Volltext Seite (XML)
Dienstag, SS. IM 1S11 Ilidil 4000 nU«s, Nr. 170. Sechster Jahegaug. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge 0«rantwortlich«r Redakteur! krltz Rrnkolck. ,0r die Inserat« verantwortlich- Mattel' Nr»»,. Neide in ?Ine i. Lrzged. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Auer Sonnlagsblatt. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntag, nachmittag, von st—I» Uhr. — lelegramm-Ndreffe! Tageblatt Nueerzgebirge. — Ferntznecher 51. Für unverlangt eingesandt« Manuskript« kann Gewähr nicht geleistet werden. Druck und vstrlag Vveo SnicN- o. ve«iag»--«»eN»<tuN in. b. ff. in Rue i. Lrzged. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins Haus monatlich so pfg. Bei der Geschäftsstelle abgekolt monatlich stv psg. und wöchentlich io^)fg. Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich i.sotNk., monatlich ro Pfg.— Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich 4.92 Mk., monatlich «st pfg. — Einzelne Nummer so pfg. — Deutsch«» Postzeitungskatalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Insertionspreis: Die flebengeivaltene Korpuszeile oder deren Raum für Inserate aus Rue und den Mrtschasten de» Rmtshauptmannschast Schwarzenberg ,o Pfg., sonst ,5 pfg. Reklamepetitzeile 2» pfg. Bei größeren Abschlüssen ent- hirechender Rabatt. Annahme von Anzeigen bis spätestens g'/i Uhr vormittags. Für Aufnahme von größeren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn fie am Lag« vorher bei uns eingehen. vitsr n«»»kk uuka-i - tritt. ratz Wichtigst, vvw Lage An der Universität Leipzig wurde ein internatio naler Studentenoerein gegründet. * Der Kaiser spende'? zu den Jugend-Nationalsest- spielen in Weimar 19.1 die Somme von 5000 Mk. In Megcnwart d s Fürsten Leopold zur Lippe tagte in Det in o l v ^er D e u l s ch e K r t e g e r b u n d, wobei die Hal tung der Bundesmitglieder zur Sozialde- inokratte sestgeleg 1 wurde. Aus allen Teilen de» Reiches kommen Meldungen von zahlreichen durch die übergroße Hitze verursachten Unfällen und Störungen. » Bet dem großen Brande in Konstantinopel wurde das Christenviertel Vlanya vollständiges n- ne äschert. Im ganzen sollen 10000 Häuser ver brannt sein. siE- Mutmaßliche Witterung am 2«. Juli: Nordostwinv, heiter, schwache Abkühlung, vorwiegend trocken, Gewitterneigung. Legenden. Die deutsch französischen Verhandlungen über Marokko gehen nur langsam vonstatten. Indessen darf dies nicht wunder nehmen. Es war schon von vornherein gesagt worden, daß die Besprechungen sich länger« Zeit hinztehen dürften, da es sich nicht um Marokko allein handelt, sondern weil man überhaupt beab sichtigte, über die beiderseitige Kolonialpolitik in Afrika eine Verständigung herbetzuführen. Obwohl all das zur Genüge be kannt ist, können die Hetzblätter an der Seine es nicht unter» lasten, sich an Deutschland zu reiben und künstlich bei ihren Landsleuten Mißstimmung gegen uns herbeizuMhren, in« dem man Kiderlen-Wächter die ab « nteuerlichsten Pläne unterschiebt. Hieß es doch sogar, daß Deutschland nicht bloß di« Mongoküste fordere, sondern noch ein Riesengebiet im In ne r n und auch sonst noch mit übermäßigen Wünschen hervor- Charlotte von Kalv. Zu ihrem hundertsünfztgsten Geburtstage am 28. Iu^ 1011- (Nachdruck verboten.) Ein merkwürdiges Frauenleben war'», an das in diesen Tagen zu erinnern ist: Das Charlottes v. Kalb, der unglücklichen Freundin Schillers. Das Bill> dieser eigentümlichen Frau ist schwer in die Beleuchtung zu rücken, in der wir Dharlott« von Kalb recht beurteilen können. Nur wenige Menschen ver mögen es ja, sich recht vollkommen in «ine ander» Zett zu ver setzen. Man muß dazu da» zweite Gesicht de« Dichter» besitzen; und wt« wenig«, die Dichter zu sein wähn«n, di« haben, er» kennen wir an der Fülle schlechter historischer Romane, di« uns nur immer die äußeren Umriss« oergangener Zeiten geben, nt« aber der Menschen Tun und Treiben, Denken und Fühlen in jenen Zeiten widerzulptegeln vermögen. So wird un» Leben und Handeln der Äel«nfreundtn Schiller», der Charlotte von Kalb, nie völlig verständlich sein, wenn wir nicht die Zett wer- stehen können, in der solche Seelenbündniste von allen mit einer uns abhanden gekommenen Vorurteilslosigkeit angesehen wur» den, wie etwas Selbstverständliche», etwa», da» höher noch galt al« die Th«, eine Zeit, in der «in freier Bund der Geister selbst von den Ehegatten derer, die ihn mit anderen, bedeuten« den Männern schlossen, in gewissem Vinn« respektiert wurde. Da» Eeelenbündnt», da, Charlotte von Kalb mit Schiller ver» einigte, kann auch au, dem Grund« ntemal» mit völliger Sicher, hott geschildert und beurteilt werdet, weil un» di« wichtigsten Dokumente für da, verständnt» diese» Blind ntstw mangeln: di« «rief«, die beide miteinander wechselten. Charlotte von Kalb hat diesen wichtigen Briefwechsel «inst in der heißen Aufwallung de, Herzen» vernichtet. Al, Schiller ihr untreu ward -- wenn man diesen alltäglichen Auedruck hi« g^rauchen kann — erbat sie sich ihre Brich vom Dichter zurück. Sie hat e» al, Gräfin herb bereut, daß st« dies« Dokument, der Vernichtung prei* gegeben: die Memoiren, di, sie später schrie, ein eum ihr ver trete. Woher man da» alle» wissen will, ist unerfindlich, denn zwischen den Staatsmännern ist ausgemacht worden, über den Ausgang der Verhandlungen absolut nicht» in di« Dresse zu bringen. Tagaus, tagein aber bracht:,'. oerjchi«dene Loulsoarö- Blätter eingehende Mitteilungen, di« mehr oder minder ge schickte Kombinationen waren, gleichwohl aber mit Andacht ver nommen wurden. Schließlich ist diese» Treiben der französischen Regierung zu bunt geworden, in einer sehr energischen offiziü'ea Note wurde diesem Treiben entgegengetreten und ausdrücklich erklärt, daß all die angeblichen Informationen und Berichte auf keinen amtlichen Benachrichtigungen beruhten und daß die Ver- antmzortung für die Meldungen nur die Verfasser trifft. In der Tat ist diese Verantwortung nicht gering, denn ein« wettere Dauer dieser Hetztätigkeit wäre nur dazu angetan, den Gang der Verhandlungen zu stören, was ja wohl auch in der Absicht jener Meldungsfabrikanten liegen dürfte. Man will eben den Deutschen nicht» gönnen, zumal man selber schuld- -owußt ist und weiß, daß das deutsche Vorgehen lediglich eine Folge des französischen Verhaltens in Marokko ist. Aber es gibt eben Leute, die die Wahrheit nicht vertragen können und darum versuchen, die Dinge zu verwischen und alle Schuld auf d?n andern abzuwälzen. Das erklärt wohl auch den anmaßen den Ton, den einige Pariser Blatter anschlagen. Wirft doch der Temps der deutschen Diplomatie vor, Frankreichs Bereit willigkeit zu einem gütlichen Verhandeln durch unnötig schroffes Auftreten verscherzt und durch übertriebene Ansprüche die günstige französische Stimmung ins Gegenteil verwandelt zu haben. Kiderlen-Wächter habe au» Unkenntnis des französi schen Charakter» einen psychologischen Fehler begangen und sein eigne» Spiel damit verdorben. Deutschland wollte Frankreich eine friedliche Kapitulation zumuten, die demütigend und daher unannehmbar wäre. Frankreich habe kein dringendes Bedürf nis nach der begonnenen Aussprache. Falls die'e keinen Aus gang verspreche, sei es leicht, darauf zu verzichten. Das heißt denn doch den Spieß umkehren, in der ausgesprochenen Absicht, Unfrieden zu säen. Ts mag ja Frankreich unangenehm sein, in dem Augenblicke, wo es sich anschickte, Marokko zu verspeisen, durch andere gestört zu werden, di« auch an der Mahlzeit teil nehmen wollen. Aber das kann nicht hindern, daß andere In teressenten auch ihr Recht wollen und keine Gründe sehen, daß Frankreich alles allein schlucken will. Die Frage nach Kom pensationen ist daher durchaus billig und Frankreich kann sehr wohl darauf eingehen, denn ein schlechte» Geschäft würde e» bei einigem Tntgegeiüommen kaum machen. Ein ausnahmsweise einmal objektiv empfindende» Pariser Blatt beurteilt die Situa tion sehr richtig, wenn es sagt, daß Frankreich in der Frage faßter Roman, dem ebenfalls eigenes Erleben zugrunde liegt, bieten nur spärlichen Ersatz für jene Briefe. Abgesehen davon, daß Memoiren und Roman nicht unter dem unmittelbaren Er- leben Niedergeschrieben, hüllen beide die Geschehnisse in mysti- sche» Dunkel, was vielleicht nur ohne Absicht geschah. In keinem Falle war Charlotte von Kalb eine Glückliche, Beneidenswert«: sie schien von Anbeginn nicht Mr da» Glück bestimmt zu sein, vielleicht weil sie sich nie recht dafür bestimmt erschien. Schon in der Jugend hatte sie den Hang zur Einsam- kett. Das war um so wunderbarer, als sie in Verhältnissen ge boren, die für ein glückliche» Menschenleben prädestiniert er» schienen. Ll» Tochter eine, der reichsten und anstehendsten fränkischen, reicheunmtttelbaren Ld«l,g«schlechter wurde Thar, lotte Marschall von Ostheim am LS. Juli 1761 zu Waltershau- sen im Grabfeld geboren. Aber dem reichen geselligen Leben de» Haus«» blieb die Reizbare, zu phantastischer Selbstbetrach, tung Neigende fern, um mit 22 Jahren «ine Ehe ohne Neigung einzugehen, die lediglich «in Akt der Berechnung gewesen Mr: Nachdem der Weimarer Kammerpräsident von Kalb durch Ja- trigue sich di« Hand ihrer Schwester erzwungen hatte, um sich da, groß« Vermögen zu sichern, wurde sie an besten Bruder, den in französischen Diensten stehenden Offtzter Heinrich von Kalb, verheiratet. So schloß sich an «ine freudlos« Kindheit, in der ihr ernster Sinn «» verschmäht hatte, sich an Puppen zu er freuen, in der st« meist auch fern vom Elternhaus« lebt«, «in« Ehe, in di« st« nicht mit dem frohen Gefühl de» kommenden Glück» «tntrat. Am k. Mat 1784 hatte sie mit ihrem ihr eben angetrauten Gatten Walterihausen verlast«», um seine Garni son Landau auszusuchen. Frankfurt und Mannheim mußte da. Paar dabei berühren, und e, Mr natürlich, daß Frau von Kalb, di« flüchtig schon Schill« bet Frau von Wolzogen begegnet und «in« Verehrerin der Räuber und Ft«,ko «ar, dem Dichter in Mannheim nähertreten «ürd«, dem st« schon durch Retnrvald, seinem späteren Schwager, mit den Worten empfohlen «ar: St« zeichnet sich gar sehr unter ihrem Geschlecht au, und ist Ihre» Detst«»produkt« groß, Bewundertn, so wie st« überhaupt da. Schön, und Gut« enthusiastisch fühlt. So etngeführt, mußte keine diplomatischen Triumphe feiern werde, aber erwarten dürste, daß eine Mr Frankreich ehrenvolle Lösung gefunden würde. ' , , kill bllv WllSr-ktttrSlnN !i> kl billlllilrite l» llrMMill. In der Luisenktrche in TharlottenLurg spielte sich während d«, Hauptgottesdienstes am Sonntag ein Aufsehen erregender Zwischenfall ab. Während Pa st oriKraatz di« Predigt hielt und dabei den FallIatho behandelte, verließen plötzlich Offizier« und Mannschaften d«s Tltsabetregt- ment», die dem Gottesdienst beiwohnten, die Kirche. Der Gottesdienst selbst wurde weiter abgehalten. Pfarrer Kraatz be handelte, Berliner Blättermeldungen zufolge, den Fall Jatho in seiner Predigt, anlnüpfend an die Bibelstelle Apostelgeschichte 5. Kapitel: Ist der Rat odevida» Werk au» dem Menschen, so wird es untergehen. Der Predigt bedauerte, daß im Epruchkollegium keine Gamaliel aufgrstanden sei und obige Worte gesprochen habe. Während dieser Ausführungen sei es zu dem peinlichen Zwischenfall gekommen. Die Luisenkirche «in Charlottenburg ist überwiegend liberal und Pastor Kraatz ist einer ihrer beliebtesten Geistlichen. Er hat schpn einmal mit seiner vorgesetzten Behörde wegen seiner Bußtagspredigt Sine Differenz gehabt. Tharlotten- burg hat keine Garnisonkirche, in der Mlitärgottesd-ienste ab gehalten werden können. Das Elüsabethregiment hat deshalb mit der Lutsenkirchgemetnde einen Gastvertrag abgeschlossen, um den Besuch de» Gottesdienste» zu ermöglichen. Von militärkirchltcher Seite wird dem Berliner Lokalanzetger dazu geschrieben: Ein« allgemein« Vorschrift, daß Offiziere und Soldaten einen Gottesdienst verlast«» sollen, in welchem für den Pfarrer Jatho Partei ergriffen wird, existiert absolut nicht. Ein Urteil über die Sachlage ist nicht möglich, solange nicht der Text im Wortlaut vorliegt. Freilich ist anzu nehmen, daß unsere Offiziere, denen von berufener Stelle da« Zeugnis ausgestellt werden darf, daß sie einen besonders feinen Takt in kirchlichen Angelegenheiten besitzen, nicht ohne Not den Aufsehen erregenden Schritt getan und die Kirche verlassen ha ben. Es muß von der Kanzel ein verletzendes Wort gefallen sein, so daß sich die Militärs gedrängt sahen, den Gottesdienst zu verlassen. Irgendein Urteil hierüber im Augenblick zu fäl len, ist ganz unmöglich, solange nicht die einwandsfreie Schilde rung des Tatbestandes vorltegt. Pastor Kraatz äußert sich einem Mitarbeiter des B. T. gegenüber: Nach meiner subjekti ven Ansicht wären di« Offiziere wohl berechtigt gewesen, über natürlich Frau von Kalb bei dem Dichter von vornherein Zn- tereste erregen, da^ durch die bezaubernd schöne Erscheinung noch erhöht wurde. Eine überaus reiche Fülle hellbraunen Haare», große blaue Augen und hohen Brauen, «ine hohe Stirn, anmutig geformte Lippen — waren di« Einzelheiten dieser Erscheinung, die von allen al« entzückend bezeichnet ward. Auf Schiller machte Frau von Kalb den besten Eindruck: fie geigt sehr viel Geist und gehört nicht zu den gewöhnlichen Frauenzimmerseelen, schreibt er an Frau von Wolzogen. Auch Herr von Kalb, der schon viel erlebt, in Nordamerika Mr di« Franzosen tapfer gekämpft hatte und gewandt von seinen Erleb nisten zu erzählen wußte, machte d«n besten Eindruck auf Schwer. G, darf dabei nicht unerwähnt bleiben, daß sich der Dichter der Räuber und de,'republikanischen Drama, Ftesko besonder, zu Aristokraten hingezogm fühlte. So brachte der -war nur auf zpenige Tage berechnet« Aufenthalt de,'jungen Paare» in Mann heim bald einen lebhaften Verkehr zu Wege. Schwer führt« da» Ehepaar in den Antikensaal. Schauer der Sehnsucht, sagt Charlotte als Greisin in ihren Memoiren, bewegten ihn, denn er fühlte wohl: auch ich vermag! Dann aber begleitet« Char lotte ihren Gatten nach Landau, um aber schon Ende Juli wie der nach Mannheim zurüchukehren, da nach französischer Sitte der Aufenthalt einer Frau dort nicht opportun war. Bei diesem Weit«» Aufenthalt in Mannheim knüpften sich di« Beziehungen Wischen Schiller und Charlotte inniger. Diese Mr bald der Mittelpunkt eine, geistig Ledeutendrn Kreise». Jffland könnt, sogar seinem Intendanten, Herrn von Dalberg, berichten: Sin« sehr gute Zuschauerin haben wir an der Frau von Kalb bekom men Sie wird mir oft Aufmunterung sein, mein Möglichst«, für «in Stück ,u tun. Der nicht minder bed«ut«nd- Schauspt«l«r Heinrich veck nennt st« «in vortrefflich«, Geschöpf und ist Mck- lich, au» ihrer Seel« Nahrung holen zu können, wenn er gleich etwa, Wild idealistische«, Abgerissen»» in ihrem Wesen fand. Der Verkehr mit Schiller war M reg« freundschaftlich, daß er sogar einmal »in« llmne Trübung oerttagen konnte, ohne daß dies» den Bäuch herLekführt«: Schiller halt, ihr Szenen au, Don Carlo, vorgelesen, und Charlotte, um ihr Urteil befragt,