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Erscheint wöchentlich dreimal u. zwar Dien^ tags, Donnerstag und Sonnabends. Bezugspreis viertelj. s Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen f Alk. 55 Pf. Einzelne Nummern lO Pf. i ThmM, Uchn, Ätbeckh» Md die AMMde». —r s—- Imtsölak Inserate werden Montags, Mittwochs und freitags bis spätestens Mittags s2 Uhr angenommen. Insertionspreis sO pf. pro dreige spaltene (Lorpuszeile. für die Rgl. Amtshauxtmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrach zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Forstreniamt zu Tharandt. Druck und Verlag von Martin Berger in Firma H. A. Berger m Wilsdruff. -- Vermuworttich für die Redaktion H. A. Berger daselbst. No. 138. Donnerstag, den 21. November 1895. z Die Großmächte und die türkische Crißs. In der fortgesetzt das politische Tagesinteresse hervorragend beanspruchenden Angelegenheit der Wirren im türkischen Orient steht anscheinend eine neue und bedeutungsvolle Wendung be vor. Oesterreich-Ungarn hat bei den übrigen Großmächten ein weiteres gemeinsames Vorgehen gegenüber den türkischen Dingen angeregt, nachdem bereits durch die wiederholten gemeinsamen Vorstellungen der in Stambul beglaubigten Botschafter bei der Pforte das Einvernehmen der Mächte in der diplomatischen Behandlung der türkischen Crists bis zu einem gewissen Grade dargethan worden war. Nach Wiener Meldungen hat die österreichisch-ungarische Regierung bei den anderen maßgebenden europäischen Regierungen den Vorschlag gemacht, eben diesem beharrlichem Zusammenwirken der Botschafter in Konstantinopel ein weiteres Einvernehmen der Mächte nachfolgen zu lassen, um eine Bedrohung des Friedens Europas durch die Vorgänge in der Türkei bei Zeiten abzuwenden. Die Wiener Anregung soll bei allen Cabmeten sofort die günstigste Aufnahme ge funden haben und handelt es sich nun darum, durch die her über bereits eingeleiteten Verhandlungen das Nähere wegen der im Orient etwa vorzunehmenden gemeinsamen Schritte der Mächte zu bestimmen. Angesichts der friedlichen Dispositionen, welche alle Cabinete gegenüber dem orientalischen Problem bekunden, kann es schon jetzl als gewiß angenommen werden, daß die begonnenen inter nationalen Unterhandlungen zu dem gewünschten Ergebnisse führen. Hie und da wird allerdings die Möglichkeit angedeutet, daß England es verziehen könnte, auf eigene Faust im Orient zu handeln, aber erstlich würde ein solches gesondertes Auftreten nicht mit den von Lord Salisbury noch jüngst in seiner Rede beim Londoner Lordmajors - Bankett feierlich verkündeten An schauungen übereinstimmen, und zweitens dürften sich's die Engländer doch reiflich überlegen, ob sie dem anhebenden euro päischen wirklich fernbleiben sollen. Es steht eine Vereinbarung zu erwarten, welche bezweckt, daß in allen das türkische Reich betreffenden Angelegenheiten keine einzelne Macht und auch keine Gruppe der Mächte selbstständig und ohne das Einverständniß der übrigen Mächte irgend eine Aktion unternimmt, daß viel mehr jeder etwaige Schritt der vorherigen Abmachung unter fämmtlichen Großmächtenunterliegen soll. Hierzu kann bereits das Uebereinkommen gerechnet werden, daß die nach denlevan- tinischen Gewässern dieser Tage abgehenden einzelnen europäischen Geschwader sich in gleichmäßiger Entfernung von den Darda nellen zu halten, ober erforderlichenfalls mit einander zu co- vperiren haben. Die Entsendung dieser Flotten selbst ist in dessen noch als keine gemeinsame Handlung der Mächte aufzu fassen, jede Macht hat vielmehr diese Maßregel aus eigener Entschließung zunächst zum etwaigen Schutze ihrer eigenen An gehörigen und Interessen im Orient ergriffen. Die Tragweite eines gemeinsamen Auftretens der Groß mächte im Orient liegt auf der Hand, es verbürgt die Friedens erhaltung für den Welttheil, gleichviel, wie die Unruhen in der Türkei auch enden mögen. Selbst wenn die drohende Kata strophe im Osmanenreiche, der Sturz des Sultans Abdul Ha mid, eintreten sollte, so könnte nachher die Einmüthigkeit Eu ropas doch verhindern, daß dieses Ereigniß seine beunruhigenden Wellen über die Grenzen der Türkei hinaustrüge. Nur muß man lebhaft wünschen, daß die im Zuge befindlichen diploma tischen Verhandlungen über die vorgeschlazene gemeinsame Aktion der Großmächte zu einem raschen Abschlusse gelangen, denn die blutigen Unruhen in Kleinasien und Syrien nehmen ihren Fort gang und rücken die Gefahr neuer und größerer Massenschlächtereien unter den dortigen Christen näher. Als ein Kuriosum sei das Verlangen Griechenlands erwähnt, ebenfalls eine Flotte nach den türkischen Gewässern entsenden zu dürfen, die Mächte werden sich jedoch wohl schwerlich darauf einlassen, diese Prätension des griechischen Gernegroß zu erfüllen. Aus Deutschlands großer Zeit. Erinnerungen zum 25jährigen Jubiläum des Krieges 1870/71. Von Eugen Rahden. 39 Lagerleben, Etappenwesen 187071 H Besonders schwierig und gefahrvoll wurde das Leben der deutschen Truppen als der Krieg sich in die Länge zu ziehen begann; ein mal verlangte dieser Umstand erhöhter Wachsamkeit und zweitens fortgesetzte Befestigungsarbeiten und Entbehrungen aller Art. Die Pariser Befestigungen waren, wie Trochu später sagte, die großartigste Anlage der Befestigungikunst, die es je gegeben. Die Arbeit war aber auch keine geringe. Die Dörfer, Schlösser und Parke wurden für das Jnfantriegefecht hergerichtet, alle Straßen mit Verhauen versperrt, Schanze reihte sich an Schanze. Und wie vor Paris im großen, so war es überall im Land im kleineren Maßstabe. Die Truppen machten sich es in den Dörfern und Villen, wo es sich um eine Belagerung handelte, so bequem wie mög lich: die Bayern fingen sogar an, Bier zu brauen. Aber viele Häuser und Schlösser waren von Franktireurs und Marodeurs geplündert und die meisten Ortschaften waren von ihren Be wohnern verlassen. Daher mußten die Truppen oft die Zimmer mit Gewalt erbrechen und die Fenster einschlagen; sie forschten nach vergrabenen oder vermauerten Lebensmitteln nach. Schon ung wurde dabei nicht geübt, während in den Häusern, deren Bewohner zurückgeblieben waren, jede Unordnung vermieden wurde. Aber wer die üppige, von Natur und Kunst geschmückte Umgebung von Paris früher gesehen hatte, wurde von Wehmuth ergriffen, wenn er die prächtigen Gartenanlagen von Verschanz ungen durchzogen, die Billardsälc zu Pferdeställen eingerichtet, die Marmorstatuen zur Vorpostendeckung benutzt sah. Feine Möbel und Pianofortes wurden zur Heizung und zum Barri kadenbau, kostbare Damengarderobe zum Schutze gegen Kälte, Schnee und Regen von den Truppen verwendet. Das Leben in den Quartieren, Baracken und Biwaks vor Paris, Metz, Straßburg und anderen Festungen war ebenso be schwerlich, als einförmig. Der Soldat mußte die langen Abende im dunklen oder in matt erleuchteten Räumen zubringen; eine Zeitlang ertönten wohl die heimathlichen Lieder, aber bald ver stummten sie, die Lust zum Gespräch schwand; man gedachte der Heimath und der Lieben. Sehnsucht und Niedergeschlagenheit bemächtigte sich der Gemüther. Das Weihnachtsfest gab den Truppen eins angenehme Unterbrechung. Zum Staunen der Franzosen wurde es von ihnen festlich, oft in rührender Weise gefeiert. Wo es nur anging, beschafften sich Offiziere und Mannschaften Tannenbäume, steckten Lichter daran und erfreuten sich Kindern gleich an den Geschenken, die aus der Heimath eingetroffcn waren. Da die Herbeischaffung der Lebensmittel vielfach Schwierig keiten machte und die Requisitionen auf Widerstand stießen, richtete man vor Paris Märkte ein, die auch wirklich Verkäufer anlockten, welche sehr hohe Preise erzielten. Ueberall da, wo die deutschen Truppen längere Zeit verweilten und mit den Bewohnern in Beziehungen traten, wurde das Verhältniß ein besseres, vielfach sogar freundschaftliches; die Franzosen erkannten, daß sie in den deutschen Truppen es keineswegs mit Barbaren zu thun hatten, daß sogar vielfach französische Truppen im eigenen Lande schlimmer gehaust hatten, wie deutsche. Seinen eigentlichen wilden Charakter erhielt der Krieg durch die gewohnheitsmäßige Mißachtung und Verletzung des Völker rechtes von feiten der Franzosen. Es war, als ob die ganze Nation in Folge der erlittenen Niederlagen von Sinnen gekommen sei. Die Franktireurs übten nicht die Gebräuche civilistrter Völker. Zwar hatten sie als Abzeichen einen Gürtel und ein rothes oder blaues Halstuch, aber beides war schnell abgelegt, wenn die Deutschen in überlegener Anzahl erschienen und im nächsten Augenblick war der Franktiereur friedlicher Bürger oder Bauer. Viele legten auch die Genfer Binde an, um sich auf unrecht mäßige Weise zu sichern. Der deutsche Soldat sah oft, wie dieselben Leute, mit denen er soeben noch friedlich verkehrt hatte, plötzlich ihr Franktireursabzeichen aus der Tasche, ihr Gewehr aus einem Winkel herbeiholten und von allen Seiten auf ihn losstürmten. Die Civilbevölkerung nahm auch ohne Franktireur abzeichen vielfach am Kampfe theil entweder durch feindseliges Verhalten und offene Gewalt oder durch meuchlerisches Schießen aus den Häusern oder durch verrätherischcs Herbeiholen der Franktireurs. Die Truppen wurden in ihren Quartieren über fallen und erschlagen. Franktireurs und Bauern rissen in den schon besetzten Landestheilen die Eisenbahnschienen auf und legten sie dann vorsichtig leise wieder hin; so kam es, daß dieKranken- züze wiederholt entgleisten. Die französischen Behörden reizten selbst zu Unthaten auf, wie verschiedene Befehle von Präfekten bewiesen. Die Turkos, äufgrmuntert durch entsprechende Be fehle, vergriffen sich in barbarischer Weise an Verwundeten. Die Genfer Convension wurde von den Franzosen nicht geachtet; sie schossen auf die Krankenträger, auf Zelte und Häuser, die mit der Kreuzesfahne bezeichnet waren. Deutsche Aerzte, welche in den Orten, welche zeitweilig von den deutschen Truppen ver lassen werden mußten, zurückblieben für die Verwundeten, wurden vom Volke beschimpft und selbst mit der Schußwaffe angegriffen. Die Behandlung deutscher Gefangener in Frankreich war eine sehr schlechte; sie läßt sich anreihen der Austreibung der Deut schen aus Paris. Daß trotzdem die deutschen Truppen sich voll Menschlichkeit und Humanität gegen französische Bewohner zeigten, daß sie oft ihre bisweilen kurzen Rationen mit den Armen checkten, die bei Schlachten und Belagerung alles verloren, ge reicht dem deutschen Namen nur zur Ehre. 40. Der Krieg gegen die Loire-Armee II. (Coulmiers.) Wenn man zugeben muß, daß die Franzosen sich in dem großen Kriege mit altbewährter Tapferkeit schlugen, so muß man erst recht zugeben, daß die Organisation des zweiten Theiles res Krieges, Gambetta, in seinem Feuereifer trotz aller Fehler, die auch er machte, geradezu Großartiges leistete. Innerhalb weniger Tage hatte der Diktator Licht in das Chaos von Tours gebracht, wobei sich der später noch wiederholt Minister gewesene Freycinet als tüchtige Unterstützung erwies. Der Widerstand, den Frankreich seit Anfang November den Deutschen entgegen stellte, war ebenso großartig, als herrisch. Nicht weniger als 11 Corps wurden von Gambetta nach und nach aufgestellt und aus ihnen drei große und mehrere kleinere Armeen gebildet. Die wichtigste war die Loire-Armee, die Ende November 150000 Mann in 5 Corps unter General d'Aurelle zählte; im Norden entstand eine zweite unter Bourbaki, im Osten kam zu den Cambriel'schen Truppen ein Corps unter Garibaldi und Ende des Jahres waren dort 200000 Mann versammelt. Bei Rouen, le Havre und le Mans zeigten sich je ein Corps und zwischen Seine und Loire operirten 2 Corps. Die Deutschen erstaunten nicht wenig, als ihnen plötzlich geordnete Heeresmassen gegen übertraten, die im Aeußern den Truppen der alten Armee nicht nachstanden. Das Menschenmaterial der neuen Armee war so gar besser, als das der kaiserlichen Armee; denn jetzt traten die kräftigen, wohlgenährten und gebildeten jungen Männer der besitzenden Klassen, die sich bisher dem Dienst durch Stellver tretung entzogen hatten, in die Reihen. Ihre Tapferkeit gab der alten Armee nicht nach; ihre Artillerie schoß sogar mit größerer Sicherheit, als jene; nur an Festigkeit der Truppen körper, an Abhärtung und an Ausdauer, namentlich nach ver lorenen Schlachten, standen sic jener nach. Gambetta war von einer schweren Gemüthslast befreit, als Thiers unverrichteter Sache aus dem deutschen Hauptquartier zurückgekchrt war. In seiner Ungeduld wartete der Diktator weder Nachrichten, noch die vollständige Organisation der Truppen ab; er drängte vorwärts und die Generäle mußten gehorchen. Am 6. November brach General Aurclles de Paladines mit 70 000 Mann, 8000 Pferden und 222 Geschützen gen Orleans zu auf. Die Absicht Gambettas war, v. d. Tann zu umzingeln und von Paris abzuschneiden. Bei Chateaudun und Beauperny kam es bereits am 6. November zu kleinen Scharmützeln, an denen sich auch die Be völkerung betheiligte und am 7. November fand das Gefecht bei Chantome statt, in welchem die Franzosen, bedeutend in der Ucbermacht, Sieger blieben und die Deutschen 3 Offiziere und 154 Mann verloren. Der Ausgang dieses kleinen Gefechtes hob den Muth der französischen Armee nicht wenig. General von der Tann hatte Befehl, Orleans einer großen Uebermacht gegenüber zu räumen. Am 8. November hatte er Nachricht erholten, daß der Feind mit einer großen Armee heran rücke; indeß beschloß er, diese Uebermacht erst durch ein Treffen zu erproben. So kam es am 9. November zur Schlacht bei Coulmiers, die zwar mit einer Niederlage der deutschen Truppen endete, dennoch aber eine der ruhmvollsten Waffenthaten des so ruhmvollen Krieges bildet. Den Franzosen standen nur 19300 Mann mit 90 Geschützen gegenüber; jene waren also in fast vierfacher Uebermacht. Direkt westlich von Orleans liegt Coulmiers. Da« De tachement des Grafen Stolberg war bereits am frühen Morgen von überlegenen Massen angegriffen worden, doch hatten sich die schwachen Linien energisch gewehrt, bis Hilfe herbeikam. Der Hauptangriff der Franzosen richtete sich auf den rechten bayrischen Flügel gegen Cheminiers und weiter südlich Coul miers. Die bayrische Infanterie hielt Coulmiers und nahm im Norden des Dorfes Stellung. In dieser Linie wüthetc zunächst ein heftiger Artilleriekampf. Während desselben hatten die Bayern im Süden das brennende Dorf La Riviere aufge- gegeben und sich unter Aufbietung aller Kräfte der 2. Jäger auf die Artilleriestellung bei La Renardiere, weiter nördlich ge legen, zurückziehen müssen. Jetzt concentrirten die Franzosen alle ihre Kräfte auf die Wegnahme der beiden Orte Coulmiers und La Renardisre. Die Brigade welche letzteres Dorf besetzt hielt, hielt sich zwar tapfer, mußte aber endlich der Uebermacht der drei feindlichen Brigaden weichen und zog sich daher, geschützt von einer Infanterie-Artilleriestellung ungehindert auf der Wald rand von Montpipeau zurück. Hier traf Verstärkung einer bayrischen Brigade ein und es gelang, die weiteren Verbuche der Franzosen, hier vorzudringen, abzuwehren. Mittlerweile war auch vor Coulmiers der Kampf heißer entbrannt und die Bayern hotten die vor dem Dorfe liegenden Steinbrüche räumen müssen.