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Nr. 142. Montag. 23. Juni 1S13. S. Jahrgang. Dies« Nummer umfaßt 8 Setten. Das Wichtigste vom Tage. Die Budgetkommission des Reichstages beschloß am Sonnabend die Aufhebung des Scheck stempels, hielt aber an der in erster Lesung beschlossenen Staffelung de» Wehrbeitra- ges fest. Von der VerständigungSkommisston in dem Reichstag ist Wer die Heranziehung des Ein kommens zum Wehrbettrag ein neues Kompromiß vereinbart tvvrden. * Eine« uubestSttgte« Meld««- zufolge soll die deutsche Schutztrupp« im «ongoztpfel ei« verlustreiche» Gefecht gehabt habe«.*) * Serbien hat am Sonnabend eine Note in Sofia überreichen lassen, in der die bulgarischen Abrüstungsbedingungen abgelehnt wer den.*) Die Regierungsvorlage Wer die Küstenve rteidt« gung ist am Sonnabend von der ersten hollän- - dischen Kammer entsprechend den Beschossen der zweiten Kammer gegen die Stimmen der Linken angenommen worden. »1 Nähere» steh, an anderer Stelle. IW- Mutmaßlich« Witterung am 24. Juni: Etwas wärmer, sonst keine erhebliche Aenderung. -Wc Bulgarien bleibt fest. Die bulgarische Antwort auf die serbische Forde rung, den Teilungsvertrag zu revidieren, lehnt diese Forderung glatt ab. Gegenüber den serbischen Vorwür fen, daß Bulgarien seine Vertragspflichten in Truppen sendungen zur Unterstützung der Serben nur unvollkom men erfüllt habe, weist Bulgarien, und man kann ihm das nicht abstreiten, darauf hin, daß Hm die bei weitem schwierigere Aufgabe des Krieges, die Niederrtngung der türkischen Hauptarmes, obgelegen habe. Aber der äu ßere Erfolg hat eben den Serben größere Ansprüche ver liehen und es ist ihnen Wohl nachzufühlen, wenn sie das aus eigener Kraft eroberte Makedonien jetzt nicht preis geben wollen. Ter Krieg hüt eben eine gänzlich ver änderte Lage geschaffen. Den Serben war eS nicht ver- Deutsche Turnfeste. Aus Anlaß des 12. Deutschen Turnfeste, in Leipzig- (Nawdiuä o«rd»ie > Zn den Tagen vom 12. bi» 16. Juli findet in Leipzig das 12. Deutsche Turnfest statt, jenes Fest, das alle drei bis fünf Jahre in einer Großstadt Deutschlands viele Tausende deutscher Turner, selbst solche, Vie ihren Wohnsitz im Aus lände haben, zusammensührt. Man hat nicht ohne Grund diesmal Leipzig -Nm! Fsstort gewählt: schon einmal ver sammelten sich die deutschen Turner an der Pleiße Strand, vor fünfzig Jahren, als man sich anschickte, die goldenen Jubeltage der auf dem Schlachtfelde erkämpften Befreiung Deutschlands zu feiern, 1868; und so war es denn von vorn- herein gegeben, auch diesmal wieder an dieser historischen Stätte zusammenzukommen, haben doch die Turner vor al lem ein Anrecht darauf, da» Andenken der Befreiungskriege zu feiern: Jahn und seine Jünger haben damals nicht we nig zur Befreiung Deutschland» von französischem Joche bet. getragen, nicht nur durch die Tat, sondern vielleicht mehr noch durch den Geist, den Patriotismus, der von ihnen ausging. Di« Geschichte dieser deutschen Turnfeste ist un gemein wandlung-reich. Langs Zeit waren sie verfehmt, wie der Turner selbst, und wie die Turner al» Demagogen angesehen wurden. Der Plan, ein deutsche» Turnfest zu feiern, zu welchem Turner au» allen Gauen Deutschland» zu sammenkommen sollten, ward schon in den vierziger und fünfziger Jahren lange gehegt, ehe er zur Ausführung ge langen konnte. Konnte man die Turner auch nicht au» dem eigenen Lande ausweisen, so genügte es doch vielfach schon, Turner zu sein, um in einem der anderen deutschen Walerländer als Demagoge verdächtigt und verfolgt, oder doch mindesten» belästigt zu werden. Turnfeste, die sich auf Vie Turner eine» Lande», oder doch von ein paar Ländern beschränkten, hat man denn auch schon in den vierziger Jahren gefeiert, und von einem solchen berichtet un» -um Beispiel Theobald Kerner in sei- nem hübschen Buch: Da- -Kernerhan» und sein« Gäste. Da» gönnt, ihre Adriaträume greifbar zu gestalten, dagegen errangen sie in Makedonien rasche Erfolge, die sie weit in das von Bulgaren bewohnte und diesem zugefprochene Gebiet hineinführten. Die Bulgaren kamen derweilen in Thrakien nur langsam vorwärts und hatten schließlich als sich durch ihr ungestümes Draufgshen schwere Lük- ken in ihren Kämpferscharen einstellten, serbische Hilfe nötig. Wenn daher trotzdem Bulgarien eine so stolze Sprache führt und der Ablehnung der VertragSreviston noch die kategorische Aufforderung hinzufügt, die Bulgarien in dem Vertrag unbestritten zugefprochenen Gebiete müß ten unverzüglich von den Serben geräumt werden, so ist das nur aus der Stärke Bulgariens erklärlich. Es hat militärisch die günstigste Position, indem es den Vorzug der inneren Linie gegenüber den weit nach Westen und Süden hin zerstreuten Truppen der Ser ben besitzt, die eine leichtere Konzentration der Truppen ermöglicht und ? wird von zwei Großmächten sehr sänfttglich behandelt, wenn nicht gar umworben. Daß Rußland mit seinen Sympathien auf Setten der Ser ben steht, ist sicher, aber es kann dieser Sympathie.keinen alltzulauten Ausdruck geben, ohne Bulgarien geradewegs in» österreichisch« Lager zu treiben. Die deutsche Sprache, die Ungarn» neuer Ministerpräsident ffber die russischen Bestrebungen führt, die Balkanslawen und den Balkan, bund unter die Obhut de» Zaren zu nehmen, können an der Newa nicht mißverstanden werden. Mag die Achtung vor österreichischen Drohungen auch in Petersburg nach all den Rückzügen der k. k. Diplomatie nicht mehr all- -uhoch sein, Gras Tisza ist ein Mann, der nicht redet, wenn er nicht den Willen zur Tat zur Geltung bringen kann, sei es auch gegen die Leisetreter am Wiener Ball. Platz. Die Magyaren, die sich von der slawischen Flut hart bedrängt fühlen, sehen in dem russischen Protek torat über die Balkanslawen eine direkte Bedrohung ihrer Vormachtstellung an Donau und Theiß. Und sie werden sicherlich alle» davansetzen, Oesterreich bei der Stange zu halten. Bei der intimen Feindschaft, die ge rade zwischen Serben und Magyaren herrscht, wird aber eine von Budapest beeinflußte österreichisch-ungarische Reichspolitik naturgemäß Fühlung mit den Bulgaren nchmen. So ergibt sich denn tatsächlich für Serbien die unerquickliche Lage, di« Herr Paschitsch schon in der Skupschttna mit graulichen Farben malte, daß es zerniert wird von Oesterreich und Bulgarien. Luft könnte ihm nur einer machen, der Zar aller Reußen) Wer Lust nur um den Preis des Krieges von Slawen gegen Slawen und den scheut man in Petersburg, weil er dem ganzen lustigen Gewebe der allslawischen Ver brüderung ein jähe» Ende setzen würde. So ist Mas Tisza» Auftreten, wenn den entschiedenen Worten nur mar im Jahre lä-w, als in"!Heilbronn zu einem großen deutschen Turnerfesi viel taufend Turner zusammenkawen. Justinus «Kerner hatte «in Gedicht zur Begrüßung der Tur- ner drucken «und an sie verteilen lasten. Tags darauf be suchten die Turner Weinsberg und brachten dem Dichter ein Ständchen. Dann zogen sie zur Weibertreu hinauf, wo tapfer gezecht wurde. Als Kerner hinaufkam, brachte man ihm ein brausendes Hoch, und Germain Metternich, der später so bekannte Revolutionär, ein Hüne von Gestalt und Kraft, erfaßte den Dichter, der mindestens zwei Zentner schwer war, und hob ihn mit getreckten Armen hoch in die Luft und rief: Damit ihr alle den Justinus sehen tönntl Und von dieser lebenden Tribüne herab ließ Kerner den Turner hochleben. Das war eine Turnerleistung I Abends bei der Heimfahrt hielten die Turner noch einmal an im sKernerhause, da hielt der Dichter noch eine ernste Ansprache an sie. Er zeigte ihnen da» Bild Lenau» «und trug besten Gedicht vor, da» er kur- vor dem Ausbruch des Wahnsinns gedichtet, und er knüpfte daran die Mahnung, neben der UeLung de» «Körper» nicht die rechte «Pflege de» Geistes zu vergessen. Wiele von jenen damals versammelten Turnern sind durch die Stürme de» tollen Jahre» verweht worden: jener Germain Metternich ward nach Amerika getrieben und starb im Unionskriege. Durch jene Revolutionsjahre wutde der Turner erst recht verfehmt, und niemand wollt« den Turnern zu einem Festo Aufnahme geroähren, Li» es Herzog Ernst von Koburg-Gotha tat. In den Tag«n vom 16. Li» -um IS. Juni 1860 fand in Koburg da» erste allge meine deutsch« Turnfest statt. Da» war damal» «in großes politische» Greigni»; denn di« Turner waren die eigent lichen Träger des nationalen Gedanken«, «Md ihre Ber einigung di« älteste, die diesen demagogischen Gedanken of fen bekannte; der Herzog Ernst ward, weil er nicht nur dies«» Fest gestattet«, sondern sogar persönlich daran teil nahm, vielfach angegriffen, so sehr, daß er sich am Wend seine» Leben» sogar noch in seiner Autobiographie rechtfer- ttgen «zu müssen glaubte. 118 Verein« mit K2 Fahnen hat. ten sich in Loburg «ingefunden. Don erheblicher Wirkung war wi« der «Herzog berichtet, wie die Schle»wig-Hol- entschtedene Taten fotzen, dem Frieden fördersam. Ruß land wird sich jetzt sehr in den ^Kundgebungen seiner «Ser- benfreundschast mäßigen müssen, um nicht am Schwär- zen Meer sich den ohnehin schon unbequemen Rivalen um den Besitz von Konstantinopel zum offenen Feind zu machen und dadurch die Situation wieder heraufzube schwören, die der Balkanbund beseitigen sollte, daß die deutsch-österreichische Macht ihre Flankendeckung am Bal kan fände und von der Nordsee bis tzurw Schwarzen Meer, von Hambung bis zum Goldenen Horn ein eherner Wall die Verbindung von Romanen und Russen hindere, nur daß die Flankendeckung jetzt nicht mehr Türkei heißt, sondern Bulgarien und daß sie viel solider und haltbarer ist als der morsche Mörtelbau des OSmanen- reiches. Diese Aussicht wird auch auf Herrn v. Hart wigs Sucht, die Serben möglichst stark zu machen, ge gen die Oesterretcher, abkühlend wirken. Vom Balkan. Wie in unterrichteten Sofiaer Kreisen verlautet, hat die russische Regierung aus die Anfrage Bulgarien», welchen Standpunkt Rußland in bezug auf den «Schied», spruch etnnehme, die Antwort gegeben» Der Vertrag werde Wohl erfüllt Werden. Doch könne darüber erst bet der Petersburger Begegnung Ver Ministerpräsi. denten der vier Balkanstaaten verhandelt Werden. Dies« Antwort wird in Sofia für unbefriedigend gchal- ten, zumal Butzarien erklärt hat, an der Begegnung nicht teilnehmen zu können, so lange «Serbien den Der. trag nicht anerkannt habe. Ein hoher russischer Staatsmann machte fotzende Angaben: Es ist wenig zu verstehen, daß das Eintreten des Zaren nicht Überall volle Würdigung gefunden und sogar zu Ver- stimmungen oder doch Mißverständnissen geführt hat. Nachdem Europa neun Monate lang Zeuge schweren Blutvergießens war und eS wenigstens dreimal haar scharf an der Grenze stand, Zeuge und Opfer noch grü- ßerer kriegerischer Verwicklungen zu werden, sollte doch «überall nur das Gefühl der Erleichterung und der Dankbarkeit sich geltend machen, wenn der Zar mit sei ner ganzen moralischen Macht für den endgültigen Frie den auf dem Balkan etntritt. Dazu kommt, daß er sich zu dieser Hm gleichsam von der Natur der Dinge zuge- Wiesenen Rolle gar nicht gedrängt hat, sondern darum gebeten worden ist. Niemand kann daher von einer Ein mischung sprechen, und wo sind in unserem Vorgehen die bedrohlichen Momente zu finden, die die Selbst ständigkeit der Balkanmächte in Frage stellen? Vor würfe, die nach dieser Richtung hin gemacht wurden, ent behren jeder Unterlage und sind daher schwer zu erklä- S ren. Ich persönlich glaube, daß, wie eS bisher gelungen st einer ihre Fahne in tiefe Trauer gehüllt und dadurch so- fort das Signal gegeben hatten, dem allgemeinen Turner fest einen national-politischen Charakter zu sichern. In sehr desmonstrativen Formten wurde das schwarzbchängtz Wzeichen den Turnern von Koburg zur Aufbewahrung zu- rückgelasten. Hierbei wurden die aufregendsten Reden ge wechselt: von dem bevorstehenden Kampfe gegen den Unter drücker, von der Siegesgew'ßheit, mit welcher die deutsche Jugend das schleswig-holsteinische Banner wieder zurück bringen werde, und dergleichen mehr. Auch von anderen Reden und darin ausgesprochenen weitgehenden Forder ungen erzählt der Herzog «u«nd« fügt Htntzu: Ich sehe mich keineswegs veranlaßt, diesen vielfach unreifen Tendenzen gegenüber persönlich Stellung zu nehmen; aber ich konnte » nicht verkennen, daß unter der Form von Huldigungen auch zuweilen Erwartungen ausgesprochen wurden, welche ver derblich «werden konnten, wenn ich nicht durch direkte» Ein greifen und mehrfache «Reden mit Glück versuchte, die Sa ch« im Gegensatz zu den rheinbündtschen und demokrati schen Ideen in die rein nationalen Bahnen zurückzulenken. Im übrigen brauchte «man dem Ueberschwang der Gefühl« nicht allzu großes Gewicht beizulegen. Am IS. zogen di« Turner mit all ihren Fahnen« vor die «Ehrenburg, wo da» Herzogspaar auf einem Ballon den feierlichen Einzug sah übertriebene Huldigungen empfing. Ferner berichtete Her- zog Ernst: Eine Deputation von 17 Vertretern nord- und süddeutscher Verein« erschien, um ihren Dank aurzuspre- chen; ich erwiderte lediglich unter dem «Eindrucks des wohl- gelungenen Feste», indem ich di« bekannten und allgemein anerkannten Ziele des Turnwesen» ohne alle Anspielung auf die Etnheiistendenzen pries. Wer die allgemeine Stim mung war so sehr geneigt, Alle» und Jede» auf die Politik des Tage» zu beziehen, daß Wan auch den unschuldigsten Be merkungen diese Deutung beilegte. Wend» sand der groß» Turnerball im Theater statt, wo man di« untadelhafteste Balltotlotte mit den ursprünglichsten Formen der Turner jacke lustig vereint sah. Inmitten de» dichten Gedränges s und unaufhörlichem Hin- und -erwogen» blieb ich mit der 7f Herzog!» mehrere Stunden anwesend, «und es gab mitunter n-—— :