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Mittwoch, 30. September 1008. M Nir 3800 nU»tt N>n,iti°! «r. 228. Dritter Jahrsaog. Nuer Tageblatt j und Anzeiger Mr das Erzgebirge v--.m,w^,ch-r ^d,k.°..r: der wöchentlichen. Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. vr^u«ä'^ru-."«.l«'il»»n Für die Inserate verantwortlich: m. b. H. lvalter Ifraur Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntag« nachmittags von -t—L Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher in Aue i. Lrzgeb. beide in Aue i. Lrzgeb. Für unverlangt eing»sa«dte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei in» Haus monatlich so Pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich So psg. und wöchentlich ,o pfg. — Bei -er Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich l.so Mk. — Durch den Briefträger srci i-,r Haus vierteljährlich i.gr Mk. — Einzelne Nummer zo pfg. — Deutscher Postzeitungs- katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. 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Tie Unabhängigkcitserklärnng Bulgariens wird unmittelbar nach Beendigung des Streites um die Oncntbahncn erwartet. iw"* Die sächsische Wahlrechtsreform. Zn Sachen der Wahlrechtsreform hielten gestern die konservative und nationallibrrale Fraktion der 2. Klam mer Sitzungen ab. Zn einer Beschlußfassung ist es jedoch noch nicht gekommen. Vielmehr wurden die Verhandlungen , auf morgen vertagt. Die Stimmung ist in beiden Frak tionen sehr geteilt. Als ein charakteristisches Zeichen darf es angesehen werden, daß in der konservativen Fraktions sitzung ein Teil der Mitglieder bereits vor Schluß der Sitzung das Lokal verließ, und daß den Konservativen die Einladung zur Fraktionssitzung für morgen mit dem aus drücklichen Vermerk zugegangen ist, daß sie auf alle Fälle in der Sitzung erscheinen möchten. Am Montag trat, wie unseren Lesern bekannt ist, die Wah l- rechtsdeputation der Zweiten Kammer des Landtags in Dresden wieder zusammen. Sie brachte etwas Neues, nämlich die Wahlkreiseinteilung, die der Geh. Regierungsrat Heink freiwillig im Laufe des Sommers zur Vervollständigung der Kompromißvorschläge ausgearbeitet hat, nachdem der Mini ster Graf Hohenthal bekanntlich erklärt hatte, daß er sich zu dem Kompromiß schon aus dem Grunde nicht äußern könne, weil es noch gar nicht fertig sei, solange ein so wichtiger Teil wie die Wahlkreiscinteilung daran fehle. An der Hand einer graphi schen Darstellung der Wahlkreiseinteilung gab Geh. Regierungs rat Heink am Montag der Deputation ausführliche Erläute rungen. Hierauf trat der konservative Abg. Andrä, Vor sitzender des Bundes der Landwirte in Sachsen, ebenfalls mit einem Wahlkreiseinteilungsvorschlag an, zu dem er Erläute rungen vorbrachte. Daraus wurden die Verhandlungen auf den heutigen Mittwoch mittag vertagt. In der Zwischenzeit haben die Konservativen und Nationalliberalen den Heinkschen Wahl- kreiseiuteilungs-Entwurf geprüft, ohne anscheinend absonderlich erbaut von ihm gewesen zu sein. Vielleicht hört man also aus der heutigen Sitzung der Wahlrechtsdeputation bereits, welche Zensur der Arbeit des Geh. Regierungsrats Heink zuerkannt wird. Die Zittauer Morgenzeitung ist in der Lage, über den Entwurf folgende Angaben zu machen: Der Entwurf sieht im ganzen 96 Wahlkreise vor, davon entfallen 21 Wahlkreise auf die 5 Großstädte, 16 Wahlkreise tragen rein städtischen Charakter, 48 Wahlkreise bestehen ausschließlich aus Landgemeinden. 11 Wahlkreise setzen sich aus Stadt- und Landgemeinden zu sammen. Für die ganze Aufstellung ist eine Gesamtzahl von 729 944 Wählern angenommen worden, von denen 362 790 auf die bis herigen Landkreise entfallen. Bisher entfielen von den be stehenden 82 Wahlkreisen bekanntlich 37 auf die Städte und 45 auf das Land. Nunmehr sollen von den 14 mehr zu bil denden Wahlkreisen dem platten Lande ohne weiteres drei zu fallen, während es bei 37 rein städtischen bleibt. Die 11 restie- renden gemischten Wahlkreise werden wohl derart zusammen gesetzt sein, daß der agrarische Einfluß überwiegt. Gesetzt auch, die ländliche Wählerzahl sei im Verhältnis zur Eesamtwählerschaft nicht zu hoch gegriffen, so leuchtet doch schon ein, daß die Städte bei dieser Wahlkreiseinteilung arg zu kurz kommen, denn obwohl auf sie die reichliche Hälfte der Wähler entfällt, werden sie mit 37 rein städtischen gegen 48 rein ländliche Wahlkreise abgefunden. Der Andräsche Vorschlag meint es ja allerdings mit den Städten noch bester, denn er stellt nur 17 großstädtische und 19 mittelstädtische Wahlkreise 60 ländlichen Wahlkreisen gegen über. Zu den letzteren werden die K l e i n st ä d t e gerechnet, die durch das lleberwiegen der Landgemeinden einfach schachmatt gesetzt werden. Auf Annahme wird diese agrarische Bescheiden heit allerdings nicht zu rechnen haben. Erwähnt sei noch, daß Dresden den 15. bis 21., Leipzig den 47. bis 53., Chemnitz den 70. bis 73., Plauen den 93. und 94. und Zwickau den 87. Wahl kreis umfasten soll. Eine Uebersicht über den ganzen Charakter der Heinkschen Wahlkreiseinteilung läßt sich aber natürlich erst nach erfolgter Prüfung geben. In Berliner Blättern wurde aus Dresden gemeldet, der sächsischen Regierung liege ein neuer Wahlrechtsentwurs vor, lder ausgiebig mittelständ- lerische Interessen berücksichtigt und von dem manche er warten, daß die Regierung ihm günstiger als dem Kompromiß gegenübersteht. Dem Landtage liegt ein solcher Entwurf, wie die Zittauer Morgenzeitung auf Erkundigungen hin erfuhr, in dessen noch nicht vor. Möglich wäre es ja immerhin, daß die Häuptlinge der sächsischen Mittelstandsvereinigung ihrem ver meintlichen Freunde, dem Grafen Hohenthal, in aller Stille einen Entwurf eingereicht hätten. Das würde aber wohl ver gebene Liebesmüh' gewesen sein. Uebrigens sind neben einer Anzahl Nationallibe- aler und den Vertretern des Freisinns im Landtage, wie auch des sozialdemokratischen Abg. Goldstein nicht ein mal alle Konservativen von den Kompromißvorschlägen sehr erbaut. Im konservativen Verein für Chemnitz fand dieser Tage über die Wahlrechtsfrage eine lebhafte Debatre statt, in der sich viel Sympthie für die Regierungsvorlage kundgab, während gegen die Kompromißvorschläge der Wahlrechtsdeputation ver schiedene schwere Bedenken geäußert wurden. Wenn erst die Heinksche Wahlkreiseinteilung vorliegen wird, dürften bei man chen städtischen Konservativen erst recht schwere Bedenken gegen die Befestigung der agrar-konservativen Uebermacht auf tauchen. 1L. Hauptversammlung des Sächsischen Lehrervereins. Zwickau, 29. September. Bei der zweiten Hauptversammlung im Lindenhof verlas der Vorsitzende, Herr Oberlehrer Leuschke, zunächst die Ant worttelegramme des Königs Friedrich August und des Kultus ministers Dr. Beck. Ihr Wortlaut ist folgender: Seine Majestät der König hat mich beauftragt, den zür Hauptversammlung des Sächsischen Lehrervereins vereinigten vaterländischen Volksschulmännern allerhöchst seinen Dank aus zusprechen für den ihm übersandten Huldigungsgruß. von Müller, Eeneraladjutant. Mit herzlichstem Danke für freundliche Grüße erneuere ich meine innigsten Wünsche für immer gesegnetere Entfaltung unserer Volksschule und für die erfolgreiche Betätigung unse rer sich dieser hohen Aufgabe widmenden Lehrerschaft. Staatsminister Dr. Beck. Nach Erledigung einiger geschäftlicher Angelegenheiten gibt der Vorsitzende das Wort Herrn Lehrer Arnold-Pirna zu seinem Vortrage: , Die Umgestaltung des Religionsunterrichtes in den sächsischen Volksschulen. Der Referent nimmt Bezug auf die allseitig begründeten Ausführungen des Herrn Dir. Arnold in der ersten Hauptver sammlung. Er betont, daß es die vaterländische Lehrerschaft für heilige Eewissenspflicht hält, unserem Volke den religiösen Sinn zu erhalten. Allein der religiöse Glaube vermöge dem Leben Sinn und Wert zu geben. Den Religionsunterricht wolle man nicht ersetzt sehen durch einen bloßen Moralunterricht. Nur im Glauben an Gott könne man die Kraft gewinnen dem Wahren, Guten und Schönen nachzustreben. Der Religionsunterricht sei ein organisches Glied des Gesamtunterrichts. Er solle nicht als Handlangerdienst für den Konfirmandenunterricht angesehen wer den. Er habe Zweck und. Wert in sich selbst und werde nicht erteilt um der Kirche, sondern um des Kindes willen. Die kirch liche Aufsicht sei eine weitgehende Beeinflussung des Religions unterrichts in der Volksschule und müsse beseitigt werden, da der Religionsunterricht selbstständige Angelegenheit der Schule sei. Gnschis erster Ball. s' Humoristische Skizze von H. Bille. i Seit vier Wochen war Euschi, die siebzehnjährige Euschi, die Hauptperson im Doktorhause, und zwar von dem Augenblick an, da eine goldgerändcrte Karte ins Haus geflattert war mit der Meldung: Herr und Frau Justizrat Kroner beehren sich, Herrn Dr. Matthias und Frau Gemahlin, nebst Fräulein Tochter, zunl Ball am 30. November ergcbenst einzuladcn. Euschi hatte darob einen Sprung getan, der dem, den Miß Alice vom Zirkus Melmont allabendlich durch ihren Luftreifen machte, an Kühnheit nichts nachgab, damit aber zugleich eine» Strich hinter die Kindeitollheit zog. Von Stund an begann sie die Dame zu kreieren, u.m am Ballabend bestehen zu können. Der Mutter Mahnruf: Aber, Kind, sei doch natürlich! blieb cindruckslos, ebenso der vierzehnjährigen Lotti drastische Be hauptung: Euschi ist verrückt geworden! — Der Backfisch, dessen glühendste- Ziel war, eine erwachsene Dame zu sein, beneidete die Schwester grenzenlos, und hätte sofort von ihrem Taschen geld ein Linsengericht spendiert, hätte sie damit sich das Erst geburtsrecht erkaufen können. Kam Dr. Matthias, ein viel beschäftigter Arzt, von seiner Praxis ermüdet nach Hause, bekam er als Erholung nur ein Thema: Kind, ich rate zu rosa Crepe de Chine —. Ach nein, Mama, weiß! — Dann jedenfalls elsen- bein, Euschi, wenn du rosa nicht liebst; elfenbein steht zu brau nen Locken reizend. Und ja kein Vlusenkleid — Empirestil —. Wie? Welchen Schmuck du tragen sollst? Nur ein paar frische Rosen an der Brust, Kind, deine siebzehn Hahre Istnd dein Schmuck! — Die Schneiderkünstlerin wurde bestellt; kam eine von Euschis Freundinnen, gab es glänzende Schilderungen des in Aussicht genommenen Ballkleides und wie es bei Justizrats sein würde. Euschis Frage, ob wohl Studenten geladen seien, Menschenspezies, für die sie sich zurzeit am meisten inter essierte, ward übertrumpft von dem Einwurf, ob das Ballkleid mit oder ohne Aermel gefertigt werde, eine Frage, die Euschi grenzenlos verwirrte und ihr das Blut zu Kopfe trieb. Allein das Unglück schreitet schnell, wie männiglich benannt. Am Morgen des Schneidereitages kam atemlos eine Frau gelaufen mit der Hiobsbotschaft, die Schneiderin könne nicht kommen, sie liege zu Bett an einem Jnfluenzaanfall. Die Frau Doktor rang die Hände, Euschi vergaß ihre Damenwürde und brach in Schluch zen aus. Die Folge war, daß Jette, das Hausmädchen Lei Dok tors, alle zwei Stunden zur Schneiderin stürzen mußte, sich nach deren Befinden zu erkundigen, eine Fürsorge, die sich die Patien tin verbat mit den Worten: Keine zehn Pferde bringen mich jetzt an die Nähmaschine! — Hierauf folgte im Doktorhaus« di« be kannte Stille vor dem Sturm. Da erbarmte sich der Himmel. Eines Morgens trat die Schneiderin herein und erklärte sich her gestellt und bereit, die Robe zu arbeiten. Diese war fix und fertig, der Wagen bestellt und Euschi überselig, daß nur noch drei Tage sie trennten von dem himm lischen Fest, als der Briefträger einen großen, mit ausländischen Marken frankierten Brief abgab. Bald darauf tönte aus dem Wohnzimmer, darin Mutter und Tochter beisammen waren, ein erstaunter Ausruf aus Frau Doktors Munde, dem jedoch ein gut Teil Bestürzung beiwohnte. Darauf folgte der Schrei einer jugendlichen Stimme und die bebend hervorgestoßenen Worte: Den könnte ich morden! — Etwas später saß Lotti am Schreib pult und meldete Bruder Karl, der in Bonn studierte, auf einer Postkarte mit fliegender Feder: Hier zu Hause herrscht gegenwärtig eine kritische Stim mung. Euschis erster Ball ist zu Wasser geworden! Sie sitzt auf ihrem Zimmer und mault; nur mit Gewalt haben wir ihr Essen eintrichtern können. Zum 30. November hat sich nämlich Onkel Johann, der amerikanische Krösus und unbe kannte Erbonkel, zu Besuch gemeldet. Papa freut sich natür lich sehr, seinen Bruder, den er zwanzig Jahre nicht gesehen hat, wiederzusehen, mag sich dies aber nicht merken lassen um Euschis willen. Mama geht mit verweinten Augen einher; Euschi tut ihr furchtbar leid, auch ist es ihr unangenehm, Justizrats absagen zu müssen. Mich soll verlangen, wie das wird; Euschi, glaub' ich, trägt sich mit schwarzen Gedanken herum, wünscht, Laß irgendetwas passiert und Onkels Besuch zum Kukuk geht. Sollte es einen Krach geben, schreibe ich dir. , , , Mit Gruß! Lotti. So standen nun die Dinge, indes die Tage mit unerbitt licher Geschwindigkeit enteilten. Ein sprechender Zeuge der Träume, die zerronnen, war das schimmernd« Ballkleid, das wie eine duftige Wolke im Ankleidezimmer ausgebreitet lag, gemieden von allen wie der döse Geist. Euschi blieb für Freun dinnen und Tanten unsichtbar; mit der Miene eines Opfer lammes nahm sie das Gläschen Brausewaster hin, das die be sorgte Mutter ihr reichte zur Beruhigung ihrer arg mit'gespiel- ten Nerven. Ja — ja, was diese Quälgeister alles zustande brachten! Die niederträchtigsten Gedanken, Gedanken, wie sie di« reizende, lachende, jedermann freundlich gesinnte Euschi nie sich zugetraut hatte zu denken. Sicher war dieser unbekannte Erbonkel eine Backpflaume, solch ein alter Hinterwäldler, über dessen täppisches Auftreten man sich noch obendrein genieren mußte! Und wegen so einem war sie um solch einen himm lischen ersten Ball gebracht worden! Ja, wer weiß, was sie nicht alles erlebt hätte, welche — wie sagte man doch? — richtig, welche Chancen ihr entgangen waren! Vielleicht hätte sich einer in sie verliebt, natürlich ein reizender Mensch, hätte, während der Festtrudel weiter brasste, sie in ein einsames Zimmer ge, führt, verschwiegen wäre die Portiere hinter ihnen zugefallen; und dieser Er ihr zu Füßen gestürzt, hätte in flammenden Wor, ten ihr seine Lieb« gestanden! Ihr erster Ball hätte ein Roman werden können, sehr wahrscheinlich das Schlußkapitel ihre Ver- lobung! Himmel, wenn es hätte heißen können — Euschi Matthias ist auf ihrem ersten Ball .Braut geworden! Der Ge danke hatte etwas Berauschendes, hätte sich verwirklichen können, wenn Wer weiß, ob es nicht doch noch dahin kam; wie der Ertrinkende an «inen Strohhalm, klammerte sie sich an di« Möglichkeit, noch in zwölfter Stunde könne eine Werbung des