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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehn und die Umaeqenden. Amtsblatt siir die Königl. Amtöhanptmanuschaft zu Meißen, das Königl. Gerichtsamt und den Stadtrath zu Wilsdruff. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei mal, Dienstags u. Freitag? und kostet pro Quartal I Mark. — Jnseratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittag 18 Uhr. 58. Dienstag, den 24. Juli 1877. Tagesgeschichte. Durch einen kühnen Handstreich haben die Ruffen in der ver flossenen Woche der strategischen Situation ans der Balkanhalbinsel ein anderes Gepräge gegeben. Ohne daß eine grotze Schlacht ge schlagen, ein erfolgreicher Sieg errungen wäre, hat ein kühner Ko- fakenritt, dem allerdings die erforderliche Unterstützung aus dem Fuße folgte, genügt, eine vollständige Umgestaltung in den Aussichten der Kriegführenden herbeizuführen. Wenn nicht in den nächsten Tagen — denn jede Stunde ist jetzt kostbar — gegen die Lindringlinge in Rumili solche Schläge geführt werden, da» der Balkan wieder in unbestrittenen Besitz der Türken gelangt, ist der Feldzug für die Türkei verloren. Im Besitz auch nur eines Balkanpaffes werden die Russen in der Lage sein, im Laufe dieses und des nächsten Mo nats, vor Eintritt der ungünstigen Jahreszeit, genügende Truppen massen jenseits des Balkan zn concentrircn, um damit die Operationen gegen Constantinopel fortsetzen zu können und es wird dann, wenn nicht noch im letzten Augenblicke England und Oesterreich einschreitcn, was allerdings jetzt kaum noch wahrscheinlich erscheint, der Türkei kaum etwas Anderes übrig bleiben, als sich den Frieden dictiren zu lassen — sri es von Rußland im Wege der Separalverständigung, sei es von Europa durch die Beschlüsse einer Consercnz. In diesem Augenblicke wird noch um die Autouvmie des Türkcnreiches gekämpft, nicht in gewaltigem Ringen von Hunderttausenden, sondern nur ver- hälinißmäßig kleinen Ablheilnngen. Aus Saumpjaden haben die Soldaten des General Gurko den Balkan überschritten und versuchen nunmehr, in den Rücken derjenigen türkischen Äbtbeilungen zu ge langen, welche den befestigten Schipka-Paß besetzt haben, um diesen Paß in ihre Gewalt zu bringen und so den Weg nach Stambut für größere Armee zu öffnen. Die Türken haben Alles zusammengerafft, was an Truppen di'ponibcl war, und sich dem Feinde entgegen ge worfen; schon sind die Spitzen der Armee Suleiman Paschas, welche von Montenegro zurückgerufcn ist, in Adrianopel; aber cs scheint, als ob ein böser Unstern über Allem waltet, was die Türkei in diesem Kriege unternimmt, und so ist es auch nicht unwahrscheinlich, daß Suleiman Pascha vielleicht um wenige Stunden zu spät eintrifft, um noch einmal sein Schwert zu Gunsten seines Vaterlandes in die Wagschale zu Wersen. Der Vormarsch der Russen über den Balkan hat in Constan tin op el ungeheuere Ausregung hervor gerufen. Der erste Minister (n. Schwager des Sultans), Mahmud Pascha, der Ruffcnfreund, soll entflohen, Abdul Kerim Pascha, der Oberfeldherr an der Donau, das alte Weib, wie ihn der Ungar Klapka nennt, abgesetzt sein, der Sultan selbst kaum mehr fest aus seinem Divan sitzen. In allen Straßen und aus allen Plätzen müssen die Geistlichen das Berliner Sprüchlein von 1806 predigen: Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht! aber auch das andere: Eilt dem Vaterland zu Hülse! Derweil sind auf der ganzen Linie von Jeni Sagra bis Jamboli Kämpfe zwischen Ruffeit und Türken entbrannt. Die Einschließung der Festung Nustschuk durch die Russen soll nahezu vollendet sein, cs sind vnl Belagerungsgeschütze beigeschlcppt worden. Die zwei türkischen Pascha's, die sich mit der ganzen Besatzung in Nikopolis auf Gnade und Ungnade ergeben haben, scheinen auch, wie ihr Oberfeldherr Abdul Kerim, ihren geheimen Plan gehabt zu haben-, denn es sind dieselben, welche ruhig zujahen, als der ganze russische Brückenpark in den drei Rächten nach dem L7. Juni an den Kanonen von Nikopolis vorüber und unter den Augen der dort ankernden zwei Monitors nach Sistowa geführt wurde. Die Russen können mit ihnen sehr zusrieden sein. Wie die türkische Loller- wirthschafl auf die tapsern und patiiotischen Soldaten wirkt, erfährt man u. a. aus einem Auftritt im russischen Hauptquartier. Kaiser Alexander ließ sich viele türkische Soldaten vorfühlen, die in verletzten Woche gefangen worden waren. Die armen Kerle glaubten offenbar, sie Würden zum Tode geführt, der Kaiser plauderte aber freundlich mit ihnen, indem cr sich eines Dolmetschers bediente. Die Türken antworteten sehr sreimülhig und gestanden, daß sie seit 26 Monaten keinen Heller Sold erhalten hätten. Als der Kaiser fragte, ob sie mit der russischen Kost zusrieden seien, sagten sie, sie hätten cs nie so gut gehabt, und Einer sagte, er sei froh, gefangen genommen zu sein; denn er sei des Hundelebens ohne Sold satt. Als die Ad jutanten ihnen Cigarren reichten, brannten sie sie sofort an den Cigarren im Munde der Offiziere an. Wien, 21. Juli. Telegramm der „Presse" aus Bukarest: Am Dienstag schlugen General Gurko mit der Brigade Leuchtenberg und Fürst Mirsky mit seiner Brigade Neeus Pascha, welcher mit 15 Bataillonen die Stellung der Russen südlich des Balkans durchbrechen wollte. Die Türken erlitten eine vollständige Niederlage. 8 Kanonen, 4 Fahnen, beträchtliche Munitionsvorräthe fielen mit dem türkischen Lager in die Hände der Sieger. Wien, 21. Juli. Nach einem Telegramm der heutigen Morgen blätter aus Orsowa vom gestrigen Tage herrscht in Widdin lebhafte Besorgniß, das die Conimanoanten der im Kanal von Matschin durch Torpedos abgesperrten, nur für kurze Zeit verproviantirtcn türkischen Schiffe »och vor Ende dieses Monats sich gezwungen sehen würden, die Fahrzeuge in den Grund zu bohren, oder dem Feinde aus- zulicfcrn. Eine höchst wichtige Mittheilung kommt aus London. Wie dortige Morgenblätter berichten, hat die Arsenalbehörde in Portsmouth den Befehl erhalten, die Truppeu-Transportschiffe „Crvcodille", „Ma labar" und „Euphrates" zum 25. d. Segclfcrtig zu halten; die Be stimmung der Schiffe ist nicht bekannt. — Der „Daily Telegraph" giebt wiederholt dem Gerüchte Raum, die Regierung sei gewillt, Galli poli zu besetzen. Wie über die Türkei, so ziehen sich über Frankreich die Wolke» drohend zusammen. Eine wüste Ncaction ist von der Regierung ein- gcleitct, nm Alles, was republikanisch heißt, hinwegzuschwemmen. Von 9OPräsecten sind 54 abgesetzt, zur Disposition gestellt oder sonst aus dem Dienst entfernt, von 90 Gcneralsecrctären 38, von 287 Unterpräscclc» 125; im Ganzen also seit dem 16. Mai 217 höhere Beamte abberuscn worden. Nunmehr soll die Reinigung im Ressort des Unlcrichlsministers vor sich gehen, in dem des Justizministcrs ist sie bereits im Gange. Vereine werden geschloffen. Versammlungen untersagt, die Presse geknebelt. Aber die Regierung macht mit diesen Maßregeln nur die Ersahrung, die sich schon so oft bewahr heitet Hai, daß nichts geneigtester ist, eine Opposition zu krästen und zu stählen, als wen man mit GenSdarmen gegen sie vorgeht. Jede neue Willkürmaßregel spornt die Entschlossenen im gegnerischen Lager zu um so größerer Energie an, macht die Schwankenden fest und führt der Opposition neue Freunde aus den zahlreichen Schaaren der jenigen zu, welche an einer politischen Bewegung erst thcilnemen, wenn sie die Faust im Nacken fühlen. Dabei wächst der Zwiespalt im Lager der Coalition; der Bonaparlismus erhebt kühner denn je das Haupt und den Legitimisten ist schon so bange vor dieser Freund schaft, daß die gegenseitige Entfremdung stündlich zunimmt. Falle» aber, wie kaum noch zu bezweifeln, die Wahlen günstig für die Re publikaner aus, so ist Frankreich vor eine Krisis ernstester Art gestellt. Die Aussichten für die nächste Zukunft sind mithin in keiner Bezieh ung rosige zu nennen. Die angesehenste Zeitung in Paris, das llvurnal ckes Vedats hat den Muth, den französischen Machthabern offen heraus zu sagen, daß, wenn sie Frankreich zum Instrument der Jesuiten machen, ein Krieg mit Deutschlaqd unvermeidlich sei. Ein Frankreich, das als blindes Instrument der Jesuiten aus das Losungswort des Vatikans in Rom oder aus das Commaudo von Staatsstreichmachern marschire, müsse dem Frieden zwischen Deutschland und Frankreich ein Ende machen; denn die Jesuiten und ihr Anhang seien die Todfeinde deS deutschen Reiches. Das Journal beruft sich dabei aus die vertrau lichen, aber sehr entschiedenen Erklärungen eines hervorragenden deutschen Parlamentsmanncs und Nechtsgclchrtcn und eines Militärs von hoher Stellung und Capazität. Der Letztere soll zu einem Fran zosen gesagt haben: „Ich sage cs mit Bedauern, wenn Sie sich gegen uns zu Verbündeten einer ultramontane» Reaktion machen und wenn wir nochmals Sieger werden, so würden wir uns berechtigt glauben, unbarmherzig zu sein. Wir würden Frankreich vollständig ruiniren, wir würden cS in die Unmöglichkeit versetzen, uns jemals zu schaden, und dabei sicherlich das übrige Europa aus unserer Seite haben." New-Aork, 21. Juli. Seit mehreren Tagen strikten die Be amten und Maschinisten der Baltimore-Ohiobahn. Der Verkehr der Züge ist völlig eingestellt. Die Bundcslruppcn stellten die Ordnung wieder her. Die Führer des Strike wurden verhaftet. Seit dem Strike hat sich überall eine weit verbreitete allgemeine geheime Ver bindung der Eisenbahnbcamtcn Herausgeslellt. Der Eisenbahnverkehr in Pcnnsylvanicn und Ohio ist gestört, mehrere Regimenter Miliz truppen wurden zum Schutze der Bahnlinien hcrbeigchvlt. Am 20. Juli Abends wurden die Truppen in Baltimore durch eine Volks menge von 5000 Menschen angegriffen und mehrere Soldaten ver wundet. Die Soldaten feuerten, zehn Ausrührer wurden getödtet, dreißig verwundet. Der Pöbel zerstörte den Bahnhos und das Tele- grapheiiburcau. OertlicheS und Sächsisches. Auf den im Jnseratcntheil in heutiger Nummer befindlichen voll ständigen Plan der von dem Alberlvcrein veranstalteten Lotterie zur Vollendung des Pflegerinnen-Asyls nebst Krankenhäusern, verfehlen wir nicht, noch ganz besonders hinzuweisen und denselben besonderer Beachtung zu empfehlen. Wir erwähnen heute eine wichtige Würze der Speisen, nämlich Pasteur's Essig-Essenz, die in neuerer Zeit immer mehr Ver breitung findet und nach ärztlichem Unheil der Gesundheit zuträglicher sein soll, als der sonst käufliche Essig. Jeder Flasche dieser Essenz, für den Preis von 1 Mark in der Löwenapothcke in Wilsdruff zu haben, ist Gebrauchs-Anweisung ncbst Maaßstab bcigcsügt, nach dcrcn