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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Mebcnlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Dtadtrath daselbst. Dienstag den 1. October 1872. Kurze Betrachtungen auf politischem und religiösem Gebiete. Abermals sind Ereignisse von mehr oder weniger Wichtigkeit in das Meer der Vergangenheit, das man mit dem Worte Geschichte umfaßt, hinabgestiegcn. Wir nennen in erster Linie die Feier dcS 2. Septembers, als des Tages von Sedan, an dem der gallische Uebermuth an der germanischen Tapferkeit seinen Meister fand und der für alle Zeiten mit goldenen Buchstaben in der deutschen Geschichte verzeichnet bleiben wird. Daß der Tag von Sedan und nicht der 10. Mai, der Tag des Friedensschlusses, als nationaler Festtag zn begehen, liegt in der Natur der Sache und ist schon hinlänglich auf das Unpassende der Feier dieses letzteren Tages in öffentlichen und Privat-Kreisen hingewiesen worden. Doch die Hauptsache ist die, daß sich endlich einmal der Deutsche Selbstbewußtsein aneignet und daß schon den Kindern in der Schule der Tag von Sedan und alle so herrlichen Erfolge, die damit in Verbindung stehen, soweit diesel ben Dies zu fassen vermögen, vor die Augen gestellt werde, damit sie im ächten deutschen Geiste erzogen werden und beim weiteren Aus baue des deutschen Reiches tüchtig Hand anlegen helfen. Daß hier weniger von einem politischen Ausbau nach Außen hin als vielmehr von einem Innern die Rede sein kann, ist leicht einzusehen; zunächst sind die Deutschen zur Nation geworden, denn Deutschland bildet im Großen und Ganzen eine politische Einheit, angebahnt durch das blutige Jahr 1860 und das noch blutigere 1870/71. Freilich läßt der Ausbau des deutschen Reiches im Innern noch sehr viel zu thun übrig, noch giebt es leider eine große Anzahl, die nur dem Namen nach Deutsche find, welche ebenso das Jahr 1866 wie das glorreiche Von 1870/71 verwünschen und doch waren beide Kriege durchaus eine historische Nothwcndigkeit, wenn nicht Deutschland als Spott der auswärtigen Völker früher oder später eine Beute derselben gleich dem unglücklichen Polen hätte werden sollen. Zu dieser Sorte von Menschen gehören zunächst die Ultramontanen oder Schwarzen, welche in einem politisch geeintem und mächtigem Deutschland auch zugleich ein aufgeklärtes und ringsum Licht verbreitendes erblicken, was na türlich durchaus nicht in ihren schwarzen Gram paßt. Wir haben schon in einem früheren Artikel bemerkt, daß gerade Deutschland der Mittelpunkt der Aufklärung für die ganze Erde ist und die Deutschen als das Volk der Denker bezeichnet werden. Dies ist wahr; seine Dichter, Philosophen und Staatsmänner kann es ebenbürtig den der anderen Völker gegenüberstellen und in den meisten Fällen nehmen dieselben bedeutend höhere Stellung ein, kein Wunder daher, daß Nom, der Mittelpunkt der Finsterniß und des grassestcn Aberglaubens, in Deutschland, dem Mittelpunkte des Lichtes und des freien Forschens, seinen unversöhnlichsten Gegner erblickt. Die zweite Sorte der Feinde Deutschlands sind die Par- ticularisten oder Klcinstaatler, denen ein Deutschland unter vicrund- dreißig oder einst gar achtunddrcißig verschiedenen Fürsten durchaus nicht aus dem Sinne kommt. Diesem Gelichter wäre cS durchaus nicht unlieb gewesen, wenn Oesterreich 1866 gesiegt und seine finsteren Institutionen auf das übrige Deutschland übertragen, wenn nur die Grenzen Sachsens von ^.nno 1815 wieder hergcstellt worden wären. Auch wäre cS ihncit ans eine ticfercgehende Zerreißung des deutschen Vaterlandes und selbst auf die Abtretung des linken Rheinufers an Napoleon III., seligen Angedenkens, durchaus nicht angckommen. Und Schreiber dieser Zeilen hatte selbst Gelegenheit zu beobachten, mit welcher Miene die herrlichen Siegesberichte von Weißenburg, Wörth, Sedan n. s. w., die doch das Gemülh jedes ehrlichen Deutschen mit tiefstem Danke gegen den Allmächtigen erfüllen mußten, von Menschen solches Gelichters ausgenommen wurden. Doch die Weltgeschichte geht trotzdem ihren Gang und der Aus bau des deutschen Reiches vollzieht sich in größter Ruhe. Diese anti deutsche Sippschaft ist so schon gezwungen, mit ihren bornirten An sichten hinter den Bergen zn bleiben, falls sie sich nicht der tiefsten Verachtung Preis geben will, denn der größere und gebildetere Theil des deutschen Volkes fühlt sich entschieden geistig gehoben durch die gegenwärtige Machtentfaltung Deutschlands. Inzwischen ist der Kampf mit den Römlingen durchaus noch nicht beigelegt. Dies beweisen die Katholikenversammlung in Breslau, die Versammlung der Bischöfe in Fulda und der Briefwechsel Bismarcks mit dem preußischen Bischöfe Cremcntz von Ermeland, der oberfläch lich ohne Bedenken in seinem Schreiben sich der Staatsgewalt unter worfen erklärte, doch auf echt jesuitische Weise Hinterthüren zum Rück züge gelassen. Bismarck ließ sich jedoch nicht übertölpeln, sondern setzte ihm in kerniger Sprache die Falschheit seines Briefes auseinan der. Was weiter in dieser Sache geschehen wird, wollen wir abwar ten. Nur noch die eine Bemerkung, daß eine Anzahl hochklingender adeliger Namen, die mit Leichtigkeit ihren Stannnbanm bis Methu- salah hinauf zu führen vermögen, eine Adresse an den Jesuitenorden abgeschickt haben, in der sie dessen Thätigkeit auf dem Gebiete des Unterrichts und der Krankenpflege im letzten Kriege bis in den Him mel erheben und ihn mit der Rückkehr besserer Zeiten zu beruhigen suchen. Hoffentlich bleiben diese besseren Zeiten, wo der Pfeffer wächst! — Endlich noch ein Wort über die Dreikaiserzusammenkunft in der Metropole des deutschen Reichs. Daß es bei solchen Gelegenheiten sehr hoch hergeht, brauchen wir kaum zu erwähne»; der Aufwand für die Festlichkeiten u. s. w. soll blos das Sümmchen von einer Million Thaler verschlungen haben, abgesehen von den Neugierigen, die bei dieser Gelegenheit nolons volsns in das Jenseits befördert wurden. Daß man aber bei dieser Zusammenkunft etwas „abgemacht" habe, z. B. auf welche Weise man am Bequemsten an Stelle des kleinen Thiers einen Lmporeur (Kaiser) setzen könne, dürfte selbst der Laie^mit ziemlichem Rechte behaupten können. Lassen wir indessen die Sache dahingestellt und wünschen vielmehr, daß der Friede durch diese Zusammenkunft der mächtigsten Fürsten Europas von Neuem be festigt worden, da ja jeder Staai zur gedeihlichen Entwickelung seiner eigenen Verhältnisse desselben durchaus bedarf und namentlich Deutsch land, welches in den letzten zehn Jahren mehr gelitten, aber auch mehr errungen als in mehren Jahrhunderten des Mittelalters. 6n8tav 'lopkor. Tagesgeschichte. Wilsdruff, 30. September 1872. Aus gewissenhafter Quelle geht uns die freudige Nachricht zu, daß die Aussichten für die baldige Inangriffnahme des Baues unserer seit beinahe einem Jahre projectirtcn Bahn (Dresden-Wilsdruff- Nossen rc.) gestiegen sind; cs sollen mehrere bedeutende Bankhäuser ihr Interesse für den Bau ausgesprochen und Unterstützung des Un ternehmens zugcsichert haben; auch haben wir in letzterer Zeit wieder Vermessungsbeamte in der Nähe nuferer Stadt in Thätigkeit gesehen, was ebenfalls für obige Aussichten spricht. Hoffen und wünschen wir, daß das Unternehmen von allen den Städten und Dörfern, welche diese Bahn berühren wird, gefördert werde. Möchten aber auch die hiesigen Comitömitgliedcr und mit diesen die ganze Stadt mit aller Energie dahin wirken, daß die Bahn so nahe als nur immer möglich unsere Stadl berühre, denn welcher Nutzen daraus für eine Sladt entspringt, dafür geben die vielen zur Blülhe gelangten Städte, ja sogar Dörfer beredtes Zeugniß. Wir würden diesen letzten Wunsch nicht aussprcchen, wenn wir nicht auch von der Absteckung einer zweiten Linie gehört hätten, welche die Bahn allerdings weiter von unserer Stadt fortführcn würde, nämlich so ziemlich nach dem be nachbarten Dorfe Grumbach. Hoffentlich wird uns die Freude zu Theil, recht bald Mehreres und Näheres von Seiten des geehrten Consortiums mitthcilen zu können. — Auf das nächsten Donnerstag, den 3. d. M. auf der Re stauration stattsiudcnde 4. und letzte Mililair-Äbonnement-Concert machen wir das musikliebcnde Publikum unter Hinweis auf das in heutiger Nummer befindliche gut gewählte Programm aufmerksam. Möge der Besuch ein recht zahlreicher sein. Der preußische Staatsanzeigcr veröffentlicht die Concessionsur- kunde der Berlin-Dresdner Bahn vom 24. Juni d. I. Nach derselben muß die Bahn in drei Jahren vollendet sein. Nähere Be-