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Mittwoch, den 14. kiugust 1S2S 24. Jahrgang Auer Tageblatt Anzeiger für -as Erzgebirge ZMW T°g.d,°« nu.»--«dw-. EnthaUenü -ie amtliche« Sekanntmachunge« -e- Nate- Ser Stadt und de- Amtsgericht- Ane. ,-n a..,^ Nr. iss für äie Einheit äes Volkes! Besinnliche Gedanken — Frau Dr. Bäumers Ansichten — Dr. Stresemann» Mahnungen Me Verfassungsfeiern sind vorüber. Berlin hat die zehnte Wiederkehr des Verfassungstages mit be sonderen Feierlichkeiten begangen. Wer die Verfas- sungsseiern der letzten Jah re in unserer Reich sh aup t- stadt miterlebte, muß auch als rein beobachtender Zeit genosse erklären, daß der 11. August von Jähr zu Jahr mehr den Charakter eines Volksfeiertages er halten hat. DaS ist an sich! nicht verwunderlich, da die erdrückende Mehrheit der Berliner Bevölkerung Politisch! links steht. Erstaunlich sind jedoch die gewaltigen soziolo gischen Wandlungen, die sich in den letzten zehn Jahren in der Berliner Arbeiterschaft unter dem Ein fluß der neuen Reich sverfasfung vollzogen hab-n. Hatte schon der Weltkrieg zur Folge, daß der deutsche Staatsgedanke den Massen zum wirklichen Erlebnis wurde, so bewirkten doch die Erfahrungen der Nach kriegszeit, daß breite Volksschichten sich in steigendem Maße zu der Erkenntnis durchrangen, daß der gegen wärtige deutsche Staat, das Deutsche Reich, die deut sche Republik, ihr Staat ist, das Staatswesen, das sie unmittelbar angeht, an dessen Bestand, an dessen Wohlfahrt und Zukunft sie und ihre Nachkommenschaft unmittelbar interessiert sind. Diese Wendung zum Staate hin wird jeder Staatspolitiker und ehrliche Freund der deutschen Na tion mit Genugtuung begrüßen. Parteipolitische Ver- ranntheit übersieht freilich diesen staatspolitischcn Ge winn leicht oder sucht ihn in eigennütziger Weise um zudeuten und auszulegen. Auch das ist an sich nicht verwunderlich, denn in einem Parlamentarisch regier-z ten Lande stocken mehr als in einer konstitutionellen Monarchie hinter allen Ständen und Klassen Partei-S Politische Bestrebungen und Zielsetzungen, die sich in den politischen Parteien jeweils auskristallisieren und z im Kampf um die Macht im Staate gipfeln.!! Dieser Kampf ist in den letzten Monaten in über aus anschaulicher Weise und in großer Schärfe in die ! Erscheinung.getreten. Wir erlebten den großzügigen! Aufmarsch des Stahlhelms in München, den nicht ! minder groß ausgezogenen Tag der National-^ sozialisten in Nürnberg und den Zusammenschluß! von Hugenberg, Seldte und Hitler zu einem Volksbegehren gegen den Uoung-Plan. Tie große re publikanische Organisation des Reichsbanners hat jetzt am Verfassungstag Unter den Linden, mitten in . der City Groß-Berlins, durch einen imposanten Auf marsch darauf die Antwort gegeben, .dis in allen Gauen unseres Vaterlandes den Widerhall erwecken dürfte, den sie bezweckt und erheischt. Von höhere« Warte aus hat hierzu unser Reichs außenminister Dir. Stresemann Erläuterungen ge schrieben, die am Verfassungstag in der „Kölnischen! Zeitung" erschienen. Der Kampf des Retchsausschusses für ein Volksbegehren ist, wie Dr. Stresemann wört lich schreibt, .„ein .Kampf um die Macht im Staats und nicht um die Krtegsschuldlüge, deren Ablehnung durch eine Volksabstimmung in Deutschland nur ge-! schwächt wird, da bisher niemand an der Einmütig-! keit des deutschen Volkes in dieser Frage gezweifelt! hat. Es ist ein Kamps gegen das heutige Deutschs land mit der bewußten Absicht, eine Zweiteilung! des Volkes herbeizuführen, und für diejenige Gruppe, die im schärfsten Kampf gegen den Staat steht, auch! die Regterungsgewalt zu erringen. Täu schen wir uns nicht darüber, daß dieser Kampf um die Existenz des Staates selbst geht. Wenn man auf das Zweiparteiensystem in England yinweist, so vergißt man, daß hier die Ab lösung einer Partei durch! die andere durchaus nicht eine vollkommene Aenderung des Systems bedeutet, sondern oft nur ein Wechsel in der Ausführung ähn licher Gedanken ist, weil in England die Staatsidee viel stärker ist als das Partetinterchse." Bei uns konnte man im letzten Jahrzehnt von allen .Parteiführern sehr oft die Forderung hören, daß das Staatsinteresfe über das Partei interesse gestellt werden muß. Schon die Formu lierung dieses Verlangens macht einen Unterschied zwischen beiden Interessen und stellt jene des Staates über die der Partei. In der Praxis unseres politi schen .Lebens mußten wir aber immer wieder die Er fahrung machen, daß! die Parteiinteressen mit den Staatsinteressen geradezu gletchgesetzt wurden, wodurch dann unter der Hand parteipolitische Forderungen in staatspolitische LebenSinteressen sich wandelten. GS wäre ein Glück und ein Fortschritt, wenn diese Erkenntnis sich -uschendS durchsetzen und zu ge steigerter Selbstbesinnung führen würden. Selbst kritisch vorbildlich Ml uns in diese« Hinsicht er scheinen, was die demokratische Abgeordnete Dr. Gertrud Bäumer dieser Tage zum 11. August in der „Hilfe" schrieb: „Es wäre ein bedenkliches Zei chen von Schwäche, wenn der 11. August ein Tag kritikloser Befeierung des Werkes von Weimar wäre. Mag man es feiern, mag man seiner Schöpfer in rückhaltloser Würdigung ihrer staatserhaltenden Tat gedenken — aber möge man gleichzeitig der Frage nicht aus dem Wege gehen, ob die aktive Politische Arbeit, die sich in den Formationen der deutschen Republik entfaltet hat, das Vertrauen des deut schen Volkes gewonnen und feine nationalen Wil lenskräfte richtig und fruchtbar organisiert hat." Wer sich diese Frage durch den Kopf gehen läßt, wird nicht umhin können, zu erklären, daß auf diesem Gebiete noch viel zu tun übrig bleibt. ES geht um die Solidarität des deutschen Volkes, der deutschen Nation! Auch hierüber sind schon Ströme von Tinte und Riesenfässer mit Buch druckerschwärze verbraucht worden. Dennoch läßt die innere Einheit und Geschlossenheit unseres ,VolkeS noch so unsagbar viel zu wünschen übrig. Gerade des wegen scheint uns der Erwägung wert, besonders für die Führer des Volkes, wie wir unbeschadet aller parteipolitischer Meinungsverschiedenheit als deutsche Staatsbürger zu einem nationalen Feiertag gelangen können, durch dessen Gestaltung und Ausgestaltung die nationale Solidarität unseres Volkes gefördert und gefestigt wird. Wer die nationalen Feiertage der Schweizer, der Franzosen und der Amerikaner kennt, wer sie erst mitcrlebte, weiß,, wie viel uns zu tun xnoch übrig bleibt. Die Haager Konferenz öesprechung -er an -er Sesetzung beteiligten Mächte im Haag Tie Nachrichten aus dem Haag waren gestern recht spärlich, da dis Delegationen ein Schweigegebot ausgegebcn haben. Offenbar befürchtete man, daß eirie öffentliche Diskussion der Bchandlung der Poli tischen Fragen im gegenwärtigen Zeitpunkt schaden kann. Ueber die gestrige Sitzung des Politischen Aus schusses verlautet aber immerhin so viel, daß Briand wieder seinen Standpunkt vorgetragen hat, der Prak tisch in dem Bestreben gipfelt, die Politischen Erörte rungen möglichst hinauszuschieben, weil eine Regelung dieser Fragen nach französischer Ansicht eng mit dem Ergebnis der Verhandlungen im finanzpolitischen Aus schuß verbunden ist. Ter deutsche Standpunkt geht bekanntlich dahin, daß wir ein absolutes Recht auf die Räumung haben, und daß sie mit den Finanzfragen gar nichts zu tun hat. Es ist wohl anzunehmen, daß Dir. Stresemann in der gestrigen Sitzung der politischen Kommission diesen Gedankengang erneut zum Ausdruck gebracht hat. Interessant M nun, daß! zunächst eine Zusam menkunft nur der Mächte in Aussicht genommen ist, die an der Besatzung direkt beteiligt sind, d>, h. also England, Frankreich!, Belgien und Deutschland, ohne Italien und Japan. In Berlin wird angenommen, daß diese Beschränkung der Teilnahme ihren Grund einmal Parin hat, daß Italien und Japan an den Einzelfragen doch nicht so direkt interessiert sind, zum andern darin, daß! sich in einem kleineren Kreise im mer leichter Ergebnisse erzielen lassen, als in einem großen. In dieser Besprechung werden die politi schen Fragen durchberaten werden, die mit der Räu mung zusammenhängen. Von deutscher Seite werden zweifellos auch! ganz konkrete Dinge zur Aussprache gestellt werden, wie z. B. nicht nur die Frage des Beginns der Räumung, sondern auch die des Endter mins. In Berliner politischen Kreisen hofft man, daß diese Besprechung der Vertreter der Besatzungs mächte die Verhandlungen bereits so wett fördert, daß die Aufgaben des technischen Komitees dadurch! er heblich erleichtert iverden. direkte verhan-lungen zwischen Zraukretch und England! Wie Havas aus Brüssel meldet, will der Sonderberichterstat ter des „Soir" im Haag, allerdings unter allem Vorbehalt, er fahren haben, daß direkte Verhandlungen zwischen Frankreich und England im Gange seien und daß Briand im Namen Frankreichs ein Opfer hinsichtlich des ungeschützten Annuitätenteils zu bringen bereit sei, das der Hauptforderung Englands entsprechen würde. Briand soll, ehe er sich zu diesem Schritte entschloß, die Zustim mung des Gesamtkabinetts eingeholt haben. Die französische Re gierung soll zu diesem Opfer bereit sein, um die Konferenz zu retten und um mit der Liquidierung des Krieges ein für allemal fertig zu werben. Telegramm Nloc-onai-s an Enow-en Das Telegramm, das der englische Premierminister Macdo- nald an Schatzkanzler Snowden gesandt hat, besagt, daß die Fi nanzkommission einen sehr ernsten Fehler mache, und daß die Aussichten für eine baldige Lösung sofort Schiffbruch leiden müßte, wenn man sich nicht endgültig dazu verstehe, den Bericht der Sachverständigen zu revidieren, um den rechtmäßigen Forde- rungen Englands entgegenzukommen: „Alle Parteien und Grup pen des Landes ohne Ausnahme unterstützen Ohren Standpunkt, ede Zeitung steht hinter Ihnen und alle Parteien im Hause un- «stützen Sie ebenfalls. Ich hoffe sehr erwtlich, daß Ihre Kol legen in der FlnanMnmilion erkennen werden, baß sie die Lage n dem Slnne auszulegen haben, baß die elementarsten Er wägungen des fair play zwischen den ^üigten Länd«n ein« lleberprüsimg gewissen Empfehlungen des Bericht» erfordern. Unsere bisherige Aktion für das Zustandebringen einer neuen Ordnung Europas auf der Grundlage guten Willens beweist, daß wir wünschen, daß die Konferenz Erfolg hat, und zwar sowohl auf politischem wie auf finanziellem Gebiet, aber wir haben die Grenze der ungerechten Lastenverteilung erreicht." Vie Sank von Englan- mischt sich ei« Die Unterredung Montagne Norman-Macdonald Dem »Petit Parisien" wird aus London gemeldet, man erfahre von maßgebender Seite, daß Montague Norman, der Gouvernenr der Bank von England, in seiner vor gestrigen Unterredung mit Macdonald dessen Aufmerksamkeit auf die Nachteile eines Abbruches der Haager Konferenz ge lenkt habe. Dieser Unterredung habe auch der stellvertretende Direktor der Morga n-Bank, Lamont, beigewohnt. Unpathetisches ans -em Haag Keinen Rheinwinter mehr! Die Blätter berichten aus dem Haag folgende interessante Phase des Wortkampfes Stresemann-Briand in der politischen Kommission: Briand beklagte sich darüber, wie schwer die Äe- sahungstruppen unter dem letzten rheinischen Winter gelitten hät ten und daß eine Räumung im Winter für die Truppen klimatisch unzuträglich sei. „Es liegt in Ihrer Hand, den Truppen im Rheinlande einen zweiten Winter zu ersparen," antwortete chm schlagfertig der deutsche Außenminister. Allgemeine Heiterkeit war die Antwort, und der Vorsitzende Henderson klopfte dem neben ihm sitzenden Briand mit einem jovialen Lachen auf die Schulter. Tur Arbeitslosenversickerungs- reform An die Reise des ReichsarbeitSmtnisterS Wissell und des Reichsinnenministers Severing nach dem Haag sind verschiedentlich Kommentare geknüpft wor den, die doch wohl den Tatsachen nicht ganz, entspre chen. ES ist gewiß sein Geheimnis mehr, haß in der Frage der Reform erhebliche Gegensätze bestehen, die auch im Kabinett selbst zum Ausdruck kommen. Es sei nur an die Bchandlung dieser Frage in den letzten Wochen der Reichstagssitzungen vor den Som merserien erinnert, wo nach vergeblichen Bemühungen der Fraktionsvertreter, nicht zuletzt aus den Wunsch der Sozialdemokraten hin, dev Sachverständigenaus- schuß eingesetzt worden war. Bereits in den damali gen Verhandlungen standen sich die beiden Auffassun gen gegenüber, die auch heute zu einer Verständigung noch nicht gebracht werden konnten. Zu bedauern ist es, daß! die Auseinandersetzungen übe« die Vorschläge der Sachverständigen eins sachliche Verständigung nicht gefördert haben. ES verlautete auch, was bis her noch nicht bestätigt wurde, daß wesentliche Anre gungen der Sachverständigen in dem .vom Arbeits ministerium ausgearbeiteten Entwurf nicht übernom men worden sind, und daß de« Streit im Kabinett gerade um diese Frage gcht.^ ES ist jfl noch erinner lich, daß Reichswirtschaftsminister CurttuS gewisser maßen Exponent .derjenigen Richtung war, die eine Aenderung gewisse« gesetzliche« Bestimmungen anstrebt, während sich ReichSarbettsministe« Wifsell in Ueber- einstimmung mit der Mehrheit de« Sozialdemokraten sich gegen eine Einschränkung der BersicherungSleistun- gen durch eine Staffelung entsprechend den Beitrags leistungen des Versicherten sträubt. Lite sozialdemo kratische Presse betont immer wieder, daß man den Sozialdemokraten Forderungen nicht zumuten könne, die ein Arbettervertreter nicht verantworten kann und deutet an, daß die Sozialdemokratie entschlossen ist. alle Konsequenzen zu ziehen. .. Auch durch .solch« Aeußerungen wird die Verständigung nicht gefördert, der ja dock aerad« die Rett« de« beide» Minister noch