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ThmM. Mn, Sikbknlchn md die UMMn. ImlsblM für die Agl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Ltadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstrentamt zu Tharandt Erscheint wöchentlich dreimal u. zwar Dienst tags, Donnerstag und Sonnabends. Bezugspreis viertel), s Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen s Mk.55pf. Einzelne Nummern so Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs »Md freitags bis spätesten» Mittag» ^2 Uhr angenommen. Insertionspreis sO pf. pro dreige» spaltens Lorpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H. A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. No. 14. SounabeuS, den 1. Februar 189« Die gesetzliche Wahlpflicht. Die Thatsache, daß bei politischen Wahlen, namentlich bei Reichstagswahlen, unter den bürgerlichen Parteien im Allgemeinen eine weit größere Lässigkeit und Zurückhaltung herrscht, als in den Reihen der Sozialdemokratie, und daß letztere diesem Um- stande wesentlich mit ihre bisherigen Erfolge bei den Reichs tagswahlen verdankt, hat schon früher wiederholt Anregungen zur Einführung eines indirekten Wahlzwanges hervorgerufeu. Auch jetzt liegt wiederum ein derartiger Vorschlag vor, welcher von dem ehemaligen preußischen Minister des Innern, Herrn Herrfurth, ausgeht. Herr Herrfurth will, um den Kern seines Vorschlages auf Einführung der gesetzlichen Wahlpflicht heraus zugreifen, das Nichterscheinen eines Reichstagswählers im Wahl lokal bei ungenügender oder gar keiner Entschuldigung bestraft wissen. Die Strafe soll in einer Geldstrafe von 60 Mark, welche unter Umständen bis auf drei Mark herabgesetzt werden kann, bestehen. Die Strafsumms soll durch den Wahivorstand festgesetzt werden, ihre Einziehung derselben im Verwaltungs- Verfahren erfolgen. Schließlich wird vorgeschlagen, die Namen der Bestraften in „ortsüblicher Weise" bekannt zu machen und die Kosten dieser Veröffentlichungen aus den Strafbeträgen zu decken. Herr Herrfurth selber will nun alleroings seinen Vorschlag keineswegs als ein unfehlbares Allheilmittel zur Beseitigung an erkannter Schwächen und Mißbildungen des jetzigen Reichstagö- wahlsystems betrachtet wissen, wie aus der Begründung der von ihm gegebenen Anregung hervorgeht. Aber er meint, die gesetzliche Wahlpflicht würde immerhin wenigstens den einen praktischen Erfolg einer durchschnittlichen Vermehrung der Stimmenzahl bei Reichstagswahlen um etwa 25 Prozent haben. Er bezeichnet es dann weiter als sehr wahrscheinlich, daß die Stimmen der mobil gemachten lässigen Wähler überwiegend den bürgerlichen Parteien zu Gute kommen würden und daß °>s° auf solche Weise eine Zurückdrängung der Sozialdemokratie kkwartet werden dürfe. In der Tkat kann man Herrn Herrfurth m der Meinung. beipfl:chten, daß der größere Theil jener Wählermaffen, die bisher konsequent der Wahlurne fern ge blieben sind, zweifellos zu den Gegnern der Sozialdemokratie herechnet werden dürfen, und es ist daher weiter anzunehmen, daß die Abgabe ihrer Stimmen viele Reichötagswahlkreise, deren Mandate sich jetzt in sozialdemokratischen Händen befinden, den bürgerlichen Parteien zurückgewinnen würden. Trotzdem erregt aber die von Herrn Herrfurth vorgeschlagene Einführung des gesetzlichen Wahlzwanges schwere Bedenken, ganz abgesehen davon, daß der Herrfurth'sche Vorschlag ja gor nicht die direkte Wahlpflicht, sondern nur den Zwang zum Erscheinen im Wahl lokal vorschreibt. Die praküsche Durchführung des Gedankens würde sich deshalb hauptsächlich sehr schwierig gestalten, weil die vorgeschlagene Maßregel in vielen Fällen eine große Be lästigung zahlreicher Staatsbürger und weiter eine unabsehbare Menge von Streitigkeiten mit den Behörden sowie von offen kundigen Verletzungen des Gesetzes bewirken würde. Man denke doch nur, wie besonders in großen Städten der gesetzliche Wahlzwang eine gewaltige Anzahl von Strafmandaten nach sich ziehen müßte, welche Unsummen von Belästigungen und ge richtlichen Streitigkeiten, aber auch von Groll,und Unmuth würde sich alsdann hieraus ergeben! Ferner würde auch die Feststellung dessen, was als eine genügende oder eine ungenügende Entschuldigung des Wählers zu betrachten sei, gewiß eine Fülle weiterer Schwierigkeiten und Umständlichkeiten verursachen, was z. B. von der Frage der Controllirung der Entschuldigungen zu gelten hätte. Schließlich würde bei Stichwahlen die gesetzliche Wahlpflicht schwerlich ihre Wirkungen im Sinne Herrfurths äußern, denn wo die Sozial demokratie in solchen engeren Entscheidungen siegt, da pflegt dieser Sieg fast immer auf der gegenseitigen Verfeindung der übrigen Parteien zu beruhen. Jedenfalls kann es wohl als ausgeschlossen gelten, daß der Herrfurth'sche Vorschlag eines ge setzlichen Wahlzwanges bei der Regierung oder bei einer Partei ernstlichere Beachtung findet, andernfalls müßte er wenigstens die materielle Ausübung des Wahlrechtes selber foroern. Tagesgeschichte. Kaiser Wilhelm über die politische Situation in Deut sch lau d. Das „Berliner Tageblatt" schreibt unter diesem Titel an leitender Stelle: Von sehr geschätzter Seite wird uns Folgendes geschrieben, das ^ns, obwohl wir nicht in der Lage sind, seine Authenticität zu verbürgen, doch wichtig und inte ressant genug erscheint, um es unseren Lesern nicht vorzuent- halten: Die 25jährige Jubelfeier des Deutschen Reiches hat naturgemäß in unseren maßgebenden Kreisen zu mannigfachen hochpolitischen Gedankenaustausch Anlaß gegeben, und Allen vor- an >st cs der Kaiser, welcher derartige Erörterungen liebt und chnen Bedeutung zu verleihen weiß. So wird versichert, daß Seine Majestät sich unlängst über die politische Situation in Deutschland derart geäußert habe, daß jede frühe re Kundgebung hinter der Bedeutung dieser letzten weit zurückbleibe.. Der Kaiser, berichtet man, hörte freundlich und geduldig die etwas weit schweifigen Ausführungen eines gelehrten alten Herrn an, der den Uebergang zu einem rein parlamentarischen System als bestes Heilmittel gegen alle staatsverneinenden Bestrebungen empfahl. „Was wollen Sie," versetzte Majestät lebhaft, „soll ich etwas thun, was ich meiner innersten Ueberzeugung nach für verkehrt halte? Und mehr noch. Soll ich etwas in Scene setzen, wozu mich die politische Lage durchaus nicht auffordert? Das wäre eine sehr unphilosophische Politik! Unsere Parla mente haben Majoritäten, aber keine Majorität — mit wem soll man do regieren? Ich hoffe, daß ich wirklich kein unbe scheidener Mensch bin; ich lasse mir ganz gern von einer Ver sammlung von tüchtigen Köpfen imponiren. Aber soll ich zum Jmponiren auffordern? Mein Volk benutze seine verfassungs mäßigen Rechte, es räume mit der unseligen Parteizersplitterung aus und scheide politisch die Ganzen von den Halben ! Kommt dabei auch etwas heraus, was mir persönlich noch so sehr gegen den Strich geht, so werde ich doch der Erste sein, der die Achtung vor der Verfassung in Ehren hält. Ich werde häufig verkannt, obwohl ich meine Gedanken durchaus nicht verschleiere. Ich erfülle meine mir von Gott verliehene hohe Mission nach bestem Willen und Ermessen und denke nicht daran, meine An schauungen irgend Jemand aufzunöthigen. Sofern die Gesetze nicht verletzt werden, mag Jeder seinen „Pantoffel" schwingen, wie er Lust hat! Wo meine Kräfte bei der Leitung unserer politischen Geschicke nicht ausreichen, bin ich Gott für Das, was geschieht, nicht mehr verantwortlich. Unser Volk hat den Be weis kriegerischer Mündigkeit so herrlich erbracht — mein Groß vater hat da den unvergleichlichen Ererziermeister abgegeben. Der politische Exerziermeister hingegen ist die Verfassung, die kommandirt immer zuletzt, nicht ein Einzelwive; und die po litische Situation ist heutzutage stets das Werk des ganzen Volkes, nicht das eines einzigen Mannes. Wenn Sie wüßten, wie ich die Katzbuckler jeder Art verabscheue! Männer erfordert die Zeit, rückgratfeste, überzeugungstreue Männer! Wo ist eine Majorität von solchen? Zeigen Sie sie mir, damit ich ihnen meinen kaiserlichen Gruß entbiete. Wollte Gott, daß das zweite Vierteljahrhundert eine Scheidung der politischen Geister herauf führe, eine Majorität, weiche das Gesammtintereffe des Volkes über jedes Svnderintcresse stellt. Nur in solcher Wandlung sehe ich die Bürgschaft für eine gesunde innerpolitische Ent wickelung, die uns auch nach außen stark erhält." Berlin, 30. Januar. Der „Reichsanzeiger" schreibt: Das Kriegsministerium hat in Verbindung mit der physikalisch- technischen Reichsanstalt über die Verwendung der Röntgenschen Erfindung für kciegschirurgische Zwecke Versuche angestellt. Eine Reihe photographischer Aufnahmen gab ein deutliches Bild der stattgehabten Knochenverletzungen und ließ den Sitz eines stecken gebliebenen Projektils mit Sicherheit erkennen. Die Versuche werden in größerem Maßstabe fortgesetzt. Der Reichstag setzte am Dienstag seine Berathungen nach mehrtägiger Ruhepause wieder fort. Die gesammte Sitzung wurde durch die Weiterberathung des Etats des Reichsamtes des Inneren ausgcfüllt, trotzdem konnte letzterer noch nicht zur Erledigung gebracht werden. Größtentheils wurde wiederum, wie schon in der letzten Sitzung, über die Reform des Alters- und JnvaliditätsversicherungsgefetzeS debattirt, wozu der Antrag Auer uu» Herabsetzung der Altersgrenze für den Bezug der Altersrente auf das 60. Lebensjahr und der mehrtheilige An trag Hitze — Vereinfachung des Verfahrens, Einbeziehung der Wittwen- und Waisenfürsorge u. s. w. — den Anlaß gegeben hatten. Es sprachen zu diesem Vortrag die Abgeordneten von Staudy (cons.), Pachnicke (freis. Vereinig.), Dr. Enneccerus (nat.-lib.), Gras Roon (cons.), Singer (soz.-dem.), v. Stumm (fceicons.), Stadthagen (soz.), Dr. Hitze (Centr.), regierungs seitig wurde durch Dr. Bötticher wiederholt in die Debatte ein gegriffen. Im Allgemeinen wurde hierbei von fast allen Seiten der Unzufriedenheit mit dem burcaukratischen Charakter des Alters- und Jnvaliditätverstcherungsgesetzes Ausdruck verliehen und namentlich das Markenkleben und das Beweisverfahren verur- theilt. Die Diskussion endete nach Ablehnung des Antrages Auer mit einstimmiger Annahme des Antrages Hitze. Fast de battelos genehmigte dann das Haus den Titel: „Zur Ueber- wachung des Auswanderungswesens", und nahm schließlich noch den Titel „Commission Mr Arbeiterstatistik" an. In der De batte über letztere Position brachten die sozialdemokratischen Ab geordneten Bebel und Wolkenduhr Beschwerden über verschiedene Mißstände im Bäckcreigewerbc vor. Staatssekretär Dr. von Bötticher entgegnete durch einen Hinweis auf die Bundesraths- vcrordnung vom 16. Dezember 1894 zur Beseitigung aner kannter Mißstände im Bäckerei-Gewerbe. Am Mittwoch be schäftigte sich der Reichstag mit Initiativanträgen aus dem Hause. In der Sitzung des Reichstages vom --0. Januar äußerte sich der Generalpostmeister Dr. v. Stephan u. A. folgender maßen: „Vor Kurzem fiel eS einem müssigen Kopf rin, in die Zeitungen die völlig aus der Luft gegriffene Nachricht zu setzen, die Post beschäftige sich mit dem Problem, wie sie im Jahre 1900 die Marken stempeln werde. (Heitertest.) Bekanntlich stempeln wir blos mit den Zehnern -und Einern, also jetzt mit 96, um Raum zu sparen. Man grämt sich nun, was wird die Post 1900 machen, die beiden Ni'Men zum Stempeln ver wenden? Das ist eine sehr einsame Sache; aber es vergeht kein Tag, an dem wir nicht nst Vorschlägen förmlich über schüttet werden; es liegen Hunderte und Aberhunderte vor. Die meisten „Erfinder" Wcken ihre Vorschläge in eingeschriebenen Briefen; das freut mich, denn das bringt wenigstens der Post kasse mehr Portv ein. Die Prämienforderungen für die „Er findung" schwersten zwischen 20 und — 10 000 M. (Hört! Hört!) Diese Stempel-Bagatelle verursacht uns eine Unmasse von Korrespondenzen. Wir haben wahrlich schon genug zu thun; jeder Tag hat seine eigene Sorge; wir brauchen noch nicht an das Jahr 1900 zu denken." Friedrichsruh. 27. Januar. Ein geborner Kölner schreibt der „Köln. Ztg.": Ich fuhr heute, an Kaisers Geburts tag, mrt meiner Frau aus Hamburg hierher. Wir trafen den Fürsten im Park, er sah vorzüglich aus, ging sehr elastisch und unterhielt sich sehr lange mit uns. Ich erzählte ihm unter anderem, daß man in Köln bei jeder Gelegenheit sein Denk mal aufs schönste schmücke, darauf antwortete mir der Fürst: „Ich weiß, daß mich die Kölner in ihr Herz geschloffen haben und das chrt mich sehr." Erschien sich sehr wohl zu befinden, war sehr munter und verabschiedete sich unter den liebens würdigsten Worten von meiner Frau mit einem Kuß und von mir mit einem Händedruck. Der Fürst trug dem Geburtstag des Kaisers zu Ehren Uniform, darüber einen leichten Pelz. Gestern und vorgestern machte er Spazierfahrten. In größeren und besonders begeisterten Reden ist Kaiser Wilhelm anläßlich der Feier seines Geburtstages vom deutschen Botschafter in Wien, Grafen Eulenburg und vom Statt halter der Reichslande Fürsten Hohenlohe-Langenburg an festlicher Tafel gefeiert worden. Aus Petersburg wird ge meldet, daß Zar Nicolaus bei der Frühstückstafel im Win terpalais am Montag einen herzlichen Trinkspruch auf Kaiser Wilhelm ailsgebracht habe. Die italienischen Mitglieder des tyrolischen Land tages sind ihrer Mandate verlustig erklärt worden, weil sie sich weigern, an den Verhandlungen theilzunchmen. Die parla mentarischen Vertreter Südtyrols haben bekanntlich schon vor einiger Zeit beschlossen, dem Landtage so lange fern zu bleiben, als nicht Regierung und Landtag den Wälschtyrolern eigene Verwaltung zugestehen. — In Ungarn hat die gemäßigte Opposition, die Nationalpartei unter Führung des Grafen Apponyi, beschlossen, den Kampf gegen das Ministerium Banffy, mit allen Kräften fortzusetzen. Wieder einmal war dieser Tage eme große Sensations nachricht von englischer Seite in die Welt gesetzt worden. Die „Daily News" hatten eine Depesche aus Wien über einen von Rußland den anderen Mächten vorgeschlagenen Plan einer Theilung der Türkei veröffentlicht. Nach diesem angeblichen Plane sollte Rußland Armenien und das andere türkische Klein asien bis Alexandrette sowie Konstantinopel erhalten, Frankreich Syrien und Palästina, Oesterreich Mazedonien, England Egypten und die Ostküste des Persischen Golfes, Italien Tripolis, Griechenland, Thessalien, Kreta und die Inseln des Aegäischen Meeres bekommen. Es hieß weiter sogar schon, daß alle Mächte zugestimmt hätten, nur Oesterreich mache noch Vorbehalte. Indessen hat sich rasch genug herausgestellt, daß dieser an gebliche Theilungsplan der Türkei nichts als ein starkes Phan- tastestück ist, man weiß weder in Berlin, noch an anderen Brenn punkten der europäischen Politik etwas von einem solchen russischen Vorschläge. Auch versichert dos Reutersche Bureau, es bestehe keinerlei Begründung für die Berichte über russische Flotten- rüflungcn und über den Plan einer Theilung der Türkei. Die Lage bezüglich der Türkei sei dieselbe wie bisher, die Mächte seien alle eifrig bemüht, den statu» <zuc> aufrecht zu erhalten. Fürst Ferdinand von Bulgarien hat sich bei seinen persönlichen Bemühungen, den Vatikan für die orthodoxe „Um taufe" des Prinzen Boris umzustimmen, einen Korb geholt. In der kurzen Audienz des Fürsten Ferdinand beim Papste erklärte letzterer rund heraus, wie gemeldet wird, baß der Vatikan den Uebertritt des Prinzen Boris nicht gestatten könne, mit welchem ablehnenden Bescheide der Bulgarenfürst wieder von Rom abgereist ist. In Sofia thut man allerdings, als ob die „Umtaufe" des kleinen Boris auf alle Fälle beschlossene Sache sei, auch wird gemeldet, daß Fürst Ferdinand dem von ihm aufgesuchten Herzog von Aumalc einen Brief für den Czaren übergeben habe, in welchem dieser um Uebernahme der Pathenschaft bei der Taufe des Prinzen Boris gebeten wird.