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9. Jahrgang. Mittwoch» S. Mai 1914. Nr. 103. Ll,i<ää^ Unf,r,3.Iwn^ ***** " , «««Ihr olcht ai , M SprrchstuoS, »«r NrSattton mit flu-nahm» Srr Sonntag« nachmittags 4—s Uhr. — T»l»gramm.fl»r»ss», Lagrbla« flue«rzg,birg». k»rnspr,ch»r «. »'»» /,m^ÄN/«A"-'"Ük»Ä L.VÄst"ll°«ü?L *LMm Zar unverlangt ^„fan»t. Manuskript, kann Snoähr nicht geleistet werSm. m°-ustr,p»°icht»«u7u^l..d<um Mer Tageblatt WW /lnzeigrr für das Erzgebirge LLLDMD mit -er wöchentlichen Unterhaltungsbeilase: Mer Sonntagsblatt. ZMMZI ml.«» »«- Nu.got.sttU««, s»»I» - . «,.» Diese Nummer umfaßt 8 Seiten. Das Wichtigste vom Tage. Heute mittag fand in Leipzig in Gegenwart des Königs von Sachsen die feierliche Eröff- nung der internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik statt. * Die RetchSregierung bereitet die Aufstellung einer Sta tistik über die Verhältnisse des Hand werks in allen Handwerkskammern Deutschlands vor. * Der Herzog von Koburg-Gotha hat das Ent lassungsgesuch des Staatsministers Dr. von Richter genehmigt.*) * Ter RetchSverband der deutschen Presse rich tete an den Reichstag eine Petition wegen des Pressereserats im Preußischen Kriegsmini st erium. * In Paris ist der Internationale Kongreß der Luftschifferverbünde eröffnet worden; 15 Gesellschaften, darunter auch deutsche, sind vertreten. » In den FriedenSvermittlungS-Verhand- lungen zwischeniAmerika flrnd Mexiko werden neue Komplikationen befürchtet; die Gefahr des Scheiterns der Vermittelung wird drohen-, der. -) NSHrr«. fleh, an ander«« Stell«. Brunnenvergistung. Die französische Presse regt sich eben wieder einmal mächtig über deutschen Chauvinismus auf. Den Anlaß dazu gibt ihr ein Festabend, den vor einiger Zeit der Hilssbund gegen die Fremdenlegion — nicht zu verwech seln mit dem Hauptschutzverband gegen die Fremden legion — in Berlin veranstaltete. ES war ja nicht gerade geschmackvoll von der Festleitung, in einer Pantomime, betitelt: Tie Wacht am Rhein... die Erschießung eines Deserteurs vorführen zu lassen. Aber diese Sünde wider den guten Geschmack wird von den Nationalisten jenseits der Vogesen — den offenen und verkappten — slugS in eine Sünde wider die internationale Verträglichkeit verkehrt. Aus dem Deserteur wird ein leibhaftiger Franzose, und da die Erschießung des , Entlaufenen von Soldaten detz Kaiser-Franz-Garderqgi- ments dargestellt wurde, so fordert der Matin den fran zösischen Ministerpräsidenten Toumergue geradezu auf, bei der deutschen Regierung offiziell anfragen zu lassen, ob wirklich deutsche Soldaten bet der Feier mitgewtrkt haben (was natürlich der Matin und Botschafter Cam- bon wohl auch ganz genau wissen). Man würde an dieser französischen, Erregung, Ibei per viel künstliche Mache mit spielt, um die Wühler zu dem nächsten Sonntag für das Dreijahrgesetz scharf zu machen, ziemlich gleichgül tig vorübergehen können, wenn nun nicht auch Ge orges Clemenceau seine Stimme erhöbe und sich in groben Ausfällen auf die deutschen Wolfsseelen er ginge. Denn Herr Clemenceau ist nicht irgend ein Be liebiger, der sich durch irgend einen nationalistischen Hetzartikel in einer Redakttonsstube beliebt machen möchte. Clemenceau gilt immer noch trotz seines hohen Atters als ein recht einflußreicher Mann in der französi schen Politik. Er war jahrelang Ministerpräsident und kann es schließlich noch einmal werden. Uns Deutschen kann und darf es aber nicht bedeutungslos sein, wenn ein solcher Mann von deutschen Wolfsseelen spricht, von Wildheiten und instinktiver Brutalität, von der bestiali schen Grausamkeit der allen Tage, die in Deutschland noch vorhanden sei und schließlich herausfordernd und pathetisch zugleich ausruft r Jeder soll seinen Weg gehen, die Barbaren pus dem Woge Lev Barbarei, die Franzosen auf dem Weg der Zivilisation. Daß Clemenceau die Zivilisation der Franzosen preist, das wollen wir ihm nicht-weiter anrechnen. Die Verherrlichung der französischen Zivilisation kitzelte von jeher den französischen und vor allem Pariser Bourgeois, und Erinnerungen an die Bluthochzeit, die Schreckens herrschaft der Guillotine und die Kommune störten ihn nicht Wetter in seiner Selbstbeweihräucherung. Aber Wir müssen uns dagegen verwahren, daß der Exminister Clemenceau diese Spekulation auf die französische Ei telkeit mit groben Beschimpfungen des ge samten deutschen Volkes verbtndet. Das ist in ternationale Brunnenvergistung schlimmster Art, und die kann bet einem Manne von der Bedeutung ClemenceauS nicht scharf genug zurückgewiesen werden. Gewiß ist in seinen Worken viel journalistische Tendenzmache, um Stim mung für sich und sein Blatt zu machen, gewiß würde Herr Clemenceau, wäre er einmal Minister, mich mit den Wolfsseelen und Barbaren dipknnattfch korrekt, viel leicht sogar äußerlich freundschaftlich verkehren. Aber selbst, wenn man annehmen wollte, daß Clemenceau in nerlich ganz anderer Meinung sei, und diese Beschimpf ungen nur als Mittel zum Zwecke persönlicher Reklame mißbraucht habe, so würde sein Erguß nicht entschuldigt, eher noch gefährlicher erscheinen. Denn Clemenceau be wiese dadurch, daß selbst einem so gewiegten und er- sahrenen Politiker frivole Schürung des Deutschenhasses immer noch das beste Mittel ist, sich beliebt zu machen. Und Laß es jenseits der Borgesen kein Politiker wagte, mag er auch noch so einflußreich sein, diesem Deutschen haß entgegenzutreten. Solange aber dieser Zustand bleibt, wird man es uns in Deutschland nicht verübeln können, wenn wir allen deutsch-französischen Annähö* rungsversuchen kühl bis ans Her- gegenüber stehen und uns nicht durch Liebenswürdigkeiten über die Gefahren Hinwegtäuschen lassen, die in den französi schen Revanchehoffnungen liegen. Und nur eines scheint uns nützlich an diesem bösen und häßlichen Artikel: die Nutzanwendung, die für uns Deutsche in ClemenceauS Brunnenvergistung liegt. Wenn ein Mann von Clemen ceauS Ansehen uns diese Gefahren des Chauvinismus in so greller Beleuchtung vorführt, so wird das manchem unter uns, der vielleicht gar zu optimistisch den fran zösischen Deutschenhaß allein als ein Werk berufsmäßi ger, einflußloser Kriegshetze ansieht, vielleicht etwas vor sichtiger machen. Denn Georges Clemenceau ist mit dem besten Willen nicht unter diese Kategorie zu rechnen. Politische Tagesschau. S Mot. * Die Ernennung eine» «ene« deutschen Milttämrte tkcheeS für No« meldet das Militärwochenblatt. Dar nach ist Major von Kleist, Flügeladjutant des Kat-, sers, Militärattaches bet der Botschaft in Rom, von seiner Stellung enthoben worden und zu den diensttuend den Flügeladjutanten übergetreten; er bleibt bis zum 25. Mat bei der Botschaft in Rom kommandiert. Ma jor von Zitzewitz vom Großen Generalstab, komman diert zur Dienstleistung bet der Botschaft in Rom, wurde unter Belassung im Generalstabe der Armee zum Mili tärattaches in 'Rom ernannt. * Die Lösung des Konfliktes in Gotha. Amtlich wird mttgetetlt: Der Herzog von Koburg-Gotha hat den Berliner Brief. Nachdruck verboien. (Berliner Frühling. — Die erste Traumfitmmung — Vie Prosa des Lebens. — Liebertragddien jugendlicher Personen. — Beschlagnahmte Postkarten. — Lin staatsanwaltlicher Fiasko. — Der neueste Verein. — Vas gescheiterte Theater der Fünftausend.) Berliner Frühling! Er ist oft bespöttelt worben, dieser Berliner Frühling und die Spötter Haden äst ge sagt, daß es man sehr knapp mit ihm bestellt ist. Sie «vollen es nicht wahr haben, «wenn bescheiden« Leute von einem wirklichen Berliner Frühling sprechen und sich der jungen Pracht freuen, die eine verschwenderische Natur auch uns beschert hat. Was sollen da Vergleiche? Wir wissen alle, daß der Süden eins wunderbare Mütenpracht dar bietet, ist deshalb der kärglicher bedachte Norden weniger schön? Wer will, kann auch in dem nüchternen Berlin seinen Frühling haben, nur muh er etwa» zeitig au» den Federn kriechen, denn über Tag, wenn die Richenmaischieneri« in Atem gehalten werden muh, hat bei uns niemand Zeit, den Frühling zu sehen. Und wir haben gerade jetzt so leuchtend schön« Tag«, daß e» sich schon lohnt, eine Stunde Schlaf zu opfern. Selbst unser bescheidener Tiergarten hat einen eigenartigen Reiz; er ist zwar etwa» viel gelichtet worden, mit etwa» zu viel KuiH durchsetzt, ober er hat doch noch Partien, die beinahe romantisch sind. Im Süd westen haben wir den prächtigen BiktoriaparL mit dem pittoresken Kreuzberg, im Südosten dm breitstämmigen Treptower Park, im Norden den Schillerpark, dann über da» Zentrum etwa» hinaus dm Humboldt- und Friedrichs hain. Da» sind nur ein paar Beispiele. Und da soll einer kommen und sagen, wir haben keinen Berliner Frühling. Selbst in den Straßen mit den paar Baumreihen sieht e» frühlingsfreundlich aus; die Linden- und Maulbeerbäume sind -war keine Prachtexemplar», aber sie bieten doch «in« Augenfreude, senken doch eine Hoffnung in unsere Herzen. Und schon darum sollten alle dankbar sein. Ist es «in Wunder, wenn die ersten warmen, sonnen hellen Frühlingstage uns schon etwa» Ferienstimmung suggerieren? Man hört es schon Überall wispern, und ganz deutlich hört man bereit» da» wart Urlaub. Vie Großen Ferien haben -war noch eine weile Zeit, aber ganz heimlich gibt e» schon ein «eine» Pläneschmteden. And wie vteke träumen schon vom rauschenden Meer und von sonnenübevglühten Bergkuppen, von kühlen Tälern und vom Luntbewegten Strand! >—< Mer ebenso ost rüttelt di« Wirklichkeit mit ihren Forderungen des Tages die Träumer aus und mahnt daran, daß die Prosa des Leben» allzu 'dft die Phantasien böse durchkreuzt. Zu dieser Prosa gehört auch der Steuerbote, der schon vor der Tür lauert, um di« erste Rate des Wehrbeiitrags einzu ziehen. Da» wird «in schlimmer Wemnutstrapfen sein. So lange hat man mit der Wehrbeiimagsquote etwas ge spielt, nun heißt es aber die Zeche zahlen. Mit wie vielen Millionen Berlin wird «Maarten können, weiß man noch nicht, aber sicher wird es schon ein recht respektables Sümmchen sein. Dann kommen die verschiedenen Ver sicherungen, unter denen diese entsetzliche Dienstbo enver- sicheruNg die unangenehmst« ist. Nicht wegen des Geldes — vorher waren ja die Mädchen auch schon versichert —, sondern wegen der unendlich vielen Scherereien. Und so gibt es noch allerhand, da» geeignet ist, die Bäume Nicht in den Himmel wachsen zu lasten. Der etwas nüchterne Berliner besinnt sich aber immer schnell auf sich selbst; von vornherein zur Skepsis neigend, läßt er sich von einer enthusiastischen Strömung nicht lange Mangen nehmen, sondern ist gewohnt, die Dinge so -u betrachten. Um uns herum gibt es ja so viel traurige Prosa! Liest man nur von den Selbstmorden jugendlicher Personen, so mutz man ernst und nachdenkend gestimmt werden. Gerade die Woche, die hinter uns liegt, brachte wieder ein paar solcher be klagenswerter Ereignisse, was soll man dazu sagen, wenn «in siebzehnjähriger Junge und ein um zwei Jahre jüngere» Mädel sich gemeinsam vor di« Lokomotive werfen^ weil ihrer Vereinigung di« Familie Widerstand entgegensetzt? Zwei kaum dem KindervLter entwachsend« Menschenkinder töten sich einfach, weil sie annehmen, außer dem Heiraten gebe es nicht» auf der Wett, was sich de» Lebens verlohnte. Am selben Tage erschoß «in zwanzigjähriger Bursch« sein« Braut, weil dies« da» Verhältni» lösen wollte, dann richtet« er di« Waffe gegen sich selbst, und jagt« sich «ine Kugel durch di« Schläfe. Gin paar andere Fälle liegen ähnlich, und immer «sind «» Gründe, über di« man den Kopf schütteln muß. Ist nun schlechte Erziehung daran schuld, sind «» Me Vorbilder, di» da» Löse Beispiel bieten? , Man hat im Kampf gegen di« Kino» und gegen di« Nie Garter-Hchte da» Heilmittel gesehen, 200 Mno» sind hop» gegangen, und di« Lustbaukett»ft«u«r hat kleine Varietes in großer Zahl weggefegt, aber geholfen hat es nicht. Nun hat man angefangen, allzu dekolletiert« Wach »Lüsten aus den Kovsettgoschüften aus staatsan- iwalrlichem Wege zu entfernen, und Postkarten mit Repro duktionen von klastischen Kunstwerken zu beschlagnahmen. 'Ob das etwas nützen wird? Mit der ersten Miastenbeschlag- nähme — es waren 42 verschiedene Bilder — hatte di« Siaatsapwaltschaft ein Fiasko. Das Gericht sprach die An geklagten frei, erklärte Vie Bilder nicht Mr unzüchtig und wies die Staatsanwaltschaft mit ihrer Klag« ab, legte di« Kosten des Verfahrens sogar der Staatskasse auf. So etwa« diskreditiert mehr al» es nützt, and soll man Respekt vor der objektivsten Behörde haben, so dürfen solch« Niederlagen nicht kommen. Nichtsdestoweniger wird man den Kampf gegen di« — sagen wir schon —> Verrohung der Jugend nicht aufgsgeben, und es ist wirklich des Schweißes der Edlen wert, ihre ganze ehrliche Kraft in diesem Kampf« «inzusetzen. Von diesem Standpunkt au» kann man di« Gründung «ine» neuen Vereins begrüßen, der sich stolz: Deutsche Vereinigung zur kü n/stl e r is chen Volk»«rzi«hung nennt, aber auch nur von diesem Standpunkt au», denn sonst Haben wir gerade m«hr al» genug von Vereinen mit künstlerischen Tendenzen. Di« neue Genossenschaft will versuchen, da» Volk für di« Kunst zurückzugewinnm. Mit der Jugend will sie den Anfang machen und Schritt für Schritt vorgehen. Da» Volk soll erst wieder reiner empfinden lernen, soll anfangen zu lernen,, da» Gute von dem Schlechten zu unterscheiden. Sa hoffen di« leitenden Männer nach und nach Men Boden zu fasten, und di« Jugend — auch au» den kleinsten Kreisen für sich -u gewinnen. Gute Theatervorstellungen zu billigsten Preisen stehen Natürlich auch auf dem Programm und hi«r ist vielleicht da» beste Mittel gegeben, um «y- zi«herisch -u wirken. Da» haben di» Gemeinden Groß- Berlins anerkannt, und schon sind Gharlottenburg uiK WilmerKovf dem Beispiel Berlin» gefolgt. Schade, daß da» vorhanden« Projett in» Master gefallen ist, da» Pro- ftstor Reinhard im Ztrku» Schumann verwirklichen 'wollt«. Dort wollte er da» Theater der Fünftausend er richten, und di« Stadt hatte sich gegen «in« Subvention au»- bedungen, daß Schühervorstellungen Mr «inen geringen Tin- tritttlprei» veranstaltet «erden. Au« dem Plan wvrde aber nicht», weil sich Reinhard und Schumann nicht einig wurden.