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Wilsdruff, TlMmM, Rssscu, Giebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das KöniglicheGerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 93. Dienstag den 28. November 1871. Die für die bevorstehende Stadtverordnetenergänzungswahl ausgestellte Wahlliste hängt während der nächsten 14 Tage von heute an zu Jedermanns Einsicht im hiesigen Rathhause aus. Einsprüche gegen die Liste sind, falls sie bei der bevorstehenden Wahl Beachtung finden sollen, längstens bis zum 15. December dss. Jrs. bei dem unterzeichneten Stadtrath auzubringen. Rath zu Wilsdruff, am 27. November 1871. Kretzschmar. Tagesgeschichte. Das Bankhaus Philipp Elimayer in Dresden hat die seit 50 Jahren bestehende renommirte Leder-Lackir-Fabrik von Daniel Beck in Döbeln käuflich an sich gebracht und wird solche im Verein mit Berliner und Hamburger geachteten Firmen in eine Äctiengesellschaft umwandcln. Die Unsicherheit der Person und des Eigcnthums scheint in Berlin täglich zu wachsen. In voriger Woche wurden bei Hellem Tage in zwei der belebtesten Straßen drei sreche Raubanfälle verübt, in der frequenten Friedrichstraße auf einen Fußgänger ein Revolver, auf eineu Mllilärposten vier Schüsse abgefeuert. Die Verbrecher waren meist Bunche von 18—20 Jahren, aber in ihrem sauber» Handwerk schon so ausgebildet, daß sie, bis auf einen, sämmtlich entwischt sind. Daran reihen sich der Ueberfall eines Herrn und einer Dame durch vier Banditen vor dem Potsdamer Bahnhof, die Beraubung einer Dame durch einen vierzehnjährigen Lümmel und ähnliche Anfälle. Der fortwährende Zufluß von Gesindel von außer halb — Dank der schrankenlosen Freizügigkeit! — die trostlosen WohnungSve hältniffe, die wachsende Theuerung aller Lebensbedürf nisse und der beklagenswer he Unfug dec Arbeitseinstellungen — das Alles trägt in einer so großen Stadl wie Berlin unendlich viel zur Vergrößerung der Verbrecherwelt bei. Nicht 40,000 sind es, die in Berlin von Diebstahl, Raub und Unzucht leben, diese Zahl ist viel zu niedrig gegriffen, da schon das Jahr 1869 weit über 60,000 be strafte Personen aufwcist, zu denen noch eine beträchtliche Zahl un bestrafter, von der Sittenlosigkeit lebender Personen hinzutritt. Die traurigste Thatsache aber ist, daß in den ersten 9 Monaten dieses Jahres nicht weniger als 390 jugendliche Strafgefangene, d. h. Kinder unter vierzehn Jahren an die Berliner Stadtvogtei abgeliefert worden sind. « Der Naiionalrath der Schweiz hat beschlösse)!, daß die Errich tung von Spielbanken zu untersagen ist. Die für bereits bestehende ertheillen Concessionen dürfen nach Ablauf der Frist, für welche sie gewährt worden sind, nicht erneuert werden. Alle Concessionen aber die im Jahre 1871 gewährt worden sind, haben keine Geltung. Den noch in Frankreich stehenden Unteroffizieren der deutschen Armee ist durch einen Cabinetsbefehl des Kaisers ein jährlicher An spruch auf einen 90tägigen Urlaub in die Heimalh zugestanden worden. Dieselben beziehen während dessen ihren Gehalt und haben freie Fahrt auf den Eisenbahnen für die Hin- und Rückfahrt. Schon wieder ist ein deutscher Soldat ans sranzösischemBo den ein Opfer der feindlichen Bosheit und Heimtücke geworden. In Epcrnay wurde derselbe auf offener Straße erdolcht, ohne daß der Thäter bisher hätte ermittelt werden können. Die üblichen Maß regeln: Waffenablieferung und Haussuchung, Schließung aller öffent lichen Locale und Verbot des Verkehrs von 8 Uhr Abends an — wurden sofort getroffen. Paris, 24. November. Die Assisen haben einen gewißen Ton- nclct freigesprochen, welcher angcklagt war, am 5. September in der Nähe von Paris einen sächsischen Soldaten vorsätzlich ermordet zu haben. Die französischen Regimenter, die im Kriege ihre Fahnen ver loren haben, sind mit neuen Fahnen versehrn worden. Es durfte aber kein Wort dabei gMwchen werden. Man sormirle einen Kreis und übergab die Fahi«^m Regiment. Das GerüchtH^P a p st habe den Präsidenten der französischen Republik um cine*sillle Stätte auf dem Boden Frankreichs gebeten, wo er das bittere Brod des -- Brieden essen könne, s lll die Tagcsblätter in täglich wachsenden Variationen. Die gläubigen Seelen reden unter mühsam ausgepichten Thränen von der unver meidlichen Trübsal und versprechen mit frommen Eifer, wenigstens für alle Bequemlichkeiten auf der Reise sorgen zu wollen. Thiers habe denn auch das Schloß zu Pau dem heil. Vater zur Verfügung gestellt — das Schloß zu Pau, die Herberge, wie es scheint, der ge fallenen Majestäten, wo Isabella und Marfori das Echo ihrer Seuf zer zurückließen. Die Flucht des Papstes müßte jedenfalls einer end gültigen Verzichkleistung auf die weltliche Macht gleichkommen, denn das Exil wäre nur die würdevolle Maske der Ohnmacht! Einmal dem Vatican entflohen, wird auch Pius IX. die Erfahrung macken, daß das Sprichwort: Alle Wege führen nach Nom! für gestürzte Päpste nicht mehr zutrifft. Beust wird von den Engländern mit offenen Armen em pfangen werden. Der Botschaflerpostcn, meinen die dortigen Zeitungen, könne von Keinem würdiger ausgefüllt werden, als von diesem be fähigten Staatsmann. Zudem kommt er als Vertreter Oesterreichs, auf dessen Freundschaft, wie die „Times" bekennt, England immer den höchsten Werth gelegt habe. Wo aber freundliche Gesinnungen so sehr auf Gegenseitigkeit beruhen, da werden einem Botschafter seine Pflichten leicht, und Graf Beust wird seinen Verkehr mit dem Hof, dem Cabinet und der Gesellschaft glatt nud angenehm finden. — Die Glätte des Parquetbodens ist sonst nicht Jedermanns Freund. Auch das Eis ist glatt, und Mancher hat darauf schon ein Bein ge brochen. Das Münzqesetz. DaS Neichsmünzgesetz ist im Reichstage in dritter Berathung angenommen worden. Auch im Bundesrathe werden die vom Reichstage beschlossenen Aendernngen wohl auf keine Bedenken stoßen. Es darf also angenommen werden, daß die be absichtigte Reform unsers Münzwesens in der Richtung eintreten wird, welche das Gesetz in seiner gegenwärtigen Gestalt verzeichnet. Danach wird es von jetzt an eine einheitliche Rcichsgoldmünze haben, welche als gesetzliches Zahlungsmittel ebenso gut wie die Silbermünzen (die bis auf weiteres auch noch als solches gelten) sowohl im Privatoerkehre wie bei allen Reichs-, Staats-, Cvmmunal- und andern Kassen angenommen werden muß. Es wird einfache und doppelte Goldmünzen geben. Der Werth der einfachen Godmünze, in Werthen der jevt in Deutschland umlaufenden Münzen ausgedrückt, wird gleich sein 3^ Thlr., 5 Kl. 50 Kr. Südd. W., 8 Mark 5 hl, Schill, lübischer oder hamburgischer Courantwährung, 3 Thlr. Grote bremisch, derjenigen der doppelten 6^, Thlr. u. s. f. (Die Goldstücke zu 10 Thlrn., welche der Gesetzentwurf vorfchlug, hat der Reichstag abgelehnt.) Die einfache Goldmünze heißt 10-Markstück, die doppelte M-Markstück. Die Mark oder das Zehngroschenstück bildet also tünitig die eigentliche Rechnungscinheit. Die Mark zerfällt in IU0 Pf., sodaß die Rechnung eine rein decimale (durch 10 theilbar) ist. Der Groschen ist gesetzlich als "besondere Rechnungsabstufung nicht anerkannt (was indes; nicht hindern wird, daß, wo man bisher nach Groschen zu 10 Pf. rechnete, diese Bezeichnung im Kleinverkehr sich sorterhält.) Die Reichsgoldmünzen tragen auf der einen Seite den Reichsadler mit der Unterschrift: „Deutsches Reich", und mit der Angabe des Wcrthes in Mark (10-, 20-Marksiück) sowie mit der Jahreszahl, auf der andern das Bildniß des Landes herrn, beziehentlich Hoheitszeichen der Freien Städte mit einer entsprechenden Um schrift und dem Münzzeichen. Auf dem Alande stehen die Worte: „Gott mit uns!" Die Ausprägung der Goldmünzen erfolgt auf Kosten des Reiches, und unter dessen Controls in den Münzstätten derjenigen Bundesstaaten, welche sich dazu be reit erklären. Ebenso erfolgt auf Kosten des Reiches die Wiedereinziehung derjenigen Goldmünzen, welche durch den Gebrauch abgenutzt sind und an dem gesetzmäßigen Gewichte mehr als 5 Tausendtheile verloren haben. Eine Ausprägung von groben Silbermünzen (mit Ausnahme von Denkmünzen) sinder bis auf weiteres nicht statt. Die jetzt, uuüaufendeu Goldmünzen deutscher Bundesstaaten (Goldkronen re.) werden auf Kosten des Reiches eingezogen. Ebenso sollen allmählich die groben Silbermünzen eingezogen Wersen, sodaß zuletzt neben den Goldmünzen nur noch Scheidemünzen (Markstücke und Theilstücke der Mark) in Umlaufe bleiben.