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WvchcMM für Wilsdruff, Tharandt, Nvffcn, Giebenlehn und die Umgegenden. Amtsösatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Dtadtrath daselbst. 13. Freitag, de» 14. Februar 1873. Tagesgcschichte. Dresden, 10. Februar. Die Besserung im Befinden Ihrer Maj. der Königin schreitet in erfreulichster Weise vorwärts, obwohl die gestern am hiesigen Hofe eingetroffene Nachricht von dem erfolg ten Ableben ihrer Stiefschwester, der Kaiserin-Wittwe, Caroline von Oesterreich (81 Jahr alt) die hohe Kranke tief ergriffen hat. Wie das „Dr. Irl." anzeigt, werden von heute an keine Bulletins mehr ausgelegt. — Am königlichen Hofe wird für die verstorbene Kaiserin von Oesterreich (Wittwe des Kaisers Franz) 6 Wochen Trauer ange legt, sodaß die für die Faschingszeit von Ihren Majestäten und den prinzlichen Herrschaften in Aussicht genommenen Festlichkeiten nun mehr ganz ausfallen werden. Am 7. Februar find in der Rcisewitzer Brauerei in Dresden der Monteur und ein Arbeiter mit einem sogenannten Fahrstuhl etwa 70 Ellen heruntcrgestürzt. Der Arbeiter, aus Potschappel gebürtig, ist sofort gestorben, während der Monteur schwer verwundet darnie der liegt. Die Mechanik des Fahrstuhls ist defect gewesen, und wie man erzählt, soll indirect der mit verunglückte Monteur schuld an dem Unglück sein. Am 4. d. M. starb nach kurzem Krankenlager in Freiberg einer der letzten Veteranen des russischen Feldzuges von 1812 (überhaupt der letzte sächs. Offizier aus dieser Zeit), der Obcrstlieutenant Carl v. Wolf (ein Bruder des noch in Großenhain lebenden Amtshaupt- manncS v. Wolf). Als Lieutenant bei den damaligen „Prinz-Johann- Dragonern" war er fast immer, wie überhaupt dieses Regiment, in steter Begleitung Napoleons I. (er erhielt von diesem unter Anderem auch eine goldene Schnupftabaksdose), bis er beim Uebcrgange über die Beresina in russische Gefangenschaft gerieth, woraus er jedoch später durch Auswechslung befreit wurde. Gegend von Freiberg, 9. Februar. In vorletzter Nacht hat sich die 58 Jahr alte Wittwe Scheunpflug in Helbigsdorf in der Wohnstube ihres Schwiegersohnes, des Gutsbesitzers Straßburger mit einem Bardiermesser selbst entleibt, indem sie sich einen Schnitt in den Hals beigebracht hat. Man nimmt an, daß anhaltendes Kranksein die Ursache zu diesem Schritt gewesen sei. Am 3. Februar wurde von der Landgensdarmcrie in Reichenau in der Obcrlausitz ein reisender Handwerksbursche aufgegriffen, Welcher seit 2'/« Monaten als „armer Reisender" fast alle Städtchen und Ortschaften der sächsischen Lausitz heimgesncht hatte. Bei seiner Durchsuchung fanden die Gensdarmen außer diversen Bettelpfennigen und Bettclbrot an'150 Thalern in Doppel-Louisd'ors, Louid'ors, 20-Francs-, 20«Markstücken rc. Das Gewerbe dieses bettelnden Schusters muß ein sehr einträgliches sein, denn außer diesen 150 Thlrn. soll derselbe noch andere 800 Thlr. auf gleiche mysteriöse Weise er worben haben. Mit Erstaunen sahen die bei der Durchsuchung an wesenden Gäste die aus der dürftigen Hülle zu Tage gebrachten Goldmünzen. In vieler Hinsicht interessant und folgenreich war eine der jüngsten Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses. Auf der Tagesordnung stand der Eisenbahn - Etat. Da trat ein Zwischenfall ein. Der Präsident des Hauses erhob sich von seinem Sitz und verlas eine amtliche Zuschrift des Ministerpräsidenten Grafen Roon. Der Minister wies in derselben die bekannten Anklagen LaskerS gegen den Gchcimrath Wagener im Staatsministerium (Er- langung von Coucession durch Gunst und Abtretung derselben gegen Geld) als unbegründet zurück und bckritcltc die Unbefangenheit Las kers, weil dieser Rechtsfreund desselben Bankhauses sei, das mit Wagener um die betreffende Eoncession evucurrirt habe. Das Haus wunderte sich, es wunderte sich aber noch mehr, als Minister Noon sich sofort erhob und erklärte, er nehme seinen Angriff auf Lasker zurück, weil dieser gänzlich unbegründet sei, wie er sich in der Zwischenzeit überzeugt habe. Nun stand Lasker auf und begründete seine Anklage durch amtliche Actenstücke, unverwerfliche Zeugen und Darlegung aller Schliche und Schleichwege, die Wagener zur Erlang ung einer Geldabfindung von 40,000 Thlr. für die Coucession einge schlagen, so schlagend und niederschmetternd, daß Alles athemlos zu hörte. Er schloß seinen Nachweis mit der Erklärung, „den betreff. Beamten (Handelsminister und seinen Räthen) sei nur der eine Vor wurf zu machen, daß sie der Leitung dieser Geschäfte nicht gewachsen und daß sie in das Verderben hinein getaumelt seien." Nochmals ergriff Minister Roon das Wort zu der Erklärung, daß die Anschul digungen Laskers äußerst gravirend und die Einzelheiten ihm neu seien, er würde seinen Brief nicht geschrieben haben, wenn er von diesen Dingen eine Ahnung gehabt; er freue sich, daß das Beamten thum selber nicht angegriffen sei und werde, ehe er verurtheile, den angegriffenen Theil hören. Das ist Wagener, der erste Rath im Staatsministerium, der kurz vorher noch die Aussicht hatte, Vortra gender Rath im Kabinet des Königs zu werden. Lasker deutete un verhohlen an, daß die einzige angebliche Berichtigung seiner Anklagen in der N. A. Z. Wagener selbst zum Verfasser habe und daß selbst das verlesene Schreiben des Ministerpräsidenten von Wagener verfaßt und von Noon in gutem Glauben unterschrieben worden sei. Es war ein dunkles Bild, das Lasker im Abgeordneten-Hause von der Art entworfen hat, wie Concessionen verwerthet, Eisenbahnen gebaut und Gründungen mancherlei Art ins Werk gesetzt worden. Die Wagenerschen Gründungen und einige andere nach dem Urbild von Strousberg verfolgte Lasker an der Hand von Akten und Ur kunden aller Art und mit dein ihm eigenen Scharf- und Spürsinn, der die Lücken ergänzt, in alle Windungen, Schliche und Schlupf winkel hinein. Da giebts Verträge und Scheinverträge, bezahlte und unbezahlte Aktien, Verkäufe und Scheinverkäufe, Durchstechereien rind Rollenwechsel zwischen Direktoren und Verwaltungsräthcn, wirkliche und Scheinactionäre und Finger und Hände so geschickt, schmutzig und klebrig, daß nicht nur Zinsen und Dividenden, sondern auch schöne Summen des Baukapitals an ihnen hängen bleiben und die arglosen Actionäre „hineinfallen", wie der Berliner sagt. Es scheint oft eine höhere Bauernfängerei zu sein und dies Gewerbe wird von Männern mit hochtönenden Namen und Würden betrieben, die als Köder für die zappelnden Fische dienen. Lasker sagt ausdrücklich, früher wollten respektable Bankiers keinen Wechsel von Strousberg nehmen und nichts mit ihm zu thun haben, jetzt sind viele angesehene Häuser selber kleine Strousbergs und überbieten ihn in Schlichen, die zur Umgehung des Gesetzes beitragen und Wucher en Zro8 sind. Man kann's schon glauben, daß diese Dinge den Ministern neu und gänzlich unbekannt und daß sie erschrocken waren, einen der höchsten und einflußreichsten Beamten in diese Gcscbichtcn verwickelt zu sehen, um so energischer werden sie nun gegen die Corruption einschreiten. Gegen Wagener soll die Einleitung einer Untersuchung bereits ange ordnet sein. Merkwürdigerweise spielt ein Registrator im Ministerium eine große und dunkle Nolle in Eisenbahngründungcn, bei denen cs sich um Millionen handelt und sitzt in Direktorien und Vcrwaltungs- räthcn neben Fürsten, Grafen und anderen Machern. Dem an den VundcSrath gelangten Gesetzentwürfe, betreffend den Jnvalidenfond, entnehmen wir noch folgende interessante Angaben: Von den ca. 25,000 Offizieren und Beamten, welche an dem Feld züge in Frankreich Theil genommen haben, sind geblieben resp. in Folge Verwundung gestorben 1445 Offiziere; eine bedeutend größere Anzahl von Offizieren und Beamten — Wohl das Vier- und Mehr fache — verwundet worden, oder schwer erkrankt an Typhus, Ruhr, Pocken, für welche die Möglichkeit des Nachweises ihrer Invalidität vorliegt. Hicuach steht zu den bis October 1872 peusionirten Ofsi- ziren, Aerzten und Beamten noch ein bedeutender Zugang zu erwarten. Außer den oben genannten Offizieren, die durch den Krieg invalide