Volltext Seite (XML)
IM- Zweites Blatt. 'M, WMMKWW Erscheint , wöchentlich dreimal u. zwar DienS- tags, Donnerstag und Sonnabends. Bezugspreis viertel), s Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen j Mk. 55 Pf. Einzelne Nummern j0 Pf. ThmM. Me«. Äkbenlehn md die WgeMdeli. Imlsblult Inserate werden Montags, Mittwochs «id freitags bis spätestens Mittags s2 Uhr angenommen. Insertionsprsis s O pf. pro dreige spaltene Eorpuszeile. für die Rgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Lorstrentamt zu Tharandt. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H. A. Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. No. 133. Sonnabend, den 9. November 18SS. Blüthen aus Ruinen. Erzählung von E. von Linden. (Nachdruck verboten.) Er sank bei ihr nieder und preßte ihre Hand an seine Augen. Sie zitterte und rang mit Ohnmacht, in ihrem Herzen aber blühte ein Frühling, und ein Gefühl unnennbarer Seligkeit durchfluthete ihre Brust. Ein Geräusch an der Thür entriß sie dem süßen Traum. Sie blickte auf und stieß einen leichten Schrei aus. Rasch erhob sich Leo und sah erschreckt auf seine Mutter und seinen Bruder, der totenbleich, mit vor Wuth verzerrten Zügen, auf die Gruppe schaute. »Elender Judas!" stieß Fritz mit heiserer Sttmme hervor; »ich hab es mir gedacht, doch lebendig bekommst Du sie nicht!" Im nächsten Augenblick blitzte ein Messer in seiner Faust, mit welchem er sich auf Leo stürzen wollte. »Die Braut von Messina!" murmelte Letzterer, sich rasch dem Bruder nähernd und ihm das Messer gewandt entwindend. „Was willst Du beginnen, blinder Thor?" raunte er ihm leise zu; „glaubst Du dadurch ein solches Mädchen zu gewinnen?" Leo war leichenblaß geworden, — er beruhigte dietödtlich erschreckte Mutter, sowie die jamernde Frau Müller und bat, keine Szene in dem Zimmer der Kranken zu machen. »Verzeihen Sie meinem Bruder, Fräulein Leonard!" wandte er sich an Sidonie, welche sich im Uebermaß des Schreckens erhoben hatte, „und vergessen Sie, was ich vorher im Scherz zu Ihnen gesprochen habe." »Ich wollte eigentlich um Ihre Hand für meinen Bruder bitten und führte dabei, um Sie zurückzuhalten, eine Komödie auf. Vergeben Sie mir, Fräulein! und werden Sie die — Tochier meiner Eltern — meine Schwägerin!" »Ja, liebe Sidonie," nahm Frau Holbach, welche sich der Kranken genähert und ihre Hand ergriffen halte, nun das Wort; „Leo hat die Wahrheit gesprochen, nicht er, sondern mein Fritz bittet um ihre Hand, werden Sie seine Gattin und unsere liebe Tcchter!" Leo trocknete sich die Stirn und trat ans Fenster, während Fritz scheu und ungewiß bald auf Sidonie blickte, welche starr und regungslos wie em Marmorbild vor sich hiublickte. Als Frau Bertha ihre Hand ergriff, zuckle sie heftig zu sammen und stöhnte laut auf. „Niemals, nie!" rief sie außer sich; „o, kommen Sie, liebe Frau Müller, retten Sie mich vor dielen fürchterlichen Menschen; — ich will fort, fort übers Weltmeer —" Sie riß sich von der bestürzten Frau Holbach los und wankte in die Arme der bekümmerten Wirthin, wo sie ohn mächtig zusammenbrach. „Da haben wir's," grollte Frau Müller; „sind mir eine schöne Pflegerin, Madame! und Sie, junger Herr!" wandte sie sich an Leo, „sollten sich schämen, mich so zu betrügen." „Lassen wir das, liebe Frau!" versetzte Leo, dessen Antlitz ganz entstellt war, so bleich und verstört sah er aus: „hier haben Sie den Preis des Passage-Billets, geben Sie es mir, Sie sehen wohl, daß die junge Dame nicht reisen kann." Er drückte ihr ein Packet Banknoten in die Hand und öffnete dann eine kleine Tasche, welche auf dem Tische lag und worauf die Wirthm schweigend gedeutet. Das Billet lag oben auf. „Adieu, Mutter, — adieu, Fritz!" Noch einen Blick warf er auf die Ohnmächtige und stürzte dann hinaus, um seinen Pelz überzuwerfen und dem Hafen zu zueilen. Lco's Entschluß war urplötzlich, so überraschend gekommen, daß Frau Bertha und Fritz mehrere Minuten bedurften, um Alles zu begreifen und auch Frau Müller mit ihrer ohnmäch tigen Last ganz rathlos dastand. „H mmlischer Vater!" stöhnte endlich die Mutter, „er geht wieder fort —" „Ja, er hat mir ja das Passage-Billet bezahlt," bestätigte die Wirlhin. „Nach Amerika," murmelte Fritz, „und mit dem nächsten Dampfer folgt sic ihm nach. Ein abgekartetes Spiel," knirschte er und stürmte hinaus, dem Bruder nach. Die beiden Frauen starrten ihm regungslos nach. „Das ist mem Tod!" jammerte Frau Bertha endlich händeringend, während die Wirthin, nachdem sie sich von ihrem Schreck erholt, Sidonie auf ihr Bett niederlegte und sich um die Ohnmächtige beschäftigte, deren Schläfen sie mit stärkenden Essenzen rieb. So verging die Zeit und Frau Müller wollte ihrer Angst nach dem Arzte senken, als Frau Holbach wieder jammernd auscief: „Meine armen Kinder — und Alles um diese fremde Person!" „Ach, schwatzen Sie nicht so, Madame!" sagte die Wirthin hart; „das Fräulein steht Ihnen näher als Sie ahnen und auch Ihr Sohn heißt nicht Holm, sondern Holbach —" „Natürlich, wie sollte er denn anders heißen als sein Vater, Kaufmann und Weinhändler Holbach in L.?" „Vormals Arnold, das stimmt, Madame," nickte Frau Müller triumphirend; „soll ich Ihnen nun sagen, wer diese Dame eigentlich ist?" „Wer, — Fräulein Leonard?" Die Wirthin blickte auf Sidonie nieder und rieb wieder eifrig. Eine lange Pause entstand. „Hm," sagte sie endlich, „Fräulein Leonard ist die leibliche—" Ein furchtbarer Knall, der Alles bis in den Grund er schütterte und die Fensterscheiben klirrend zerspringen ließ, schnitt der Wirthin jäh das Wort ab. Beide Frauen stürzten mit einem gellenden Schrei zu Boden, während die Ohnmächtige empor gerüttelt wurde und sich entsetzt erhob. Was war geschehen? —Nach der plötzl'chen Stille, welche der Schrecken momentan hervorgerufen, wurde es im Hotei und auf der Straße um so lebendiger. Frau Müller erhob sich und eilte ans Fenster, welches sie rasch öffnete. Sie hörte von einer Explosion auf dem Dampfer und hatte dieses kaum ausgesprochen, als Frau Hol bach wie eine Wahnsinnige aufschrie und mit dem Rufe: „Meine Söhne alle beide!" aus dem Zimmer stürzte. „Was ist geschehen?" fcug Sidonie, welche nach und nach die volle Besinnung und das Erinnern zurückerhielt, nach einer Pause. „Ach, lieber Himmel, es soll was auf dem Dampfer ex- plodirt sein," sagte Frau Müller; „weich'ein Glück, mein Kind, daß Sie hier geblieben sind; wie viele Menschen mögen dabei umgekommen sein, denn der Knall war zu fürchterlich, sehen Sie nur, Fräulein, alle Fensterscheiben sind davon zersprungen." „O, Gott, wie gräßlich!" flüsterte Sidonie zusammen schaudernd: „fragen Sie doch nach, liebe Frau Müller!" Diese öffnete die Thür, doch war Niemand zu sehen noch zu hören. Endlich konnte sie ein vorübereilendes Stubenmäd chen nach der Ursache des schrecklichen Knalles fragen. „Es ist em Kessel auf oer „Mosel" geplatzt," lautete die Antwort. „Ja, es ist richtig, ein Kessel auf der „Mosel" ist ex- plodirt," fuhr Frau Müller fort, „da kann sie mich dauern, die arme Frau Holbach." „WuS ist's mit ihr?" fragte Sidonie erschreckt." „Ja, lieber Gott, — ihre beiden Söhne sind wahrschein lich auf dem Dampfer gewesen. Unser sauberer Herr Holm, — ich kann ihm den Betrug eigentlich nicht vergeben — kaufte Ihr Passage-Billet mir ab, hier ist das Geld dafür — stürzte dann wie ein Toller hinaus, bald darauf der Andere, der Häß liche ihm nach. Na, Gott hab' sie beide selig, wenn sie mit umgekommen sind, denn für den Häßlichen wären Sie doch auch viel zu gut und zu schön gewesen, liebes Fräulein, — obgleich die Holbach's reich sind, und das viele Geld sammt dem Hause eigentlich Ihnen — Sie wurde auf's Neue unterbrochen, da in diesem Augen blick Stimmen auf dem Corridrr ertönten, dazwischen lautes Wehklagen und Jammern und gleich darauf Frau Hol bach in's Zimmer stürzte, ein Bild des Schreckens und der Verzweiflung. XIII. Kehren wir zu Leo zurück, welcher wie ein Verbrecher aus dem Hotel und durch die Straßen nach dem Hafen eilte, nur das eine Zi->l, den Dampfer, vor Augen, um zwischen sich und ein theures Wesen das Weltmeer zu legen und dem Bruder den Weg zum Glücke zu ebnen. Der Gedanke, das ihn Sidonie verachten müsse, trieb ihm den Angstschweiß auf die bleiche Stirn und hemmte den wilden Schlag seines Herzens. „Es mußte sein," murmelte er, „der Unselige hätte den Brand ins Vaterhaus geworfen!" Und doch, — das Opfer war zu schrecklich, — denn würde nicht auch sie unglücklich? — War der Bruder im Stande, sie dieses Opfer jemals vergessen zu machen? — Und, was die schwerste Frage — würde sie es bringen? „Sie verachtet mich und wird ihn aus Mitleid heirathen!" Er dachte an den Vater, an die öde Wüste einer solchen Ehe — und blieb trotzig stehen. — „Ec ist ein Egoist, wer giebt mir das Recht, sie elend zu machen?" — Die Menschen trieben an ihm vorüber, die Wagen rasselten nach dem Hafen, — bald legte sich der Schleppdampfer vor die „Mosel," um sie auf die Rhede zu holen. Leo eilte vorwärts. Da legte sich eine Hand schwer auf seine Schuller, er wandte sich um und blickte in das höhnisch verzerrte Gesicht des Bruders. „Wartest Du auf mich oder auf Dein Liebchen?" fragte Fritz mit einem häßlichen Lachen. „Willst Du mir das Geleite geben, Bruder?" „Der Henker ist Dein Bruder, ich nicht mehr; hüte Dich, Judas, ich durchschaue Deine Komödie — und schwöre bei Himmel und Hölle, daß sie Dir nicht folgen soll." „Armer Fritz, wie hat Dich die Leidenschaft verblendet!" sagte Leo ruhig. „War's noch nicht genug, daß ich mich ihr gegenüber zum Schurken stempelte? Sie verachtet mich und wird Dir, wenn Du ihr Zeit gönnst, Gehör geben. Laß uns in Frieden scheiden und nicht wie feindliche Brüder —" Er reichte ihm die Hand und schritt, als Fritz dieselbe unbeachtet ließ, seufzend weiter. „Könnte ich Dich doch von der Aufrichtigkeit meines Herzens überzeugen, Bruder!" „O, laß die Komödie, knirrschte Fritz, „und vernimm meinen Wunsch, den Gott erhören möge! Daß der Allmächtige endlich ein Einsehen habe und Deine Larve ebenso häßlich machen möge, wie die meinige ist, — ja, daß er —" Wie ein Donnerruf verschlang in diesem Augenblick die grauenvolle Explosion den frevelhaften Wunsch und schleuderte Beide zu Boden. ES war geschehen, das schauerlichste und unmenschlichste Verbrechen, welches unser Jahrhundert hervorgebracht, s» un geheuer, daß Niemand einen solchen Gedanken zu fassen ver mochte, sondern dasselbe als ein zwar fürchterliches, aber doch zufälliges Unglück, als eine Kessel-Explosion deutete. Das grausige Eceigniß, daß durch den Massenmörder Thomas mit scmer Hkllenuhr hcrbeigeführt wurde, ist heute in Aller Gedächtniß, um es weiter, als für den Rahmen unserer Erzählung nöthig, hier zu erörtern, denn noch bluten der Wunden wohl viele, welche die Hand eines einzigen Menschen geschlagen, wenn gleich die Absichtlichkeit dieser Katastrophe dem Unseligen nicht hätte nackgewiesen und die Welt cs vielleicht noch erleben können, daß der Buchstabe des Gesetzes ihn kaum strafbar gefunden. Das Gewissen richtete den Massenmörder angesichts seiner Opfer und die eigene Hand vollzog das Werk der Nemesis. Inmitten des furchtbaren Jammers erhob sich Leo Hol bach von der Erde und blickte verstört umher. Er hörte das Stöhnen verwundeter Menschen und fühlte sich wie betäubt von dem Schreien und Wehklagen. Da siel ein Blick auf den Bruder, der einige Schritte von ihm entfernt lag. Das Antlitz desselben war leichenblaß, seine Augen geschloffen und die Kleider, wie es schien, stellenweise zerfetzt. Einige mitleidige Frauen hatten sich zu ihm niederge beugt und weinten zum Erbarmen, während die Männer dem Schauplatz des Todes zueilten. „Um Gotteswillen, was ist geschehen?" rief Leo, außerstch bei dem Bewußtlosen niederknieend und seinen Kopf sanff erhebend. „Auf dem Dampfer soll ein Kessel explodnt sein," versetzte eine der Dame, „ach, »clck' ein Unglück, die Todten und Ver wundeten tollen nicht zu zählen sein. Dieser arme Mensch ist auch getroffen worden, sehen Sie nur, an »er rechten Seite ist der Rock zerrissen und wie er blutet, gewiß ist er mausetodt." „Ein Arzt, ein Arzt," keuchte Leo und schon nahte em solcher, welcher rasch einige Männer beordnete, den Verwundeten in ein Haus tragen ließ und ihm den ersten Verband anlegte. Leo war unverletzt geblieben; er rang mit dem Aufgebot seiner ganzen Willenskraft nach Fassung, welche er der Mutter gegenüber in dieser kritischen Lage doppelt nöthig hatte. Der Verwundete war nach des Arztes Ausspruch nicht tödt- lich verletzt worden, und zum Leben, doch noch nicht zum Be wußtsein zurückgekehrt, weshalb Leo auf des Doktors Rath rasch einen Tragkorb aus dem Lazareth holen und ihn nach seinem Hotel bringen ließ. Auf der Straße begegnete er der Mutter, die händeringend und schluchzend, einer Wahnsinnigen gleich umhcrirrle und fort während nach ihren Kindern jammerte. Als sie Le» erblickte, war sie dem Umsinken nahe und erschüttert, mit Thränen in den Augen umschlang der Sohn die Halbohnmächtige. „Wo ist Fritz?" flüsterte sie, ihn mit scheuer Angst an blickend, „hast Du ihn gesehen?" „Fasse Dich, liebe Mutter!" bat Leo, ihr die Wangen streichelnd. „Fritz hat leider eine kleine, aber ungefährliche Wunde erhalten, da wir uns dem Hafen bereits näherten, er wollte mir