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Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegellden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. Zst. Freitag den 28. Jmii 1872. Bekanntmachung. Anher erstatteter Anzeige zufolge sind im Monate Mai aus der Mädchenkammer der hiesigen „Restauration" 2 leinene Frauenhemden, 1 schwarze Mohairschürze, 1 weißkantige und 1 weißpnnktirte blaue Leinwandschürze, I braunes Porte monnaie mit Stahlbügel, einige alte Münzen enthaltend, 1 Geldtasche und I Paar violette Glacehandschuhe entwendet worden. Dringend verdächtig der Verübung dieses Diebstahls, sowie auch eines dem Restaurateur Günther gegenüber verübten Betrugs ist die in der gedachten Restauration in Diensten gestandene Auguste Wilhelmine Häntzschel aus Hinterhermsdorf. Da deren jetziger Aufenthaltsort unbekannt ist, werden alle Criminal- und Polizeibehörden ersucht, die Häntzschel im Be tretungsfalle festzunehmcn und dieselbe mittels Schubes anber abzuliefern. Königliches Gcrichtsamt Wilsdruff, am sv. Ium isrs. In Stellvertretung: vr. Gangloff, Assessor. Gr. Tagesgeschichte. Aus Leipzig, 23. Juni berichtet das „Leipzig. T.": In einer am Sonnabend Abend in der Westendhalle abgchaltencn Volksver sammlung verabschiedete sich Herr Bebel von seinen Getreuen. Der Sinn seiner Ansprache war der, daß die Parteigenossen auch in Zukunft muthig zusammenhalten möchten und daß die Sache, wenn er aus dem Gefängniß einst zurückkehre, gewiß bester stehen werde. Das bekannte Leipziger Vergnügungslocal „Sä ützcnhaus" wird in ein Actienunternehmen umgcwandelt. Der Gesammlbetrag des Actiencapitals ist 300,000 Thlr. Freiberg. Der „F. A." berichtet: Am Montag früh gegen 1 llhr brach in der zu Großhartmannsdorf gehörigen Teichmühle Feuer aus und vernichtete in kurzer Zeit sänuiitliche Gebäude vollständig. Auch hier ist leider wiederum Brandstiftung zu vermuthcn. In Schönhaide brannten am 22. d. M. zwei Wohnhäuser voll ständig nieder. Dieser Ort mar hierbei von großer Gefahr bedroht, da in Folge heftigen Windes bereits 13 andere Gebäude vom Flug- feucr ergriffen waren, jedoch durch schnelle und reichliche Hilfe ge rettet werden konnten. Pegau, 21. Juni. Heute Mittag 1 Uhr sind im Mühlgraben zu Oderwitz zwei junge Leute, Vrauburschcn, beim Baden ertrunken. Auf dem Rittergut Kleinförstchcn ist am 20. Juni in der vierten Nachmittagsstunde der ca. 10 Jahre alte Schulknabe Johann Ernst Kasper unvorsichtiger Weise dem daselbst befindlichen Göpel- Werke zu nahe gekommen, von dem einen Arme desselben erfaßt, auf den Bretkastcn des Kammrades gedrückt worden und au der in Folge Quetschung hcrbcigcführtcn Zerreißung eines Organs der Unlcr- leibshöhle in der neunten Abendstunde gestorben. Während der letzten Session sind beim deutschen Reichstag 2777 Petitionen cingegangcn, davon wurden dem Reichskanzler 2222 überwiesen; wie groß muß Bismarcks Papierkorp sein? Die Ausprägung von Neichsgoldmünzcn in den Münzstätten des deutschen Reichs stellt sich bis zum 8. Juni d. I. auf 167,975,020 Mark. Auf dem großen Exerzierplatz bei Vonn wird eine Zeltstadt er richtet mit wohlbeleüchtetcn Straßen, Plätzen, Brunnen, Musikhallcn und ErfrischungSloealen — Alles für die deutschen Turner, die dort nicht nur tagen, sondern auch nächtigen wollen. Für den letzteren Zweck wird in jedem der 600 Zelte cm Strohlager für je 10 Turn genossen hcrgcrichtet; 12,000 wollene Decken, 6000 Handtücher und 600 Schemel sind mit der größten Zuvorkommcnbeit aus den Mili- tärvorräthen bewilligt worden. Auch wird das Zeltlager selbst von einer Abtheilung Pioniere kunstgerecht aufgeschlagcn werden. Hand in Hand mit dem Jesuitcngesetz geht der Antrag des Abg. Völk (Bayern) auf Einführung der Civilehe. Er weist darauf hin, daß cs einem Katholiken in Bayern unmöglich sei, wenn er nicht aus der katholischen Kirche austrcte oder sich für die Unfehlbarkeit erkläre. Völk erzählt einen Fall, in dem der Bräutigam mit dem Pfarrer buchstäblich „gehandelt" habe, bis eine Formel vereinbart war, wo bei sich Jeder das Seinige denken konnte. Das wirkt aber allerdings entsittlichend. In München, so versichert der Antragsteller, werde sich nach Beseitigung der noch bestehenden äußeren Hindernisse sicher eine altkatholische Gemeinde von 15—20,000 Seelen bilden. Der junge unverheirathete König von Bayern gehört noch immer zu den „besten Partieen" und die Tante Voß in Berlin ist nicht die einzige Mitleidige, die ihn gern unlerbringen möchte—unter die Haube nämlich. Wir lesen jetzt wieder einmal von einer russi schen Prinzessin, die des Königs häusliches Glück zu begründen be rufen sei. Im Schlöffe zu Bayreuth soll die Verlobung gefeiert wer den. Richard Wagner wird sichs gewiß nicht nehmen lassen, die Mus dazu zu machen. Das „Bayrische Vaterland" ergrimmt über das vom Reichstag angenommene Gesetz wegen der Jesuiten, spricht die Hoffnung aus, daß es zu einer Katastrophe komme, welche dieses sogenannte „Deutsche Reich" für Freimaurer und Juden nicht überdauern werde; aber die Jesuiten würden cs überdauern." Dann heißt cs wörtlich: „Wir lieben dieses euer „Deutsches Reich" nicht, wir haben nie etwas da von wissen wollen, für uns existirt es nur als eine vorübcrziehende Gewitterwolke am Himmel; cs ist gut, daß ihr selbst uns davon be freien Werdet. Denkt an die wandelnde Gerechtigkeit Gottes, die In ternationale, welche Gottes und der Menschen Recht an euch rächen wird!" Wenn die katholischen Bischöfe sammt der nieder» Geistlich keit klug sind, so geben sie dem Fehdehandschuh, den der deutscbc Reichstag den Jesuiten hingcworfcn hat, noch einen besonder» Nach druck. Denn sie sind doch im Grunde die Werkzeuge, mit denen jener Orden arbeitet und zwar sind sie das häufig wider ihren Willen. Die Kirche ist nicht mehr um ihrer selbst, sondern um der Jesuiten willen da. Es ist eine furchtbare Gewaltherrschaft, welche der Je- suitismus über die Geistlichkeit übt. Darum haßt auch der weitaus größere Theil des Clcrus, vom Cardinal bis zum ärmsten Caplan die Jünger Loyolas bis in den Tod, aber sic fügen sich ihnen. Der stolzeste Erzbischof erbleicht, wenn der Jesuit dcmüthig vor ihm die Stirn senkt. Von diesem Joch muß die Geistlichkeit befreit wer den. Erst mit der von der Schreckensherrschaft der Jesuiten befreiten Kirche, mit dem in seinem Vatcrlandc und seinem Volke wurzelnden Clcrus kann und will die weltliche Gewalt in Frieden leben. Berlin, 22. Juni. Die „Sp. Ztg." schreibt: Wir haben kürz lich die Mittheitung gemacht, daß der Papst Pius IX. schon 1870 eine Bulle unterzeichnet habe, welche für den Fall seines Todes die Wahl seines Nachfolgers, in Gegenwart seines Leichnams durch die in Nom anwesenden Cardinäle verschreibt. Die Sache ist von größter Bedeutung. Denn es handelt sich für die Feinde des deutschen Reichs darum, nach dem Hinscheidcn des Papstes, welches vielleicht nach einer Reihe von Monaten, vielleicht auch morgen eintritt, einen Franzosen oder einen französisch Gesinnten Italiener zum Papste zu machen. Dieser würde dann alle Mittel, die in der festen, über die ganze Welt ausgedehnten Organisation der römischen Hierarchie geboten werden, benutzen, nm die Coalitiou der feindlichen europäischen Mächte zu sammen zu kitten, welche das deutsche Reich wieder umstürzen sollen. Diesem politischem Zwecke gegenüber würde cs eine unverantwortliche