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' >" - 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge verantmortlul'er B>'ö^ft?:ir: sei» llrokolil Für die Inserate p.r.ni!u>arilich: Walter strauz beide in Aue i. Erz.zeb. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. IN. b. H. Sprechstunde der Acduktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von 4—s Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher j„ Aue i. Lrigeb. Für unverlangt eingcsandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins Haus monatlich l>u p»g. Bei der GcschastsstcUe abgeholt monatlich 4u psg. und wöchentlich 10 pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgcholt vierteljährlich 1.50 Mk. — Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich i.n? Mk. — Einzelne Bummer <0 Pfg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mir Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens g Uhr vormittags. 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Tel) ^Zn Venezuela rechnet man mit dem baldigen Ableben des schwcrerkranktcn Präsidenten Castro. (2. pol. Tgssch.) Ans Aar Ferdinands Leben Die Unabhängigkeits-Erklärung Bulga riens hat bisher nur einen Protest derPforte und einen Appell an die Signatarmächte des Berliner Ver trages zur Folge gehabt. Nach Londoner und Pariser Meldun gen scheint dort wie in Konstantinopel am meisten Stimmung vorbanden zu sein, die Proklamierung Bulgariens zum König reich und die bevorstehende Annektion Bosniens und der Her zegowina einem neuen Kongreß zur Entscheidung zu unterbreiten. Alle Gerüchte von Mobilisierungen in Bulgarien und in der Türkei werden dementiert. Nur in Serbien zeigt man sich kriegslustig. Im vorigen Jahre konnte der Vulgarensiirst Ferdinand in der alten Zarenstadt Tirnowo sein Mjähriges Regierungsjubi läum feiern. Am 15. August 1887, drei Wochen, nachdem ihm die Sobranje zum Fürsten gekürt, bestieg Prinz Ferdinand von Nanhreif. Novellette von A. Hinze. Am Toilettetisch brannten die Armleuchter. Ueber einem Stuhl lag ausgebreitet die Ballrobe aus blaßblauem Mado- polam, daneben Handschuhe und Fächer. Auf einem Ecktischchen stand ein Kelchglas mit einer herrlich erblühten rosa Rose. Ein diskreter Parfümduft lagerte in der Luft; das Fenster stand ein wenig offen, die schwüle Atmosphäre abzukühlen. Draußen pfiff ein scharfer Nordostwind — Rauhreif lag auf Bäumen und Sträuchern, auf den Gartensteigen und der Standarte im Garten der benachbarten Eckvilla; festlich flatterte an ihrer Spitze die deutsche Flagge in die Winde. Im Frisiermantel, das reiche braune Haar gelöst, saß Ruth Weseloh vor dem Spiegel. Sie war gewohnt sich selbst zu frisieren, allein die vertraute Kunst wollte heute nicht wie sonst gelingen, bereits zum zweiten Mal hatte sie die Frisur lösen müßen; die Finger wollten nicht ge horchen, jeder Nerv in ihnen vibrierte in selig-ahnungsvoller Erwartung. Heute, auf dem Ball Leim Konsul Steinbach, drüben in der Eckvilla, würde er das entscheidende Wort sprechen . . . Sie schloß die Augen im Uebermaß des Elückgefühls, der Leidenschaft, die sie bei dem Gedanken durchströmte, — ja, sie liebte den schwedischen Kapitän, liebte ihn mit einer Ueber- schwenglichkeit, daß sie meint«, die Trennung, die sein Beruf ihr mitauserlegte, nicht ertragen zu können. Sie würde ihn begleiten auf seinen Reisen, oft, sehr oft. Ein echter Nordlands recke däuchte er ihr mit seinen leuchtenden Herrscheraugen, seinem lühngeformten Antlitz. Der fremdländische Akzent, mit dem er sprach, verlieh seinen Bemerkungen einen besonderen Reiz. Das jag« Llslra ckig (ich liebe dich) würde hinreißend von seinen Lippen klingen. Um seinetwillen liebte sie im Geiste bereits das klippenreiche, meerumspülte Schweden, das ihre künftige Heimat ^rin würde. Kennen Sie meine Heimat, gnädiges Fräulein, — xder — Stockholm? hatte er sie gefragt, mit dem raschen, for- Menden Blick, der ihm eigen. Leider nein, — aber im Geiste Koburg-Cohary den bulgarischen Dhron als Nachfolger des Batt en berg ers Alexander, nachdem unter dem Ein fluß des Zaren der Dänenprinz Waldemar die Wahl abgelehnt hatte. Kein Mensch hätte dem Sechsundzwanzigjährigen eine lange Regierungszeit und gar die Erwerbung der Königskrone prophezeit. Die Bulgaren galten damals schon als besonders schwierig. In sieben Jahren hatten sie den armen Battenberger, der ihnen Ostrumelien zubrachte und die landgierigen Serben einige Male böse aufs Haupt geschlagen hatte, mehrere Dutzend Mal zur Verzweiflung gebracht, so daß er sich nur noch durch den Staatsstreich retten zu können glaubte; eines schönen Tages — im Jahre 1886 — gar überfielen ihn seine russenfreundlichen Verschwörer im Konak und zwangen ihn zur Abdankung; er mußte das Land verlaßen, kehrte aber auf einem Umwege wie der zurück und wich erst höherer Gewalt, als der Zar selbst sich gegen ihn wandte. Kein Wunder, daß man der Regierung eines Ferdinand, dort, wo eine so gewandte und diplomatisch befähigte Persön lichkeit wie Alexander von Battenberg schließlich versagt hatte, mit dem größten Mißtrauen entgegensah. Man nahm den jun gen Mann nicht ernst; erzählte sich allerhand niedliche Streiche, die er als Leutnant in Wien sich geleistet, eine Menge Anekdoten aus seinen Pratersahrten, die von seiner Gewandtheit in Liebes sachen und von seiner Charme Zeugnis gaben. Als Vater des Llaterlandes konnte man sich ihn schlechterdings kaum vorstellen. Die Witzblätter waren voll von Karikaturen, und besonders oft wiederholte sich das Bild, wie er sich hinter den Rockfaltcn seiner Frau Mama versteckte. Diese resolute Dame, eine Tochter des Franzosenkönigs Ludwig Philipp, war in der Fähigkeit, zu re gieren, etwas weiter gediehen als ihr Herr Papa und nahm ihren Sprößling in die Lehre. Und bald zeigten sich die Früchte. Der Mann, dem die Mächte zunächst die Anerkennung als Für sten versagten, den Rußland durch die Türkei vom Throne jagen lassen wollte, wußte sich allmählich Respekt zu ver schaffen. Im Lande wurde es allmählich ruhig, die Finan zen blieben in Ordnung, das Heer wurde reorganisiert und eine Anzahl Eisenbahnen gebaut. Da alles so seinen korrekten Gang ging, faßten die Mächte schließlich Vertrauen zu dem neuen Regime, schloßen mit Bulgarien Handelsverträge ab und der Staatskrcdit wuchs. Nur Rußland konnte es nicht verwinden, daß all sein Einfluß in Sofia verloren gegangen war, und zettelte allerhand Machenschaften gegen die leitenden Männer an. Die Erbitte rung gegen Rußland wuchs dadurch immer mehr, und schließlich beschloß Ferdinand, seine Nachfolge dem orthodoxen Glauben zu entziehen: Er heiratete eine Prinzessin von Parma, und als dem Fürstenpaar am 30. Januar 1894 ein Stammhalter geboren wurde, der Prinz Boris, wurde dieser katholisch ge tauft. In den 90er Jahren verstand Ferdinand sein Regiment wesentlich zu befestigen — in der Wahl der Mittel war er dabei nicht wählerisch. Er sägte seinen alten Vorkämpfer und Be rater, den Ministerpräsidenten Stambulow, kurzweg ab, als er ihm zu mächtig wurde, ließ ihm wegen Bagatellen den Pro zeß machen und als man ihm keine besonderen Vergehen nach weisen konte, arrangierte man einen lleberfall und Stambulow starb im Juli 1895 durch Mörderhand. Jetzt hielt es Ferdi nand für geraten, in Petersburg wieder einen Rückhalt zu suchen. Er ging dabei mit solcher Geschicklichkeit zu Werke, daß innerhalb Jahresfrist Bulgarien sich der freundschaft lichsten Protektion Rußlands erfreute, desselben Ruß lands, das Jahrzehnte hindurch als Erbfeind der Bulgaren gegolten. Das Opfer für diesen Umschwung war Prinz Boris. Als die Zeit gekommen war, da Fürst Ferdinand seiner Sache sicher zu sein glaubte, reiste der Fürst nach Petersburg und stellte dem Zaren in Aussicht, daß Boris doch noch griechisch- katholisch werden könnte. Dergleichen hat in Petersburg seine Wirkung noch nie verfehlt und verfehlte sie auch diesmal nicht. Ohne viele Eewißenbedenken brach damit Fürst Fer dinand sein dem Papst gegebenes Wort, Boris wurde umge- tauft und die Gnade des Zaren leuchtete fortan über dem bulgarischen Fürstenhause. Der bulgarische Einfluß in Mazedonien wuchs nun von Tag zu Tag, und zwar auf Kosten der Griechen, die Bulgarien im Kriege von 1897 ihrem Schicksal überließ. Ein Jahr später suchte Bulgarien die Orientbahn zu erwerben, die Pforte gab aber ihre Zustimmung nicht dazu, und seitdem stehen sich die beiden auf Hauen und Stechen gegenüber. In den nächsten Jahren hatte Bulgarien wieder mit schweren Finanz nöte n zu kämpfen, deretwegen es mehrere Male zu stürmischen Parlamentsszenen und Ministerkrisen kam. Die bulgarischen Umtriebe in Mazedonien, der starke Anteil, den Bulgarien an dem Bandenunwesen hatte, verwickelten die Regierung des Fürsten öfter in Streitigkeiten mit seinen Nachbarn, namentlich mit Rumänien. Erst als der mächtige Freund Bulgariens, der Zar, den Fürsten verwarnte, nicht zu weit zu gehen mit der Bandenorganisation, betrieb man diese Sache.geheimer und nicht mehr so fanatisch wie früher. Einige Eisen freilich hotte Bul garien immer im mazedonischen Feuer, und Fürst" Ferdinand wußte, warum. Er sagte sich, Laß es über kurz oder lang in Mazedonien zur Explosion kommen werde und war bereit. Zu liebe ich Schweden bereits, war ihre Antwort gewesen. Ein Geständnis war ihr damit entschlüpft — offenbar hatte es ihn glücklich gemacht, sehr glücklich, denn von diesem Augenblick an hatte ec offenkundig ihr seine Liebe gezeigt, mit jedem Worte geworben. Bis zu ihrem Wagen hatte er sie geleitet, wo bereits die Mutter wartend nach ihr ries. Noch sah sie im Geiste das Sternenlicht der Oktobernacht und darin sein blondbärtiges Ant litz, das sich zu ihr herabgeneigt hatte, tief, sehr tief —: Ruth, kennen Cie die Worte aus Tegners Frithjof? Der Erde Rund dos Himmels Bogen Verschwinden, wenn du mich küßest . . . Ruth — wenn wir uns Wiedersehen nach meiner nächsten Reise, darf ich hoffen auf jene Seligkeit? Glückselig würde sie ihm den Vrautkuß geben; war Kapitän Axel Nordstörm ihr auch noch ziemlich fremd, hatte ihre kurze Bekanntschaft ihr auch seinen Charakter, sein Denken noch nicht ganz enthüllt, so meinte sie ihn doch zu kennen — jede Regung lauteres Empfinden, Mannesstolz und Manneswürde. Der vakera svenska (schöne Schwede), wie man ihn nannte, war in der Gesellschaft beliebt; sein gewinnendes Wesen, das Fremdartige, das ihm anhaftete und so einnehmend machte, hatten ihn schnell die deutschen Türen und die deutschen Herzen geöffnet. Hastig legte sie den Handspiegel hin; die Frisur war glück lich beendet. Jetzt die Rose ins Haar und dann die Robe über geworfen — sie mußte sich beeilen, der Zeiger der Uhr wies bereits auf acht. Bon unten herauf tönte die Stimme ihres Bruders, offenbar erregt; er wartete im Wohnzimmer mit der Mutter auf sie . . . Auf den Treppen die Schritte der Diener schaft; von der Straße her Wagenrollen — vor der Villa des Konsul Steinbach hielt das Kupee still. Jetzt klang abermals das Rollen von Rädern draußen; Wagen auf Wagen fuhr vor der Villa vor — die Gäste kamen an. Ruth Weseloh schloß hastig das Fenster; gefesselt aber blieb ihr Blick an der Gegend hängen — ein Zaubevbild für glückliche Augen, lag die Welt im Rauhreifkleide da. Malerisch lugten die bereiften Kuppeln und Türmchen der Billen zwischen den Bäumen hervor, deren zackige Konturen im weißen Puderstaub sich scharf vom dunklen ! Novemberhimmel abhoben. Fein gefiedert erschienen Büsche und Sträucher, leise erzitternd im Winde; hier und dort blinzelte am Horizont ein Stern. Ja, ein Zauberbild für glückliche Augen ... Dis Beobachterin lächelte träumerisch, im Geiste sah sie ein anderes Bild — ihre künftige Heimat mit ihren Felsen und Wasserfällen und ihren Liedern vom Neck . . . Axel! der Name zitterte durch das Gemach; die ihn ge sprochen stand, die Kerze in der Hand, vor dem Spiegel. Ein letzter Blick hinein — schöner war sie nie gewesen, als in diesem Augenblick, wo die seelische Erregung einen Zauber auf ihr Antlitz malte. Gleich darauf schritt sie, die Schleppe über dem Arm, die Treppe hinab zu den Wohnräumen. Empfindlich kalt drang ihr die Luft im Vestibül entgegen; durch die Glasscheiben der Türen sah man am Firmament die Sterne flimmern; dumpf hallten von draußen die Schritte der Paßanten von dem ge frorenen Erdboden wieder. Von drinnen die Stimme des Bru ders noch erregter wie vorhin und eigentümlich eindringlich: Du wirst nicht zugeben, Mama, daß Ruth ihr Jawort gibt, bevor wir nicht näheres über Kapitän Nordstrom wißen —. Wie du redest, Ernst! Wen Konsul Steinbach als Gast auf nimmt, ist dieser Ehre auch wert. — Nun ja, so sollte man an nehmen. Ich wiederhole nur, daß Kapitän Nordiström auf mich den Eindruck eines unstäten Menschen gemacht hat, daß — Du mit deinen Kombinationen deinen zukünftigen Schwager be leidigst, Ernst! Brüderliche Eifersucht beeinflußt dich — Mög lich, Mama! Uebrigens zweifle ich daran, ob Nordström ernst liche Absichten hat; das Gespräch, das ich damals mit ihm hatte, ließ nichts hiervon vermuten. — Mein Himmel, Ernst, du besitzt ein merkwürdiges Talent, einem die Laune zu verderben! Meinst du etwa — Daß der Kapitän zu jenen gehört, die mit Frauen, Herzen spielen... Die ungesehene Zuhörerin lehnte bleich an der Tür; mecha nisch zog sie den Ballschal fester um di« Schulter. Wie ein kalter Reif hatte es sich auf ihr hochwallendes Empfinden gelegt. Waren es auch nur Vermutungen, di« da gefallen, trugen sie auch dazu bei, ihre Liebe zu dem Vrrkannten heftiger noch zir entfachen, so war doch die Harmonie ihrer Seele dahin; an