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Nr. 271. /luer Tageblatt WMtztz /rnArzser für vus ^rAseorrse MZW MM§SZ mit -er wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Mer Sonntagsblatt. MKMV8 Sprechstunde »er NeSaktto« mit Ausnahme »er Sonntag» nachmittag, 4—S Uhr. — Lelegramm-stSreste r Tageblatt ffueerzgebirge. Zrrnfprecher SS. «'»« Sn^»^ nehm«» Lesi.uung.n «ni,«,,n. Zür unverlangt »ingesanbt» Manuskript» kann Sewähr nicht geleistet werden. Manuskript nicht »«utttch i,.b-k i" Sonnabenä» 22. November ^913. s. Jahrgang. Diese Nummer umfaßt 12 Seiten. Außerdem liegt das achtseitige Mustvierte Sonntagsblatt be. Das Wichtigste vom Tage. Der Kaiser ist an einer leichten Erkältung er krankt und mutz sich infolgedessen einige Tage scho nen. * Reichskanzler von Bethmann Hollweg und llnter- staarssekretär Zimmermann übs-mittelten dem Grafen Berchtold telegraphisch Glückwünsche zu seinem ExposL * Die Königinder Niederlande hat aus Anlatz de' Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit ihres Landes eine Kundgebung erlassen. * Infolge von Differenzen mit dem Ministerpräsidenten ist der griechische Marineminister Stra tos von seinem Po st en zurückgetreten. * Der Streik der Der garbeiter in Nordfrank reich zieht immer wettere Kreise. Es kam zu Ausschreitung« n.*) * LeutnantvonArnim legte mit 188 Kilometer in der Stünde den schnellsten Flug zurück. den ein d eutscher Flieger bisher geleistet hatte. -1 Myer?» sUd» an nnderer Die bevorstehenäe Neichslagstagung. Die Mitglieder des Reichstags rüsten sich zur Reise nach der Neichshauptstadt. Ihrer wartet ein reichliches Ar. bcitspensum. Aus der vorigen Tagung ist noch ein umfang reiches restliches Material geblieben, dazu kommen zahl, reiche neue Gesetzentwürfe sowie Fragen aller Art, die par lamentarische Behandlung erheischen. Die Herbsttagung wird zwar kurz sein; nach 14 Tagen, die im wesentlichen von der ersten Etatslcsung, Interpellationen über aktuelle Fragen und den ersten Lesungen einiger Gesetzesvorlagen ausgcfüllt werden, werden die Weihnachtsferien der Arbeit ein vorläufiges Ziel setzen. Vom Januar ab steht aber Zeit genug zur Verfügung, um vorwärts zu kommen und längst zur Entscheidung reife Fragen endlich ans Ziel zu bringen, um so mehr, als kein großes Werk, wie dies in den letzten Tagungen wiederholt der Fall war, die kleinen Vorlagen erdrück:. Der wichtigste Teil der vorweihnachtlichen Tagung wird der Generaldebatte über den Etat gehören. Die Aufstellung des Etats selbst ist diesmal keine leichte Sache. Wie erinnerlich, gilt es bis 1916 noch ein ziemliches Defizit der Mehrvorlage zu decken; dazu kommt, datz die Reichs einnahmen im laufenden Jahr unter der rückläufigen Wirt- schastskonjunkkur leiden, die Ansetzung im neuen Etat also mit äußerster Vorsicht zu geschehen hat. Man dar- demnach erwarten, daß die eigentlichen Etatserörterungen diesmal nicht zu kurz kommen werden. Wie schon in den letzten Jahren, so dürfte auch wieder sehr eingehend die auswärtige Politik erörtert werden. Die deutsch englischen bezw. deutsch-französischen Verhandlungen Uber Kleinasten und Zentralafrika werden Gelegenheit geben sich über Wege und Ziele der deutschen Politik ;u vergewis sern. Ginge es nach unfern Offiziösen, dann könn e frei lich der Reichstag sich in dieser Beziehung ruhig auis Kil- "en legen Die Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, sind aber nich* de-a-t, datz wir solchem Opti mismus allzu viel Gehör schenken dürfen. Die haupttäck- lich in der ausländischen Presse wtederkehrenden Nachrich ten von dem gedeihlichen Fortschritten der Derha-.dlungen und vor den großen Vorteilen, die >'Ür das Deutsche Reick herausspringen sollen, sind im Gegenteil geeignet, uns miß trauisch zu machen. Man darf deshalb vom Reichstag er warten, datz er der auswärtigen Politik gerade jetzt, da aus lange Zett hinaus wirkende Entscheidungen sich vorberei- ten, besonder« Aufmerksamkeit zuwendet. Von den Fragen der inneren Politik, die beim Etat erörtert werden, dürfte die b r a u n sch'w e i g i s che F ra g e vornehmliches Inter- >esse beanspruchen. Die Haltung der Welsenpresse macht dem Kanzler seine an sich schon schwierige Aufgabe sicherlich nicht leichter, im Gegenteil stärkt sie die Stellung derjeni gen, deren im Interesse de» inneren Friedens der Provinz Hannover und de» preußischen Staates erhobene Warnun gen geflissentlich überhört worden find. Die Sozia lpolitik wird in der kommenden Tagung eine erhebliche Rolle spielen. Zwar handelt es sich nicht um große, in da» Wirtschaftsleben tief einschneidende Fra- gen — die Besprechung des durch eine sozialdemokratische Interpellation aufgerollten Problems der reichsgesetzlichen Arbeitslosenversicherung wird kaum ^in posi tives Ergebnis zeitigen —, vielmehr um «ine Reihe von Einzelfragen, die durch einige Vorlagen gegeben sind. Hier, her gehört vor allem die vorgeschlagene Neuregelung der Sonntagsruhe im H a Nd« ls ge w e rÄe, um die bereits ein lebhafter Meinungskampf entbrannt ist, sodann die noch aus der vorigen Tagung gebliebene Konkur renzklauselvorlage, die nicht minder umstritten ist. In beiden Fragen wird der Reichstag einen Mittel weg zu gehen gezwungen sein, da es einerseits gilt, die In teressen von Prinzipalen und Angestellten nach Billigkeit abzuwägen, andererseits die Regierung auch hat verlauten lassen, daß sie über ein gewisses Maß von Zugeständnissen unter keinen Umständen hinausgeht, sodaß das Feisthalten an extremen Forderungen die Vorlagen zum Scheitern bringen würde, was angesichts des zweifellosen Fortschritts, den die Vorlagen im Interesse der Angestellten bringen, sehr zu bedauern wär«. Eine überaus schwierige Frage, um die es lange Erörterungen geben wird, wird die Frage «tnes verstärkten Schutzes der Arbeitswilligen sein. Man kann wohl annehmen, daß die auf Grund der .Vorarbeiten ihrer Kommission von der nationalliberalen Fraktion zu erwartenden Anträge di« Grundlage der Be ratung abgeben werden. Auch die Regierung dürste, ehe sie ihrerseits entsprechende Schritte unternimmt, erst einmal .abwarten, welches Ergebnis diese Beratung haben wird. Dringendes Bedü fnis ist es, daß endlich auch über zahl reiche Fragen der Gewerbepolitik entschieden wird. Seit Jahren stehen hier die gleichen Forderungen auf der Tagesordnung, ohne daß man bis jetzt zu einem Ziel ge kommen wäre. Dahin gehören vor allem die Fragen der Aufhebung des 8 100 g der Gewerbeordnung, der Abgren zung von Fabrik und Handwerk und der Heranziehung der Industrie zu den Kosten der Lehrlingsausbildung. Weitere, die Gewerbeordnung berührende Fragen, die in Betracht kommen, betreffen die Einschränkung des Gewerbebetriebs im Ilmherziehen sowie die Beschränkung der Wanderlager, die Bekämpfung de» Schmutze» in Wort und Bild u. a. Von sonstigen bedeutsameren Vorlagen sind zu erwähnen die noch au» der letzten Tagung stammenden Gesetzentwürfe über das Leuchtölmonopol, über das Verfahren gegen Ju gendliche, Über das Postscheckwesen, über da» Erbrecht des Staates, über den Verrat militärischer Geheimnisse, über das Verbot der Kindersaugflaschen, ferner di« neu oorgeleg« ten Gesetzentwürfe über die Errichtung eines Kolonial gerichtshofes, über die Neuregelung der Gebühren jllr Zeu gen und Sachverständige, über die weitere Gestellung von Hilfsrichtern, beim Reichsgericht. Zahlreiche Vorlagen fin den sich noch in Vorbereitung, so über di« Besteuerung der «Buchmacher, Mer den Verkehr mit Waffen u. a. Man sieht: eine reiche Fülle von Arbeit wartet des Reichstags. Hoffen wir, daß unter dem vielen Reden, das uns nicht erspart werden wird, das Handeln nicht zu kurz kommt. Goläene Jubelfeier äes Vürgervereins von irör, e. v., ru -lue. Am kommenden Montag wird der Bürgerverein zu Au« vom Jahre 1863 die Feier seines 50jährigen Bestehens durch ttn Festmahl im Hotel Blauer Engel in würdiger Weife Bis über äas Grab hinaus. Eine Totensonntaggeschichte von Hedda v. Schmi d. Nachdruck verboien Ein regennasser Himmel spannte sich am Totensonntag über den alten Friedhof der großen Handelsstadt. Sibille Hellbrecht schritt am Arm ihres Verlobten, des Professors Leo Brunner, des berühmten Psychiaters zwischen den Gräbern dahin. Seit fünf Jahren war der Professor Witwer — nun gedachte er in dem schönen und klugen, am Ende der Zwanzig stehenden Mädchen, das er in einem benachbarten Kurort ken. nen und lieben gelernt hatt«, seinen beiden kleinen Kindern eine zweite Mutter zu geben. Die siebenjährige Angela und der sechsjährige Leo waren der Obhut der alten Dienerin, die schon die Kinderfrau der so jung verstorbenen. Frau Pro fessor gcwesen war, anvertraut. Sibille kannte ihre zu künftigen Stiefkinder noch nicht; sie war mit ihrer Mutter, einer sehr kränklichen Dam«, auf einen Tag herübergekom- men, um die Kleinen und ihren künftigen Wohnort kennen zu lernen. Die Hochzeit sollte schon nach kurzer Zeit stattfinden. Heute früh hatte der Professor seine Braut und sein« Schwie germutter von der Bahn abgeholt, und Sibille hatte ihn ge beten, sie auf den Kirchhof, an das Grab seiner ersten Gattin zu führen. Es war doch Totensonntag heute. Dieser Fried hof voll schwermütiger Poesie in der fahlen Beleuchtung des grauen Tages war gerade etwas nach Sibillens Sinn, ob gleich doch ihr Herz von Glück erfüllt war — aber gerade des halb wollte sie heute die arme Tote, die so früh von Mann und Kindern hatte scheiden müssen, nicht vergessen. Sie legte ihren Strauß weißer Chrysanthemen auf den Grabhügel, dem zu Häupten sich ein Marmorkreuz mit der Inschrift: Ilse Brunner erhob.- Wie jung sie war, al» sie sterben mutzte, sagte Sibille leise. Gin« Wolke glitt Mer de» Professor, Antlitz. Das lange Siechtum seiner Frau hatte sein Haar frühzeitig mit Silberfäden durchwebt, aber er war eine noch stattliche Erscheinung, nun, wo er ein zweite» Glück gesun- den hatte, strahlte er oft wie ein Jüngling. Für Ilse war der Tod eine Exlösung, erwiderte er kurz, sie wäre unrettbar der Geistesumnachtung verfallen. Du Armer, sägte Sibille weich, wie mutzt du mit ihr, der Kranken, gelitten haben. Sie wußte so gut wie nichts von der ersten EhUH Profes- soxs; er hatt« ihr nur gesagt, daß seine Gattin, schon früh leidend, nach der Geburt des kleinen Leo in ein Sanatorium hatte gebracht werden müssen. Vor der Friedhofsmauer mußte sich der Professor von seiner Braut verabschieden. Ein Zufall hatte es gewollt, daß er gerade heute, am ersten Tag von Sibillens Hiersein zu ei ner wichtigen Konsulation abgerufen worden war. Erst spät am Abend konnte er wiÄer da sein. Bis morgen also, mein Herz, sagt« er, und wollte Sibillens Hand nicht aus der seiner- lassen. Ich weiß n cht, fügte er hinzu, mir ist es, als sollte ich heute nicht von dir gehen, als könnte sich ir- gend etwas hier ereignen. S e blickte ihn mit einem inni gen Lächeln an: Der Totensonntag — das düstere Grau des Himmels, die Leute um uns herum iw Schwarz, die ihren Toten Blumen bringen, all das stimmt d ch so trübe, Lieb ling du bist auch sicherlich überarbeitet bei deiner nimmer müden Tätigkeit. Denk nur aber, w e rasch vierundzwanzig Stunden vergehen. Morgen um diese Zeit sind wir wieder beisammen. Und heute nachmittag lerne 'ch deine — unser« Kinder kennen. O wie ich mich darauf freue. Sie werden mich — ich hoffe es — rasch lieb gewinnen. Am Nachmittag kamen Angela und Leo, Sibillens Stiefkinder, in das Hotel, in dem Sibille mit ihrer Mutter Wohnung genommen hatte. Sibille hatte für «ine Menge Obst und Kuchen gesorgt und Spiessachen als Ueberraschung aufgebaut, aber zu ihrer schmerzlichen Enttäuschung blieben die Kleinen verschüchtert und einsilbig. Sie wutzte ja nicht, was die alte Lene, welche diö Kinder hergeleitet hatte und nun mit im Gedach saß, mit einem versteinerten Ausdruck in ihrem scharfen Raubvogel-- gosicht, den Kndern für Märchen von bösen Stiefmütter e- zählt hatte. Und mich wird Eure Stiefmutter gewiß nicht da behalten, hatte es immer wieder geheißen und ich habe Eure arme Mutter doch bi» zu ihrem Tode gepflegt und habe Euch sie-, wie niemand sonst auf der Wett, Ihr armen Waisen. — Wir brauchen ja die neue Mama gar nicht, hatte Leo noch heute der Alten versichert. Al» di« Kinder nun zu der neuen Grohmama, die mit Kopfweh auf der Chaiselongue im Nebenzimmer lag, gingen, trat Lene plötzlich an die er staunte Sibille heran: Gnädige» Fräulein, sprach sie, heute ist Totensonntag, wo «an Verstorbenen Blumen darbringt. Fchbin heut« nicht ausdem Friedhof gewesen, aber ich tue etwas anderes für meine teure selige Herrin, der ich in der Fremde die Augen zugedrückt habe. Sie hat ein schweres Los gehabt, die Dulderin. Hier, Lene zog ein verschnürtes Briefpakei aus der Tasche ihres schwarzen Kleides, hier — nehmen Sie — lesen Sie, gnädiges Fräulein. Fragen Sie mich nicht danach, wie diese Briefe in meine Hände gekom men sind. Ich war die Vertraute unserer toten gnädigen Frau. Mir, ihrer alten Kinderfrau, hat sie in ihrer letzten Stunde ihr Vermächtnis und ihre Kinder ans Herz gelegt. Bevor sich Sibille recht besinnen konnte, hatte die Alte die Kinder, die eben wieder das Gemach betraten, bei den Hän den genommen und sie in einer fluchtartigen Hast entführt. W e entgeistert starrte Sibille ihnen nach. Was bedeutete das alles! Der Zeiger der Kaminuhr verkündete eine vorgerückte Abendstunde, als Sibille den letzten dieser ihr so geheimnis voll übermittelten Briefe aus der Hand legte. Sie war toten blaß. Das Schreiben brütet«: Geliebte Eltern! Ich sterbe, wenn Ihr mir nicht in meiner Verlassenheit zu Hilfe kom men wollt. Errettet mich aus meiner Gefangenschaft. Di« Mauern eines Irrenhauses umschließen mich, die ihr Gatto eingekerkert hat, um die Hand meiner Schwester zu gewin nen. Ich hasse Leo — ach, in all diesen meinen tagebuchar- tigen Briefen habe ich Euch mein«n Haß gegen ihn und doch meine Liebe zu ihm geschildert. Er ist mein Verhängnis. Vielleicht hört er jedoch auf Eure Bitte und befreit mich von hier. Gegen alle meine Briefe, die ich ihm gesandt, ist er taub und gefühllos. Zu meinem eigenen Besten geschehe es nur, sagte er mir, als er mich gegen meinen Willen in dies« schreckliche Anstalt brachte. Die alte Lene besuchte mich hier, unsere treue Lene, ihr gebe ich, wenn st« wiederkommt, diese Briefe mit. Ich verschmachte vor Sehnsucht nach meiner Frei heit und — nach Leo. Hellt Eurer unglücklichen Tochter. I. B. Nach einer schlaflos verbrachten Nacht faßte Sibille einen festen Entschluß: Im ersten Morgengrauen siegelte -sie diese Brief: ein und adressierte das Paket, dem sie ihren Verlob ungsring Leigefllgt hatte, an Professor Leo Brunner. Dann bat sie ihre Mutter, mit ihr den ersten Zug, der in der Rich tung de» ständigen Wohnorte» der Leiden Frauen abging, zu benutzen. Sie fleht» die alte Dam« ap, nicht zu forschen