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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebelllehn und die Umgegenden. Amtsblatt für -as Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei mal, Dienstags u. Freitags und kostet Pro Quartal' 1 Mark.— Jnseratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittags 12 Uhr. 77. Dienstag, 3. October 1876. Wegen Reinigung der Lokalitäten bleibt das hiesige Königl. Gerichts-Amt Sonnabend Lei» 7. vetober ä. geschlossen. Königs. Gerichts-Amt Wilsdruff, am 2. October 1876. vr. Gangloff. Tagcsgcschichte. Wilsdruff, 2. October 1876. Der Vorstand der sächsischen Gemerbevereine, Herr August Walter zu Dresden, erläßt an die Gewerbe- und Handwerkervereine Sachsens in der Sächsischen Gewerbe-Vereins-Zeitung einen Aufruf, in dem er zur Beschickung der Pariser Weltausstellung von 1878 auffordert. In diesen Tagen hat (nach dem Leipziger Tageblatt) eine Di- öcesanversammlung in Borna einen von dem Diakonus Schmidt in Kohren, dem Redacteur des „Pilger aus Sachsen," gestellten Antrag wegen Aufstellung einer Kirchengemcindeordnung angenommen, der ähnlich wie der bekannte Chemnitzer auf Herstellung eines strengen Kirchcuzuchtsverfahrens (Ausschluß aus der Kirchengemeinde rc.) hinauskommt. So lange der zwischen Staat und Kirche entbrannte Kampf über die Grenzen ihrer beiderseitigen Befugnisse das Gcmüthslebcu des deutschen Volkes in seiner tiefsten Tiefe aufwühll und verbittert, entbehrt die nationale Einheit, trotz der gemeinsam dafür gebrachten schweren Opfer, immer noch eines ihrer hauptsächlichsten Bindemittel, und der wahre Vatcrlandsfreund würde die Stunde segnen, in wel cher die streitenden Mächte sich über die trennende Kluft hinweg die Hände zu einem Frieden reichen, der ohne Hintergedanken das Gebet anerkennt: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers und Gott, was Gottes ist. Ein anscheinend verdienstliches Werk hat daher die „dcutsch- conservative" Partei als FriedenSvermittleriu unternommen, allein während ein ehrlicher und dauernder Frieden nur zu Stande kommen kann, wenn die Kirche ihre Ansprüche aikf weltliche Dinge fallen läßt, die zum Wesen und den unveräußerlichen Rechten des Staates gehören, muthet diese Partei dem letzteren zu, den Frieden durch Milderung der sog. Maigcsetzc zu erkaufen und der Kirche Zuge ständnisse' zu machen, wodurch sich diese zu einem Friedensschlüsse bewogen findet. Damit würde der Staat seinem Ansehen und seiner Würde völlig entsagen und aufhören müssen, in seinem eigenen Hause Herr zu sein; denn wie weit die Anknüpfungspunkte noch auseinander liegen und wie wenig die ultramontanen Gegner an eine Herabstim mung ihrer hohen Forderungen denken, haben erst jüngst wieder die Beschlüsse der Generalversammlung der deutschen Katholiken in Mün chen gezeigt. Man hat dort u. a. den Satz ausgestellt: „Die Idee des omnipotenten (allmächtigen) Staates ist eine der unheilvollsten Verirrungen des menschlichen Geistes." Daß sich der Staat beigehen läßt, die äußere Rechtsstellung und das Verhältniß der Kirche zum Staat durch die Gesetzgebung zu regeln, wobei indeß jeder Eingriff in das innere Leben der Kirche ausgeschlossen bleibt, das wird ihm zum Vorwurf gemacht und zum Verbrechen angerechnet. Weiter heißt es: „Die Liebe zum Frieden darf keinen echten Sohn der Kirche verleiten, mit Ausgebung der Grundsätze und Gerechtsame der Kirche einen Vergleich herbeiführen zu wollen, welcher der Religion zum Schaden gereichen würde. Nur dem Papst steht es zu, die Zeit und die Bedingungen sestzustellen, um den Frieden zwischen den beiden von Gott verordneten Gewalten, die Eintracht zwischen Pricstcrthnm und Königthum zu begründen." Das sind keine Fricdensbedingungen, . e, r«" Grundlage sich weiter verhandeln läßt, sondern Forderungen, die stark an Canossa erinnern und die Hoffnung auf einen Friedens schlüße leider noch m weite Ferne Hinausrücken. Sie können eher zum Beweisen dienen, daß es die höchste Zeit wäre, den Cullurkampf zu beginnen, wenn derselbe nicht schon im vollen Zug wäre. Es ist zum Verzweifeln. Jeder Abend widerruft die Nachrichten aus der Türkei, die am Morgen eingetroffen sind. Beide, die Türkei und Serbien, haben den Waffenstillstnd abgelehnt. Tscheruajeff hat es abgelehnt, den König Milan, den er ausgerufen, wieder hinunter zuschlucken, und Milan hat es abgelehnt, Tscheruajeff vom Heere ab- zurufcn und zu bestrafen — aus guten Gründen; denn nicht Milan, sondern Tscheruajeff ist Herr im Lande. Auch das 10,000 Mann starke Serben-Heer in Tschuprija hat jetzt den Fürsten zum König ausgerufen. Tscheruajeff oder Milan (over beide gemeinschaftlich) foppen sämmtlichc Großmächte, Rußland etwa ausgenommen, sie wollen keinen Frieden. Und die Türkei? Die türkischen Politiker sagen: Ohne Krieg haben wir keinen Alliirtcn. Kommt es zum Kriege mit Rußland, finden wir so viele Alliirte, als wir nur wollen! — In einem eigenhändigen Briefe, den General Sommowkoff dem Kaiser Franz Joseph überbrachte, schrieb Kaiser Alexander, er wünsche auf richtig den Frieden, er sei aber der einzige Mann in Rußland, der den Frieden mit der Türkei wolle. — Die Waffenruhe an der Morawa ist gebrochen, der Kampf hat wieder begonnen. Dies war nach den letzten Meldungen aus Bel grad zu erwarten, da dort die Erneuerung der Waffenruhe auf 8 Tage abgelchnt worden war. Auch Montenegro soll in Ueberein stimmung mit Serbien die weitere Waffenruhe nicht anerkannt haben. Die Verantwortlichkeit für die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten trifft die Türken, selbst wenn sie keine offensiven Maßnahmen ver sucht haben sollten, insofern mit, als die Pforte jeden ordentlichen Waffenstillstand hartnäckig verweigert. Für die serbische Armee mag sich die Nothwendigkcit, nicht länger müßig im Felde zu liegen, aus der inneren Zusammensetzung dieses Heeres zur Genüge erklären. Nach den Berichten einiger Wiener Blätter wäre sogar der erneuerte Kampf dadurch hcrvorgernfen worden, daß die Türken den Versuch machten, die Morawa zu überschreiten. Diese Absicht soll gescheitert sein, da die Brücke bei Trnjan zerstört ward. Am Donnerstag hätten die Türken General Tscheruajeff auf der ganzen Linie angegriffen. Die „Deutsche Ztg." meldet hierüber weiter aus Belgrad: Auf der ganzen Linie Alexinatz-Bvbowiste-Schiljewatz wüthet ein heftiger Kampf Der russische Oberst Ljobow sprengte mit Dynamit die einzige Brücke der Türken, wobei mehre türkische Kanonen demontirt wurden. Der „Post" telegraphirt man aus Belgrad, 28. Sept.: Wie ver lautet, bemüht sich der russische Generalconsul Kwarzoff, Tscheruajeff zum Nachgeben in der Königsfrage zu Bewegen, aber vergebens. Der Fürst soll nächstens in das Hauptquartier abgehen. Laut Mel dungen aus Deligrad findet heute dort eine große Schlacht statt. Bis 4 Uhr Nachmittags war die serbische Armee im Vortheil; auch die Alexinatzer Besatzung griff in den Kampf ein. Der Ausgang der Schlacht ist noch unbekannt. Der „Deutschen Ztg." wird aus Bel grad telegraphirt: In dem gestrigen Ministerrathe wurde Krieg st outraneo beschlossen. 3000 Kosaken mit Pferden via Nuinänicn werden erwartet. Der neueste unter den Räthen ist der Reform-Rath. Er ist eine türkische Erfindung und kein einzelner Mann, sondern eine Elite von 60 Männern, 30 Muhamedanern und 30 Christen. Dieses Schock Männer soll die Reformen ausarbeiten, welche in dem buntschäckigen türkischen Reiche eingeführt werden sollen. Constantinopel, 28. Sept., Rachm. Der Sultan hat soeben sämmtlichc Friedensbedingungen der Mächte angenommen.