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Rr. 42. Dritter Jahrgang. ttuer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge Dvnnevslüg. 20. Febnmv 1908. 2ÜÜÜ H^MNlLv! verantwortlicher Redakteur: Fritz Arn hold. Für die Inserate verantwortlich: lv alter Kraus beide in Aue. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von z—s Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Ane. — Fernsprecher 88. Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und Verlag Gebrüder Beuthner (Inh.: Paul Beuthner) in Aue. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins Haus monatlich so psg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich »v Psg. und wSchenttich io Psg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich t.so Mk. — Durch den Briefträger frei ins Baus vierteliährlich >.-r Mk. — Einzelne Nummer <0 psg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Staatssekretär Dein bürg sprach sich in der Bud- gclkommissio» entschieden gegen eine Deportation von Strafgefangenen in dieKolonicn aus In der Balk a ns rage ist es zu lebhaften Ausein andersetzungen unter den russischen, österreichischen und englischen Offiziösen gekommen. England steht in der Sisenoahnfrage ans Seiten Rußlands. O Aus Casablanca werden neue Kämpfe der Franzosen mit den Marokkanern gemeldet (S. vol. TgSsch. u. Tel.) Dornburgs Kolonialprogramm. r. Der Etat flir das ostafrikanische Schutzgebiet gab, wie mir gestern schon kurz erwähnten, am Dienstag dem Staatssekretär des Reichskolonialamts Dernburg Gelegenheit, sich in mehr als zweistündigem Vortrage auszusprechen Uber den Stand un serer Kolonien im allgemeinen, sowie Uber die Grund sätze, die auf Grund seiner ReiseeindrUcke fllr unsere Kolonialpolttik in Ostafrika maßgebend sein sollen. Dabei wurde die Erörterung der demnächst zu erwartenden Vorlage Uber koloniale Eisenbahnen zunächst ausgesetzt. Unsere Kolonien befinden sich sämtlich in steigender Entwickelung und der nötige Reichszuschutz geht, wenn auch langsam, zurück. Nur solche Vorlagen, sollen gemacht werden, die die Deckung in sich tragen mit nachweisbarer Rente oder so, datz dadurch andere Ausgaben aufgehoben werden. Zu der Petition der o st a s r i k a n i s che n Farmer, die Negirrung möge auf die Schwarzen einen Zwang aus üben, um sie zum Abwandern nach der Küste und zur Arbeit zu nötigen, nimmt der Kolonialsekretär aus Grund seiner Er fahrungen im Lande selbst Stellung. Die deutsche Regierung müsse aus politischen und aus Gründen der Menschlichkeit d i e Neger schützen. Wohl stände der Neger moralisch relativ niedrig, die Prügelstrafe könne nicht ganz entbehrt werden, jedoch sei sie mit Garantien gegen Mißbrauch zu umgeben. Aber dem Schwarzen müsse sein Recht und Schutz gewährt werden in einem Lande, wo jeder Weiße mit der Peitsche spazieren geht, wo es dem Eingeborenen sehr erschwert werde, zu seinem Recht zu kommen und der Arbeitsvertrag zu seinen Ungunsten abge schlossen werde. Die in Englisch-Ostafrika geltenden Arbeits ordnungen seien vorbildlich. Arbeiterkommtssare müs sen auch in unseren Kolonien mit richterlichen und schiedsrichter lichen Befugnissen ausgestattet werden und bet den Eingeborenen das so nötige Vertrauen zu der deutschen Verwaltung wecken. Von Zwang im Interesse einzelner könne keine Rede sein, wir könnten ihn mit der Hand voll Leute gar nicht durchführen und haben kein Recht dazu. Ein Sanitätsamt möge erst unter suchen, was dem Neger überhaupt an physischer Leistungsfähigkeit zugemutet werden könne. Der Plantagenbau in Ostasrika werde ja in eizclnen Branchen gedeihen, er werde aber stets kostspielig und in seinem Ertrage Schwankungen unterworsen sein. Die Zukunft Ostafri kas liege jetzt schon überwiegend aus dem Gebiete desHandel s. Dieser entwickle sich natürlich mit der stets zunehmenden Erschlie ßung und Nutzbarmachung weiter Länderstrecken. Die Eingebo renen müssen kaufkräftiger und begehrlicher nach Handelsgegen ständen gemacht werden. Der alte, bewährte Handelsmann sei der Inder, Len kleinlicher Konkurrenzneid nicht vertreiben könne und dürfe. Mittels gesundheitlicher und kultureller Für sorge fllr die Eingeborenen, Erschließung der Verkehrswege, Weckung und Belebung des Handels, sowie auch durch eine anzustrcbende Vereinfachung und praktischere Gestaltung der Verwaltung werde Ostasrika, wenn man ihm nur Zeit laste, sich erfreulich entwickeln. Diese Darlegungen machten einen tiefen und, wie von den Rednern aller Parteien ausgesprochen wurde, einen allgemein sympathischen Eindruck. Die sofortige Drucklegung des Vortrages wurde auf Wunsch der Kommission in Aussicht gestellt. Die Debatte über die durch General von Liebert beantragte Er höhung der von ihm vor zehn Jahren eingeführtcn Hütten steuer, wie die ganze weitere Diskussion über den Etat von Ostasrika wurde abgebrochen, bis die Denkschrist als richtige Grundlage für alle wetteren Besprechungen in den Händen der Kommissioirsmitglieder sich befinde. Die Beratung wird des halb mit Togo und den Südsee-Kolonien weitergehen. Zur Naturgeschichte -er wirtschaftlichen Vereinigung. nie. Es ist immer wieder nützlich und gelegentlich sogar un gemein lehrreich, von Zeit zu Zeit die Herrschaften ein wenig unter die Lupe zu nehmen, die unter der schillernden Bezeichnung der wirtschaftlichen Tiereinigung politische Geschäfte zu machen versuchen, diese Leute sind sozusagen in einer glücklichen Lage. Sic beherbergen in ihren (allerdings nicht sehr ausgedehnten) Zeltlagern Männer, die schlankweg aus der Demokratie kommen und wieder andere, die nach ihrer ganzen politischen Struktur den Konservativen, dem Bund der Landwirte und den von Zünstelci durchzogenen M i t t c l sta n d s v e r e i- nigungen angehören. Wirkliche Parteien würden an die'er Pielgestaltung zugrunde gehen. Den Herren von der wirtscljastlichen Vereinigung ist sie einfach ein Mittel mehr im Kamps ums politische Dalein. Sie können halt so und können Geheimnisvolle Kapitel »er Weltgeschichte. I. Sin« Tochter des Marschalls von Sachsen. MoritzvonSachsen, der Sohn, den die Gräfin Auro ra von Künigsmarck dem Kurfürsten von Sachsen und Könige von Polen August dem Starken geboren hatte, war nicht nur ein tapferer Kriegshcld, sondern hatte sich in franzö sischen Dienstes auch bald den Ruf eines unermüdlichen Bezwin gers selbst der sprödesten weiblichen Herzen errungen. Man sprach von seinen Siegen im Boudoir säst noch mehr als von denen, die er auf dem Schlachtfeld« davontrug. Prinzestinnen von Geblüt, Herzoginnen, Schauspielerinnen schenkten ihm ihre Gunst, ja, stritten sich um ihn mit heißer Leidenscha.it, und als die große Tragödin Adrienne Lecouvreur plötzlich in der Blüte des Lebens und der Schönheit starb, bczichtcte man allgemein die Herzogin von Bouillon, sie aus Rache und aus Eifersucht um des Marschalls willen aus dem Wege geräumt zu haben. Mit zunehmendem Alter stumpfte sich der Sinn des Mar schall» von Sachsen dem anderen Geschlechte gegenüber einiger maßen ab. Er suchte stärkere Anregungen und stieg mehr als einmal tief zum Volke herab, um seine blasierten Nerven durch robustere Reizmittel zu erfrischen. So entdeckte er eines Tages in einer Straße von Paris, im Laden -eines Limonadenhändlers, ein einfaches, junges Mädchen von blühender Anmut und von einer bescheidenen, fast schüchternen Zurückhaltung. Das Mäd chen hieß Marie Rinteau, nannte sich aber später Marie Verridres. Moritz von Sachsen war nicht gewöhnt, seine Ziele auf Umwogen zu erreichen. Maries Vater erhielt bei der in Flandern im Felde stehenden Armee eine einträgliche Ver sorgung als Lieferant, Marie selbst, die erst 18 Frühlinge zählte, -und ihre vierzehnjährige Schwester GeneviLve brachte er in einer behaglichen Wohnung unter, in der Nähe seiner eige nen. Und den ganzen Winter von 17^7 aus 1718 widmete der sonst so Unbeständige dem kleinen BUrgermädchen. Im März des Jahres 1718 mußte er dann zur flandrischen Armee, und dort erfuhr er im September, daß Marie Verriöres ihm eine Tochter geschenkt hatte. Wie das damals ost geschah, wurde dieses Kind bei der Tause unter falschen Angaben eingetragen: als legitime Tochter eines erdichteten Jean Baptist« de la Riviöre, Pariser Bürgers, und der Marte Rinteau, seiner Ehefrau. Es scheint nicht, daß die Geburt dieses Kindes, dem jetzt der fran zösische Schriftsteller CH. Gailly de Taurines eine hübsche bio graphische Studie gewidmet hat (Aventurieres et Femmes de qualitö. Paris. Hachette et Cie.), aus den Mar'chall einen tiefen Eindruck hervorbrachte. Seine Gefühle für Marie Verriöres mochten sich schon abgekühlt haben, und so begnügte er sich, Mutter und Kind auskömmlich zu versorgen, indem er jener eine Rente von zehntausend, diesem eine solche von zweitausend Livres ver schrieb. Um dem Geliebten eine Ueberraschung zu bereiten, und ihn durch neue Vorzüge an sich zu fesseln, erdachte Marie den Plan, sich für das Theater ausbilden zu lasten. Marmontel, ein junger Dichter, den zwei heute längst vergeßene Stücke schnell berühmt gemacht hatten, sollte ihr Lehrer werden, aber ach, schon in den ersten Stunden sanken Lehrer und Schülerin sich liebesselig in die Arme und zogen dem Unterricht gefälligere Unterhaltung vor. Als der Marschall von Sachsen im August 1719 nach Paris zurückkam, erfuhr er bald von der Treulosigkeit der Freundin und rächt« sich an ihr, indem er die beiden Renten, die er ih> und der kleinen Aurora — so war das Kind nach der Mutter seines Vaters getauft worden — ausgesetzt hatte, mit einem Federstrich unterdrückte. Und ein Jahr später, am 30. No vember 175V, starb Moritz von Sachsen, erst 51 Jahre alt, in den Armen seines treuen Arztes und Freundes Eünac, mit Hinterlastung eines Testamentes, in welchem er alle bedacht hatte, auch anders. Heute die Susanne und morgen die Johanne; demo kratisch den einen Tag und am andern agrarisch-konservativ. Von wannen just der Wind weht, dahin wird flugs das Mäntelchen gehängt. Das neueste Stücklein: Am letzten Sonntag findet in Oschersleben eine nationalliberale Versammlung statt, in der die Abgeordneten Fuhrmann und Rimpau sprechen. In der Diskussion erklärt sich, was von seinem Standpunkt ja auch durch aus berechtigt ist, der freisinnige Redner für die Uobertragung des Reichstagswahlrechts auf Preußen. Aber slugs erhebt sich auch der Vorsitzende der dortigen Mittel st andsvercini- gung — ein Herr Heinemann — schließt sich seinem Vorredner vollinhaltlich an, nennt das Pluralwahlrecht, für das Herr Fuhrmann plädiert hatte, ein kapitalistisches Wahlrecht und verlangt ganze Arbeit: Einführung der allgemeinen, gleichen und geheimen Wahl auch für die Wahlen in Preußen und daneben (man beachte wohl) zur Behebung der finanziellen Nöte im Reich eine Reichseinkommensteuer. Die Herren aber, denen s» noch das demokratische Blut durch die Adern pulst, sind noch vorm Jahr bei Wahl des Abg. Rimpau mit den Konservativen zu jammen gegangen! Ein zweites Stücklein, ein nur um ein geringes älteres: In Ne ii haltensleben ersucht die Mittelstandsvcreinigung bei der Stichwahl Herrn Fehlhauer u. a. sich zu erklären 1. für Ab schaffung der geistlichen Schulaufsicht, 2. für Einführung direkter Reichssteuern. Man ist also damals demokratisch bis auf die Knochen. Heute aber paradiert in demselben Wahlkreis der Vor sitzende der deutschen Mittelstandsvcreinigung als konserva tiver Landtagskandidat: heißt Vielseitigkeit, nicht? Die wirt schaftliche Vereinigung sollte sich von einem ihrer Heraldiker ein Wappen entwerfen lasten und darunter den Spruch setzen: W i e s trefft. Deutscher Reichstag. >05. Sitzung. 8. Berlin, lv. Febr. Die Beratung des Etats des Reichs-Justizamtes wird jortgesetzt. Abg. Stadthagen (Soz.) erklärt, eine große An zahl von Prozessen, die darauf Hinausliesen, den Arbeitern ihre Menschenrechte zu nehmen, ihnen vor allem das Koalitionsrecht unmöglich zu machen, spielten sich seit Jahren ab. Wie der Abg. Heintzc gegen die Klassenjustiz losgezogen sei, sei erfreulich gewesen. Aus nationalliberalem Munde habe er so etwas noch nicht gehört. Wohl aus dem tiefsten Niveau in der Rechtsprechung sei Hamburg angelangt. Das zeige wieder ein besonders kraßer Fall: die Rechtsprechung dort gegen die ihr Koalitionsvecht wah renden Mitglieder des Hasenarbeitcrverbandes aus Anlaß des Streiks der Schauerleute. Redner wendet sich gegen die Sensa tionshascherei der bürgerlichen Presse, wie sie sich im Fall Hau gezeigt habe. Er wirft dann den Richtern Amtsmißbrauch gegen angeklagte Arbeiter vor, die stets ungebührlich bchandelt würden, sobald es feststehe, daß sie Sozialdemokraten seien. Gegen Roh heiten von Studenten werde dagegen sehr milde verfahren. Red ner sührt eine Reihe von Fällen an, in denen Studenten sich Ruhestörungen, Widerstand gegen die Staatsgewalt usw. zuschul den kommen ließen. Trotzdem seien sie mit geringen Geldstrafen die seinem Herzen nahe standen, bis zum Tambourmajor seiner Ulanenregimentes, — nur von Marie Verriörcs und von ihrer und seiner Tochter war in diesem letzten Willen mit keinem Worte die Rede. So wäre Marie dem Elende preisgegeben gewesen, hätte nicht einer der Haupterben des Marschalls, der Gras von Friesen, sein Nesfe (die Mutter des Grasen von Friesen war eine Tochter Augusts des Starken und der Gräfin von Cosel), sich ihrer großmütig angenommen. Doch auch ihn raffte der Tod bald hin, und das einzige, was Marie aus seinem Nachlasse empfing, war ein Bild der Aurora von Künigsmarck, das Pet schaft und die Tabaksdose des Marschalls. Da sollte jenes flüch tige Liebesabenteuer, das sie einst mit Marmontel verbunden hatte und das der Grund der Trennung des Marschalls von ihr geworden war, eine neue, günstige Wendung in ihrem Schicksal« herbeisühren. Aus dem leichtsinnigen jungen Poeten war näm lich inzwischen ein ernsthafter Beamter in der Verwaltung der königlichen Bauten geworden. Marie hatte sich im Namen ihres Kindes an die Gemahlin des Dauphins, Maria Josefa, eine geborene Prinzessin von Sachsin, mit der flehentlichen Bitte um Unterstützung gewendet, aber man lächelte am Hofe des Dauphin über ihre Behauptung, daß der flatterhafte Moritz von Sachsen der Vater ihres Kindes gewesen sei, — bis M.ir- montel durch Zufall von ihrem Gesuche Kenntnis erhielt und, als ein in der Tat sehr kompetenter Zeuge, dessen Inhalt bestätigte. Das Ergebnis war, daß König Ludwig XV. der siebenjährigen Demoiselle Aurore für die Dauer ihrer Erziehung in einem von seiner Schwiegertochter, der Gemahlin des Dauphins, zu bestim menden Kloster jährlich 800 Livres und eine einmalige Zuwen dung von 600 Livres zur Ausstattung bestimmte. Die Prinzes sin interessierte sich wirklich für die kleine Aurora und hatte bald eing«sehen, daß sie vor allem dem Einfluß« ihrer Mutter entzogen werden müßte. Denn Marie Verritzres war mit den