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Tharandt, Nossen, Sieöentehn und die Umgegenden. Amtsblatt für die Rgl. Amtshauxtmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Zorstrentamt zu Tharandt. Lokalblatt für Wilsdruff, Alttanneberg, Birkenhain, Blankenstein, Braunsdorf, Burkhardtswalde, Groitzsch, Grumbach, Grund bei Mohorn, Helbigsdorf, Herzosgwalde mit Landberg, Huhndorf, Kaufbach, Kesselsdorf, Kleinschönberg, Klipphaufen, Lampersdorf, Limbach, Lotzen, Mohorn, Nunzig, Neukirchen, Neu» tanneberg, Niederwartha, Oberhermsdorf, Pohrsdorf, Rshrsdors bei Wilsdruff, Noitzsch, Nothschönverg mit Perne, Zachsdor' S hmiedewalde, Sora. Steinbach bei Kesselsdorf, Steinbach b. Mohorn, Seeligstadt, Spechtshausen, Taubenheim, Unkersdorf, Weistropp, Wttdberg. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Pon bezogen 1 Mk. 55 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionsvreis 10 Psg. pro viergespaltene Corpuszeile. Dnick und Berlan von Mariin Berger in Wilsdruff. — Veranlwortiich nir die NeüaNwu Marlin Berqer daklbsl. No IS». Donnerstag, Sri, 20. Dezember 1000. 58. Jahrg. ^eldenseelen. W) Roman von B. Riedel-Arens. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Da bcmekte Ruth, als sie die Nadel einfädelte, in der Sophaecke, wo er vorhin gesessen hatte, einen weiß lichen Gegenstand, es schien ein Brief zu seiu, der viel- leicht, als er einmal das Notizbuch aus der Tasche ge zogen, diesem entglitten war: sie staud auf und griff da nach, es war jedoch kein Brief, sondern die Photographie einer herausfordernd hübschen, auffällig gekleideten Dame. Auf der Rückseite stand geschrieben: „Lonny v. Krapps ihrem geliebten L." Das bedeutete jedenfalls „Ludwig", der Vorname des Geheimraths, — aber wer war Lonny v. Krapps? Der Name kam Ruth bekannt vor; richtig, jetzt besann sie sich; das war die rothblonde Schauspielerin, die im Sommer verschiedene Male ihres verstauchten Fußes wegen hergekommen war. Also dieses Mädchen, über das sich Jette so weg werfend geäußert, hatte sie aus seiner Zuneigung ver drängt, gerade die! Und dann kam ein tröstender Ge danke; nein — an eine Heirath mit Lonny v. Krapps würde er nicht denken, das war nur ein vorübergehender Rausch, der ihn gefangen hielt, weiter nichts. Jetzt schlug es schon halb zwölf, zugleich ging die Korridorthür und Vickys energischer kleiner Schritt wurde vernehmbar. Ruth wollte ihr entgegengehen, als sie schon hastig hereintrat, die schwarzen Augen verstört, das feine Gesichtchen roth und erhitzt. Sie warf ihr Sammetbarett unwirsch auf einen Stuhl, setzte sich und stützte den Lockenkopf auf beide Fäustchen. „Ich habe eine furchtbare Entdeckung gemacht." „Bist Du denn allein nach Hause gekommen, Vicky?" „Gott ja, Du weißt doch, daß ich mir daraus nichts mache; zu erbärmlich wäre es doch wohl auch, traute ich mir als künftigen Doktor nicht zu, die paar Straßeu ohne Begleitung zu gehen, Hans traf Oskar und ging mit ihm kneipen. Ach, das ist ja auch alles Wurscht. Ruth, ich habe einen fürchterlich bewegten Tag hinter mir; um meine Stimmung zu begreifen, mußt Du Alles von An fang an hören." , „Du weißt, ich liebe Emil Werkmeister, den Sohn des Hamburger Krösus, der vierzehn eigene Schiffe auf Lem Meere herumschwimmen hat; er liebt mich wieder, rasend, unglaublich, weiß Du — so — so über alles Jr- Lische erhaben, wenigstens manchmal. Wenn ich aus der lateinischen Stunde bei Professor Mende kam, wartete er stets auf mich, wir gingen dann in Petersens Konditorei, wo er mir Chokolade mit Rahnbaisers geben ließ. Ruth, Las war mein Jugendtraum! Ach, es ist köstlich, wenn man liebt, himmlisch, sage ich Dir; Du verstehst davon natürlich nichts, Du Arme. Nun bin ich vorige Woche Zwanzig geworden und habe eingesehen, daß es von jetzt am mit den Träumen und Thorheiten vorbei sein muß." „Aber weshalb denn, Vicky? Mit Deinem Beruf als Arzt läßt sich doch die Liebe sehr gut vereinen." „Nein, das läßt sich eben nicht!" gab Vicky heftig zurück. „Höre also: ich habe mir eine Riesenaufgabe ge stellt, ich will eine Aerztin werden, wie sie im Buche steht. Ein Mensch aber, der ganz in einem erwählten und sehr verantwortlichen Beruf aufgeht, der mit seinem Denken, Schaffen und Handeln ausschließlich nur der leidenden Menschheit gehört, ein solcher Mensch, sage ich, soll das, was er sein will, vollkommen sein, denn Halbheit ist so gut wie nichts, und deshalb darf er nicht heirathen. Sein Beruf muß ihm Alles sein, Alles ersetzen, die Welt für ihn bedeuten, in derer aufgeht. Genug, das ist vorüber und abgelhan; mit der Jugend ist es zu Ende. Und nun kommt die Hauptsache." Hier nahm Vicky eine tragische Miene an. „Meine Ruth, ich weiß jetzt, in wessen Ge sellschaft Papa seine Abende verbringt." Als Ruths Erstaunen, das Vicky nach den pathetisch gesprochenen Worten erwartet hatte, ausblieb, fuhr sie fort: „Du erinnerst Dich gewiß jener gräßlichen Person, der Lonny von Krapps, der rothblonden Schauspielerin mit den grünschillernden Augen, die im Sommer bei uns war." „Ich entsinne mich genau." „Die ist es, Ruth, denke Dir, die ist es, zu der geht Papa hin! Ich bin so entsetzlich aufgeregt, daß mir das Sprechen schwer wird, Ruth; mein Vater, den wir so verehren, der auf solchem Gipfel der Menschheit steht, läßt sich herbei, und geht zu der abgetakelten Brigg! Ach, es ist schrecklich, wenn die Eltern anfangen, ihren Kindern solchen Kummer zu bereiten! Höre also: ich komme vom Theater und schlendere, das Herz in der Brust noch immer total zerrissen, langsam meinen Weg durch die Steiustraße — sie war schon ziemlich menschenleer —, da sehe ich vor einem Hause eine Droschke halten. Gleich darauf tritt aus der Thür ein Paar, sie laut lachend und geräuschvoll, mit jenem eigenthümlichen Tick, woran man gleich die Leute vom Theater erkennt, er schmächtig und mäuschenstill, den breitrandigen Filzhut tief auf die Stirn gedrückt. Die Beiden kommen mir so auffallend bekannt vor — ich bleibe im Schatten stehen — eine fürchterliche Ahnung packt mich, daß mir die Kuiee wanken. Richtig! Der Herr schließt die Hausthür hinter sich ab, die Dame neckt ihn dabei; kurz, sie benehmen sich wie zwei Leute, die auf dem Fuße vertrautester Bekanntschaft stehen. Während sie in die Droschke steigt, legt er zärtlich schützend den Arm um ihre Taille, ruft dein Kutscher zu: „Hösers Hotel," und fort rollt der Wagen die Straße hinab: mich aber durchrieselt es eiskalt — ich stehe ver steinert vor Entsetzen —; es war Papa und Lonny von Krapps." Eine blinde Wuth erfaßte mich; auf, ihnen nach! Ich will hinter der Droschke herrennen, nehme einen mächtigen Anlauf und pralle dabei so wuchtig gegen einen plötzlich aufgetauchten kleinen Herrn, daß er das Gleich gewicht verliert und plattlingS mit lautem Krach auf den Boden zu sitzen kommt. Ein neues Malheur. Endlich höre ich, daß er furchtbar hinter mir her schimpft; Gott sei Dank, denke ich, wer so schimpfen kann, dem thut nichts weh, und gehe, über diesen Punkt beruhigt, meiner Wege. Darüber war ich zum Nachdenken gelangt und sagte mir, daß ich mit dem Verfolgen der Droschke doch nicht das Geringste erreichen würde." — „Also dies ist es wirklich," sagte Ruth gedankenvoll. „Nimm es mir nicht übel, Herz, aber Dich scheint ja die Sache erstaunlich kalt zu lassen. Als ob es Dir vollständig gleichgültig wäre, daß Papa, Dein Verlobter, mit der Schauspielerin im Hotel soupirt!" „Nicht gleichgiltig, Vicky, ich bin nur gefaßt, weil Deine Nachricht mich nicht unvorbereitet trifft; ich wußte schon, daß Dein Vater eine andere liebt." „Das wußtest Du? Woher, wer sagte es Dir?" „Dein Vater selbst," antwortete Ruth tonlos. „Er selbst! Soweit ist die Sache schon gediehen? Das wird ja immer netter, immer räthselhafter; wie in aller Welt kam er denn dazu. Dir das zu erzählen?" „Weil Du es doch erfahren mußt, mag es gleich heute sein, Vicky; unsere Verlobung ist aufgelöst — ich gab ihm sein Wort zurück." Vicky erblaßte bis in die Lippen; einen Augenblick schienen ihr die Worte für ihre leidenschaftlichen Gefühle zu versagen. „Das thatest Du? Ruth, das thatest Du wirklich?" rief sie zornfnnkelnden Blickes. „Du bist im Stande, das so ruhig über Dich ergehen zu lassen? AVer das ist eine Sünde ohne Gleichen!" „Es liegt kein Grund vor, mir zu zürnen, Herz, ich handelte nur im Sinne Deines Vaters und erfüllte seinen, wenn auch unausgesprochenen Wunsch." Sie theilte ihr den ungefähren Inhalt der Unterredung mit. »Ha, jetzt verstehe ich," stieß Vicky, heiser vor Erreg- ung, aus. „Na ja. Du erfülltest seinen Wunsch und hast Dich dadurch einfach bei Seite schieben lassen, wie ein Stück Möbel, für das man keinen Platz mehr übrig hat, das Feld zu räumen!" „Jedenfalls besaß ich zu wenig Gaben und Geschick, Deinen Vater dauernd an mich zu fesseln; die andere verstand es besser," sagte Ruth, bemüht, ihre Fassung zu behaupten. „Allerdings, die andere mit dem bischen äußerlichen Flitterkram verstand es besser, den berühmten Mann in ihre Netze zu locken, als Du, arme, ehrliche Ruth, mit Deinem golbtreuen Herzen!" rief Vicky mit stürmisch her» vorbrechender Heftigkeit. „Und daß muß ich an meinem Vater erleben! Ach Ruth, mir wirbelt mein Kopf! Wie schrecklich ist eS für eine Tochter, auf den Standpunkt zu gelangen, ihren Vater, den sie verehrte, von seiner Höhe herabstürzen zu sehen." „Urtheile nicht zu strenge, Vicky, Dein Vater ist zu beklagen; er selbst nannte es eine dämonische Macht, die ihn umstrickt hält; wir wissen nicht, was in der Seele eines Mannes vorgeht, er mag wohl redlich mit sich ge kämpft haben." Vicky umarmte sie ungestüm. „Oh Du, Du, meine Ruth! Ja, Dich habe ich als meine Mutter anerkannt, Du verdienst den heiligen Namen von uns allen! Aber die Fremde? Nimmermehr! Von der Stunde an, wo sie diese Schwelle betritt, hat mein Vater seine Tochter verloren." „Sollte — sollte es wirklich dahin kommen, dann verdient er nicht Deinen Zorn, sondern unser wärmstes Mitleid." „So weit bin ich noch nicht, so kannst nur Du sprechen," rief Vicky leidenschaftlich. „Bei Dir ist Alles sonnenhell und voll Harmonie, Du verbreitest nichts als Glück und Segen um Dich, ich aber bin noch ganz das werdende, unreife Menschenkind, das nichts besitzt als den ernsten Willen. Ruth, meine Ruth, ich habe Dich unbeschreiblich lieb, wir halten treu zusammen bis zum Tode." Es ließ Vicky keine Ruhe; schon am folgenden Morgen, als der Geheimrath in seinem Arbeitszimmer saß, ging sie zu ihm hinein. „Ich habe etwas auf dem Herzen, das herunter muß, Papa." Er legte sogleich die Feder hin; mit dem Arbeiten ging es doch nicht recht von Statten. „Du hast mit Ruth gebrochen." „Gebrochen? Dieser Ausdruck trifft hier keineswegs zu; hat sie sich bei Dir beklagt?" „Ist ihr nicht eingefallen; ich bin diejenige, welche! Papa, ich habe Dich gestern Abend mit Lonny v. Krapps nach Hösers Hotel fahren sehen, und als ich ihr das er zählte, stimmten wir Beide darin überein, daß die es ist, um derentwillen Du Ruth den Laufpaß giebst." Der Geheimrath zuckte umncrklich zusammen und fand, daß Vicky sich oft allzu unverblümter Redensarten bediente." „Sollte es sich in der That so verhalten," erwiderte er gezwungen würdevoll und seine Brille auf die Stirne schiebend, „würde ich meiner Tochter, doch nicht zugestehen, sich ein abfälliges Urthcil über meine Handlungsweise zu erlauben." „Bitte, Papa, verschanze Dich nicht hinter diese bom bastischen Phrasen, die viel zu abgenutzt sind, um mir im Geringsten zu imponiren. Du bist mein Vater, ich bin Deine Tochter; alles Hal jedoch ein Ende dem erwachsenen