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Zweites Blatt. WchMIt für Wilsdruff Erscheint wöchentlich zweimal u. zwar Dienstags und Freitags. — Abonnementspreis vierteljährlich 1 Mk., durch die Post ^bezogen 1 Mk. 25 Pf. — Einzelne t Nummern 10 Pf. Tharandt. Mn, Menlehn und die UmMilden. Imisblutt Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Jnsertionspreis 10 Pf. pro dreigespaltene Corpuszeile. für die Rgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Aal. Horstrentamt zu Tharandt. No. 102. Dienstag, den 22. Dezember Z801. Zur gefälligen Heachtung? Des Christfestes halber wird die nächste Nummer unseres Blattes schon Mittwoch Abend ansqc- geben. Inserate für dieselbe erbitten wir uns bis spätestens Mittwoch Mittag. r)ie Lrpebiüon des Wochenlil. f. Wilsdruff. Die Erbin von Wallersbrunn. Originalroman von Marie Romany. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) XII. Wohlgemuth schritt am anderen Nachmittage Giacomo Sorel den Thoren der ewigen Stadt zu. Ein zufriedenes Lächeln um spielte seine Miene. Wenn auch zwei Wochen dahingegangen waren, bis er sein Versprechen, Fräulein von Waldheim im Prinzen von Bayern aufzusuchen, erfüllte, so hatte er durch diese Verzögerung doch einen doppelten Vortheil gewonnen; die Aus zahlung des ihm bis dahin mit Starrheit vorenthaltenen Lohnes war ihm sicher und der Dienst, welchen er, wie ja außer Zweifel lag, dem gnädigen Fraulein zu erweisen ging, mußte nachdem die vergangenen vierzehn Tage für die junge Dame keinen ander weitigen Erfolg aufzuweisen hatten, jetzt von so erhöhterem Werthe für sie sein. Giacomo, wie er gemächlich schmunzelnd über die Chaussee schritt, zweifelte gewiß nicht, daß die Zeit des Glücks nun für ihn in Bereitschaft sei. Schon während der vergangenen Nacht, die ihm, obgleich die Reihe nicht an ihn war, zur Wache innerhalb der Anstalt berief, hatte er mit zufriedenem Behagen über sein kommendes Leben nachgedacht. Ja, sein Glück war gemacht! Fünftausend und dreihundert Franken, dazu vierzehn Dukaten, die er heimlich gespart hatte, waren sein eigen und die Freiheit, die ihm versprochen worden, sowie der Lohn, welchen er außerdem noch von Fräulein von Waldheim erhoffte, sollten ihm zur vollständigen Erreichung des Glücks, welches er für das Leben ersehnte, dienlich sein." Bevor er in den Prinzen von Bayern ging, kehrte er in einem bescheidenen Hause einer etwas entlegenen Straße der nörd lichen Vorstadt ein. Es war die Wohnung einer Wittwe Forg- hese, an deren Pforte er schellte; man schien zu wissen, daß Giacomo am heutigen Nachmittage feine Aufwartung machte, denn kaum hatte er die Glocke berührt, als die Thüre für ihn ge öffnet ward. „Guten Abend, Giaco," lachte ihm eine silberklare Mädchen stimme entgegen. „Laßt Ihr Euch endlich einmal wiedersehen bei den Forghese's? Es sind an sechs Wochen vergangen, seit dem die Mutter Euch ein letztesmal zu Gesicht bekam!" „Ihr seit ein Schelm, Sofia," erwiderte Giacomo heiter, indem er das bescheidene Stübchen der Witwe betrat, „Ihr wißt daß es nicht mein Wunsch ist, wenn der Dienst mich bindet. — Guten Abend, Mutter Forghese," fügte er hinzu, indem er der Alten die seit Jahren gelähmt, in einem bequemen Sessel dem Fenster nahe saß, die Hand entgegenstreckte. „Wie machte sich das Leben?" „Die heilige Jungfrau, meine Schutzpatronin, mag ihre Bitte für mich im Himmel anlegen," ächzte die Angeredete mit klagender Geberde. „Die Schmerzen?" fragte Giacomo so theilnehmend, als es ihm möglich ward. „Haha," machte die Alte, „Ihr wißt ja, daß die Gicht mich Plagt bei Nacht und bei Tage. — „So unaufhaltsam?" „Laßt es gut sein, Giaco," lachte Sofia wieder; „die Mutter ist nun einmal daran gewöhnt, daß sie stets über Schmerzen klagt. — Wie geht es mit Euch! Seid ihr noch immer zu frieden, daß die Anstalt Eure Dienste so ganz für sich in An spruch nimmt?" „Ich war das nie," erwiderte Giacomo ernsthafter, als vordem; „wenigstens so lange nicht, als ich Erich kenne, Sofia." „Wie hübsch Ihr scherzen könnnt!" „Bei meinem Worte, Sofia, es hat mich genug verdrossen, daß ich mir die Erlaubniß zu erbetteln habe, wenn ich Euch ein mal sehen will. — Verliebt sein. — Sofia lachte. „Das Verliebtsein steht Euch wohl an," warf sie lustig hin; „seit bald zwei Jahren sagt ihr mir, so oft ich Euch sehe das Gleiche." „Also?" „Also?" scherzte das Mädchen. „Also das man's Euch zum Schlüsse nicht mehr glaubt, weil ihr immer nur sprecht und niemals Beweise davon gebt, daß Jhr'S ehrlich meint mit dem, was ihr redet. — Zwei Jahre!" „Und nun ist's am Ende," warf Giacomo hin. „Nur ein paar Wochen noch, so werde ich fertig sein in St. Salvatore." „Was?" ächzte Frau Forghese. Hat man Euch fortge schickt?" „Entlassen?" ging ihn auch Sofia mit weit geöffneten Augen an. „Nein," sprach Giacomo munter; — seine Stimmung pflegte immer eine heitere zu werden, sobald er sich in Sofia's Gesellschaft befand — „nicht entlassen. Ich war es, der dem Direktor gestern kündigte. Beide Frauen starrten ihn an. „Und nun?" machte die Alte. „Nun, gerade heraus, weil ich das Leben in der Anstalt nicht mehr ertragen kann. Es sehnt mich, nicht mehr den ganzen Tag und die halbe Nacht hindurch Diener des launigsten aller Herren auf Erden zu heißen; es verlangt mich darnach, selbst ständig zu sein, em trautes Weibchen zu haben; und da ich fünftausend und dreihundert Franken ersparte. —" „Fünftausend und dreihundert!?" machten beide Frauen auf einmal. „Und noch ein kleines Sümmchen, um die Einrichtung einer bescheidenen Heimath zu kaufen, —" „Was?!" rief Sofia wieder. „Ein kleines Sümmchen extra, sagt Ihr, Giaco?" fragte eifrig die Alte. „So kam ich zu Euch, Mutter Forghese, um Euch zu fragen, ob Ihr mir Eure Sofia für das Leben anvertrauen wollt; — nach ein paar Wochen meine ich, wenn ich aus der Anstalt entlassen bin" Vor Freude Hochroth stand Sofia da. „Giaco!" hauchte sie. — Giacomo erfaßte ihre Hand. „Nun, Mutter Forghese?" wiederholte er noch einmal. „Aber, Herzensbursche! — wie kannst Du fragen?!" — Madame Forghese schien in diesem Augenblick die Schmerzen, welche ihr die Gicht bereitete, vergessen zu haben. — „Ist es nicht selbstverständlich, daß ich Dir Sofia gebe? — Wenn man so tapfer ist, fünftaufend und dreihundert Franken zu ersparen und noch ein Sümmchen extra für den Kauf einer Einrichtung übrig zu haben —" Ein Kuß Sofia's schloß ihre Lippen zu. „Aber!" krächzte die Alte. „Nein," rief Sofia lebhaft; „wenn man so tapfer ist, zwei Jahre lang das Bild eines Mädchens im Herzen zu tragen. —" Eine Umarmung Giacvmo's schloß ihr den Mund. „Du, Böser," stammelte Sofia. „Gewiß," lachte Giacomo. „Zwei Jahre lang habe ich umsonst meine Verliebheit mit mir herumgetragen! Ihr erlaubt schon Mutter Forghese; es war der Verlobungskuß, den ich Eurer Tochter gab." Die Alte lachte dazu. „Fünftausend und dreihundert Franken!" wiederholte sie nochmals. „Sagt mir, Giaco, was Ihr anfangen werdet, wenn Ihr die Anstalt verlassen habt. — Einen Handel?" „Was weiß ich!" rief Giacomo. „Aber Ihr werdet arbeiten?" „Ei, das versteht sich! Wird man nicht suchen, so viel wie möglich Geld zu verdienen, wenn man ein herziges Weib chen gefunden hat?" „Aber, Giaco!" machte Sofia. „Was willst du? rief Giacomo. „Du wirst nicht wünschen daß ich den Tag mit Liebeleien verbringe?" „Und wie viel ist es, was ihr für den Ankauf der Ein- ricbtung berechnet habt?" fragte die Alte wieder. Habt Ihr bedacht, daß meine Sofia so gut wie gar keine Mitgift hat?" „Ei was, Mitgift!" erwiderte Giacomo lebhaft. „Sofia ist gemacht, um mir das Herz auf eine andere Seite zu kehren. Weiter bedarf es nichts, um glücklich zu werden, wie ich an nehmen darf." Die Alte stimmte zu. „Und ich?" fragte sie dann eifrig. < „Ich werde Euch pflegen," bestätigte Giacomo. „Seht, daß ich's gut meine," ward er erregter; „hier sind —es ist das Ersparniß, welches ich von meiner letzten Löhnung erübrigte — zwei Dukaten; nehmt sie, Mutter Forghese; ich gebe sie Euch, damit ihr Euch pflegt, bis die Zeit um sein wird, die ich noch in der Anstalt zuzubringen gezwungen bin." Die Alte sah ihn strahlenden Blickes an. „Welch eine Wohlthat, einen Eidam zu haben!" rief sic. „Giacomo," hauchte Sofia, „überlegst Du auch, ob ich Dir alles ersitzen kann?" „Du Schelm," warf Giacomo hin. Sofia lachte selig. „Ich wollte, die Zeit deines Dienstes in St. Salvatore wäre vorüber," meinte sie in der herzigen Weise, die ihr so wohlgefällig anstand; wie viele Wochen noch, Giaco?" „Bei der heiligen Jungfrau die Zeit wird lang sein!" entgegnete die Alte. Giacomo lächelte. „Ich werde nicht lange bei Euch bleiben dürfen," meinte er, um der Antwort auszuweichen, die man von ihm begehrte. „Ich habe nur für ein paar Stunden Urlaub erhalten; um zehn Uhr muß ich in der Anstalt zurück sein." „Wie schade!" „Gewiß, schade," bestätigte Mutter Forghese. „Wie koifimt es nur, daß man einen Menschen so abhängig machen kann!" „Geduldet Euch nur ein paar Wochen," sprach Giacomo heiter. „Ich kann heute freilich den Tag meines Abgangs aus' St. Salvatore nicht so genau angeben, wie ich möchte, aber lange wird es nicht mehr währen. Wenn der Winker kommt, so hoffe ich, wird Sofia mein Weibchen sein." „Der Tausend!" rief die Alte. Sofia lachte; aber dieses Lachen stand ihr so reizend an. „Ganz arm ist Sofia nicht," sprach die Alte plötzlich Wohl gemuth. „Sie hat schon seit drei Jahren ein Viertel von allem, was sie verdiente, für ihre Ausstattung beiseite gelegt." „Wirklich?" rief Giacomo. Sofia nickte. Sie holte einen Schlüssel aus der Tasche ihres Kleides, welcher das einzige betrachtenswerthe Möbelstück im Stübchen ausmachte, und ließ Giacomo die kleine Herrlichkeit an Wäsche bewundern, mit deren Anschaffung sie über den Verlauf der letzten drei Jahre beschäftigt gewesen war. „Nun?" sprach sie lustig. „Ist Giaco zufrieden mit dem, was ich ersparte?" Giacomo war des Lobes über den Fleiß des Mädchens voll. Er herzte sie, betrachtete lustig tändelnd die kleinen Spielereien, welche sie aus ihrer Kindheit bewahrte, und sprach über kom mende Tage und über alles, was die Liebe schönes und ver- langenswerthes zu ersinnen vermag. Endlich erhob er sich. „Ich muß nun leider fort," sagte er geschäftig, nachdem er Sofia ein letztesmal küßte; cs würde unangenehme Stunden für mich geben, würde ich nicht bis zehn Uhr zurückgekehrt sein. Sofia seufzte. „Es ist möglich, daß ich während der nächsten Woche nicht wieder Erlaubniß zum Ausgang haben werde," sprach Giacomo weiter; „darum sorgt Erich nicht wenn ich nicht wiederkomme, bis mein Dienst in der Anstalt verlaufen ist. Sobald meine Zeit um ist, werde ich bei Euch sein." „Ungefähr wann?" drängte Sofia. „Ein paar Wochen, Schatz. Und nun laßt mich weiter. Es ist halb neun Uhr vorüber und der Weg bis zur Anstalt dehnt sich. Lebt wohl, Mutter Forghese," fügte er, der Alten die Hand reichend, hinzu; „pflegt Euch und, bis ich wiederkomme denkt an mich." „Ei," rief die Angeredete, „das versteht sich! Man ver gißt nicht soleicht, wenn man einen wackeren und strebsamen Eidam hat!" „Also lebwohl, Giaco," machte Sofia heiter. „Du vergißt mich nicht?" „Schelm," warf Giacomo hin. Noch einen Kuß, dann war er unter heiterem Geplauder der Zurückgebliebenen die Treppe hinab. Sofia trat vor die Mutter hin. „Nun?" fragte sie, den Blick voll Treuherzigkeit auf die Miene der Alten gerichtet; „werde ich glücklich sein, wenn Giaco mich nimmt?"