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Nr. 132. Donnerstag» 11. Zuni 1914. 9. Jahrgang. Ekpnchstm»»« -er Ne-attto« «11 ftttwahme »tt Sonntog,nachmittag« 4-ö Uhr. - r»l»gramm.flüttss»» Lag,blatt ftueerzgedirge. frrnspnchtt siuL'!'3r»-iÄL»L xbmm »«si.umi,«, ,at^„a. tzür lmvrrlaugl »tagrsaabt« Maattftript» kam, ch«»ahr nicht grinstet wrr-rn. ma^st^tWeMchl«.»«'n /luer Tageblatt MD Mzeiger für -as Erzgebirge MZ^WW mit -er wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Muer Sonntagsblatt. «prechstunö» -er Ne-attton mit -tnsnahme -er «»««tag, nachmittag« 4—S Uhr. — T»l»gramm.flürrN»» Laa,blatt Nurrrzgrdir«. Remstreber SZ. Diese Nummer umfaßt 8 Seiten. Das Wichtigste vom Tage. Die Uebungen der beiden sächsischen "Armee- Korps unter Leitung des Generaltnspek- teurS von Heeringen werden am 21. und 2 2. September stattfinden.*) * Tie Reichsregierung wird davon absehen, dem Reichstage bei seinem Wiederzusammentritt einen neuen Entwurf Mer das Erbrecht des '!) r .!! l eg e n. * Ter Ze »trum. rbg ord..e e D ki-> L se r, ,e r r de 8i e ich t a g sma h li'. e is es Rave. sburg Saulgau , istgestorbe n.*) * Die Nachricht, daß der König von Rumänien s.^ an den deutschen Kaiser mit der Bitte um Vermittelung der albanischen Frage ge wandt habe, wird von offiziöser Seite dementiert.*) * Wie französisch« Blätter wissen wollen, sollen fernerhin in den Reichslanden keine Bür germeister und Beigeordneten einge stellt werden, die einflußreiche Verwandte, ins besondere Militärs, in Frankreich haben. In dem dänischen Folkethtng gab der Minister des Aeußeren eine längere Erklärung über die Tänensrage in Nordschleswig ab. -! "!Ldrre, N»he an anderer Sielle. Mutmaßlich« Witterung am 12. Juni: Nordwinde wolkig, kühl, zetweise Niederschlag 'dc Die äeutfche Auswanderung. Das deutsche Reich hatte sich in den letztem Jahr zehnten aus einem Auswanderungsland in ein Etn- wanderungsland umgewandell. Mehr und mehr konnte die rasch wachsend« heimisch« Industrie jene Massen von Auswanderern aus den ländlichen Gegenden, namentlich aus den Gebieten de» großen Grundbesitzes in Ostelbten an sich ziehen und durch dauernde lohnende Beschäftigung an sich fesseln, die früher durch eine meist jungen überseeischen Staaten zustrebend« Auswanderung dem Vaterlande verloren gingen. Bald genügte jedoch dieser Zustrom der Nachfrage auf den städtischen Arbeits märkten nicht mehr? in wachsendem Umfange wurden auch fremde, etngewanderte Lohnarbeiter eingestellt. Die Landwirtschaft, die in ihren Großbetrieben schon längst infolge der Landflucht an Leutenot zu leiden be gann, hatte sich schon viel früher daran gewöhnt, aus ¬ ländische Arbeiter, meist vorübergehend, als Saison arbetter zu beschäftigen. So ist «S gekommen, daß die Zahl der in Deutschland dauernd beschäftigten Aus länder schon neun Millionen überschritten hat, nachdem die Auswanderung von Jahr zu Jahr derart zuvückgtng, daß sie kaum mehr für die Beurteilung der gesamten BevölkerungSverhältniss« in Betracht zu kom men brauchte. Nun beginnt sich langsam ein Um schwung zu vollziehen. Rußland und Oesterreich setzen der Anwerbung von Arbeitern für deutsche Landwirte oder Industrielle immer größere Schwierigkeiten ent gegen, hat doch die russische Regierung sogar mit ei nem völligen Verbot der Auswanderung von Preußen gängern gedroht. Zugleich hat sich das «Tempo des Wachs tums unseres Exportindustrialismus verringert, sodaß sia> die Verhältnisse auf den städtischen Arbeitsmärkten verschlechtern mußten. Die Wirkung dieses Vorganges kommt in einem Anschwellen der Auswanderungsziffern zum Ausdruck. Nach den Vierteljahrheften der Statistik des deutschen Reiches belief sich die deutsche Auswande rung sm Jahre 1913 auf 25 843 Seelen gegen 18 545 im Vorjahre. Von den Heimatsmüden gingen 25 384 nach Amerika und zwar 19124 nach den Vereinigten Staaten, 1306 nach Kanada, 1085 nach Argentinien, 140 nach Brasilien, 3729 nach sonstigen Ländern Ame rikas. Nach Australien wanderten 859 aus, nach Afrika mit Einschluß der putschen Kolonien nur 32. Daß die meisten Auswanderer aus der Provinz Bran denburg stammten (2253) erklärt sich aus der Bedeutung Berlin» als Sammelbecken für di« binnenländische Wan derbewegung. ES folgt das allezeit menschenabsondernde Posen und dann, was besonders bemerkenswert ist, gleich hintereinander die industrtereichsn Provinzen Westfalen und Rheinland (1445 und 1384); demnächst Hannover mit 1843 und Schleswig-Holstein mit 1014. ES scheint demnach, als werd« sich bet uns «in« Wandlung wieder holen, die in England schon lange im Zuge ist. Dort hat die Auswanderung, di« auch jahrzehntelang nur ge ring gewesen war, in den letzten Jahren die Ziffer 80000 regelmäßig überschritten, sodaß einige Teile Groß? britannien», besonders Schottland schon mehr Menschen durch Auswanderung verlieren, als der abnehmende Ueberfchuß der Geburten über die Sterbefälle zu ersetzen vermag. Sollte auch die deutsche Auswanderung in den nächsten Jahren wieder zu solchem Umfang anzuschtvellen drohen, so würde dadurch ein Probelm aktuelle Bedeu- dung gewinnen, das seit einigen Jahren in Kreisen der Auslanddeutschen lebhaft erörtert worden istr die Mög lichkeit eines Wahlrechts der Reichsdeutschen im Auslande für den deutschen Reichstag. Dadurch würde nicht nur der deutsch« Reichstag schätzbare, welt erfahrene, weitblickend« Mitarbeiter gewinnen, «S könnte auch gelingen, unabhängig von aller Kolonialpolitik di« deutschen Auswanderer in lebendigem Zusammen hang« mit den kulturellen und politischen Bestrebun gen der .Heimatdeutschen zu erhalten. Unlerhattungsabenä äes Atbertzweigvereins. O Aue i. Erzgeb., '1L Juni. Der Akbertzweigverein rief, und alle, alle kamen! Wahrlich, man darf — ausnahmsweise für einen besonderem Fall — das bekannte Wort, da» vor nunmehr einhundert Jahren geprägt wurde, in diesem Sinne «mänttern, wenn man den Besuch des öffentlichen Unterhaltungsobends charakterisieren will, den gestern der MbertWveigvevein zu Aue im Saale des Hotels Blauer Engel veranstaltete. Nicht numerisch nur sondern auch was seine Zusammen^.ching .rnlutrifst Denn all- Kreise unsse er Stadt wa e.i le" l- m itieße vertraten, das unter dem Zeichen der Wohltätigkeit stand Denr Roten Kreuz -galt es, der ssgensre ch.n Einrichtung, die-im Ernstsalle Lndon und Schmerzen lin dern hil t, zu allen Zeiten aber die milden Schatten ihres edlen Tuns über der hilfebedürftigen Menschheit ruhen läßt. Solch gutem Zweck zu unterstützen und fördern zu helfen, war di« Auer Einwohnerschaft gern bereit; so er schienen die Besucher denn gleich zur Eröffnung de» Feste», von 5 Uhr an, -in reicher Zahl, und je weiter der Abend ooranschritt, um so mehr erhöhte sich die Zahl der Teilneh mer. Der Mbertzweigverein, unter dem Dorsitz der Frau Bürgermeister Hofmann, hatte mit dieser seiner ersten öffentlichen Veranstaltung einen vollen, schönen Erfolg, der in Anbetracht seiner Ziele überhaupt und de» besonderen Zweck» de» gestrigen Abends ihm auch nur von Herzen zu gönnen ist . . . Der Engelfaal trug festlichen Schmuck. Birken an den Minden gaben ihm einen frischen, duftigen Anstrich, die Emblems de» Roten Kreuzes erinnerten daran, daß die Ver anstaltung unter dkesem Zeichen stand. In den beiden vor- deren Ecken des Saales waren die freiwillig und in außer ordentlicher Reichhaltigkeit gespendeten Herrlichkeiten auf gebaut. die da locken und Gewinn abwerfen sollten, und das auch redlich taten. Zur Linken befand sich das ka lt e Büfett, besetzt mit leckeren Speisen jeder Art, den dazu gehörigen oder beliebten Getränken, mit Süßigkeiten u. dgl : beim bloßen Anblick schon kannte einem das Master im Munde zusammenlaufen. Und Mr Linken hatten alle di« schönen Dinge, ihren Platz gefunden, fein säuberlich auf gebaut und ins rechte Licht gerückt, die den Bestand der Tombola bildeten. Mit Ausnahme 'der etlichen Zentner Briketts natürlich und psr SchisfsFreiifahrikarten»—»Mr diese Gewinne gab-es nur Gutscheine, die aber auch so gut waren, wie die Gewinne selbst. Und den Saal füllte an weih gedeckten Tischen ein fröhliches Publikum, das im Geist« des bestes aufzugehen schien. Das konnte man wenigstens schließen aus der gebefreudigen Stimmung, aus der Be reitwilligkeit, mit der man Frau Fortuna die Hand bot. Junge Dämon (und Kinder, zum Teil reizend kostü miert) hatten den Verkauf der Lose übernommen und wußten in anmutiger Grazie sie an den Mann zu bringen, wie st« auch mit zarter Hand die Bedienung der Gäste aus- Rolumbus. Skizze von Albert Petersen. Nachdruck oardoum. Kolumbus, he, hallo, Kolumbus, pflegten die Gassen jungen hinter dem alten Männchen herzu rufen, das täg lich mit gesenktem Kopf durch TandriNgs Straßen schlich Dl« hageren Waden der knochigen, nach vorn geknickten Beine steckten in hohen Stulpstiefeln, wie sie die Studenten zurückliegender Jahrzehnte auch im Alltagsleben trugen. Den weichen Mlchut hielten stets, auch bei- dem schlechtesten Welter, die auf dem Rücken gefalteten Hände, so daß man deutlich an dem ergrauten, stets kurzgeschorenen Schädel «ins stattliche Anzahl von Schmissen sah. Die Tondringer lachten über dem alten Sonderling, der erst seit einigen Jahren im Städtchen in stiller Iurückge-ogenWt lebte und es zu betonen liebte, daß er einst auf der Alma Mater ein strammer Bursch gewesen war. Sonst wußte man nur von dem Stadtschreiber, daß der Mann lange in Amerika gewiesen war, und da «r sich in Tondring «im Habs mit Obstgarten gekauft hatte, hieß es, er sei im Dollarland« reich geworden. Die Jungen der Kleinstadt aber, für di« Amerika gleich vor dem Paradies und dem Schlaraffenland lag, hatten dem Weitgereisten den Ehren- und Spitznamen Kolumbus gegeben und riefen ihn oft hinter dem Alten her. Und niemand konnte sich erinnern, daß der Sonder ling je darüber erzürnt gewesen. Man wollte nur ge sehen haben, daß dann «in schmerzliches Jucken über des Alten faltige- Antlitz lief, daß seine Lippen sich zu bitterem Murmeln bewegten. Ach, die Jungen wußten ja nicht, daß in tieferer Bedeutung der Spitzname dks Richtige tmf. Auch dieser Mann hier mar mit geblähten, von der Sonne hell beschienenen Segeln in» unbekannte Leden gefahren, -alt« Stürme durchkämpfen müssen, hatte schließlich wohl glaub«, dürfen, da» Märchonland de» Glücke» trotz aller o-wrigen Winde entdeckt und erreicht zu haben, und mußte endlich doch in den harten Fesseln schmerzender Erinnerungen fein einsame» Leben beschließen. Frühling war es. Da» Bächlein trat fröhlich raunend und plätschernd aus dem Gehölz, in dem die Birken lustig grünten, besten Slätterübersäten Boden rings leuchtend« Anemven schmückten, eilte ungestüm dürch die Wiesen, deren voilchenpunktierte Rain« sich im klaren Master spiegelten. Der Lerchengesang erfüllte jauchzend die Luft, lachend schien di« Sonne vom wolkenlosen Himmel. Forscher als sonst schritt der Alte durch di« Frühlingslamdschaft. Ein holler Zug lag auf dem faltigen Gesicht, und kraftvoller, als man es ihm hätte zutvauen können, schlug er mit dem Sflaztcrstock einige Hiebe durch die Luft. Quart — Terz —< Prim — Rest weg . . . Hei, wie das surttel Plötzlich stqckto er, ließ den Arm sinken und lauscht«. Junge» Lachen, fröhliche» Singen tönte vom Seitenweg her, zwischen den silbernen Kätzchen der Weiden auf den- Wällen schimmer ten die bunten Farben von Studentenmützen. Gin« Kor poration der micht fernen Landssun'veisttät macht« den ersten ExLummel. Und fetzt begann «iner hell zu singen: Integer ritae, »oolerisque purus . . . Trotzig, wie eine Kriegserklärung an» feindliche Leben, klang da» Sied. U«Ler des Alten Antlitz legte sich ein finsterer Zug, bitterer .noch als sonst Mitten die Lippen. Gr sah sich um, al» wollte er der Schar auswetchen. Aber wohin? Und er trat an den Thaussregraben und lieh den Zug der kecken Burschen an sich vorüberschreiten. Lachende Augen, fugendblühende Gesichter, durch di« sich schneidige «Schmisse zogen. Heraus fordernd saßen di« Hunten Mützen auf dem Htnterkopf, der eine und ander« hatte eine schwer-seidene Paukkappe über den kürzlich zerhauenen Schädel gezogen» Und hell klang da» Liü de» alten Horatz: luteger vttae, «oelerisque para« ... Schmerzlich bewegt schaute der Alte dem Zug nach und lauscht« der Mdlodie. Und, schwer atmend über setzte er sich laut die Anfang-Worte: Unberührt vom Loben, rein von jedem Verbrechen .. . Herrgott, auch er hatte ja so fröhlich frei, so trotzig stolz ins Leben geblickt wie die Jünglinge dort, hatte ge- lacht und gejauchzt Sei Liedersang und Bscherklang, hatte furchtlos auf der Mensur geständen, bi» dann —- bis dann. — Gr war ja Inaktiver, wurde -um Kassenwart gewählt. Er war noch mitten drin im Korpomtionsgetriebe, di« Gelder gingen aus, der alte Herr weigerte sich, seinem Sohn mehr Geld zu schicken.— and dann kam jener Tjqg, al» man feststellte, daß in der Korporationslasse dreihundert Mark fehlten. Man wollte jedes Aussehen vermeiden, still wurde er herausgetan. O jene schrecklichen Stunden, Dagel Mer «r kam Mr Vernunft. Er begann zu arbeiten und machte dann spielend fein Examen. Als Referendar dient« er sein Jahr ab. -Der stattliche Kerl war ein strammer Sol- hat und hatte Lust und Liebe -um KomMtßleben» Er wurde siet» al» erster befördert, auch die achtwöchigen Hebungen waren erfolgreich, und er glaubt« vergessen zu dürfen, was er damals gefehlt. Ms er sich dann Mr Mahl zum Re serveoffizier stellen Vieh und man — entschieden abwinkt«. Gr erfuhr, daß sich in jenem Landwchrbszirk «in Reserve offizier befand, der um jene Tat wußte. Damals kam ihm » zum erstenmal der Gedanke, daß er vielleicht sein Leben lang mit jenem Vergehen sich werde herumtvagen müssen. Abe" trotz seiner Liebe zum Goldatenleben überwand er, und weiter arbeitet« er. Nach dem Assestorepam>'n etablierte er sich als Rechtsanwalt, und alles Wen sich nach Wunsch zu gestalten. O, so sonneglitzernd wie dieser Frühlingstag erschien ihm in der Erinnerung di« Zeit feiner jungen Ehe. Ml welcher Liebe hing er an seinem Weibe! Wie stolz strahlten ihn ihre treuen, quelMaren Augen an! Und wie jauchzten sie beide, «Ü» -er kräftig« Junge in der Mage lag und lachend di« Plumpen Händ chen zusammenschlug. Und er, der geachtet«, strebsame Mann, glaubte endlich vergessen M dürft«, was ihn in- man-