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IM«. M.7-. und Anzeiger Mr das Erzgebirge Verantwortlicher Redaktuer: Fritz Ar» hold. Für dir Inserat« verantwortlich: Arthur Rupfer, deid« iu Aue mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von 4—r Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 202. Für unverlangt eingesandte Manuskripte kau» Gewähr nicht geleistet werde». Druck und Verlag Gebrüder Beuthner (Znh.: Paul Beuthner) in Aue. Bezugspreis: Durch unsere Bote» frei ins Hau» monatlich rn pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich ^0 psst n»d wdchenllich 40 pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljähslich 4.so Mk. — Durch »en Briefträger frei ins Haus vierteljährlich ,.-,2 Mk. - Einzelne Nummer ,0 Pfg — Deutscher postzeitungs- katalog — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Son», und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens g>j, Uhr vormittags. 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FUr die Hinterbliebenen der Verunglückten in Annen und für die noch lebenden Verunglückten sind bisher rund 10ÜVVV Mart ein gegangen. * In Annen sind alarmierende Gerüchte in Um lauf, daß ein Roburit lager unter den Trümmern noch in Brand wäre. * Die Interpellation Jaures über die Marokko- srag « wurde auf den V. Dezember vertagt. » Lucheni, der Mörder der Kaiserin Elisabeth von Oesterreich, ist im Gefängnis lebensgefährlich er krankt. * Der serbische Kronprinz hat wiederum zwei Sol daten der Palastwache angeschossen und schwer ver letzt. * Aus dem Gebiet zwischen Eltasar und Urzzan in Marokko werden ernste Unruhen gemeldet. Die dortigen Stämme plündern sich gegenseitig aus. * Näheres stehe unten. Politischer Wochen-Riickvlick. Man kann gerade nicht behaupten, daß durch das Ab leben des Erzbischoss von Stablewski unsere polnischen Sor gen geringer geworden sind, denn die Ernennung seines Nach folgers ist ein überaus heikles Problem, bei besten Lösung es sicher nicht ohne langwierige Verhandlungen zwischen Berlin und dem Vatikan hergehen wird. Die preußische Regierung hat leb haftes Intereste daran, daß auf der Dominsel zu Posen ein Prie ster residiert, bei dem die polnische Propaganda keine Unter stützung findet, also ein deutscher KirchcnfUrst; der heilige Stuhl dagegen fürchtet nicht ohne Grund, daß die Anhänglichkeit der Polen an die katholische Kirche einen argen Stoß erleiden könnte, wenn zum Erzbischof von Gnesen-Posen nicht ein Na tionalpole ernannt werden sollte. Es heißt also, unter den we nigen Personen, die bei der Sedisvakanz überhaupt in Betracht kommen, jene herauszusinden, die polnische Abstam mung mit gut preußischer Gesinnung verbinden. Also eine Aufgabe, die an die Quadratur des Zirkels erinnert! Am besten würde sich wohl Prinz Max von Sachsen el<, Mä, dessen Abstammung von polnischen Königen in einer seits bet den Polen und dessen unbedingt politische Zuverlässig keit ihn andererseits bei der preußischen Regierung accreditieren müßte. Indessen scheinen sich gegen die Berufung des Prinzen zum Nachfolger Stablewskis unkontrollierbare Einflüsse geltend zu machen. Der Reichstag ist nunmehr in die Kolonialde batte «ingetreten, und Exzellenz Der n bürg debütierte mit sein»! Jungfernrede. Der neue Kolonialdirektor hat keinen leichten Stand, denn von allen Missionen ist die des Reformators entschieden die schwierigste. Gelingt Herrn Dernburg die Her- kulesarbeit, aus unseren überseeischen Besitzungen irdische Para diese zu machen, an denen der Fiskus, der Kaufmann und das -eutscheVolk gleichermaßen ihre Helle Freude haben, so wird man ihm sicher noch bet Lebzeiten ein Denkmal im Tiergarten setzen^ macht aber auch e r Fiasko, dann wird es sicher heißen, nun ist Hopsen und Malz verloren, es ist am vernünftigsten, wir bringen die Kolonien bei Zeiten unter den Hammer und schla gen noch «in Profitchen heraus, bevor wir darauf warten, bis sie uns die Engländer mit Gewalt wegnehmen. Die Stellung Dernburg» ist also absolut nicht leicht und sie wird auch nicht durch die'Frontändrrung verbessert, die von den Parteien ihm gegenüber vollzogen wurde. Denn während es seinerzeit die liberal gesinnten Elemente waren, die die Ernennung eines Kaufmannes zum Kolonialdirektor mit stürmischer Begeisterung begrüßten, während die Konservativen über den Emporkömm ling, dessen Vater ein simpler Journalist ist, die Nase rümpsten, wird jetzt Dernburg am schlechtesten von der freisinnigen und der sozialdemokratischen Presse behandelt, wogegen die rechtsseitigen Organe mit ihm höchstlich zufrieden sind. Das Panzergeschwader ist nun endlich doch aus Toulon abgedampft, und damit wurde die Lösung der ma rokkanischen Frage in Fluß gebracht. Trotz aller Versicherungen von offizieller Seite in Paris, sich streng an die Abmachungen von Algeciras zu halten, wird man doch nicht umhin können, die Entwickelung der Dinge im scherifischen Sultanate mit einiger Besorgniszu betrachten. Denn der Eifer, mit dem sich plötz lich Frankreich und Spanien daran machten, das ihnen über tragene Polizeimandat in Ausführung zu bringen, noch bevor die Parlamente das Uebereinkommen von Algeciras ratifiziert haben, bleibt immerhin verdächtig. Auch kann die Lage in Ma rokko unmöglich so bedrohlich sein, wie sie in der Londoner und Pariser Presse hingestellt wird. Die schon vor einem Monate signalisierten Unruhen sind noch immer nicht zum Ausbruche ge langt, und es ist höchst sonderbar, daß die Eingeborenen solange mit dem Losschlagen zögern. Sie scheinen offenbar daraus zu warten, bis Frankreich und Spanien soviel Truppen gelandet haben, als genügt, um ganz Marokko unter die sran - zösisch «Oberhoheit zu bringen. Fast sieht es so aus, als handelte es sich um eine abgekartete Sache, wobei geschäftige Hände hinter den Kulissen für die französische Politik tätig sind Rußland ist nunmehr wieder ganz in den Hintergrund des Interesses getreten, und die wenigen belangreichen Nachrich ten, die von dort hier eintreffen, lasten den Schluß zu, daß es Stolypin wirklich gelungen ist, die Revolutionsbewe- gung in das friedliche Fahrwasser politischer und ökonomischer Reformen zu lenken. Die Duma-Wahlen stehen vot der Türe, die Lust zu positiver Arbeit macht sich überall bemerkbar, und die Bevölkerung im weiten moskowitischen Reiche hat offenbar die Lust am Bombenwcrfen und Varrikadenbauen verloren. Die staatsmännischen Fähigkeiten des Premierministers Stolypin sind vom Auslande unzweifelhaft st art unterschätzt worden, denn er hat bisher eine Tatkraft gezeigt wie keiner seiner Vorgänger. Allerdings wäre es wohl oersrüht, jetzt schon die Passisikation Rußlands als vollendet zu betrachten, aber wenn sich die zweite Duma arbeitssreudig erweist, dann hat Stolypin das Spiel gewonnen. In Oesterreich hat die Wahlreform glücklich das Abgeordnetenhaus passiert, aber es fragt sich noch, ob sie nicht an der Klippe des Herrenhauses noch scheitern wird. Denn im österreichischen „Iionni- <>k I.iuckn" herrscht herzlich wenig Neigung dafür, den Reichsrat auf die breite Basis des allgemeinen und direkten Wahlrechtes zu stellen. Die Bedenken der Herrenhäus ler haben denn auch ihre guten Gründe, die vor allem aus der Erwägung hervorgehen, ob durch eine weitere Demokratisierung des Abgeordnetenhauses nicht noch mehr radikale Elemente hineinkommen, als bisher. Ferner wurde durch den Wahlrechts- Nummel die Aufmerksamkeit von dem österreichisch-ungarischen Ausgleich abgelenkt, der unzweifelhaft die brennende Frage der habsburgischen Monarchie bildet. Offenbar hofft die Krone in ihrer Friedenssehnsucht, daß aus dem allgemeinen Wahlrechte eine Majorität hcrvorgehen werde, die sich den Magyarischen Wünschen gefügiger erweist als das gegenwärtige Abgeordneten haus. Eine solche Politik würde allerdings sehr stark an das verzweifelte Mittel erinnern, den Teufel durch Belzebub aus treiben zu wollen. Politische Tagesschau. Aue, 1. Deiember l90ü. „Schlagender" Parlamentarismus. Recht erbaulich ging es gestern wieder einmal im öster reichischen Abgeordnetenhause zu. In der Fortsetzung der Ver handlungen über die Wahlkreiseinteilung von Böhmen, Mähren und Schlesien wurde eine Abstimmung vorgenommen, an deren Richtigkeit die Tschechisch-Radikalen zweifelten. Sie stürzten des halb auf die Prästdententribllne. Abg. Frefl reißt vom Schriftsührertische und vom Pulte des Vizepräsidenten eine An zahl Aktenstücke herunter und wirst sie aus den Boden. Ts ent-i steht ein hestigesHandge menge namentlich zwischen denr Schriftführer Albrecht und Frefl, an dem sich sowohl deutsche als, tschechische Abgeordnete beteiligen. Währeird des andauerndtir Lärms unterbricht der Präsident die Sitzung. Nur langsam zer streut sich die vor der Prästdententribllne angesammelte erregte Gruppe. Nach einer Intervention des Ministerpräsidenten unv einzelner Abgeordneten während der Unterbrechung der Sitzung kommt es zu einem tätlichen Zusammenstöße zwischen dem Tschechisch-Radikalen Klofac und dem Schriftführer A l - brecht. Mehrere Abgeordnete stürzen hinzu und versuchen, die Raufenden zu trennen, wobei sie selbst ins Gedränge kommest. Die Tschechisch-Radikalen fordern, unausgesetzt schreiend, daß Albrecht den Platz des Schriftführers verlasse, was er aus die In tervention Kramarcz hin auch tut. Nach einer viertelstündigen Unterbrechung nimmt der Präsident dir Sitzung wieder auf und spricht sein tiesstes Bedauern über die Vorkommnisse aus, ins besondere über das Fortrejßen amtlicher Aktenstücke, sowie da rüber, daß dem Schriftführer Unkorrektheit in der Ausübung sei nes Amtes zum Vorwurf gemacht worden sei. (Lärmende Zwi schenrufe der Tschechisch-Radikalen, unter denen die Worte des Präsidenten größtenteils verloren gehen.) Ein Antrag Malik aus Schluß der Sitzung wird abgelehnt. Die Fortsetzung der Ab stimmung vollzieht sich nunmehr ohne wesentliche Zwischenfälle. Der Fluch der bösen Tat. 'S? Das kleine Serbien scheint unter den Ländern Europas, die Skandal und üble Affären produzieren, durchaus die e rst e Stelle behaupten zu wollen, und die Streiche des Kron prinzen Georg beweisen, d aß die Dynastie Karageorgiewitsch ebenso verlottert und degeneriert ist wie die Obrenowitsch. Das arme serbische Volk ist aus dem Regen in die Traufe gekommen, indem es sich für den neurasthenischen Alexander und seine Draga den alten Karageorgiewitsch mit seiner korrum pierten Nachkommenschaft und Verwandtschaft eintauschte. Das Wort des großen deutschen Dichters vom Fluch der bösen Tat, die fortzeugend Böses muß gebären, hat sich wieder einmal in dem interessanten Balkanstaate bewährt. Inwieweit der schwarze Peter an dem tragischen Ende der letzten Obrenowitsch mitschul dig ist, wird vielleicht dereinst die Weltgeschichte aufklären, aber daß sein ältester Sohn von Natur aus eine viel schlechtere Cha rakteranlage zeigt, wie der unglückliche Alexander, der im Grunde genommen ein schwacher aber kein sittlich ver dorbener Mensch war, scheint fast ein Fluch des Schicksals zu sein! Wie in einem Shakespeare'schen Königsdrama, wo Ver brechen auf Verbrechen folgt, rollt die Historie Serbiens wäh rend der letzten Fünfjahrzehnte an uns vorüber, und die Dynastie Karageorgiewitsch wackelt nach einer sehr kurzen Regierungs herrlichkeit schon ganz bedenklich aus dem Throne in Belgrader Konak. König Peter hat bisher nicht eine einzige Eigenschaft gezeigt, die notwendig wäre, um das Ansehen des monarchischen Regierungsprinzips in seinem Lande wieder zu festigen, und in dem er sich sozusagen mit gebundenen Händen dem Spitzbuben Paschitsch auslieferte, hat er seine Position auch nach außen hin, insbesondere Oesterreich-Ungarn und Deutschland gegenüber ganz bedeutend verschlechtert. Eine unheilschwangere finstere Wolke schwebt über Serbien, jeder Tag kann uns unheilvolle Kunde von dort bringen. * >v. Vom kaiserlichen Hofe. Der Kaiser begab sich gestern nachmittag 3 Uhr im Automobil von Schloß Räuden aus über Kieferstädtel nach Slawen Hitz, wo er im Lause des Nach mittags eintraf. — Die Kronprinzessin begibt sich heute nach Stettin. Eine Ersamtvorstandssitzung der Vereine der national liberalen Jugend sand dieser Tage in Köln statt. Man nahm eine Resolution an, die Bassermanns Ausführungen im Reichs tage über die auswärtige Politik billigt. Deutsch-französischer Lehreraustausch. Das Uebereinkommen der preußischen und französischen Unterrichtsverwaltungen, das den Austausch von Lehrern betrifft, erfährt nunmehr prak tische Nutzanwendung. Verschiedene französische Sprachlehrer sind preußischen, und preußische Sprachlehrer sind französischen höheren Schulen auf die Dauer bis zu einem Jahre überwiesen worden. Nach preußischem Vorbilde haben auch andere deutsche Bundesstaaten diese Erweiterung und Ausgestaltung des Schul unterrichts beschlossen. Aus Vern Reichstage. Sitzung vom 3Ü. November 1SÜ8. (Nachdruck verboten.) Das Hauptereignis bei der Fortsetzung der Kolonial debatte bildete die Rede des Zentrumsabgeordneten Crz- berger. Während der vorhergegangenen Ausführungen der Abgeordneten Lattmann und Schrader war der Sitzungs saal nicht zu einem Viertel besetzt. Kaum hatte Erzberger dke Rednertribüne betreten, alck von allen Türen Abgeordnete her- einstürmten, von deren Anwesenheit im Hause man keine Ahnung hatte; in kurzer Zeit war der Sackl fast ganz gesiillt. Erzberger fing an mit einer scharfen Kritik der letzten Rede des Reichs kanzlers im Reichstage. So ungeschickt wie am vorigen Mitt woch habe Fürst Bülow noch niemals gesprochen: die beiden' Höhepunkte der Rede, der das -ganze In- und Ausland mit Spannung entgegensah, wären der Fall des Subalternbeamten Pöpla.u usiv eiste Eeneralanschuldigung gegen die Presse ge wesen. Sodann wies der Zentrumsredner nicht ohne Geschick eine Reihe von Angriffen zurück, die im Laufe der Debatte aus dem Hause gegen ihn gerichtet wurden. Insbesondere ver wahrte er sich mit Entschiedenheit gegen die Anschuldigung, das treibende Motiv für seine Enthüllung der Mißstände in der Ko- . . . , . ' V -