Volltext Seite (XML)
Wochenblatt für Wbmff Erscheint wöchentlich zweimal u.zwarDienstags und Freitags. — Abonnementsprcis vierteljährlich 1 Mk., durch die Post ' bezogen 1 Alk. 25 Pf. — Einzelne Nummern 10 Pf. ThmM, M«, Ziebtalehn Md die AmMN-kN. —— Imtsblult Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionsvreis 10 Pf. pro dreigespaltene Corpuszeile. für die Kgl. Amtshauxtmannschaft Meißen^ für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Kal. Lorstrentamt zu Tharandt. No. NO. Dienstag, den 11. November 1890. Tagesgeschichte. Die politische Lage in Europa zeigt nach wie vor das beruhigende Bild einer von allen Seiten friedlichen Strömung. Dem Anschein nach ist augenblicklich weniger akuter Zündstoff in der Welt, speziell in Europa, vorhanden als seit langer Zeit behauptet werden konnte. Daß trotzdem die großen Gegensätze, welche seit Jahren eine latente Spannung in Mittel-Europa hervorgerufen, noch bestehen, bedarf keines weiteren Nachweises. Es ist indessen doch ein gutes Zeichen, daß der griechische Ministerwechsel nicht als ein beunruhigendes Symptom aufgefaßt wird. Das Kabinet Trikupis hat in Folge der Wahlen dem Kabinet Delyrnnis weichen müssen und ist damit wieder die mehr kriegslustige Partei aus Ruder gekommen, welche vor etwa 4 Jahren das Land in leichtfer tigster Weise in einen Krieg mit der Türkei treiben wollte und erst einem durch Flottendemonstrationen verstärkten Druck der Großmächte wich. Vorläufig hat der neue Ministerprä sident sehr beruhigende Erklärungen über seine Absichten ab gegeben. Dem Besuche des Königs der Belgier am Kaiserlichen Hofe in Berlin ist rasch ein zweiter gefolgt, der ebenfalls besonderes Interesse erweckt, wenngleich demselben ein familiärer Charakter beiwohnt. Seit Anfang voriger Woche weilen Kronprinz Konstantin von Griechenland und sein- hohe Ge mahlin, Prinzessin Sophie, in Berlin unter vem Dache des elterlichen Hauses der letzteren. Vor kaum Jahresfrist zog die jugendliche Kaisertockter als Braut hinaus in die Fremde, um sich mit dem Manne ihrer Wahl zu verbinden — als glückliche Gattin und Mutter ist sie nunmehr zurückgekehrt, um die Heimath wiederzusehen und mit ihrem hohen Gemahl der demnächst stattfindenden Hochzeit der Schwester beizu wohnen, froh begrüßt von den hohen Verwandten und der Be völkerung ihrer Vaterstadt. Die Eröffnung des preußischen Landtags wird am 12. durch S-, Majestät den Kaiser in Person erfolgen, über die Eröffnung des Reichstages schwanken die Ansichten. Die sogenannte Arbeiterschutzkommission desselben hat am 4. d. M. ihre mühevolle Arbeit wieder begonnen. — Zur sachgemäßen Prüfung aller auf die Kolonien bezüglichen Fragen ist die Bildung eines Kolonienraths angcordnet worden, dessen Einberufung man in allernächster Zeit erwartet, um gemeinsam mit der Kolonialabtheilung des Auswärtigen Amtes die dem Reichstage zu machenden Vorlagen durchzu- berathen. Major v. Wißmann kehrt in den nächsten Tagen auf seinen Posten als Gouverneur von Ostafrika zurück und verbleibt auf diesem zunächst bis zum 1. April 1891. lieber seine spätere Verwendung scheint noch nichts entschieden — jedenfalls wird eine direkte Unterstellung unter einem zu künftigen Civilgouverneur nicht wahrscheinlich sein. Der bekannte Hofprediger Dr. Stöcker in Berlin hat als solcher sein Entlassungsgesuch eingereicht. Es heißt, Herr Stöcker sei zu diesem Schritte durch verschiedene ihm in letzter Ze t widerfahrene Zurücksetzungen bestimmt worden. Wohnhäuser für Arbeiter in ReichSbetrieben. Dem Ver nehmen nach werden auch im Reichshaushaltsetat für 1891/92 einige Positionen zur Errichtung von Wohnhäusern für in den Rcichsverwaltungsdetriebcn beschäftigte Arbeiter ausgeworfen sein. Unter Anderem soll zu diesem Zwecke eine beträchtliche Summe in den Marineetat eingestellt sein, um solche Wohn häuser in Friedrichsort am Eingang des Kieler Hafens er bauen zu können. Von allen Seiten wird der BundeSrath mit Petitionen um Aushebung der Vieh sperre überschüttet, da die Schuld an den theuren Fleischpreisen ihr beigemessen wird. Der preußische Landwirthschastsminister Lucius will aber von ihrer Beseitigung nichts wissen, trotzdem die Stimmung der übrigen Minister dafür sein soll. Diese Meinungsverschie denheit wird als Grund der jetzt auftauchenden Lucius-Krise angegeben. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der Mi nister isolirt stehen wird, wo wichtigere Interessen der bun desstaatlichen Eintracht in Frage kommen. Die preußische Re gierung wird es wohl nicht darauf ankommen lassen, der Mei nung eines ihrer Minister zu Liebe die Wünsche der Bundes staaten, die bei dem Bundesrathe den Antrag auf Aufhebung der Viehsperre stellten, abzuweisen. Für Sachsen und die süldeulschen Staaten ist die Aufhebung geradezu eine Lebens frage, das Volk dränge nach billigeren Fleischpreisen und diese können nur durch Aufhebung der Viehsperre herbeigesührt werten. Die Zukunft der Sozialdemokratie. — Die kvrsiervaüve"Wochenschrift „Die Grenzboten" hatte bereits vor einiger Zeit einer Abhandlung Raum gegeben, in welcher d r Verfasser die Ansicht vertrat, daß die Sozialdemokratie in dem selben Maße an revolutionärer Kraft cinbüßen müsse, in welchem sie an Ausdehnung gewinne. Zu einem ähnlichen Erzebniß gelangt der Verfasser eines in der neuesten Nummer der genannten Zeitschrift veröffentlichten Aufsatzes über den sozialdemokratischen Parteitag in Halle a. S. Dersebe schreibt u. A.: „Es ist zu hoffen, daß die Bedeutung des Um schwunges, der sich innerhalb der Sozialdemokratie hinsichtlich ihrer Kampfesweise und ihrer Stellung zum heutigen Staate vollzogen hat, von Allen denen begriffen werde, die auf dem Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung stehen, und daß diese Erkenntniß zu einer ehrlichen Probe führen werde, ob nicht die Sozialdemokratie schon jetzt geeignet sei zu praktischer Mitarbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung. Lasse man sich nicht beirren durch den Wust unreifer Zu kunftsideen: er kann uns zwar im ersten Augenblick abschrecken, aber doch schließlich nicht die Erkenntniß der entscheidenden Thatsache verhindern, daß die Partei sich selbst zu dieser Probe erbietet, daß sie die allmählige Entwickelung der Ver nichtung alles Bestehenden vorzieht. Wird der Versuch gemacht, dann müßte es wunderbar zugehen, wenn nicht die Sozialde mokratie entweder mehr und mehr im Drange der alltäglichen Geschäfte die Zukunftsträums vergäße, oder, falls sie doch nicht zu träumen unterlassen könnte, das Vertrauen der großen Masse von einfachen, aber im Grunde verständig denkenden Männern verlöre, denen allein, wie sie dies selbst am besten weiß, sie ihre Stellung verdankt. Nicht zum geringsten Theile sind wir, die Gebildeten, dafür verantwortlich, wie sich die Zukunft gestalten, und ob der Zustand dauern wird, der vom Standpunkte unbelehrbarer Revolutionäre aus die „Ver sumpfung" der sozialdemokratischen Partei genannt wird, den aber alle, die den Frieden, die Ordnung und ihr Vaterland lieben, immer deutlicher als das erkennen werden, was er in Wahrheit ist; als einen bedeutsamen Fortschritt zum sozialen Frieden." Der Reichskanzler von Caprivi ist in München mit Auszeichnung empfangen und von der bayrischen Presse sehr sympathisch begrüßt worden. Am Sonnabend ist derselbe in Mailand eingetroffen. Ganz Italien heißt den ersten Beamten des Freundes und Verbündeten seines Königs auf das Herzlichste willkommen. Es w iß dis hervorragenden Eigenschaften des Reichskanzlers, die er trotz der Kürze seiner bisherigen Amtsführung schon genügend an den Tag gelegt hat, vollauf zu würdigen. In dem Akte der Höflichkeit, welchen die Begegnung des Reichskanzlers mit dem Minister präsidenten Crispi zunächn darstellt, drückt sich gleichzeitig eine politische Jvee aus, welche, wie die „Riforma" sagt, von allen Italienern, die Anhänger einer systematischen Opposition ausgenommen, entsprechend geschützt werden wird. Monza. Der deutsche Reichskanzler von Caprivi und Ministerpräsident Crispi wurden bei ihrer Ankunft vom Obercere- monisnmeister empfangen. Die beiden Staatsmänner trugen Civilkleider ohne Orden, da sowohl der Empfang als das Diner privaten Charakter haben. In drei Hofwagen erfolgte die Fahrt vom Bahnhof zu der königlichen Villa. Die Volks menge grüßte achtungsvoll. Im Königssaale empfing der König Caprivi und Crispi. Er zog sodann Caprivi in's Gespräch und überreichte ihm persönlich den Annunziaten- Orden. Vor dem Diner hatte General v. Caprivi eine längere Unterredung mit dem Könige; hierauf stellte die Königin dem Reichskanzler den Herzog und die Herzogin von Genua vor. Um 10 Uhr reisten der General v. Caprivi und der Minister präsident Crispi nach Mailand zurück. Herr v. Caprivi und Herr Crispi begaben sich gegen 10 Uhr vom Hotel Ca vour in einem Wagen gemeinsam nach dem Bahnhofe, wo selbst sich beide Staatsmänner auf das Herzlichste von ein ander verabschiedeten. Die auf dem Bahnhofe anwesende zahlreiche Menschenmenge begrüßte den Reichskanzler wieder holt mit lebhaften Hochrufen. Auf seiner Rückreise empfing der Reichskanzler auf dem Bahnhof zu Como eine sehr herz licht Bcgrüßungsdepesche von Crispi. Johann Orth. — Die letzten über Johann Orth eingetroffenen Nachrichten lauten wieder günstiger für die An nahme, daß derselbe doch noch zu den Lebenden gehört. In Wien verlautet, daß Johann Orth nach Ablegung des erz- herzoglichen Ranges in London mit einer bürgerlichen Dame aus Wien sich vermählte. Dieselbe sei vor ihm nach Süd amerika gegangen und erwarte Orth, um sich dann gemein sam mit ihm einzuschiffen. Orth's früherer Kapitän Loditsch war wegen einer Erkrankung, die ihn in Südamerika befallen, nach Europa zurückgekehrt und hält sich gegenwärtig in Fiume auf. Derselbe erklärt der „N. Fr. Pr." zufolge Orth nicht für verloren. Die „Santa Margaretha" sei einer der besten Segler der österreichischen Handelsflotte und besitze 26 tüchtige Seeleute. Die Dame, mit welcher Johann Orth sich ver mählt habe, soll nach den Berichten verschiedener Blätter Fräulein Ludmilla Stubel sein, eine Schwester der bekannten Schauspielerinnen Jenny und Lori Stubel. Nach dem „N. W. Tgbl." dürfte sich, falls in den nächsten Tagen nicht be stimmte Nachrichten eintreffen, einer der Angehörigen des vor maligen Erzherzogs Johann, entweder dessen Bruder, Erz herzog Ludwig Salvator, oder dessen Neffe, der Schiffsfähn rich Erzherzog Leopold Ferdinand, nach Südamerika begeben, um von Buenos-Ayres aus persönlich die Spuren des Ver mißten zu verfolgen. Paris. Die Anordnung des Kriegsministers, daß die französischen Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten alle von Ausländern gehaltenen Wirthshäuser zu meiden haben und daß die Offiziere keine Dienstboten fremder Nationalität mehr hal ten sollen, hat in der Armee, namentlich im Offizierscorps, die Mißstimmung gegen den bürgerlichen Kriegsminister er höht. Man hält es für einen zu weit gehenden Eingriff in die persönliche Freiheit, wenn Wirtshäuser untersagt werden, in denen man anerkanntermaßen am besten bedient wird, und wenn man sich die Annehmlichkeit, bessere Dienstboten zu hal ten, von Regierungswegen verbieten lassen soll. Man sollte allerdings meinen, die Bildung und der Patriotismus eines französischen Offiziers seien Bürgschaft genug dafür, daß er seinen Dienstboten keinen Einblick in Staatsgeheimnisse gewährt. Die Arbeiterbewegung spitzt sich in London mehr und mehr zu. Die Macht der, alle anderen Arbeiter und die Rheder terrorisirenden Gewerkvereine der Dockarbeiter ist eine für erstere so bedrohliche geworden, daß es wahrscheinlich zu einem äußerst hartnäckigen Kampfe zwischen den betheiligten Gruppen kommen wird. Eine Sperre der Schifffahrt in den Londoner Docks ist in nahe Aussicht gerückt. Vaterländisches. Wilsdruff. Heute Abend findet im Gewerbeverein (Hotel Löwe) ein interessanter Vortrag über „Die Erziehung der Jugend zur Sittlichkeit" von Herrn Schuldirektor Gerhardt statt. Das Thema ist anscheinend ein trockenes und doch enthält dieses schon drei inhaltsschwere Worte: Erziehung, Jugend, Sittlichkeit. Von einem so vorzüglichen Pädagog, wie der verehrte Herr Schuldirektor ist, werden die Hörer be züglich der Erziehung der Jugend auf vielfach gänzlich unbe kannte Wege geführt werden und cs dem verehrten Herrn Redner hoffentlich durch recht zahlreichen Besuch Dank wissen, daß er ihnen ein so guter Berather war. — Der Schulvorstand von Löbtau hat in seiner letzten Sitzung beschlossen, das Schulgeld für die einfache Volksschule auf 15 Pfg. wöchentlich für jedes Kind herabzusetzen, außer dem soll jedes dritte und weitere schulpflichtige Kind aus einer Familie von dem Zahlen des Schulgeldes befreit sein. Diese Einrichtung erhält rückwirkende Kraft bis zum 1. April d. I. — Dem „Vaterland" wird aus der Chemnitzer Ar- beiterwclt geschrieben: In der Mehrzahl der hiesigen Maschinen fabriken finden Entlassungen von Arbeitern statt; daß dieselben bisher nicht einen größeren Umfang angenommen, verdankt «an dem Umstanse, baß die Beschäftigung der einzelnen Fabriken eine sehr mannichfaltige ist. Wo ein Zweig zum Erliegen kommt, kann wenigstens die Beschäftigung in den anderen Zweigen aufrecht erhalten werden. Am meisten leidet augen blicklich wohl der Webstuhlbau, umgekehrt erfreut sich jetzt der Locomotivenbau in der sächsischen Maschinenfabrik besonderer Blüthe. Ehe man zu weiteren Arbeiterentlassungen schreitet, wird man zunächst die Arbeitszeit noch weiter beschränken. Schon jetzt lassen einzelne Fabriken nur von 8 Uhr ab bez. bis um 5 Uhr arbeiten. Damit ist der achtstündige Arbeits tag emg führt, den die Sozialdemokraten angeblich im Namen der Arbeiter am 1. Mai so stürmisch verlangten. Aber jetzt stellt sich auch heraus, daß es nicht die Arbeiter sind, die den Achtstundenarbeitstag begehren. Die Klage über die Abkürzung der Arbeitszeit ist allgemein, und sie gilt, was wohl zu be achten ist, nicht blos dem in Folge davon geschmälerten Ver dienst, sondern auch dem Wenigerbeschäftigtsein an sich, dessen schlimme, vielfach demoralisirende Wirkungen gerade die besten Arbeiter recht gut erkennen. Daß übrigens nicht etwa die Mac Kinley-Bill, wie man vielfach behauptet und namentlich von Seiten der Sozialdemokratie gern glauben machen möchte, der nächste, geschweige denn alleinige Grund der jetzt einge- tretenen Arbeitsstockung ist, beweist die Thatsache, »aß Auf träge aus Amerika gerade in der letzten Zeit wieder mehrfach eingegangen sind. Nicht bloß Strümpfe, sondern auch Web- waaren werden nach wie vor begehrt. Deshalb denkt auch hier Niemand daran, die Fabriken nach den Vereinigten Staaten, zu verlegen, und ein Versuch dieser Art, der, irren wir nicht