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o v U ^^^VGW«W^ Montag, 12. Oktober 1S08. Veit »der 3800 «timte itmmimi Nr. 238. Dritter Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge verantwortlicher Redakteur: , . » e ... - rm nenn-u mit Der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntaasblatt Druck und Verlag ¬ zar die Inserate verantwortlich: ' «n» »'N» «I.a L.ei»,k-«E»,N beide^n'A..^7Lr,aeb Sprechstunde der Redaktion mit Aufnahme der Sonntage nachmittag- von ,--> Uhr. - Telegramm-Adreffe: Tageblatt Aue. - Fernsprecher j„ 2lu"e i'Lrweb " ' Zur unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. ' o o o I Die Veräuvernugen auf der Balkanhalbinfel und das Völkerrecht. Von Dr. Stephan Kekule von Stradonitz. Niemand wird verkennen können, daß das, was sich eben auf der Balkanhalbinsel vollzogen hat, eine geschichtliche Notwendig keit war. Das gilt sowohl von der Zerschneidung des papiere nen Abhängigkeitsbandes zwischen der Türkei und Bulgarien, wie in bezug auf die Annektierung Bosniens und der Herze gowina von feiten Oesterreich-Ungarns. Als der Berliner Trak tat vom 13. Juli 1878 Bulgarien zu einem, wie der große Völ- kerrechtslehrer Holtzendorff es ausgedrückt hat: tributpflichtigen, Homagium (Lehnstreue) schuldenden, des militärischen Schutzes gegen das Ausland teilhaftigen Unter staat der Ottomanischen Pforte, gleichzeitig zum im Innern selbständigen, mit gesonder ter Heeresmacht ausgerüsteten Staat, dessen Rechte durch die rr««*nrev «nn-atzr H Keitrm ^^b-pr-is: Durch unsere Boten frei ins ksaur monatlich so psg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich plg- und wöchentlich io pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich ,.so Mk. — Durch »en Briefträger frei ins lfaur vierteljährlich 1.92 Mk. — Einzelne Nummer >0 pfg. — Deutscher Postzcitunas- — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens g'/, Uhr vormittags. Für Ausnahme von größeren Anzeigen an bestimmten -teilen kann nur dann gebürgt werden, wenn sie am Tage vorher bei uns eingchen. Insertionspreis: Die siebengespaltene Aorpuszeile oder deren Raum ,0 pfg., Reklamen 25 pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. Das Wichtigste vom Dege. Die deutsche Regierung läßt auch in der Nordd. Allg. Zeitung erklären, daß ihr die österreichischen A n 11 exio n s p l ä n e vorher unbekannt ge blieben sind. Der Radiumbergbau beginnt im Laufe dieser Woche in Oberwiesenlhal. (S. Kgrch Schs.) Der Ehrengerichtshof der Rechtsanwälte zu Leipzig verwarf die Berufung des Staatsanwalles gegen das den Rechtsanwalt Liebknecht freispre chende Urteil der Anwaliskammer der Provinz Branden burg. (S. Art. i. Hptbl.) Mehrere italienische Biäiler melden, daß die Stcllung Tittonis angeblich wegen seiner er f 0 l g l 0 s e nOricn t- politik für erschüttert gilt. Eine neueKrisis droht in M a ce d 0 n i en, wo zwischen der bulgarischen und türkischen Bevölkerung neue Zwistig keiten entstanden sind, denen Bulgarien anscheinend nicht untätig zusehcn will. (S^-pol. TgSsch. u. Tel.) Mächte auch gegenüber dem Sultan hinwiederum in Schutz ge- ' nommen sind, kurz zum Halbsouveränen Staat machte, lag darin notwendig bereits der Keim zur dereinstigen völligen Los trennung von dem halbsuzeränen Sultan. Dio geschichtliche Ent wicklung drängt unabweislich dahin, christliche Staatswesen, die die Höhe der Kultur des abendländischen Europa erreicht haben, unabhängig zu machen von dem mohammedanischen Reststaat ruhmreicher Sultane alter Zeiten im fernen Osten. Griechen land, Rumänien, Serbien sind selbständige Staaten und Monar chien geworden. Mit welchem geschichtlichen Rechte sollte Bul garien zugemutet werden können, das Joch von nichtchristlichen Fremden auf die Dauer zu ertragen? Einem großen, blühen den Lande von (mit Ostrumelien) 32 594 Quadratmetern und über vier Millionen Einwohnern! Die geschichtliche Logik mußte also offenbar ein bis höchstens zwei Menschenalter nach dem Berliner Kongreß zum Abfall Bulgariens von der Türkei hin führen, und diese Logik ist, wie Bismarck gesagt hat, noch ge nauer in ihren Revisionen als unsere Oberrechnungskammer. Fast automatisch mußte sich dieser Abfall in dem Augen blicke vollziehen, als die ottomanische Pforte nicht mehr in der Lage war, den Unterstaat tatsächlich militärisch gegen das Aus land zu schützen, ein Umstand, der durch die Staatsumwälzung in der Türkei unzweifelhaft bis auf weiteres eingetreten ist. Oder: als der Unterstaat selbst dieses Schutzes nicht mehr zu be dürfen glaubte. Oder beides. Im vorliegenden Falle erstreckte sich überdies die Revision der geschichtlichen Logik ersichtlich nur auf die förmliche Durchführung eines tgtiäcklM. lchpn.,.kekskwo- retts selbständig Krieg geführt und Frieden geschlossen hat. Bleibt: der Bruch des Berliner Traktats. Auch hier ist es gut, sich eines Wortes des Altreichskanzlers zu erinnern: Die inter nationale Politik ist ein flüssiges Element, das unter Umständen zeitweilig fest wird, aber bei Veränderungen der Atmosphäre in seinen ursprünglichen Aggregatzustand zurückfällt. Die clau sula rebus sic stantibus wird bei allen Staatsverträgen, die Leistungen bedingen, stillschweigend angenommen. Nun, für diesen Vorbehalt, daß die Dinge so bleiben, wie sie waren, liegt hier, hinsichtlich Bulgariens wenigstens, geradezu ein Schulfall vor. Das Bulgarien von heute ist nicht mehr das Bulgarien von damals. Die Türkei von heute ist nicht mehr die Türkei von damals. Und, was das Wichtigste und Ausschlag gebende ist, Oesterreich-Ungarn hat Bosnien und die Herze gowina gerade eben einfach der Souveränität des Sultans ent rückt. Auch hier ist die Entwicklung schrittweise geschehen. Nach Artikel 25 des Berliner Traktats hatte Oesterreich-Ungarn nur die Ermächtigung zur Verwaltung und militärischen Besetzung. Es hat sodann nach und nach auch Gerichtsbehörden und sogar dre Wehrpslichtigkeit eingeführt, denen die völkerrechtliche Ver tragsbasis zu fehlen schien. Diese Zustände haben dann wiede- rum als rechtliche im Ausland Anerkennung gefunden (Holtzendorff I, 116). Auch hier war nach einem Menschenalter die Frucht reif, und die geschichtliche Logik trat in ihre Rechte. Auch hier muß anerkannt werden, daß der Vorbehalt, daß die Dinge so bleiben, wie sie waren, zutrifft. Jedenfalls bedeutete für Bulgarien die Annexion von Bosnien und der Herzegowina durch Oesterreich-Ungarn eine Veränderung der Atmosphäre. Und es ist daher ganz gewiß kein Zufall, daß die Unabhängig- keitserklarung Bulgariens in dem Augenblicke erfolgte als die Botschafter des Kaisers Franz Josef die kaiserlichen Hand schreiben über die Annexion bereits in Händen hatten, um sie den auswärtigen Staatsoberhäuptern auszuhändigen. Nach alledem ist es also völlig ungereimt, zu sagen, Oester reich-Ungarn habe den Berliner Traktat nicht gebrochen, da es dem Sultan nur Bosnien und die Herzegowina nehme, dagegen den Sandschak Novibazar räume; Bulgarien aber habe ihn gebrochen, denn es entziehe der Türkei die Suzeränität und ver zichte dafür auf nichts. Den Berliner Vertrag haben beide ganz offenbar in ganz gleicher Weise formell gebrochen. Mate riell aber steht beiden die Clausula rebus sic stantibus zur Seite, und gerade wegen dieser Klausel kann auch nicht gesagt w^rden^ daß^sie das^V ölkerrecht verletzt hätten. Bulgarien Ungarn, sich, wie es durch die Annexion von Bosnien und der Herzegowina geschehen ist, über den Berliner Traktat hinweg setzte, hörte der letztere ohne weiteres auf zu existieren und brauchte für keine Vertragsmacht mehr bindend zu sein, naturgemäß auch nicht mehr für Bulgarien. Der Nachteil, der Bulgarien dafür erwächst, ist der, daß der Schutz seiner Rechte durch die Vertragsmächte gegenüber dem Sultan damit natur gemäß auch weggefallen und es nur noch auf sich selbst ange wiesen ist. Die bulgarische Königskrone und der Königstitel stehen auf einem besonderen Blatt. Eine Verpflichtung^ neue Titel im Staatsverkehr zu respektieren, kann andereM Staaten nicht auferlegt werden. Jede derartige NeueruM . ... setzt daher Anerkennung, von feiten der übrigeM Staatstitulare voraus (Holtzendorff, II, 9V). Wrd die Aner kennung dem neuen Könige von Bulgarien versagt, so bleibt er für das Ausland und die fremden Höfe eben vorläufig Fürst und ist König nur für das bulgarische Inland. Bulgarien und Die Nachtwache. Skizze von E. A. Wittkopp. Nachdruck »«Idolen. Wir machten unfern gewohnten Abendspaziergang hinaus vors Tor, mein Freund und ich. Die Sterne flimmerten am Himmel, der Fluß zog langsam seine Wahn, und rückwärts schauend, sahen wir aus unserem Wege und schweigend schritten wir dahin, gefangen vom Zauber der stillen Sommernacht, die alles Lärmende und Grell« des Tages in ihren Mantel hüllte und dämpfte. Die Linden blühten, ihr süßer Duft umgaukelte uns, und hier und da fiel eine der weißen Blüten träge zu Boden. An dem Bergeshange stand der Jasmin in seiner Pracht, hingen die Brombeersträucher und die Büsche der wilden Rosen. Oder es zogen sich die Weinberge hinaus bis zur Höhe, hinter der gleich einer vollerblühten Marschall Niel-Rose der Mond hing. Auf der anderen Seite des Flusses krächzte «in Käuzchen. Fern, wie aus einer fremden Welt kommend, drang der heisere Ton durch die Stille. Es war eine Stunde, in der man eine liebe Hand fassen und schweigend in zwei tiefe Augen blicken möchte. Wir wanderten und wanderten. Da regte sich in uns der Wunsch, weiterzmvandern, immer weiter, hinaus in die Nacht. Und immer weiter zu träumen. — Doch das geht nicht. Denn man ist gesitteter, wohlerzogener Mensch und Steuerzahler, und als solcher darf man sich nicht in nächtlicher Stunde auf der Landstraße Herumtreiben. Aber morgen ist ja Sonntag! Ein Tag, der ynser ist! Da wollen wir hinaus auf die Höhen wan dern, Lurch den taufrischen Wald, und wollen uns oben lagern, um die Sonne zu sehen, wenn sie ihre Bahn beginnt! Lange schon haben wir uns diesem Genuß nicht mehr hingegeben, lange genug sind wir wieder im Tale gewandert und haben die Sonne nur gesehen, wenn sie am höchsten stand. — Es faßte uns die Sehnsucht, die Sonne am Morgen zu grüßen! — Einige Worte nur — denn langes Verhandeln ist zwischen uns nicht Sitte — und wir wendeten, «in in beschleunigtem Tempo der Stadt Wie dann das Pflaster unter unseren Tritten hallte, wurden die Träume vorläufig aufgegeben und sachlich die Einzelheiten besprochen. Der Plan war höchst einfach. Wir legten uns nieder zu einem stärkenden Schlummer, standen morgens in aller Frühe auf und marschierten zum Forsthaus. An der Waldblöße, von der aus man den schönen Blick auf die fernen Berge hat, und von der man, tief im Tale versteckt, die Kirchtürme und die blauen Schieferdächer des Städtchens eben noch sehen kann, wer den wir rasten. An dieser einzigen Stelle werden wir uns niederlegen ins Gras, werden das Versinken der Nebel und das Erwachen des Waldes beobachten und dabei das Waldweben ahnen . Bis dann auch die Sonne erwacht und in breiten, weichen Tönen mitklingt im Konzerte der Natur, nach und nach anschwellend zu gewaltiger Melodie! Es muß schon, es muß herrlich werden! Wenn wir dann trunken sind von all der Schönheit, werden wir das nahe Forsthaus aufsuchen und den nun erwachten Hunger stillen. Auf den Kaffe« mit dem weichen, weißen Brot folgt eine Flasche aus des Försters Keller, bet der wir dann in beschaulicher Ruhe den Hühnern die Brotkrumen zuwerfen und Waldmann durch den Qualm unserer großen Zigarren erzürnen. — Wirklich, es muß schön werden! — Wir waren zu Haus angelangt. Alles schlief bereits, und behutsam stiegen wir hinauf auf unsere Bude. Das erste, was wir taten, war, den Wecker zu stellen und aufzuziehen. Dabei unterließen wir vorsichtshalber nicht, ihn erst einmal Probe läuten zu lassen. Das heißt, wir wollten ihn läuten lassen, Lenn — er versagte. Altersschwach, wie der Radkasten war, hatte er seine Tücken. Wir untersuchten ihn mit gewissenhafter, doch vergeblicher Gründlichkeit — er ging einfach nicht. Sollte uns dieses eigensinnige Gehäuse unseren schönen Plan zerstören? Niemals! Wir beschlossen also, wach zu bleiben, um so die Zeit unseres Abmarsches zu erwarten. Ein anderer Ausweg blieb auch nicht übrig. Die ganze Stadt schlief, wir konnten also niemand gewinnen, der uns rechtzeitig dem Schlummer ent rissen hätte. Der Nachtwächter schlief freilich nicht, aber der war nur zur Hand, wenn wir einmal nächtlicherweile sämtliche Lorbeerbäume von den Häusern fort verpflanzten. Wir mußten also abwechselnd wachen und beschlossen, daß mein Freund die erste, ich die zweite Wache übernehmen sollte. Mit größter Ge schwindigkeit verschwand ich und lag bald darauf im Tal« des Vergessens. Wie ich mich so behaglich dehnte und streckte, hörte ich meinen Freund nebenan hin und her schlürfen. Er stopfte sich eine Pfeife, jetzt ging er zum Bücherbrett, nun ein Stuhl rücken, ein Aechzen des alten Sessels — dann ward es still. Und ich lag im Bett. Anderthalb Stunden durfte ich drin bleiben, dann würde mein Freund mit rauher Faust «ingreifen, und dann hieß es eben so lange Wache zu halten. Aber dann hinaus in den Wald! In den Wald, der Sonne entgegen! Es muß herrlich werden: die Sonne, di« Vögel, die Bäume! Ah, im Bett ist es doch auch schön! Besonders in den kühlen Nächten. — Wenn nun mein Freund nebenan im Sessel ein schläft? — Dann wird nichts aus der Sonnenaufgangspartie. Dann weckt er mich aber auch nicht in anderthalb Stunden. — Nein, er wird nicht «inschlafen! — Wenn er nun aber doch. — Vorläufig schlief i ch ein. Und pünktlich, keine Minute nach der ausgemachten Frist, fühlte ich di« Faust meines Freunde». Er war standhaft geblieben. Nicht leicht ward es mir, mich mit dem grausamen Schicksal auszusöhnen. Ich hadert« und versucht« — ganz diplomatisch — meinen Freund zu Fall zu bringen. Er blieb hart. Ich schilderte ihm in glühenden Farben die An nehmlichkeiten des Bettes, und «r — pflichtete mir bet, übertraf mich sogar noch in meinen Schilderung«». Natürlich, er hatte noch seine anderthalb Stunden vor sich. Seiner brutalen Ge walt gab ich denn schließlich nach und stand auf, taucht« den Kopf ins Waschbecken und nahm, einigermaßen ermuntert, den Sessel in Beschlag. Und ich kämpfte! Weder di« Pfeife noch der spannende Roman halfen mir in diesem Kampfe gegen den Schlaf. Nicht «inmal die empfindliche Nachtkühl«. Ich trat an» Fenster und sah hinaus in die mondhelle Nacht — mir fielen die Augen zu. Ich hüllte mich in «in« D«ck«, philosophierte, brütet^ fror an den Füßen und wanderte hin und her. Selbstredend knarrten die Dielen — au» den Gefilden der Seligen «klang die Stimme meines Freunde» herüber: in dumpfem Groll. Ich stellte die Wanderung ein und ließ mich wieder im Sessel nieder. Las, rauchte, fror und kämpfte. —