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Wochenblatt - für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Sievenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für die König!. Amtshauptmannschaft zu Meißen, das König!. Gerichtsamt nnd den Stadtrath zu Wilsdruff. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei mal, Dienstags u. Freitags und kostet pro Quartal 1 Mark.— Jnseratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittags 12 Uhr- Nr. 83 Dienstag, den 31. October 187« Tagesgeschichte. In Freiberg ist begreiflicher Weise der Krach der Muldenthal- Papierfabrik und das dadurch bedingte Unglück des dortigen Dar- lehnsvereins das allgemeine Tagesgespräch. In Folge der Nichtbe zahlung vieler Wechsel in Höbe von ca. Mill. Mark ist vor 8 Tagen ein allgemeines Veräußerungsvcrbot gegen die Muldcnthal- Papierfabrik erlassen worden, und es ist denn auch bereits der Con- curs über das Vermögen dieses Etablissement eröffnet. Der Darlehns- verein ist dabei mit ca. 350,000 Mark Wechselforderung, einer Sicher heitshypothek im Betrage von 250,000 Mark direct belheiligt und außerdem noch im Besitz einer großen Anzahl Acticn und Prioritäten. Die ca. 1800 Mitglieder des genannten Vereins, welche mit den im vorigen Jahre ausgetretenen ca. 400 solidarisch haften, verlieren nun nicht allein die erst thcilweise eingezahlten 300 Mark, sondern müssen noch mindestens 300 — 350 Mark nachzahlen, was sich aber bei der Mittellosigkeit vieler Mitglieder und der nothwendigcn Liquidation der Gesellschaft, wobei sich viele faule Außenstände herausstellen werden, voraussichtlich noch bedeutend steigern wird. Diesen bedauerlichen Fällen werden noch mehrere große Pleiten auf dem Fuße folgen. Großenhain, 29. October. Der Wiederaufbau des am 25. September 1872 durch Arand zerstörten Ralhhauses, welches auch in seinen inneren Theilen der Hauptsache nach vollendet ist, ist so weit gediehen, daß dasselbe am I. November feierlich eingeweiht werden soll. Aus Großenhain wird unterm 24. Oct. geschrieben: Nachdem bereits seit voriger Woche bekannt geworden war, daß man dem bis herigen Cassirer des Credit- nnd Vorschußvcreins, Stadtrath Franke, insoweit auf der Spur sei, daß er sich in Triest auf einem von dort nach Alexandrien abgehenden Schiffe unter dem Namen Kaufmann Otto aus Dresden habe einzeichnen lassen, durchlief heute Morgen die hiesige Stadt das Gerücht, daß der Flüchtling in Alexandrien entdeckt und inhaftirt worden war. Nach im Laufe des Tages cin- getroffenen sicheren Nachrichten hat dieses Gerücht seine Bestätigung gefunden. Zittau. Am 22. October ereignete sich kurz vor Zittau ein eigenthümlicher, komischer Vorfall, der jedoch die traurigsten Folgen hätte haben können. Ein Hirt, der auf dem Felde eingcschlafen war, hatte in Folge dessen vergessen, seine Heerde Schöpse einzutrciben. Da kommt in Hellem Lichterglanze der nach 9 Uhr von Zitlau nach Löbau fahrende Zug. Der Leithammel, über den Störenfried erbost, beschließt ihm zu Leibe zu gehen und rennt, gefolgt von seinen treuen Genossen, muthig in den in' vollem Fahren begriffenen Zug. 15 oder 16 Hammel sind bei dieser Affaire überfahren worden rind cs ist für ein großes Glück anzusehen, daß die Maschine und Waggons nicht entgleisten. Im Jahre 1875 haben im Königreich Sachsen 810 Brände stattgefundcn; es befinden sich darunter 27 erwiesene vorsätzliche Brandstiftungen (2 durch Kinder), 240 muthmaßlich vorsätzliche Brand stiftungen (1 durch Kinder), 76 fahrlässige Brandstiftungen (55 durch Kinder), 69 muthmaßlich fahrlässige Vranostiftungen (13 durch Kinder), 80 Brandstiftungen durch zündende Blitzschläge. Die dafür bewilligten Entschädigungen betrugen 2,618,001 M. 46 Ps.; davon kamen 726,098 M. 74 Pf. auf die Städte, 1,891,902 M. 72 auf die Dörfer. Zwickau. Unterm 19. October wurde im k. Appcllationsgericht der Concursproceß gegen Fr. Wilh. Edmund Grasen von Schönburg zu Rochsburg, Sohn des 82jährigen Grafen Heinrich von Schönburg zu Glauchau, eröffnet. Vou Jntereffe für die Tagesfrage sind jedenfalls die Erklärungen, We^e der Ministerpräsident Graf Auersperg in der Sitzung des öster- rttchlschen Abgeordnetenhauses am 26. Octobcr abgegeben hat. Das gemeinsame Programm ist die unbedingte Forderung der Verbesserung des Looses der Christen in der Türkei, die jetzt mit allen Kräften durchgesetzt werden muß, Von der russischen Grenze, 21. Octobcr. Mißtrauen ist das characteristische Merkmal der augenblicklich in den leitenden russischen Kreisen herrschenden Stimmung, Mißtrauen gegen die Alli- irten, Mißtrauen gegen jene Staaten, die nicht als Verbündete an zusehen sind, aber Rußland gewähren lassen zu wollen erklärten, Mißtrauen des Czaren gegen seine eigene Umgebung und Mißtrauen gegen die eigene Kraft. Mit diesen verschiedenen Arten von Miß trauen hängt es zusammen, daß man, wiewohl wiederholt die Noth- Wendigkeit eines beschleunigten Handelns angekündigt worden, und man sich hierbei auf das Drängen der öffentlichen Meinung berufen, dennoch mit einer Action zögert. Man hat nunmehr Rumänien und Griechenland dahin gebracht, daß sie, wenn Rußland losschlägt, gleichfalls in die Action treten werden; man weiß auch, daß die Türken unterliegen müssen, wenn ein solcher Angriff von allen Seiten erfolgt. Allein man fürchtet, daß, wenn einmal der Krieg ausge brochen und er nicht in die Grenzen zu bannen sein würde, welche einzuhalten man sich Oesterreich und England gegenüber verpflichtet hat, man sich dennoch plötzlich Mächten gegenüber sehen könnte, welche zu bekämpfen die eigenen Kräfte nicht ausrcichen könnten. Man hat es durch geschäftsmäßige Abmachungen allerdings dahin gebracht, daß England die Türkei sich selbst überläßt, nicht aber dahin, daß es dieselbe Rußland überlasfe. Man weiß recht gut, daß in London von Seite der Diplomatie und der Presse manches nur geschieht, thcils um einen Druck auf die Pforte im friedlichen Sinn auszuüben — womit den russischen Zwecken nicht gedient ist — theils um Ruß land cinzulullen. Eben so wenig traut man Oesterreich, weil man, trotz aller Geneigtheit der österreichischen Regierung an der Seite Rußlands zu bleiben, sagen muß, es könnte, so gut wie man in Rußland selbst ans die Volksstimmung Rücksicht nehmen muß, die antirussische Stimmung, die sich in dem österreichischen nnd ungarischen Parlament laut genug knndgibt, der Regierung doch über den Kopf wachsen. Man unterschätzt auch die Stimmen nicht, die gegen Ruß land gerichtet, in der unabhängigen Presse Deutschlands laut werden. Der Czar ist unschlüssiger denn je. Einen Augenblick hieß es: der Großfürst-Thronfolger solle die Höfe von Wien, Berlin und London besuchen, was keinen anderen Zweck gehabt hätte, als eben den Thronfolger in der Vordergrund zu stellen und ihm zugleich Gelegenheit zu bieten, die Voreingenommenheit zu bekämpfen, die an den verschiedenen Höfen gegen seine politischen Tendenzen herrscht. Nun scheint man von dem Plane, den Czarewitsch reisen zu lassen, zurückgekommen zu sein, da dem Czaren dieses Experiment zu gefähr lich erscheinen mag. Auch der eigenen Kraft traut man nicht mehr recht, wir meinen der militärischen sowohl als der finanziellen, denn wenn auch wirklich schon so viele Soldaten aufgestellt wären, wie vorgegeben wird, so fragt es sich doch, wie man sie auf die Dauer erhalten, für einen Winterfeldzug versorgen soll, da, wie es sich zeigt, jede Geldbeschaffung nicht blos im Auslande, sondern auch im eigenen Land auf die größten Schwierigkeiten stößt. Das sind die Gründe, aus welchen, da man schon vor Wochen vor dem unmittelbaren Aus bruch des Krieges zu stehen glaubte, die russische Actionslust in den letzten Tagen in ein gemäßigteres Tempo gerathcn zu sein scheint. Nach einem im „Militär-Wochenbl." niedergelegten Urthcil eines österreichischen Oberstlieutcnants hat sich der russische General Tscher- najeff, „der Sieger von Taschkent,", welcher jetzt die Kriegsoperationen der serbischen Truppen leitet, zwar als Führer im Kampfe gegen wilde asiatische Horden bewährt, aber bis heute noch nicht den Be weis geliefert, daß er auch in einem geregelten Kriege gegen discip- linirte und thcilweise geschulte Truppen seinen Platz auszusüllen vermag. An leichte Erfolge gewöhnt, zeige Tschernajeff oft einen Leichtsinn, der ihm anderen Feinden gegenüber theuer zu stehen kommen würde. Uebcrhaupt mache sein bisheriges Thun und Lassen den Ein druck, als ob er sich stets mit weitreichenden strategischen Entwürfen trage, ohne die Fähigkeit zu besitzen, eine Fcldschlacht tactisch richtig zu leiten. Mit Uebcrrcichung eines Ehrensäbels hats demnach keine so große Eile.