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Nr. 283. — 87 Jahrgang Mittwoch, den 5 Dezember 1928 WUsdruff-Dresden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Postscheck: Dresden 2640 KW Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschaft Meißen, des Amts- gerichts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Da« .Wilsdruffer Tageblatt" erscheint an allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. Bezugspreis: Bei Abholung in der Geschäftsstelle und den Ausgabestellen 2 RM. im Monat, bei Zustellung durch die Boten 2,30 RM., bei Postbestellung Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend träger und Geschäftsstellen .... ... — — ... nehmen zu jeder Zeit Be ¬ stellungen entgegen. 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Ist irgendeine politische An gelegenheit derart brennend, daß es notwendig ist, im eng lischen Parlament darauf einzugehen, so bestellt sich die Regierung entweder bei den Regierungsparteien oder auch bei der Opposition eine Kleine Anfrage in dem ge wünschten Sinne. So kann man feststellen, daß ganz anders wie im Deutschen Reichstag oder in den Land tagen die englische Regierung durch besonders Beauf tragte auf derartige Anfragen der Opposition ausführlich eingeht, — und unter dieser Voranssetzung muß man auch die Beantwortung einer Kleinen Anfrage betrachten, die im englischen Parlament — ohne daß es hier auf den Namen des Anfragenden ankommt — von dem Außen minister Chamberlain beantwortet worden ist und die sich auf die N h e in l a n d r ä u in u n g bezieht. Chamberlain erklärte hierbei, Deutschland besitze keinen juristischen Anspruch auf die sofortige Nheinland- räumung; es gebe keine rechtliche Begründung für die Be hauptung, daß Deutschland alle seine ihm durch den Friedensvertrag auferlegten Verpflichtungen erfüllt habe, so daß Deutschland die Zurückziehung der Besatzungs truppen aus dem Rheinland vor dem Ablauf des im Versailler Vertrag niedergelegtcn Zeitraumes als ein Recht verlangen könne. Das hat Chamberlains Vertreter auf der letzten Genfer Konferenz, Lord Cushendun, ebenso gesagt, wie es auch Briand nnd die belgische Regierung getan haben. Mehr noch: Im Namen der englischen Re gierung erklärt Lord Chamberlain, es genüge nicht, daß Deutschland die vereinbarten Reparationszahlungen regelmäßig und ordnungsmäßig laufend leiste. Daraus könnte Deutschland nicht den Anspruch herleiten, die Be stimmungen des Artikels 431 des Versailler Vertrages für sich in Anspruch zu nehmen, wonach die besetzten Ge biete geräumt werden sollen, sobald Deutschland die ihm auferlegten Verpflichtungen militärischer und finanzieller Art erfüllt. Diese Erklärung des englischen Außenministers ist insofern außerordentlich wertvoll, als sie eine ganze Reih^ von Illusionen zerstört. Die Schroffheit dieser Erklärung wird nicht dadurch gelindert, daß Lord Chamberlain erklärte, die Frage der Rbeinlandräumung habe auch noch eine politische Seite. Hier hänge die Ent scheidung von anderen Gesichtspunkten ab und die eng lische Regierung sei sehr dafür, daß die Rheinlande so schnell wie möglich von den französischen, belgischen und englischen Truppen geräumt werden. Es fragt sich nur, ob Frankreich und Belgien dieselben politischen Gesichts punkte gelten lassen, die anscheinend im englischen Sinne liegen, — obwohl inan ruhig der Vermutung Ausdruck geben kann, daß die Erklärung Lord Chamberlains anßerordentlich billig ist, weil er es selbst weiß saß an eine Räumung des Rheinlandes durch die Fran zosen und Belgier gar nicht gedacht wird. Auch daß es die englischen Kronjuristen waren, die aas Nechtsgutachtcn für den Außenminister Englands zu sammengebracht haben, wird nicht verhindern können, daß mau in Deutschland ganz anderer Ansicht ist. Außerdem wird die Erklärung Chamberlains gerade jene Kreise in Deutschland aufs schwerste enttäuschen, die zeglaubt haben, daß inan in London auf ein größeres Verständnis für eine wirkliche Befriedung des curopäi scheu Kontinents stoßen würde als in Paris. Daß zehn Jahre nach Friedensschluß fremde Truppen auf deutschem Boden stehen, ist aber gerade das Haupthindernis für eine solche Befriedung. Die Aussicht, daß noch bis 1935 Truppen im Rheinland stehen werden, wirkt als stärkstes Gegenargument gegen jeden Versuch, ein besseres Ver hältnis zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten herbeizuführen. Und die Erklärung Chamberlains be weist, wie sehr England im politischen Schlepp ta n F r a u k r c i ch s ist. Vor einigen Wochen hat auch aer polnische Außenminister protestieren zu müssen ge glaubt gegen eine baldige Rheinlandräumuug. Auch er berief sich chff den Versailler Vertrag. Das gleiche tut jetzt Chamberlain. Und morgen wird es auch Poincarä tun. Infolgedessen mehrt sich die Zahl derer in Deutschland, sic, wie der .lußeiummstcr Dr. Stresemann, von deni Geiste von Locarno nicht bloß Worte oder Reden er hoffen und verlangen, sondern vor allem Taten. * Die Konferenz von Lugano. Abreise der Deutschen. Die deutsche Delegation zur bevorstehende« Tagung des Völkcrbnndratcs in Lugano reist am Freitag von Berlin ab. Sic wird geführt von dem Reichsnußen- Minister Dr. Stresemann, der von dem Staatssekretär Dr. von Schubert und dem Ministerialdirektor Gaus be gleitet wird. In Paris spricht mau die Erwartung ans, daß in Lugano neben den Privatbcsprcchungcn zwischen Briand, Chamberlain und Stresemann auch die poli tische» Unterhaltungen* im nrößeren Kreise Ünttfinden dürften, an denen die fünf Großmächte Deutschland, Eng laud, Frankreich, Italien und Japan tcilnehmcn werden Der wichtigste Gegenstand der Genfer Kulissenverhand lungen werde aber die Besprechung über eine vorzeitige Rheinlandräumuug und die Einsetzung der F e st stellunqs - und V e r s ö h n n n g s k o m m i s s i o n sein. Falls bis zur Ratstagung in Lugano die Vorver Handlungen über die Einberufung des Sachverstän digenausschusses nicht beendet sein sollten, würden sie in Lugano versammelten Anßcnininistcr auch in dieser Frage die letzte Entscheidung zu fällen haben. An den Beratungen von Lugano in der Rheinland frage wird die belgische Negierung nicht teilnehmen, da sie im Völkerbundrat nicht vertreten ist. Um so verständ licher ist es, daß der belgische Botschafter in Paris wäh rend seiner Montagunterredung mit Außenminister Briand seine Auffassung über die vorzeitige Räumung des Rheinlandes ausgesprochen hat, wobei es kaum der Erwähnung bedarf, daß Belgien und Frankreich die Rheinlandfrage vom gleichen Gesichtspunkte aus be trachten. Hoeschs und Briands Besprechungen. Die Einsetzung der Sachverständigenkonferenz zur endgültigen Festsetzung der deutschen Schuldenlast und die Rheinlandräumung werden zweifellos im Mittelpnnkr oer Tagung von Lugano stehen und ihr den Charakter «eben. Bei den Montagbesprechungen des deutschen Bot schafters von Hoesch in Paris mit dem Außenminister Briand und dem Ministerpräsidenten Poincare handelte es sich um die Erörterung der noch strittigen, Fragen des Sachverständigenkomitees, und zwar um 1. das Mandat der Sachverständigen, d. h. ihren Aufgabenkreis, und 2. den Zeitpunkt der Einschaltung der Reparations- commission in die Verhandlungen. Botschafter von Hoesch soll in Paris erklärt haben, Saß die deutsche Regierung ihre Stellungnahme in der Frage der Ernennung der Sachverständigen zur Rege lung des Reparationsproblems nicht geändert habe. Deutschland bleibe bei dem in Genf getroffenen Beschluß, vaß die Sachverständigen von den Negierungen ernannt werden müßten. Deshalb sei cs noch nicht sicher, daß die Alliierten bald aus das deutsche Memorandum vom 30. Oktober antworten würden. Sämtliche alliierten Mächte scheinen jedoch einmütig darin zu sein, daß die Antwort in Berlin noch vor Zusammentritt des Böllcr- bundxates eintreffen sollte. Feslstehen soll dagegen, daß die Reparationssachver stäMgewkEmUion in Paris tagen und daß jede der Briand beglückwünscht sich zu Locarno. Paris, 4. Dezember. Die Kammer begann heute vor mittag die Beratung des Budgets des Außenministeriums. Ab geordneter Loulier (Gruppe Marin) erläuterte den Bericht über diesen Budgettitel, wobei er die Stellen hervorhob, die sich gegen den Anschluß Oesterreichs an Deutschland richten. Er forderte die Revision des Betrages der Schulden Frankreichs, sowie Aufrechterhaltung der Besetzung des Rheinlanbes als Zahlungs- und Friedensgarantie. — 8m Namen der radikalen Partei sprach der frühere Unterrichtsminister Francois Albert. Er beschwört Briand, jetzt ein Ostlocarno zu schaffen, das nötig sei, da Deutschland noch immer Pläne schmiede, sei es hinsicht lich des Anschlußes Oesterreichs, der Beseitigung des Danziger Korridors oder Schlesiens. Er befürchte, daß der Versailler Vertrag, der den Anschluß Oesterreichs an Deutschland ver hindern sollte, wie ein Spinnetz zerreißen könnte. Briand wendet ein, er habe vor einer Versaimnlung, auf der 52 Nationen ver treten waren, daraus hmgewiesen, daß darin eine ernste Be drohung für den Frieden liegen würde und eine ungeheure Mehr heit der Versammlung habe seinen Worten zugestimmt. Albert appelliert an die französischen Sozialisten, sie möchten die deutschen Sozialisten dazu bringen, auf den Anschlußgadan- ken zu verzichten. Im Namen der sozialistischen Fraktion erklärte der Abg. Bracke, er und seine politischen Freunde seien für die Räumung des Rheinlanbes. In dieser Hinsicht müße er erklären, daß die Politik des Ministers des Aeußeren ihn vollkommen enttäuscht habe. Daraus ergriff Minister des Aeußeren, Briand, das Wort. Er erklärte: Eine gewiße Propaganda hatte die Deutschen dahin gebracht, anzunehmen, es wäre möglich, schon jetzt Dinge zu er zielen, die eben noch nicht erzielt werden können. Briand sprach alsdcüm von der Locarnopvlitik. Er habe volle Hoffnung zu dem Pakt von Locarno, den Frankreich gewissenhaft respektiert habe. Deutschland habe aus Locarno einen großen Nutzen gezogen, der viel größer sei, als es ihn vor den Verhandlungen über den Pakt erwartet habe. u> ihr vertretenen sieben Mächte, einschließlich der Ver einigten Staaten, je zwei Sachverständige ernennen iverde. * Segen Chamberlains Anterhauserklörnng Eine offiziöse deutsche Auslassung. Die dem Reichsaußenminister nahestehende Deutsche diplomatisch-politische Korrespondenz beschäftigt sich mit oer Rede Chamberlains. Sie hält den Ausführungen über die juristische Seite der Näumungsfrage das "be kaimte Protokoll der „Großen Drei" vom 17. Jimi 1919 entgegen, worin erklärt wird, daß die verbündeten Mächte die Erhaltung der militärischen Besetzung bis zur voll ständigen Erfüllung aller Reparationsbestimmungen nicht gefordert haben, weil sie der Ansicht gewesen seien, daß -Deutschland dazu genötigt sein werde, vor dem Ablauf oer Frist von 15 Jahren die Beweise guten Wil lens und die notwendigen Garantien zu geben. Solche Garantien, so fährt die Deutsche diplomatisch- politische Korrespondenz fort, sind, und zwar gerade für sie Neparationsverpslichtungen, in einer unan zweifelbaren und unantastbaren Form und in einem Ausmaß durch das Dawes-Abkommen gegeben worden, wie man das bei Abfassung des Artikels 429 oder des erwähnten Schreibens der drei alliierten Ttaatk- männcr noch nicht einmal ahnen konnte. Demgemäß ist die Ansicht der konsnlticrtcn Juristen, einschließlich der Mehrzahl der englischen Kronjuristcn, eine der Chambcr- lainschc» These, der alten Behauptung der französischen Nationalisten, durchaus entgegengesetzte. Und erst am 4. November hat der britische Schatzkanzlcr Churchill im Gegensatz zu dieser Ehambcrlainschcn Auffassung an der gleichen Stelle formell erklärt, als er gefragt wurde, ob die Rcparationsregelung mit der Räumung des Ntzein- sandes verknüpft sei: „Nein, das ist eine getrennte und auch wünschenswerte Angelegenheit." In jedem Falle kann man die Darlegungen des bri- lischc» Außenininisters nur auf das allere» schieden ste z u r ü ck w e i sc n, wie dies die englische Presse selbst übrigens schon getan hat. Bei Aufrecht erhaltung einer solchen Auffassung würde man gegen oen Wortlaut des Vertrages, gegen seine eigene Interpretation durch seine Urheber, gegen die An sicht der meisten Juristen, gegen den Sinn aller Garantien und Verträge der letzten fünf Jahre den Vorwand nicht nur für die Aufrechterhaltung, sondern auch sür eine Ver- iängcrung der Nheinlandbesetzung auf Jahrzehnte hinaus rinden. Wenn es der Zweck dieser Erklärung gewesen "ein sollte, auf die Neichsrcgierimg einen D r n ck in de r Rcparaiionsfrage auszuüben, so sei schon jetzt -estgestellt, daß diese es kategorisch ablehnen wird, irgend welche Konzessionen in dieser Frage unter dem Druck der Räumnngsfrage zu machen. Er beglückwünsche sich dazu, der französische Außenminister ge wesen zu sein, der diese Entschlüsse gefaßt habe. Als der Reichs kanzler in Genf den Wunsch ausgesprochen habe, Verhandlungen mit Frankreich über das Rheinland einzuleiten, habe sich Frank reich zu diesen Verhandlungen bereitcrklärt. Aber man habe nicht vergessen dürfen, daß Frankreich nicht allein sei rmd nicht das Recht habe, isoliert diese Frage zu diskutieren. Die Ver treter der Alliierten seien zusammengetreten, und Reichskanzler Müller habe zu ihnen gesagt: Deutschland hat das Recht, die sofortige Rheinlandräumung zu fordern. Frankreich und Eng land haben darauf mit dem Vertrage in der Hand geantwortet: Das ist nicht richtig. Deutschland hat dieses Recht nicht- Briand spricht alsdann von der Einsetzung militärischer Kontrollmis- sicnen, vom französisch-englischen Flottenkompromiß sowie den französisch-italienischen Beziehungen, und beantwortet schließlich die Ausführungen des radikalen Abgeordneten Francois Albert über die Anschlußfrage. Man könne den Anschluß nicht durch fuhren ohne Zustimmung des Völkerbundes. Die Nationen vor eine vollendete Tatsache zu stellen, wäre ein ernster Akt, eine Ueberraschung dieser Art könnte Rückwirkungen aus die Aufrecht erhaltung des Friedens haben. Wenn es auch berechtigt sei, wie man das ja getan habe, vom Selbstbestimmungsrecht der Völker zu sprechen, so habe man niemals das Selbstmordrecht der Volker ins Auge gefaßt. Wenn in einem Lande neun Zehntel der Bevöl kerung es aus den Selbstmord abgesehen habe und als Nation verschwinden wolle, und wenn nur ein Zehntel der Bevölkerung diesen Gedanken ablehne, rmd an den Traditionen festhalten wolle, dann habe man nicht das Recht, dieses eine Zehntel zu zwingen, den anderen zu folgen. Briand appellierte schließlich an das europäische Gewißen des österreichischen Volkes, damit es nicht unter Verkennung der gegenüber dem Völkerbund mid gcgenübcr den zivilisierten Nationen iibcrnomm-men Verpflich tungen den Weltfrieden störe. Als Briand seine Rede beendet hat, wird er von den an wesenden Ministern und fast von der gesamten Kammer beglück wünscht. MM Kamps Wen den AWH