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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharaud, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Madtrath daselbst. vierteljährlicher Pränumerationspreis 10 Ngr. — Jnsertionsgebühren für den Raum einer gespaltenen Corpuszeile 8 Pf.— Annahme von Inseraten bis Montag resp. Donnerstag Mittag. — Etwaige Beiträge, welche der Tendenz des Blattes entsprechen, werden mit großem Danke angenommen, nach Befinden honorirt. 35. Dienstag, den 23. Juni 1868. Tagesgeschichte. Wilsdruff. (Verspätet.) Am Sonntag, den 14. Juni, unter nahm der hiesige Turnverein seine erste diesjährige Turnfahrt, bei welcher sich 25 Mitglieder betheiligten. Der Bestimmungsort war Mohorn, woselbst sich seit Kurzem ein Turnverein gebildet hat Um 1 Uhr ging der Zug in Wilsdruff ab und kam glücklick in Mohorn an. Herzlich begrüßt von den Mitgliedern des jungen Vereins, ging der Zug nach "dem Zurnplatz, wo unter Beifallsbezeigungen vieler Einwohner Mohorns wacker geturnt wurde; hierauf gemächliches Bei sammensein im dortigen Hutbause, dann Rückmarsch nach dem Dorfe, von da gings nach dem Landberg, wo bis zum Abend gesungen und gescherzt wurde, von hieraus gings über Borsdorf und Grumbach zurück in die Hcimath. So wäre denn in der Umgegend Wilsdruffs auf dem Lande der Grundstein zum Turnen gelegt. Mochten nur die Gründer dieses jungen Vereins mehr Ausdauer besitzen, wie so manche Andere, die trotz allen ernsten Gelübdes die Vereine verlassen mW zeigen, wie sie so recht dem Strohfeuer ähneln. Möchten aber auch recht bald mehr Ortschaften Mohorn sich zum Musterbild nehmen und der deutschen Turnerei sich anscklicßen. — Im Laufe dieses Jahres soll in Meißen das sächsische Kreis- turncn abgehalten werden. — Künftiges Jahr werden sich die Tur ner der sächsischen Niederelbe in den Mauern von Wilsdruff ver sammeln, um zu zeigen, wie weit die Turnerei in diesem Gau vor- gescbrittcn ist. Wie scköu wäre es aber dann, wenn die fremden Turner den jetzt so praktischen Verein mit noch einmal so viel Mit gliedern vorfänd, als es jetzt sind, denn das der Wilsdruffer Turn verein einer der tüchtigsten des Gaues ist, kann nachgewiesen werden, indem regelmäßig zwei Dritttheile der Mitglieder am Turnen sich bcthciligen. Am 17. Juni baben die Studircndcn der Forstakademic Tha randt das Stiftungsfest der Akademie durch einen festlichen Umzug und Commers gefeiert. Zufolge einer im preußischen „Armee-Verwendungsblatte" be kannt gemachten CabinelSordre des Königs von Preußen ist angeord net worden, daß die im Laufe dieses Jahres das zehnte Dienstjahr beendeten Landwehrleute aus dem Militärdienst mit Jahresschluss entlassen und zum Landsturm übergeführt werden. Die „Drcsdn. Nachr." bemerken dazu: „Die Ausdehnung dieser Maßregel auf die ganze norddeutsche Armee würde namentlich von den sächsischen Land- wehrlcuten mit Freuden begrüßt werden, da diese als Kriegsreservi- sün dem Feldzuge 1866 bcigewohnt haben und bereits mit vollende- achten Dienstjahre ihrer Militärpflicht enthoben gewesen wären, i°enn nicht zu ihrem Nachtheile das neue Mititargesetz rückwirkende ^rast gehabt hätte." Gegenüber dem Treiben der orthodoxen Partei in der evange- uslhen Kirche wird sehr zeitgemäß an eine Stelle des Programms erinnert, das der König Preußens als Prinzrcgent im Jahre 1858 ^Utgesi-llt hat. Der betreffende Passus lautet: „Eine von Preußen der schwierigsten und zugleich zartesten Fragen, die ins Auge gefaßt Werden muß, ist die kirchliche. Zunächst muß zwischen beiden Con sessionen eine möglichste Parität obwalten. In beiden Kirchen muß ^bcr mit allem Ernste den Bestrebungen entgegen getreten werden, die dahin abzielen, die Religion z-.m Deckmantel „politischer Bestre bungen zu machen. In der evangelischen Kirche, wir können es nicht kugnm, ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit ihrer Grundanschau- vnz nicht verträglich ist, und die sofort in ihrem Gefolge Heuchler bat. Diese Orthodoxie ist dem segensreichen Wirken der evangelischen union hinderlich in.den Weg getreten und wir sind daran gewesen, ne zerfallen zu sehen. Die Aufrechthaltung derselben und ihre Wei terbeförderung ist mein fester Wille und Entschluß, mit aller Berück- j sichtigung des confessionellen Standpunktes, wie dies die dahin ein schlagenden Dccrete vorschreiben. Um diese Aufgabe lösen zu können, müssen die Organe zu ihrer Durchführung sorgfältig gewählt und theilweise gewechselt werden. Alle Heuchelei, Scheinheiligkeit, kurzum alles Kirchenwesen als Mittel zu egoistischen Zwecken ist zu entlarven, wo es nur möglich ist. Die wahre Religiösität zeigt sich im ganzen Verhalten des Menschen, dies ist immer ins Auge zu fassen und von äußeren Gefahren und von äußerem Gebühren und Schaustellungen zu unterscheiden." Die norddeutsche Flotte wird mit 10 Millionen Thalern flott gemacht, welche der Reichstag als Anleihe verwilligt hat. Sogar der alte General Moltke, der sonst lieber in sieben Sprachen schweigt ging für die Anleihe und die Flotte ins Zeug. Es sei freilich trau rig, sagte er, daß so ungeheure Summen für militärische Dinge statt für die Aufgaben des Friedens verwendet würden, Deutschland könne aber nicht anders. Wir müssen im Herzen Europas eine Biacht ha ben, die unsern starken Nachbarn den Krieg verbieten kann; eine solche Macht sei ein starkes geeinigtes Deutschland. Unsre Nachbarn wissen recht gut, daß wir sie nicht angrcifen werden, aber sie müssen auch Wissen, daß wir uns nicht angreifen lassen. Dazu brauchen wir eine Armee und eine Flotte. Die Mittel dazu müßten bewilligt werden, Preußen habe 20 Jahre gebraucht, um sein Zündnadelge wehr zu Millionen herzustellen und jetzt sei die Befestigung des Kie ler Hafens und die Stärkung der Flotte unumgänglich.—Andere Abge ordnete machten aufmerksam, Deutschland könne seinen Feinden nicht mit einer paradiesischen Bewaffnung gegenübertreten, die im Feigcn- genblatte und in der Friedenspfeife bestehe. Moltke war von Einzel nen mißverstanden worden; da erhob er sich noch einmal und gab folgende mit Beifall aufgenommene Erklärung ab: „Ich habe nickt gefügt, wir brauchen ein einiges Deutschland, um ein großes Heer und eine große Flotte zu haben, sondern wir brauchen Heer und Flotte, um zu einerEinigung zu gelangen, die dann hoffent lich einmal eine Herabsetzung dieser großen Ausgaben für militärische Bedürfnisse möglich machen wird." Moltkes Rede im Reichstage über das Verhältniß Deutsch lands zu Frankreich geht bei den Politikern in Paris von Hand zu Hand. Sic wissen, daß Moltke kein Polterer und Degenraßler, son dern ein schweigsamer Mann ist, um so mehr macht seine ruhige kühle Erklärung Eindruck: „Unsere Nachbarn wissen recht gut, daß wir Deutsche sie niemals angreifen werden, sie müssen aber auch wissen, daß wir uns nicht angreifen lassen, wir müssen ihnen den Krieg verbieten." Die entthronten Welfen suchen ihr Heil in Frankreich. Mit Frankreichs Hülfe hoffen sie ihr Reich wieder herzustellen und Preußen zu zertrümmern; alle kleinen Biächte in Deutschland sollen sich zu diesem Zwecke mit Frankreich verbinden. Das ist der Inhalt eines Programms, das der Welsenminister Graf Platen geschrieben hat und das bei einem Badegaste in Laudeck in Schlesien von der Polizei consiscirt worden ist. Sv meldet die Nordd. Allg. Ztg. Die Zeiten des ersten Napoleon waren bekannlich eine fortlau fende Reihe von Kriegen. Durch ganz Europa zog die Furie der Schlachten, in der einen Hand das Schwert, in der andern die Brand fackel, und ihr Gefolge bildeten Eontributionen, Plünderungen, uner schwingliche Forderungen von Kriegsbedürfnissen, Verarmung. Und warum ließen sich die mächtigsten Staaten und Völker des Erdtheils nahezu ein Vierteljahrhundert von einem Herrscher mißhandeln? In der Hauptsache deshalb, weil dieser schlau genug war, sie verein zelt, einen Staat nach dem andern anzusallen, die verschiedenen, ver suchten Bünde zweier oder dreier Brächte aber gegen den gewaltigen Kriegsfürften idOO, 1805 und 1806 durch das'Niederwerfen des ei nen Bundesgenossen schon wirkungslos geworden waren, ehe der an-