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Mittwoch, IS. Dezember 1906. 2 AüÜ Rr. 92. Erster Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge Lermilweilücher Ncd.ikieiir: Fritz Nriiholi». Fm die Jnseralc ecraiilworllich: N r 11; n r Kupfer. beide in Aue mit dor ivöcl)eiltlic!)d»i Uilter^ciltufigsbeilage: Illustriertes ^onntagsblatt. -prechstuude der Ne)akiio>i mit Ausnahme der ^ouulage uachiuittags von 4—s Uhr. — Lelegramin Adrefse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher 20:. Für unverlaugt eingesaudte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Ururk und Verlag Gebroder Uenthuer (Inh.: sdanl Leiithner- in Aue. Lezn gs preis: Durch unsere Voten frei ins Hans monatlich 50 pfg. Lei der Geschäftsstelle abgcholt monatlich 4 > Pfg. und wdcheutlich >0 s)sg. — Lei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich >.50 Mk. — Durch den Llieslrägcr frei ins ^.rus vierteljährlich 1.92 Mk. — Einzelne Nummer >0 psg. — Deutscher postzcitiing-- katalog — Lrschelut täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Der König von Spanien Hai die A lgceirasakte sa 11 1- I i v n i e r I. «b Der Ä n s st and i n K i a n h s e ist n n lerd r n ek t. * Ein a s s e n c r B ries des früheren Bezirksamtinanncs Schmidt zeiht st! v e r c n der frivol e n E h r a b s ch nei de r e i. " Näheres fiehc unten. Der koloniale Gevanke. Aufrichtige Freunde der Koloiiialpolitii hegen die ernste Be fürchtung, dass die Reichsrcgicrung durch die plötzliche Auslösung des Reichstages gerade der Kolonialpolitik einen schli in m e n Dienst geleistet habe. Gleichviel wie der Wahlkamps endet, wird dadurch die Tatsache nicht aus der Welt geschasst, daß die Frage, ob Deutschland Kolonialpolitik treiben soll oder nicht, Mittelpunkt des ganzen politischen Lebens geworden ist Der Ausgang des Kampses wird als ein Plebiszit für oder gegen die Kolonialpolitik erscheinen, und das eben, meint man, ver trägt eine erst langsam in die Entwickelung tretende Idee nicht Sic wird belastet mit der ganzen Summe der von altersher im Lande obwaltenden Gegensätze! wenn es sich im Falle eines Sieges der Regierung so schickt, daß unsere Politik scharse reak tionäre Bahnen einschlägt, so wird man die Kolonialpolitik als ein Hilfsmittel der Reaktion betrachten. Unterliegt die Re gierung, so ist ohnehin die koloniale Entwickelung in der Gefahr einer minderen Fürsorge, wenn freilich durchaus nicht zu be fürchten ist, dass je eia Reichstag zustande kommt, der die Ko lonien v 0 llständig in Stich lassen werde. Die Parteien machen schon heute durchaus kein Hehl daraus datz sie bei dem bevorstehenden Wahlkampfe jedwede ihren Topf an das Feuer zu rücken gedenken, das in dem Hause Dorn burgs entbrannt ist. Der Bund der Landwirte will für die hohen Viehprcise und für die Regierung kämpfen, das Zentrum kämpft gegen die Negierung und um die Schulen. In gleicher Weise kommen die anderen mit ihren besonderen Idealen, und die Kolonialfrage läuft nur so nebenher, lediglich als Mittel zur Erreichung der besonderen Wahlzwecke. Sie wird dadurch eine echte Parteisrage, denn Parteikämpse lassen sich nicht mit feinen Distinktionen führen. Gegner des Reichswahlrechts und der Freizügigkeit werden als Freunde der Kolonien, Anhänger der verfassungsmässigen Freiheiten als Gegner der Kolonien er scheinen. Kein Wunder, wenn Reaktion und Kolonie schliesslich nach einfachem volkstümlichen Empfinden als Früchte desselben Baumes betrachtet werden, während in Wahrheit die Kolonial politik ein hartes, aber zuverlässiges Mittel zur Erziehung der Freiheit ist. Es wird vielfach behauptet, unser Volk lechze nach welt politischer Expansion, insbesondere nach Kolonien. Dasistein- fach nicht wahr. Die Kolonialbegeisterung, soweit sie ehr lich ist, beschränkt sich vorläufig noch aus einen außerordentlich kleinen, gesellschaftlich ziemlich scharf abgegrenzten Teil unserer Mitbürger. Daneben gibt cs noch eine Gruppe von Schreier», die sich ein gewisses Großmannstuni einzureden versuchen, indem sie ihre welterobernden Neigungen nach allen Seiten hin aus posaunen, als seien sie gerade die rechten Männer, um alle Böl ler der Erde zittern zu machen. Bon diesen soll hier nicht die Rede sein, sondern nur von den ehrlichen Leuten, die ein sichtig genug sind, um zu wissen, was die Kolonien uns sein können, falls sie sachgemäss verwaltet werden. Teils sind es die Gebildeten, teils die Sinnierer und Grübler, eine nützliche Spezies von Menschen, deren Verdienst um die deutsche Ent wickelung von jeher unterschätzt worden ist, teils sind cs die kühnen Konquistadoren, die mit starkem Vertrauen aus ihre Kraft und mit einem schönen Freiheitsgesühl hinausstiirmen aus der gcmiitsbedriickenden Oede der millionenfach ausgetretenen Pfade, die man Karriere nennt. Grosse Teile unseres Bolkcs aber sehen immer noch der Ko lonialpolitik mit einem Mißtrauen zu, der teils angeerbt, teils anerzogen ist. Das Sprichwort: Bleibe im Lande und nähre dich redlich ist in den verschiedensten Formen seit Jahrhunderten das Palladium gewesen, mit dem die klcinstaatliche, deutsche Sou veränität ihre Untertanen vor exterritorialen Extravaganzen zurückschcuchte und so bei der Stange hielt. Es war, wie die Verl. Morgenpost schreibt, die höchste Pflicht des Untertans, auch wirklich Untertan seines Landesherr» zu bleiben: wer aus wanderte, die heimatlichen Fluren, die Gräber seiner Voreltern oder die Stätten seiner Jugend verließ, der handelte frevelhaft, und bei der sentimentalen Neigung des Deutschen, reale Lebens fragen mit allerlei Gemütswerten zu überlasten, setzte sich der Gedanke leicht fest, daß ein Auswandernder entweder ein sehr ge fühlloser Mensch sei, oder irgend etwas pecciert haben müsse. Die Verlegung des Wohnsitzes in ein ganz fremdes Land wird heute noch vielfach als eine Art Fahnenflucht betrachtet, ost sogar schon die Uebcrsiedelung in eine andere Stadt. Will man Kolonialpolitik betreiben, so muß man auf eine allmähliche Wandlung der Anschauungen warten: man kann da nachhelsen, aber man kann nicht ausrotten oder wegdisputieren wollen, was tief im Herzen unseres Volkstums als oktroyiertes oder wirklich empsundens Heimatsgesühl schlummert. Wohl indes kann man an das Heimatsgesühl ankniipscnd unseren Volksgenossen es langsam klar machen, daß eine verständige Kolonisation dem Triebe nach eigenem Heim und Herd am ehesten Genüge tut. Der Drang nach außen darf nicht dar gestellt werden werden als ein Ausfluß des Strebens, für da-- Vaterland Ruhm und Ehre in der ganzen Welt zu sammeln, son dern es muß ehrlich dargestellt werden als das was cs wirk lich ist, als ein starkes Sehnen der Einzelpersönlichkeit sich in Feiheit auszuleben. Die tausendfachen Fejs.ln, die den Men schen auf dem dichtbewohnten Stückchen Erde des deutschen Va terlandes einschnüren, sollen empfunden werden, damit es den Leuten klar wird, was sie drückt, und damit sic den kühnen Entschluß fassen, durch eine freie Tat sich wieder in der Fremde eine Heimat zu schassen, die ihnen wirklich eine Heimat ist, weil sie ihnen eigenen Boden unter den Füßen verstattet. Und ge rade der Genuß einer überfeinerten Kultur hat viele zu der Er kenntnis geführt, daß das harte Leben in männlicher Freiheit mehr wert ist als der raffinierteste Luxus in den Gebundenheiten der Kultur. Solche Gedanken, die auf dem Wege der Erkenntnis erwor ben oder durch Zuziehung verbeitet werden, sind aber nichtge - waltsam in ein Volk hineinzubringen: vollends versperrt man ihnen den Weg zu den Herzen, wenn man sie in Vergesell schaftung mit Ideen bringt, die der großen Masse des Volkes widerwärtig sind. Kolonialpolitik verlangt starken Freiheitsdrang, aber wer die Freizügigkeit bekämpft, gilt nicht als ein Förderer der persönlichen Freiheit: sie verlangt st 0 lzen BUrgersinn , der sich nicht mit B i) z a n t i s in u a und Absolutismus vereinen läßt, sie verlangt auch ge sundes materielles Streben, das ein Volk nicht haben kann, dem man bei den hohen Fleischpreisen Genügsamkeit als staatserhal tendes Ideal predigt. Ist schon die ganze innere Politik unseres Reiches wenig daraus zugeschnitten, daß man Vertrauen aus eine Kolonial politik in diesem ethischen Sinne haben kann, so steht zu fürchten, daß diese große Krife, in deren Mittelpunkt die Kolonien stehen, der Entwickelung des Kolonialgedankens einen empfindlichen Schlag geben wird. Man wird froh sein müssen, wenn er im Wir bel unserer inneren politischen Nöte nicht völlig untergeht. Die Lnge des deutschen -lrbeitsmarktes. Eine unerwartete, aber keineswegs beängstigende Trübung der günstigen Lage des Arbeitsmarktes hat der Monat November gebracht: nicht etwa deshalb, weil die gewöhnliche Zunahme des Andranges von Oktober aus November auch in diesem Jahre nicht ausblieb, sondern vielmehr deswegen, weil zum ersten Male seit Beginn des Aufschwunges der Andrang über den des Vorjahres h i n a u sge h t.An den öffentlichen Arbeitsnach weisen kamen nämlich auf je 10V offene Stellen in diesem Novem ber 135,1 Arbeitsuchende gegen 131,1 im vorjährigen. Diese Unterbrechung der Gunst des Arbeitsmarktcs darf nicht unbe achtet bleiben, weil nach dem intensiven Arbeitermangel des September das Ueberangcbot sich überraschend schnell wieder eingcstellt und größeren Umfang ange nommen hat: sie darf aber auch nicht überschätzt werden, da zwei Umstände den Vergleich mit 1905 wesentlich zu gunsten des Vor jahres beeinflussen. Das ist einmal der geringe Umfang des Andranges im November 1905. Man befand sich damals nur Weihnächte» einst nnd jeht. Von Dr. Philipp Kreuz. (Nachdruck verboten.) Wohl selten tritt die Erinnerung an die Gute-alte-Zeit leb hafter in den Vordergrund als wenn es gilt, Feste zu feiern, die Rückblicke aus unsere eigene Jugendzeit, oder gar aus die un serer Eltern und Großeltern gestatten. Und kein Fest eignet sich wohl besser hierfür, als das Weihnachtssest, vor dem wir auch jetzt wieder einmal stehen. Schilderungen von Weihnachtsfeiern früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte besitzen wir gar manche Sie zeichnen sich alle durch eine derbe aber treffende Charakte- ristik aus, von denen wir nur wünschen können, daß sie niemals im Strudel der Zeit untergehen mögen. Ueber die Weihnachts- seier an und für sich äußert sich zum ersten Male in der sogen Weihnachtshomilie im Jahre 3«i> Chryst 0 ste m u s. Er sagt daselbst: Es sind noch nicht ganz zehn Jahre, daß uns dieser Tag erst völlig bekannt ist. Ihr feiert ihn aber mit einem solchen Eifer, als wenn er uns schon von undenklichen Jahren her bc kannt gewesen wäre. So viel steht fest, daß sich im Laufe der Jahrhunderte der Brauch, das Christfest als eine jchönc und wür dige Feier zu begehen, immer mehr besonders aber im mitt leren und nördlichen Europa einbilrgerte. Die mittelalterlichen Weihnachtsschilderungen kön nen wir deshalb getrost Uberfchlagen und gleich zur neueren Zeit übergehen. Und da finden wir, daß sich das Christfest immer mehr zum Familienfest, im engeren Sinne des Wortes, aus wächst. Wir treffen es in den Hütten der Bauern, in den Häu sern wohlhabender Bürgersleute und in den Schlössern des Adels und der Fürsten. Besonders bekannt sind wohl die Episoden geworden, die sich an die Weihnachtstraulichkeit im Hause der Königin Luise von Preußen knüpfen. Liebe und Festfreude Gliicklichsein und Zusammengehörigkeitsgefühl durchpulst da die ganze Atmosphäre. So erzählt Feodor v. Köppen von einem Weihnachtsabend im preußischen Königshause: Am Weihnachts abend 1K03 sand Prinz Wilhelm unter den ihm bescherten ge scheuten die erste Unisorm nach dem Muster der Zietenschen Hu- lärenunisorni: für den Kronprinzen lag die Uniform des Garde- bucorps aus dem Weihnachtstisch und für ihren gleichalterigen Vetter und Spielkameraden, dem Primzen Friedrich, eine Dra- gonerunisorm. Das wäre: sagte der König, für die drei jüngsten Rekruten seiner Armee, uno als solche führte er sie nach ihrer Einkleidung der Königin vor, die an dem Ernste und der sol datischen Haltung der Kinder ihre Freude hatte. — Das ist auch die Zeit, von der wir manches Uber Weihnachten von Goethe hören. Die Zahl der kleinen Details ist nicht arm und wir wollen deshalb das Markanteste hierhersetzen. Gar Spaßiges von einer Weihnachtsfeier des jungen Goethe erfahren wir da in der Autobiographie des Berliner Kunstgelehrten Friedrich Förster, dem von der Mutter Theodor Körners be richtet wurde: Goethe und sein Vater trieben ihren Mutwillen so weit, daß sie an dem Weihnachtsabend ein Christbiiunichen für Joli, mit allerhand Süßigkeiten behangen, aufstellten, ihm ein rotwollencs Camisol angezogen und ihn auf zwei Beinen zu dem Tischchen, das für ihn reichlich besetzt war, führten, während wir mit einem Päckchen brauner Pfefferkuchen, welche mein Herr Pate aus Nürnberg geschickt batte, uns begnügen mußten. Die Untaten des bösen Tieres werden dann noch weiter ausführlich mitgeteilt und es erhellt aus dem Ganzen, daß der junge Goethe an diesem Christabend seine Helle Freude gehabt hatte. Auch aus den späteren Jahren erfahren wir von manchen Weihnachts abenden aus den Briefen und Aufzeichnungen von Goethes Mutter, die uns auch später, als ihr ein Enkelsohn geboren ward, über damals übliche Weihnachtsgeschenke des langen und breiten informiert. An Frau v. Stein, die, wie Goethes Sohn August, am ersten Weihnachtstag ihren Geburtstag hatte, sind die folgenden Goetheschen Weihnachtszeiten gerichtet: Daß du zugleich mit dem heiligen Christ An diesem Tage geboren bist Und August auch, der werte Schlanke, Dafür ich Gott im Herzen danke. Dies gibt in tiefer Winterszeit Erwünschteste Gelegenheit, Mit ein'gem Zucker dich zu grüßen, Abwesenheit mir zu versüßen, Da ich, wie sonst, in Sonnenferne, Im Stillen liebe, leide, lerne. Auch in Wetters Leiden hat uns Goethe eine Art der Weih nachtsfeier mit den folgenden Worten geschildert: An eben dem Tage, es war der Sonntag vor Weihnachten, kam er abends zu Lotten, und sand sie allein. Sie beschäftigte sich, einige Spiel werke in Ordnung zu bringen, die sie ihren kleinen Geschwistern zum Christgeschcnk gemacht hatte. Er redete von dem Vergnügen, das die Kleinen haben würden, und von den Zeiten, da einem die unerwartete Oessnung der Tür, und die Erscheinung eines aufgepuyten Baumes mit Wachslichten, Zuckerwerk und Aepfeln in paradiesische Entzückungen seht. — Und diesem aufgeputzten Baum gelten auch die folgenden Worte des Dichters: Bäume leuchtend, Bäume blendend, Ueberall das Süße spendend, In dem Glanze sich bewegend, Alt' und junges Herz erregend — Solch ein Fest ist uns bescheret, Mancher Gaben Schmuck verehret; Staunend schau'n wir auf und nieder, Hin und her und immer wieder.