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Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für die Königl. Amtshauptmannschaft zu Meißen, das König!. Gerichtsamt und den Stadtrath zu Wilsdruff. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei mal, Dienstags u. Freitags und kostet pro Quartal 1 Mark.— Jnseratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittags 12 Uhr. Nrl"88. Dienstag, den 7. Noveinber 1876. In das Handelsregister für die Stadt Wilsdruff ist am heutigen Tage Folium 29 Rubr. III. verlautbart worden, daß an Stelle des verstorbenen Herrn Julius Fischer allhier Herr Johann Traugott Fritzsche', Leihbibliothekar allhier als Cassirer des hiesigen Vorschubvereins, eingetragene Genossenschaft, gewählt worden ist. Wilsdruff, den 6. November 1876. Das Königliche Gerichts-Amt. vr. Gangloff. Tagesgeschichte. Die deutsche Thronrede hat verkündigt, daß Deutschland das Blut seiner Söhne nur zum Schutze seiner eigenen Ehre und seiner eigenen Interessen einsetzen werde. Das ist sehr tröstlich, aber selbst manchem guten Patrioten noch nicht genug. Die „Cölln. Ztg." ;. B. sagt: „Wenn es sich im Orient blos um die englischen Handels interessen handelte, so würden wir alle ruhig schlafen. Wenn aber die Donaumündungen oder gar Constantinopel in die Hand Rußlands fallen sollten, so würde Süd- so gut wie Norddeutschland kennen lernen, was eine russische Grenzsperre zu bedeuten hat. Es handelt sich aber um noch ganz andere Interessen als um kaufmännische. Es handelt sich um die Ordnung und das Gleichgewicht Europas. Eu ropa hört auf, ein wohlgeordnetes Staatensystem zu sein, wenn Ruß lands Uebcrmacht schon so hoch gestiegen ist, um auf eigene Hand, ohne und gegen den Willen Europas, ohne irgend eine gerechte Kriegsursache, den Krieg gegen einen benachbarten Staat erklären zu dürfen." So weit aber wirds nicht kommen. So oft Napoleon eiue Thronrede hielt, stand die Welt ans den Fußspitzen und lauschte. Dasmal wurde die französische National versammlung in Versailles und der deutsche Reichstag in Berlin an demselben Tage (30. Octbr.) und zur selben Stunde eröffnet, —und auf welche Thronrede lauschte, wir wollen nicht sagen, die Welt, sondern Paris? Auf die deutsche. Die Pariser griffen zuerst nach den Depeschen aus Berlin und dann nach den Depeschen aus Ver sailles. Die Versailler Abgeordneten hätten's den Andern sehr übU genommen, wenn sie's nicht selber so gemacht hätten, sie eilten nach dem letzten Wort aus der Kammer, um die Berliner Depeschen zu studiren. Und sie sinds auch, die das Sonst und Jetzt zur Sprache gebracht haben. Der Ober-Postdirector von Jahn in Bromberg hat den Beamten und Unterbeamten seines Ressorts eine Ergebenheits - Adresse an den General-Postmeister vorlegen lassen in welcher die „vielen unberech tigten und gehässigen Angriffe", der Presse neuerdings angeblich gegen Lie Leitung des Post- und Telegraphcn-Departements gerichtet haben soll, als unwürdig und unlauter zurückgcwiesen werden. Mit Recht hat ein solches unqualificirbares Vorgehen unter allen Beamten des Bezirks die größte Entrüstung hervor'gerufen. Abgesehen von allem Anderen verräth übrigens der genannte Herr Ober-Postdirector eine ganz unglaubliche Naivetät, wenn er den Postbeamten zumuthet, Front gegen die Presse zu machen, weil ihre nur zu berechtigten Klagen in ihr zu Worte kamen. Die schöne Zeit, die Herr Stephan seinen Beamten beim Antritt seiner Stellung versproch, ist nicht blos nicht gekommen, im Gegentheil hat sich die Lage, namentlich der unteren Beamtenclassen, nachweislich verschlimmert und es ist eine Thatsache, daß gerade unter den Unterbcamten der Postverwaltung nie eine so große, und gewiß in der Hauptsache berechtige Unzufriedenheit ge herrscht, als gerade jetzt. Unter solchen Umständen Vertrauens- und Dank-Adressen von diesen Beamten fordern, ist wie gesagt sehr naiv. Die Sache hat aber auch noch ihre sehr ernsten Seiten, die indeß so klar zu Tage liegen, daß es nicht nothwendig ist, sie näher zu be leuchten. Wir erwarten übrigens als das Mindeste, daß der General- Postmeister den Herrn Ober-Postdirector in der nachdrücklichsten Weise rectificirt. Nach dem vom „Petersb. Negierungsanz." am Abend des 2.' November veröffentlichten Telegramm des russischen Botschafter Jg- natieff aus Constantinopel, welches lautet: „Die Pforte hat sich be reit erklärt, auf Abschluß eines 2monatlichen Waffenstillstandes und zwar von gestern (I. November) an beginnend, einzugehen und hat die Befehlshaber der türkischen Truppen angewiesen, die Feindselig keiten auf dem ganzen Kriegsschauplätze sofort einzustellen", ist bei den in Serbien kämpfenden Heeren die sicher beiden Theilen sehr er wünschte Waffenruhe eingetreten. Der Waffenstillstand wird nicht, wie früher angenommen, 6 Wochen sondern 2 Monate daueren. Es ist darauf zurückzuführen, daß das russische Ultimatum seitens der telegraphischen Berichterstattung unrichtig mitgetheilt worden ist. Von einer weiteren Verlängerung des Waffenstillstandes für den Fall, daß die Friedensvcrhandlungen in 2 Monaten zu keinem Resultate führen sollte, verlautet bisher noch nichts. Daß selbst mit der Annahme des Waffenstillstandes alle Schwierig keiten noch nicht gehoben sind, leuchtet ein, und zwar sind diese Schwierigkeiten durch die letzten Erfolge der Türkei gesteigert, wie wir dies fortwährend angedeutet haben und, wie es die „Jndopendance" in einem feinen französischen Worte treffend ausdrückt: „Die Türkei spielt unglücklich; ihre Truppen sind in Alexinatz eingerückt." Denn im Besitze der festen Positionen vor Alexinatz, Djunis und Deligrad wird sich voraussichtlich bei den wirklichen Friedensverhand lungen die Pforte nicht sehr nachgiebig zeigen und auf der andern Seite bleibt es für Rußland doch eine Ehrenpflicht, die slavische Sache in Serbien nicht im Stich zu lassen, nachdem die erste Anregung zum Kampfe Serbiens gegen die Pforte von den panslavistisch gestimmten russischen Kreisen ausgegangen war. Man kann der Wiener „N. Fr. Pr." nicht Unrecht geben, wenn sie auf die Nachricht von dem rus sischen Ultimatum schon schreibt: „Die russischen Staatsmänner mußten empfinden, daß die Niederlage von Djunis eigentlich eine russische sei, daß Rußland, wenn es nicht im letzten Augenblicke dem nieder- geworfcnen, aus tausend Wunden blutenden Serbien bcispringe, für ein Menschenalter nicht nur allen Einfluß ans die Südslaven verlieren, sondern von ihnen als Verführer verflucht würde." Die serbische Negierung mußte sich selbstverständlich möglichst rasch für den Waf fenstillstand entschließen, da die Verfassung der Armee ihr dies vor schrieb. Fürst Milan hat sich mit eigenen Augen überzeugt, daß das mit so großen Opfern geschaffene Heer durch den bisherigen Verlauf des Feldzuges — vielleicht nicht zum Wenigsten durch die Führung — vollkommen erschüttert ist. Dem „Moniteur" wird aus Belgrad gemeldet, daß in der Schlacht vom 29. October die serbische Artillerie, erbittert durch das wegwerfende Auftreten Tschernajeff's, sich weigerte, weiter zu fechten, ihre Stellung bei Djunis verließ und die Flucht ergriff. „Sie konnte durch nichts bewogen werden, ihre Pflicht zu thun." Diese Notiz ist wohl nur ein vereinzelter Zug aus dem Ge- sammtzustande des serbischen Heeres, durch welchen die plötzliche Ab reise des Fürsten Milan auf den Schauplatz der Ereignisse zur Ge nüge erklärt ist. Privatnachrichten aus Deligrad melden, daß die Zerwürfnisse in der serbischen Armee ihren Höhepunkt erreicht haben. Es ist bis zur förmlichen Revolte gekommen. Die serbische Armee, selbst die Artillerie, ist vollkommen demoralisirt und schlechterdings unfähig, den Kampf wieder aufzunehmen. Die Serben verbrannten Deligrad und zerstörten ihre eigenen Winterquartiere. Die Russen wollen eben falls nicht mehr für die Serben kämpfen, welche sie im entscheidenden Momente bei Djunis im Stich ließen und sich zur Flucht wandtest. Als Fürst Milan all das Unglück sah, brach er in Thränen aus.