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WMIt für MÄlllss Erscheint wöchentlich zweimal ».zwarDienstags und Freitags. — Abennemcntspreis vierteljährlich 1 Mk., durch die Post bezogen I Vik. 25 Pf. — Einzelne Nummern 10 Pf. TharM Men, Kebenlehn und die UMMdtN. —— Imlsbltül Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionspreis 10 Pf. pro drsigespaltene Corpuszeile. für die Kgl. Amtshauptmannschaft Aleißen, für das Kgl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Kgl. Lorstrentamt zu Tharandt. No. 78. 1 Dienstag, den 30. September 1890. Vekanntinaehung. Der diesjährige hiesige Herbstmarkt wird Donnerstag, den 1«. und Freitag, den 17. Oktober, abgehalten. Wilsdruff, am 22. September 1890. Der Stadtgemeinderath. Ficker, Brgmstr. Noch der Aufhebung des Sozialistengesetzes. Aus einer in den „Mittheilungen für die Vertrauens männer der nationalliberalen Partei" enthaltenen An sprache „Zum 1. Oct ob er" entnehmen wir folgende Be merkungen: Ein dreisaches Ziel ist im Auge zu behalten: Es gilt, den Schutz darzubieten für die friedliche Weiterentwickelung der Gemeinschaft aller staatsfreundlichen Elemente, starke Pfeiler für den Schwachen, an die er sich vertrauensvoll anlehnen kann. ES gilt ebenso sehr, die noch friedlich gesinnten Ar beiter dagegen sicher zu stellen, daß sie der tyrannischen Herr schaft der sozialdemokratischen Führer anheimfallen. Es gilt, die bereits Bethörten immer wieder auf den rechten Weg zurück- zurufm. Keine andere Partei wird von der Sozialdemokratie in gleichem Maße gefürchtet und gehaßt, wie die nationalliberale, — und nichts natürlicher als dies. Es sind die breiten Schichten des bürgerlichen und bäuerlichen Mittelstandes, in denen unsere Partei sichere Wurzel geschlagen hat; wer die Staats- und Erwerbeordnung von Grund aus umstürzen will, muß erst dieses widerstandsfähigste Fundament derselben zerstört haben. Die Sozialdemokratie weiß nur zu wohl, warum sie gerade gegen unsere Partei den erbittersten Kampf führt und dazu jede Bundesgenossenschaft gern erkauft, sei es auch um ein großes Opfer des Jntellccts. Darum aber muß gerade uns die Pflicht erwachsen, dem Eifer ihres Angriffs einen ver doppelten Eifer der Abwehr entgegen zu setzen. Schließen wir vor Allem unsere Reihen so sest, als es geboten! Organisiren wir den Verkehr unserer Parteigenossen durch lebendiges Vereins- Wesen in den Städten, durch regelmäßige persönliche Begegnungen mit den Vertrauensmännern auf dem Lande. All unser Thun gehe aus der Zusammenfassung der nach gleichen Zielen strebenden Kräfte, aus der Organisation hervor, so wird es stets eine zweckmäßige Richtung finden, stets durch das Bewußtsein eines sicheren Rückhalts energischer sich entfalten und bessere Wirkungen erzielen können. Ist dieser Zusammenschluß überall bewerk stelligt, dann aber auch frisch an die Arbeit und alle Mann auf Deck! Jede Rücksicht auf die liebe Bequemlichkeit ist ein Verrath an der hochernsten Aufgabe, vor der wir stehen. Kämpfen wir gegen die Trägheit! Ermüden wir nicht in der Aufklärung! Welcher unheilbare Schaden erwächst dem Wohl ergehen unseres Volkes durch die Fortführung der sozialdemo- tischen Agitation — zuerst dem sicheren Erwerb und der Existenz der „keinen Leute", denen jene Partei eine Vertretung ihrer Interessen vorspiegelt. Ermüden wir nicht, die heuchlerische Methode zu entlarven, mit der sich die Sozialdemokratie in den von ihr noch nickt berührten Arbeiterkreisen einzuschmeicheln sucht! Ermüden wir nicht, ihre wahren revolutionären Ziele zu enthüllen. Kämpfen wir namentlich auch gegen den Geist des Materialismus — die Quelle verblendeter Schlaffheit auf der einen, herausfordernder Frechheit auf der andern Seite. — Scheuen wir nicht zurück, den sozialdemokratischen Ver- sammlungsrcdnern Auge in Auge entgegen zu treten! Unsere Presse, die sich die Bekämpfung der sozialdemokratischen Irr lehren und Unwahrheiten zur besonderen Aufgabe machen wird, muß überall gesteigerte Unterstützung finden. Verbreiten wir gute Schriften zur Belehrung wie zur Unterhaltung! Unserer Organisation selbst muß eine wachsende Opferwilligkeit kräftigend zur Snte stehen. Und fort mit den pessimistischen Anschau ungen, als ob alles Ermahnen und Aufklären nur ein nutz loses Predigen wäre! Sollten wirklich die mit dem Erlöschen des Sozialistengesetzes veränderten Verhältnisse schlechterdings nur dazu angethan sein, zu einem Zusammenstoß der entfesselten Leidenschaft mit den äußersten Machtmitteln des Staates zu führen? Ist es statthaft, das kleinere Uebel darin zu finden, daß der Augenblick des revolutionären Ausbruches je früher, desto besser, herankommt? Ist die Pflicht eines deutschen Bürgers damit erfüllt, daß er sich in der kalten Erwägung gefällt, den Dingen ihren Lauf zu lassen, damit an Stelle des selbstthätigen Volkes wieder die Polizeigewalt eintritt, um den sozialdemokratischen Ansturm abzuwehren?! Kämpfen wir an gegen solche Verzagtheit und Gedankenlosigkeit! Die Erfahrung des 1. Mai hat gelehrt, welche Kraft unser Bürgerthum be sitzt, wenn die Einzelnen zur Wahrung gemeinsamer Interessen entschlossen zusammenstehen. Versuchen wir alle gütlichen Mittel! Aber seien wir, wenn sie erschöpft sind, auch gerüstet! Organisirt sich die Sozialdemokratie, um jeder Zeit frevlerisch in die politische und wirthschaftlichc Thätigkeit der Nation ein greifen zu können, so organisiren wir die Vertheidigung unserer nationalen Monarchie, unseres reichen religiösen, geistigen und Familien-LebenS, unserer sittlichen und Rechtsgüter, des Privat eigenthums des freien Mannes, unserer Staats- und Gesell schaftsordnung. Aus welcher Seite die überlegene Kraft stehen wird, kann nimmermehr zweifelhaft sein. Erforderniß und Voraussetzung des Erfolges ist nur, daß jeder Einzelne sich mit dem ganzen Bewußtsein seiner Pflicht und seiner Verant wortung erfülle! Setzen wir unsern Ruhm und unsere Ehre darein, daß es daran nirgends fehle. Thue Jeder, was sein Gewissen ihm gebietet. So mögen wir getrost der Zukunft entgegengehen. Tagesgeschichte. Zur Arbeiterfrage. — Einige sehr bemerkenswerthe Urtheile zu den schwebenden Arbeiterfragen finden sich in den soeben erschienenen Jahresberichten der Handelskammer zu Essen und Siegen. Von thatsächlichen Feststellungen in dem Essener Bericht ist anzuführen, daß von einem Verlangen nach Ab kürzung der Schicht und nach Verbot der Ueberschichten bei den Bergleuten keine Rede mehr ist. Im Gegentheil würden auf vielen Zechen gern Ueberschichten Verfahren Werden. Die Tendenz der Zechenverwaltungen geht aber dahin, solche über haupt möglichst zu beschränken, um einen Beschwerdefall, mag er berechtigt sein oder nicht, für die Zukunft überhaupt zu vermeiden. So darf der Bericht ferner behaupten, daß das Verlangen nach Einführung von Arbeiterausschüffen, welches im Essener Revier überhaupt nicht aus der Initiative der Arbeiter hervorgegangen war, schon seit Längerem den Gegen stand der Diskussion in Arbeiterversammlungen nicht mehr bildet. Zu den einzelnen Bestimmungen der Gewerbeordnungs novelle haben die Handelskammern der Rheinprovinz ihre Be denken und Wünsche in einer gemeinsamen Darlegung dem Reichstag unterbreitet. Im Speziellen widerspricht die Kammer auf das Entschiedenste dem Verlangen, daß eine zu erlassende Arbeitsordnung vor dem Erlasse den Arbeitern zur Aeußerung vorgelegt werden soll. Weder früher noch in der Arbeiterbe wegung des letzten Jahres sei ein bezügliches Recht der Ar beiter von Arbeiterseite jemals in Anspruch genommen worden. An anderer Stelle wird zu dem § 125 der Gcwerbenovelle das Bedenken geäußert, daß die Festsetzung einer Buße für den Kontraktbruch das Umgekehrte von Dem bewirken werde, was der Arbeitergeber beabsichtigt, wenn es dem Arbeitgeber nicht gestattet sein soll, die vom Arbeiter zu zahlende Buße vom rückständigen Lohn einzuhalten. Bezüglich der rückgängigen Konjunktur des Bergbaues äußert sich der Bericht: „Die Verhältnisse haben sich inzwischen soweit entwickelt, daß die Bergleute froh sein dürften, überhaupt Arbeitsgelegenheit zu haben. Daß unter diesen Umständen eine Reduktion der zur Zeit bezahlten hohen Löhne unausbleiblich sein wird, versteht sich von selbst." Im Uebrigen konstatirt der Bericht, daß, abgesehen von der Bergwerksindustrie, die Arbeiter aller übrigen Industrien des Essener Bezirks geradezu musterhaft sich ver halten haben. Nirgend hat eine Störung des freundlichen Einvernehmens zwischen Arbeitgebern und Arbeitern stattge sunden, und es sei begründete Hoffnung, daß dieses Verhält- niß aufrecht erhalten bleibe, sofern nicht störend in die natür liche Weiterentwickelung eingegriffen wird. Die Kammer be fürwortet eine Bestimmung zu § 134 d der Gewerbeordnung, wonach den minderjährigen Arbeitern der Lohn nicht direkt, sondern an deren Eltern oder Vormünder ausgezahlt, oder bei einer Sparkasse angelegt werden dürfte. Jmgleichen ver pflichtet sie den auf eine Reduktion der vielen Krieger-, Turner-, Schützenfeste rc. rc. gerichteten Bestrebungen bei, womit sie eine Frage berührt, welche hinüberspielt auf die nachfolgenden, sehr treffenden Bemerkungen in dem Bericht der Handels kammer in Siegen: Der Einführung einer kürzeren Arbeits zeit werden sich wohl wenige Industrielle widersetzen, wenn damit eine größere Leistungsfähigkeit in der gleichen Zeit er zielt und eine Vertheuerung der Arbeit vermieden wird. Die» vorausgesetzt, tritt aber sofort die Frage auf, was der Arbeiter in der ihm gegebenen Zeit, welche er doch nicht zu« Schlafen verwenden kann, thun und treiben soll. Bei eine« ordent lichen Manne, insbesondere, wenn er etwas Besitz hat, ist diese Frage ohne Bedeutung, nicht aber bei Denjenigen, die ohnehin zum Wirthshausbesuch geneigt sind, oder bei den jungen Leuten, denen die Häuslichkeit und eigener Besitz ge nügende Anregung zu privater Thätigkeit nicht giebt. Wird hier nicht gleichzeitig in anderer Weise für eine nützliche Aus füllung dieser Zeit gesorgt, so wird die kürzere Arbeitszeit einen nur demoralisirenden Einfluß ausüben. In der Praxi» dürfte die Erziehung der Menschen zu einem guten, nützlichen Gebrauch der überflüssigen Zeit eine sehr schwierige, zu« mindesten aber eine sehr langwierige sein. Die Frage der kürzeren Arbeitszeit hat ihre zwei Seiten, die sehr ernstlich ge prüft werden müssen. Die Frage einer Verschiebung des zum 1. Januar 1891 in Aussicht genommenen Inkrafttretens de« Jn- validitätsversicherungsgesetzes ist neuerdings aufge taucht und zeigt sich speciell die Bielefelder Handelskammer bemüht, eine Agitation zu Gunsten dieser Verschiebung her beizuführen. Die Befürworter des Planes machen als Be weggründe für die geforderte Hinausschiebung der Verwirklichung der Bestimmungen des genannten Gesetzes hauptsächlich die großen Schwierigkeiten geltend, welch« der praktischen Durch führung desselben noch immer entgegenstehen, und hierüber täuscht man sich auch in den leitenden Berliner Kreism nicht. Aber dennoch wird, wie man von unterrichteter Berliner Seite bestimmt versichert, die Reichsregierung in keiner Weise auf die Wünsche betreffs einer Hinausschiebung des Inkrafttretens des Jnvaliditätsvcrsicherungsgksctzes eingehen, schon deshalb nicht, weil bereits die Vorbereitungen zur Ausführung drS Gesetzes zu weit gediehen sind, dann auch aus sachlichen Er wägungen nicht. Falls darum in der weiteren Session des Reichstages ein im Sinne der Wünsche der Bielefelder Handelskammer gehaltener Antrag eingebracht werden sollte, so kann man denselben schon jetzt als aussichtslos betrachten. Der preußische Kriegsmintster v. Verdy du VernoiS hat sich nunmehr entschlossen, von seinem Posten zurückzutreten. Der Entsckluß steht aber mit den bekannten Vorgängen in der Militärkommission des Reichstages in keinerlei Zusammen hang; die damalige Haltung des Ministers hat den vollen Beifall des Kaisers gefunden, und Herr von Verdy steht auch heute noch in voller Gunst bei dem Monarchen. Der Rück tritt des Ministers erklärt sich aus Meinungsverschiedenheiten über einzelne technische Fragen. Herr von Verdy wurde im Frühjahr 1889 nach dem Rücktritt des Generals von Bronsart Kriegsminister. Im Reichstage war er seiner persönlichen Liebenswürdigkeit wegen recht beliebt. Die abgelaufene Woche ist für die Entwickelung der euro päischen, insbesondere aber für unsere sächsische Industrie von größter Bedeutung. Was wie ein Damoklesschwert seit längerer Zeit schon über den Häuptern unserer Industriellen schwebte, es ist zur Thatsache geworden. Mit de« 6. Oktober d. I. tritt die Mac Kinley-Tarifbill in Kraft. Das ist ein harter Schlag für viele deutsche Fabrikanten, und vornehm lich wird die Stadt Chemnitz schwer davon betroffen. Allein es läßt sich dagegen nichts anderes thun, als daß man, wie wir wiederholt hervorgehoben haben, andere Absatzgebiete auf sucht. Vorläufig ist der amerikanische Markt sicher so über füllt, daß selbst der Theil unserer Industrie, welcher noch unter den Zollbestimmungen der Mc. Kinley-Bill nach Amerika liefern kann, zunächst wenig zu thun haben wird, und eS ist deshalb zu befürchten, daß sehr vielen unserer Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein recht trüber Winter bevorsteht. Doch es heißt, den Muth nicht sinken lassen, sondem auf anderen Wegen Ersatz für den Verlust suchen. Mit der Mitternachtsstunde des kommenden 30. Sep tember erlischt das Sozialistengesetz nach zwölfjähriger Geltungsdauer und in den Kreisen der sozialdemokratischen „Genossen" hat man sich gerüstet, dieses bedeutsame Ereigniß möglichst festlich zu begehen. Da bei einer einigermaßen ani-