provinz Posen beschlossen eine Eingabe an den Kaiser wegen des Religionsun- 1 errich ts. Biele Tausende von G eistlichen agitieren s U r die Bittschrift. Das norwegische königspaar ist zu einem Besuche des englischen Hoses in Portsmouth eingetrosse n. Der Königder Hellen e n ist gestern abend von Paris nach Wien abgereist. Der österreichisch-ungarische Minister des Aeußeren, Frei herr von Aehrcnthal ist gestern abend von Petersburg n a ch W ien nbgerei st. Der oberste amerikanische Gerichtshof hat entschieden, daß importierte gemusterte V a u m w o l I e n st o s s e au ßer dem beslimmungsgemäßen Wertzoll einem besonderen ZuschlagszolI unterliegen. " früheres siehe unten. Puppellspiel und Puppenspieler. Der Kaiser weilte in diesen Tagen in Liebenberg bei dem Wiener Troubadour und seinerzeit Botschafter im Ne benamt, dem singenden, dichtenden und komponierenden Phili v. E u l e n b u r g - H e r t e s e l d. Das ist jährlich um diese Zeit der Fall, und immer wenn der Kaiser bei Phili weilt, ist Krise nz e i t. Man weiß wohl warum. Der ehrgeizige Mann, der sich einst selber znm Kanzler berufen glaubte, sich seht aber mit der angenehmen Rolle des Kaiserlichen Ratgebers begnügt, ist jedem abhold, der über ihm steht. Bon Liebenberg ans ist der Bannstrahl aus den Grasen Caprivi gejnhren, aus Lie benberg datieren alle Krisen und alle größeren Revirements. In Liebenberg ist eine Art von Nebenregierung, die zeitweise über der Hauptregierung steht, und zwischen Dichten und Musizieren wird hohe Politit gemacht. Nicht zum Nutzen des deutschen Reiches. Denn es ist ein wenig schönes Puppenspiel, das man in Liebergberg spielt. Die Puppenspieler sind die Leute, die mit einem Kose namen aus die Welt gekommen zu sein scheinen. Da ist in erster Linie Phili, der Diplomat. Dann kam Pod, der Humorist, der über die Fleischnot und die Lebensmittelteuerung seine Scherze machte und derweilen selber als industriöses Genie sein Schäfchen, nämlich das liebe deutsche Reich scheert, oder scheeren läßt. Daun ist danach Specky, — ist da noch eine Reihe von kleineren Göttern, die alle aus i oder anglisiert aus y endigen, die hinter den Kulissen ihre Fäden ziehen, an denen die Puppen tanzen zum Ergötzen der Spieler. Ab und zu grollt es in der offiziösen oder halbossiziösen Welt über diese Nebenregierung. Der „Kerl mit den Hyänenaugen" ist noch in bester Erinnerung. Aber die Leute stehen zu sehr in der Nähe des kaiserlichen Herrn, als daß man wie ein Donnerwetter drein- sahren könnte. Denn der Kaiser liebt den munteren Sänger von Liebenberg, der in der Politik bilettiert wie in allen anderen Künsten. Er liebte den Späßemacher Pod, der ihm das Mahl und die Jagd mit heiteren Anekdoten im Berliner Jargon würzte. Und so kommt es, daß die ernsthaften Leute im Kampsc mit den Puppenspielern den Kürzeren ziehen. Glaubt man vielleicht, Fürst Bülow der übrigens in sei nen Mußestunden auch nicht ganz srci von oer Leidenschaft des Puppenjpielens ist, hat in seinem Kamps mit Pod nicht seinen Knax bekommen? Man wird es ja bald genug erfahren. Am gleichen Tage, da die Norddeutsche Allgemeine Zeitung über Bü low meldete Alles heil!, schrieb der mit dem Kanzler nicht ganz unbekannte Arthur Levisohn, Chefredakteur des Berliner Tageblatts allen Ernstes, in zwei Monaten werde der Kanzler von der politischen Bildfläche verschwunden sein. Er nannte den Generalstabsches Moltke als den Nachfolger des Fürsten, und man tut unrecht, diese Kombination — es ist vielleicht mehr! — direkt von der Hand zu weisen. Gras Moltke ist der Erbe und Träger eines großen Namens, aber das ist bisher sein einziges 'Verdienst gewesen. Man sagt das nicht gerne, aber es ist wahr. Und wer kann denn wissen, welche Fäden sich in diesen schönen Herbsttagen in Liebenberg gezogen haben. Gras Moltke ist auch ein Puppenspieler, wie der Staatssekretär des Auswärtigen, Tschirschl y, der ebenso unvermutet ausgetaucht ist, wie der Generalstabsches. Es ist Dessertpotitik, die heute im deutschen Neich vielfach ge macht wird, u. uns graut vor der Zukunft. Zwischen Käse u. Kaffee lenkt man kein Neich, wie das deutsche. Da ist es freilich keiu Wunder, wenn man ourch Plötzlichkeiten überrascht wird, die sich dann hinterher als recht unangenehm Herausstellen. Die Person des Kaisers steht Uber der Kritik, seine unverantwort lichen Ratgeber aber müssen moralisch sür den Zickzackkurs ver antwortlich gemacht werden, der uns im Innern so schweren Schaden macht, der uns im Ausland diskreditiert. Mit größtem Bedauern sieht der ernste Patriot diese Dinge, und die Puppen spieler haben anscheinend dabei ihr Gaudium. Denn sic verstehen sich auss Geschäft. Herr v. Podbielski, der anscheinend nicht nur mit Tippelskirch sondern auch mit Herrn August Scherl, dem Ma cher der öffentlichen Meinung, liiert ist, versteht sich ausgezeichnet daraus, dem Publikum Sand in die Augen zu streuen. Jüngst brachte die Woche ein sehr interessantes Bild. Pod hoch zu Roß. Unten steht der Kronpri n z und reicht dem Landwirtschafts minister die Hand in aller Freundschaft und Liebenswürdigkeit. Daß der Photograph von Herrn v. Podbielski bestellt war, daß die Situation von dem industriösen Mann absichtlich herbeige- führt war, um dem deutschen Publikum, das seine Meinung aus Bilderbüchern schöpft, zu zeigen, wie gut der preußische Landwirt- schastsminister trotz aller Affären oben angeschricben stand, das liegt auf der Hand. Wir bedauern den Reichskanzler, der allem Anschein nach und trotz aller Dementis nicht m ehr Ratgeber des Kaisers ist. Er muß die Schaukelpolitik, die jetzt getrieben wird, mit seinem Namen decken — daß er dazu nicht viel Lust hat, das ist begreif lich. Es wird niemanden, der tieser zu sehen gewohnt ist, über raschen, wenn Fürst Bülow die Konsequenzen zieht und das Feld räumt, aus dem er doch nichts mehr zu sagen hat. Vielleicht ist dieser Tag näher, als man annehmen möchte, denn der Herr in Liebenberg ist ein einflußreicher Mann und auch Graf Moltke. Vielleicht wird in Zukunft dieses Paar das deutsche Reich regieren. Es müßte lustig werden, wenn Phili eines schönen Tages ins Reichskanzlerpalais einzöge. Zum mindesten eine angenehme Zeit sür die Anekdotensammler. Und noch lustiger müßte diese Zeit für das Ausland sein, das sich ohnehin mit den künstlerischen Ansichten und Neigungen des Kai sers mehr befaßt, als uns erfreulich ist. Eine Regierung von Puppenspielern — möchte uns der Himmel davor gnädigst be wahren! Politische Tngesschnm Aue, lv. November l90t>. Wird's was helfen? Aus Grund der iu Dresden stattgesundcuen Beratungen der Iierärztli chen S ch l a ch t v i e h h o s d i r e k t o r e u über mittelte der Vorstand des Deutschen Städtetages gestern dem Reichskanzler in Sachen der Flei sch not eine Peti tion, welche die schleunige Oesfnung der Grenze sür lebendes Bieh und sür Fleischnot unter Aufrechterhaltung der notwen digen veterinären Kontrolle, sowie die wenigstens vorüber gehende Herabsetzung der Pich- und Fleischzölle fordert. — Der L.-A. berichtet: Das Ergebnis der vom Reichskanzler angeord neten Erhebungen über sie Ursachen der Flcischteuerung liegt seit etwa I I Tagen vollständig vor. Wenn auch die statistischen Zu sammenstellungen ein für die Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft verhältnismäßig günstiges Resultat geliefert ha ben, so glaubt die Reichsregierung doch, dem augenblicklichen Notslande sosort Rechnung tragen zu sollen. Man darf also erwarten, daß die Regierung, nachdem sie sich mit dem Landwirt schaftsministerium geeinigt hat, Maßnahmen treffen wird. Ob diese in einer Herabsetzung der Tarife oder in anderweitigen Er leichterungen der Einfuhr bestehen sollen, muß abgemartet wer den. — Bekanntlich wollen die Sozialdemokraten sosort nach TenllvjttviA'itett. Prinz A l e x a n d e r vo n H o h e n I o h e hat die Berössent- liihung der Tagebuchblätter seines Vaters damit zu rechtsertigen gesucht, daß er den Willen des Fürsten Chlodwig ausgefiihrt habe. Rehmen wir an, daß er ihn auszuftihren glaubte. Daß oer frühere Reichskanzler jemals im Ernste daran gedacht oder den Wunsch gehegt habe, die Auszeichnungen, die das Roh material sür seine Denkwürdigkeiten bilden sollten, in der ur sprünglichen Fasiung verössentlichl zu sehen, kann bezweifelt werden. Aber es ist schließlich einerlei, was sich Prinz Alexander bei der Herausgabe des Werkes gedacht hat : sie liegen vor, sie haben außerordentliches Aussehen gemacht, und sie enthalten höchst schätzenswerte Beiträge nicht nur znr Kenntnis der neu eren Geschichte, sondern auch zur Beurteilung einslußreiiher Per sonen und höfischer Verhältnisse. Das wird man dem Prinzen Alexander Hohenlohe und seinem literarischen Vertrauensmann Pros. Dr. Curti u s zu geben müssen, daß sie über den heutigen Kaiser nnd seinen Hos verhältnismäßig wen ig mitgeteilt haben. Ob das, was sie zu verössentlichen sür gestattet hielten, wirklich dnzn geeignet war, darüber werden die Meinungen anseinandergehen. Aber Fürst Chlodwig Hohenlohe hat sicherlich sehr, sehr viel mehr na mentlich aus der Zeit seiner Kanzlerschaft, ausgeschrieben, als in den Denkwürdigkeiten enthalten ist. Und das wird der p i - kau teste Teil seiner Aufzeichnungen sein, lieber kurz oder laug wird ja auch dieser Abschnitt des Tagebuches weiteren Krei sen zugänglich werden. Man wird dann manche Ereignisse besser als bisher kennen lernen, ihren Ursprung und Zusammenhang verstehen, wenn man auch niemals vergessen darf, daß die Dinge ausschliü>j>A Gesichtspunkt einer einzelnen Perso dargestellt sind. ^'5 Nun stelle man sich einmal vor, daß auch der Geheime Ka- binettsrat v. L u c a n n s ebenso fleißig, wie es Fürst Chlodwig Hohenlohe getan ha», ein Tagebuch führe und daß dieses Tage buch ebensalls einmal der Oesfentlichkeit übergeben werde Seit langen Jahren gehör! Herr v. Lucanns zu der nächsten Um gebung des heutigen Kaisers. Er bildet den Riittelsmann zwi schen der Krone nnd der Regierung. Durch seine Hände gehen die Anträge der Minister und die Kundgebungen des Monarchen Er ist mit den Stimmungen des Herrschers genau vertraut: er kennt alle Persvnen des Hoses: er weiß, wie die Entschließungen Kaiser Wilhelms I I. enlstanden sind. Wenn ein Minister seinen Abschied erhalten sollte, Herr v. Lucanns war bestimmt, die un erquickliche Botschaft auszurichten. Wenn eine Depesche nach Lippe oder München oder wohin sonst ging, der Kabinettsrat hatte sie zu befördern. Als im letzten Staatshaushalt das Staatsministerium sür Herrn v. Lucanns, oer 20 VON Mark Ge halt bezieht, eine persönliche Zulage von lO OOO Mark beantragte, kamen, wie die Bossische Zeitnng mitteilt, Herren von der 'Rechten zu srcisinnigen Abgeordneten und er klärten ihnen: „Ihr werdet doch dem Briesträger keine Zu lage bewilligen'?" Sie wurde abgelehnt, teilweise unter Mit wirkung der konservativen Partei. Run, Briefträger ist Herr v. Lucanns wohl n i ch t. Aber eine selbständige Meinung zu betätige», ist allerdings nicht seines Amtes. „Wir Subalternen haben keinen Willen." Und zu den Subalternen kann man ge hören, auch wenn man Exzellenz ist. Wie aber, wenn der Ge heime Kabinettsrat, der eine amtliche Rieinung nicht vertreten darf, diese seine Meinung und seine Wahrnehmungen wenigstens einem Tagebuch «»vertraute? Und wenn dieses Tagebuch seinen Weg in die Ocssentlichkeit fände? Sicherlich, alles, was aus dcu Auszeichnungen des Fürsten Hohenlohe mitgeteilt ist oder noch mitgeteilt werden könnte, würde dadurch in den Schat ten gestellt. Mag sein, Herr v. Lucanns ist ein verschwiegener Mann, nnd da er mit Geschäften überbürdet ist, nicht aus einen Normal arbeitstag beschränkt, auch nicht Ueberschichten ablchnen kann, so hat er vielleicht kein Tagebuch geführt. Aber es wäre sehr heilsam, wenn man in den obersten Regionen immer wenigstens mit der Möglichkeit, wenn auch nicht mit der Wahrschein lichkeit rechnete, daß einmal solche Momentphotographien ver öffentlicht würden, wie sie Hohenlohes und andere Denkwürdig keiten enthalten. Die große Masse sieht die Fürsten und ihre Würdenträger immer nur in Gala, aus der Bühne, aus dem Kothurn, immer in der Haltung, wie wenn sie dem Maler eine Sitzung gewähren. Die inti m e n Tagebuchblätter dagegen zeigen sie als Menschen im Negligc-, mit menschlichen Eigenschaften, Leidenschaften, Schwächen, sie erössnen einen Ein blick nicht nur in das Ergebnis, sonoern in den Werdegang der Dinge. Darin liegt der Wert solcher Auszeichnungen sür den Ge schichtschreiber nnd die Nachwelt, und, wenn sie noch bei Leb zeiten der geschilderten Personen »cröffentlicht werden, sür die Mitwelt und das gesamte Volk. Darin aber liegt zugleich eine M a h n u n gan FUr st e n und ihre Umgebung, das Herz nicht immer aus der Zunge zu tragen, Selbstbeherrschung und Zu rückhaltung zu üben und sich der Kunst zu befleißigen, ohne die es keinen Staatsmann gibt, der Kunst des Schweigens. Es geht ein tiefer Zug des Unbehagens und der Berstimmung durch das deutsche Volk. In dieser Zeit mußten die Denkwürdigkeiten Hohenlohes überall Sensation, vielfach Schadenfreude Her vorrufen. Aber auf Hohenlohe könnten andere Tagebuchschreiber folgen, und es ist immer bedenklich, wenn die Zustände derart sind, daß Enthüllungen mit wahrem Heißhunger verschlungen werden.