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Nr. ISS. Donnerstag» 23. Juli 1914. S. Jahrgang. Dies, Nummer umfaßt 8 Seite». Das Wichtigste vom Tage. Die Braut des Prinzen OSkar von Preußen, Gräfin Jna-Mar^e von Bassewitz wird bei ihrer Vermählung den Namen und Titel einer Gräfin von Ruppin erhalten. » In der bayerischen Kammer güb Ministerpräsident Graf Hertling die Erklärung ab, daß eine Nachsession des Landtages nicht in Aus sicht genommen sei. * Im Caillaux-Prozeß erklärte der Oberstaatsan walt, daß das grün« Dokument die Ehre des früheren Ministerpräsidenten Eaillaux auf keine Weise berühre. * Der russische Botschafter in Parts, Iswolski, nimmt t keinen Urlaub, sondern begibt sich von Pe tersburg direkt nach Parts zurück.*) In Duruzzo gehen Gerüchte von einer rumänt- schen Invasion. Rumänien soll KOO Mann Truppen dort landen.*) * Die türkische Kammer nahm di« außerordent- lichen Kredits für Heer und Flotte in Höhe von 1LV, Millionen Pfund an. -1 KM!,««« fleh« an and«k«r klell« Auffrischend, Nordwestwind?, -bedeckt, etwa, Dem. peraturrlickgang, zeitweise Niederschlag. Dor äer Aistnote. XN Während vor einigen Dagen y« stsrreich seinen Schritt in Belgrad auf eine ganz lange Bank schieben zu wollen schien und es züm sichtbaren Zeichen seinen ganzen politischen wie militärischen Generalstab auf Fe- rtenurlaub geschickt hatte, bläst jetzt auf einmal der Wind wiederaus einer schärferen Ecke. Gras Berch toldwar wieder in Sschl, Graf Tisza ist in Wien, Eonrad von Hötzendorff und Krieg-Minister Krobattn, der bosnische Minister vonBilinSki und sogar Frei herr v. Heinold haben ihren Urlaub plötzlich abbre- chen müssen. Am Sonntag ist in Wien Ministerrat ge halten worden. Die seit drei Wochen angekündigte Note soll noch vor Ende der gegenwärtigen der serbischen Regierung übergeben werden, und zwar mit einer Frist zur Antwort von bloß 48 Stunden! Es verlautet auch schon einiges Wer Ähren Inhalt. Nicht bloß sollen die Ergebnisse der Untersuchung von Serajewo auf dem Boden des Königreichs vervollständigt werden — die Forderung, daß das durch österveichischersettS beauftragte Beamte geschehen soll, scheint man fallen gelassen zu haben. Sin größeres Gewicht wird jetzt auf die zweite Forderung gelegt, indem man di« Annahme der ersteren nach dem Wegfälle der Klausel für selbstverständlich anzusehen sich den Anschein gibt; sofortig« UatertmW- kung der Belgrader Onladina mit all ihren Ab legern auf den Gymnasien usw. Gegen diese Bedingung werden die Serben sich voraussichtlich doch stark auf die Hinterbeine setzen. Spielte die Onladina (Jugend) doch schon in der Zett der Väter des heutigen Geschlech tes eine große Rolle, stehen doch wohl sämtliche Minister und auch die meisten Oppositionsführer zu ihr in einer Art von Altenherren-BerhältniS! Da wird die Neig- gung zu einem ablehnenden, wenigstens einem aus- weichenden Bescheide des österreichischen Begehren» nicht gering sein l Und wie wird Oesterreich einen solchen aufnehmen? »Die Blätter genieren sich jetzt gar nicht mehr, für den !Fall das Wort Kriegsgefahr anzuwenden. Die Neue Frei« Presse versteigt sich sogar zu der Wendung: wenn Serbien rechtzeitig (dieses Wort müsse drei mal unterstrichen werden) tut, was geschehen mutz, dann kann der Friede noch gerettet werden. An dem dünnen Faden eines so stark verklausierten Bedingungsgesetzes flattert also die Friedenshoffnung! Dasselbe Blatt fügt aber noch die weitere Einschränkung hinzu: wenn die Mächte ibr« Zurückhaltung bewahren. Daß diese Fassung erfüllt werde, darauf hat nun allerdings, wie di« Neue Freie Presse anerkennt, der Trinkspruch de» Za ren einigermaßen günstige Aussichten eröffnet. Nikolaus II. hat «S doch nicht unterlassen, den AriedenSzweck des französisch-russischen Bündnisses nachdrücklicher zu be tonen, als offenbar seinem Gaste lieb war, und als dieser selbst seinem Antwort-Toaste eS getan hat. Da wäre ja auch die Lösung de» Konflikt», di« unsere Offi ziösen vor kurzem andeuteten: Lokalisierung/de» österreichisch-serbischen Streite». ES würden also auch die serbenfreundlichen Mächte Gewehr bei Fuß stehen, wenn Oesterreich sich sein gute» Recht Auf den Landfrieden, geht es nicht mehr im Guten, mit Waffengewalt zu sh ch«m entschlösse. Und damit wär« die große europäi sche Entscheidung der orientalischen Frage wenigsten» einstweilen wiederum vertagt. Sie würde erst dring lich werden von dem Zeitpunkte an, wo Oesterreich sich entscheiden würde, ob e» mit Serbien käe 1908 mit dem Sandschak oder wie damals mit Bosnien Ver fahren will. Und bis dahin kann natürlich noch anderer Rat werden. Einstweilen wollen wir in Ruhe abwar- Das heimliche Verlöbnis. Humoreske von vleinhold vrtmamu iNachdnxk »erbot,».> Wenn die Firma Wesses und Schneider vo-rau »gesehen hätte, was sie damit unter ihrem kaufmännischen Per sonal anrichtete, würde sie sicherlich trotz der glänzend n Zeugnisse auf das Engagement des Fräulein Lotte Mw> witz verzichtet Haden. Denn ehe noch eine volle Woche seit ihrem Antritt vergangen war, loderten in dem Haupt kontor, wo die neue Stenotypistin gemeinsam mit jden Korrespondenten und Buchhaltern arbeitete, an allen vier Doppelpullten die Hellen Flammen der Leidenschaft. Dabei hatte sich das junge MAchen gewiß nicht herausfofdernd gegen ihre männlichen Kollegen benommen. Sie war im Gegenteil von eine, Zurückhaltung und Bescheidenheit, mit der auch die sittenstrengste Pensionsoorstoherin hätte zufrie den sein können. Natürlich waren die offenen uns» ver steckten Huldigungen und Annäherungsversuche der ein zelnen Herren ebenso verschieden, -wie ihr« Temperamente. Mer wvo «uch immer sie es anfangen mochten, dich sie dem FräUl«,n Lotto Marwitz damit mähr lästig al» angenehm wurden, lag ziemlich ässen zu Mqge. Da» junge Mrd- chen sah mit jedem Dag« verschüchterter und niederge schlagener aus, und sie wägte zuletzt kaum noch, die Augen von ihrer Schreibmaschine zu erheben, weil sie ganz sicher fein 'konnte, im anderen Fall irgendeinem sehnsüchtig schmachtenden Männerblick zu begegnen. Einen freilich gab es im Hauptkontor, dessen Augenspvache sie nach nie in ver- logonhett gebracht hatt«. Da« war Herr Wilhelm Burr- mann, der Buchhalter am letzten Pult. Gr war der einzige, de, Fräulein Lotte bisher weder angehimwelt, noch mit Blumen beschenkt oder mit Schmeicheleien und durchsichtigen Änderungen belästigt hatte. Um so größer muhte demnach ihre Ueberroschung sein, al» er sich eines Abend» heraus- nahm, was von den anderen schon keiner mehr wagte, seit dem sie es in rascher Folge jedem einzelnen abgeschlagen hatte. Gr hatte nach Kontorschtuh vor dem Hause auf st« gewartet, bis alle fort waren, und nun trat er auf sie zu, um zu fragen, ob er sie nicht ein Stück Weges begleiten dürfe. So wenig war sie gerade von ihm auf dergleichen gefaßt gewesen, daß sie nicht schnell genug eine paffende Form der Abweisung finden konnte, und daß er ihr Schweigen Mr «ine Zustimmung nahm. Steif und feierlich brachte er sich an ihre linke Seite. F-äulein Lotte war innerlich empört Wer seine Dreistigkeit! aber als sie sich dann während de» langen Schweigens, das seiner Anrede gefolgt war, endlich eine unzweideutige Bemerkung zurecht gelegt hatte beging sie die Unklugheit, vorher zu ihm auf- zuvlicken. Und die überwältigende Gutmütigkeit auf seinem bärtigen Antlitz nahm ihr das Schwert von der Zunge. Ihm ober mußte der kleine Seitenblick wohl den Mut gestärkt haben; denn plötzlich begann er zu reden. Fräulein Marwitz, sagte er, es ist nicht meine Go- wohicheit. mich um die Angelegenheiten anderer Leute zu kümmern. Wer ich m«ine, so kann es nicht weitertzehen. Di« Zudringlichkeiten unserer i Kollegen verbittern Ahnen ja da» Leben. Zumal ich doch weiß, daß Sie sich au» keinem von ihnen etwa» machen. Halb wider Willen muhte sie lächeln: Und woher wissen Sie da» so bestimmt, Herr Burr, mann? Mit der ganzen Unbefangenheit eines kindlichen Gemüt» richteten seine treuherzigen Augen sich auf ih- Ge sicht: Ja, find Si« denn nicht mit Heinz Baumgarten heimlich verlobt? Im ersten Moment spiegelte sich es auf dem Antlitz der hübschen Stenotypistin wie grenzenloses Erstaunen: dann ober kam ein -schelmisches Glitzern in ihre Augen, unp vollkommen ernsthaft fragte sie zurück: Kennen Ei« ihn denn? Und hat «r es Ahnen erzählt? Wir waren recht gut» Freunde, erwidert« Herr Purvmann, und er vertraute mir wohl manche, an, was er keinem anderen offenbart hätte, «l, Sie in unser Kontor eintraten, waren Sie mir schon kein« Fremde mehr; denn ich hatte Sie zwei- oder dreimal in Heinz Bamngaaen» und seiner Schwester Gesellschaft aus, der Straße gesihen. Bor sech, Mchen kam «r zu mir, unt sich zu vevÄMeden, weil «r mit Mutter und Schwester nach Peterckduvg übersiedeln und dort eine Vertretung übernehmen wollte. Bei der Gelegenheit sprach ten, was Serbien auf di« drei Forderungen: Verfolgung der Anstifter, Mittäter und Gehilfen de» am Thronfolger verübten Hochverrats, strengere Grenzüberwachung (ein stunkt geringerer Wichtigkeit) und Unterdrückung seiner Dnladinen zu sagen hat. Wir möchten übrigen- noch )te Anmerkung htnzufügen, daß Herrn Pafchitsch ein Entgegenkommen schon durch den Umstand erschwert wird, daß er sich mitsamt seiner Partei gegenwärtig inmitten eitles recht unsicheren BvlkSkarnpses befindet. Ulster. Seit Jahren hat die Engländer kein« innerpoli tisch« Angelegenheit so in Atem gehalten, wie die Ulster frage, an deren Lösung man seit langem gearbeitet hat ohne zu einem befriedigenden Resultate za gelangen. In den letzten Wochen hatte sich die Situation, nachdem be reits einmal eine Beruhigung der Gemüter eingetreten ',u schein schien, so zugespitzt, daß man glauben konnte, vor chweren inneren Differenzen, ja vielleicht vor blutigen Unruhen oder gar einem Bürgerkriege zu stehen. Eigen artig ist allerdings das Treiben, das Herr Carson u-nd seine Leute ganz vergnügt in voller Oeffent'tchkeit inszenieren. Man hat eine Freiwilligen-Mrmee gebildet, die gut bewaffnet ist, Gefechsttlbungen unjd Para den abhält, und der, wie ein Monarch, Herr Carson Fahnen verleiht und diese in der feierlichsten Form über gibt. Die Regierung steht dem ruhig zu, höchsten» daß dann und wann ein Waffen- und Munitionstran spott den Behörden in die Händ« fällt. Endlich scheint man aber i» den Regierungskrisen die große -Gefahr erkannt zu haben, die von den Ulsterleuten droht, u-nd so hat nvan fitz denn zu einem entscheidenden Schritte entschlossen. einer Maßnahme, die dey Machthabern van so großer Be deutung erschien daß der König die Mreise aur Flotten schau verzögert« und diese auch beträchtlich «Hkürzte. Frei- lich zeugt her Schritt der Regierung nicht gerade von Energie, im Gegenteil, dadurch, daß man sich bereit er- klärt, mit den Herrschaften von Ulster zu paktieren, erkennt man diese Rebellen, — denn sie sind kaum etwa» anderes — als eine Macht an, und es ist begreiflich, daß unter solchen Umständen die Ulsterleute ihre Forderungen höher spannen werden. Die Einladung zu der Besprechung soll auf Wunsch de» König» erfolgt sein, der eine derartige Konferenz angesicht» der ernsten Lag« Mr richtig gehalten habe. Ob bei der .Konferenz viel hevausLommen wird, läßt sich nicht so ohne weiteres stUtellen, hoffentlich ist aber der Wunsch aus eine Verständigung so stark, daß es zu einem Einvernehmen kommt, und vor allem auch die Ulsterleute sich zufrieden geben, um endlich wieder ruhige Verhältnisse herveizuführen. An der Hauptfach« handelt es sich um die Frage de» Ausschlusses oder Ein- -chtusse» von Ulster Lei der Durchführung derHomerule; er auch davon, wie schwer ihm das Fortgehen würde, wett er heimlich verlobt sei und das geliebte MAchen hier -n- rücklaffen müsse. Einen Namen hat er mir freilich nicht genannt; aber nachdem ich Sie in seiner Gesellschaft ge sehen, hatte ich von vornherein keinen Zweifel, daß nur Sie es fein könnten. Und es lat nnr in der SeÄe lesi», als ich von Heinz erfuhr, daß kein Mensch etwa» von dts- sem Verlöbnis wissen dürfe. Die Gründe hat er mir nicht mitgeteilt, doch müssen sie wohl sehr triftig gewesen sein. Und nun haben Sie darunter zu leiden. Ja, sagte sie mit niedergeschlagenen Augen, es fft sehr traurig. Wenn Sie mich Mr einen aufrichtigen Freund Ihre» Bevlobten hall- ten, Fräulein Marwitz, fuhr er fort, und für einen anstän digen Menschen, so wüßte ich wohl ein Mittel, wie dm Zudringlichkeiten dieser jungen Menschen im Kontor mit einem Mal« ein Ende zu machen wäre. WinNich, Herr Burrmann? fragte sie, und worin fallt« da» Mittel be stehen? Sein Gesicht wurde dunkslrot vor Verlegenheit, während er nach Watten Mr di« Erwiderung sucht«: Ja, sehen Sie — wenn Sie erzählen, daß Ei« nücht verlob» sind,.ohne einen Namen zu nennen, so nützt Ihnen da» diesen dreisten Leuten gegenüber gar nichts Da» würden st« Ihnen einfach nicht glauben. Änd da «n doch Ih, Berlöbni» mit Heinz Baumgarten «w-rSustg noch ein v« hetmni» bleiben soll, so — ,so könnte ich Ihnen vielleicht Nutze verschaffen, wenn — wenn ich — nun, wenn ich meinen Kollegen zu verstehen gäbe, daß ich i— hm! — am Ende haben Sie mich schon verstanden, Fräulein Marwitz! Sie wollen den Herren ausbtnden, daß ich mit Ihnen Hein» sich verlobt wäre? Ast e» da», Herr «urtmann? Ja, stimmt« er mit einem tiefen Atemzuge der Erreicht», rung zu, das ist e». — Gin seltsamer Vorschlag. Wer vielleicht -u Überlegen. Denn ich gestehe offen, daß ich von den Zudringlichkeiten der Herren Mr mein Leben gern befreit wäre. Nur möchte ich natürlich nicht Gefahr laufen, dabei au» dem Regen in die TvaUfe zu kommen. Unser heimliche» Berlöbni, dürst« nur innerhalb der vier wände de» Kontor» and mir wahrend de, Bumaostunden Dettung haben. Und ich wückx mir seSstoechändlich außerdem da»