Volltext Seite (XML)
Zweites Blatt. WchMMM Thmndt, Mm. Mmlehn lind die Umgegmdm. Imtsölail für die Rgl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Rgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Rgl. Lorstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1M.55 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro drcigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Wilsdruff. — Verantwortlich siir die Redaktion Martin Berger daselbst. No. 37. Sommberw, den 27. März 18S7 MM ZUM Sonntage Lätare. Ev. Joh. 19, 28: Mich dürstet. Wer jemals einen Verwundeten hat sterben sehen — er sei durch die Kugel des Feindes oder das Messer des Arztes verwundet — der weiß, daß diese Sterbenden häufig von unbezähmbarem Durste heimgesucht werden. Der Saft der Lippen vertrocknet, die Zunge klebt am Gaumen, der Kranke lechzt beständig nach kühlem, womöglich eiskalten Trank. Der Sterbende auf Golgatha macht von der all gemeinen Regel keine Ausnahme. So lange seine Seele litt, trat das körperliche Leiden beim Herrn zurück. Aber als die Seele allmählich, in Gottes Frieden eingetaucht, stille ward, machte sich die leibliche Qual geltend. So ist es ein Wort des Dulders, menschlich, herzbeweglich, das fünfte Wort am Kreuze: Mich dürstet! Der Herr murrte nicht, er seufzte nur. Murren dürfen wir nicht, und gingen die Trübsaiswasser noch so hoch über unsere Seele und kämen die Leiden in Geschwadern. Es bleibt für Nachfolger Jesu immer das Wort aus Jesaias 14 im Rechte: Der Herr Zebaoth hat beschlossen, wer will wehrend und seine Hand ist ausgereckt, wer will sie wendend Dazu: „Ungeduld und Grämen kann das Leid nicht nehmen, macht nur größern Schmerz!" Aber unser Leid uns vom Herzen sprechen und um einen Labe trunk bitten, das dürfen wir. Christus bat seine Feinde. Sollten wir, wenn wir dürsten, nicht unsere Freunde bitten dürfens Ist schon der Essig des Feindes eine Gottesgabe, wie viel mehr der stärkende Wein herzlicher Theilnahme, freundlichen Mitleidens! Der Herr wohnt nun im Heiligthum, wohin kein Mopstengel mit einem Essigschwamm mehr reicht, wo irdische Labung der Lippen nicht mehr begehrt, noch genommen wird. Aber wenn dir, lieber Leser, Matthäus 25 kein unbekanntes Kapitel ist, so weißt du, daß der himmlische König zu denen zu seiner Rechten sagt: „i^ch blll durstig zewesen, und ihr habt Mich getränkt. Was ihr gethan labt einem unter diesen Meinen geringsten Brüdern, das habt ihr Mir gethan." Also: in den armen, elenden, mrstigen Christenleuten ist der Herr Christus arm, elend und durstig, und wollen wir einst zur Rechten seines Thrones stehen, so müssen wir den Herrn in seinen Geringsten tränken. Die Alten sagten sinnig: Als der Heiland am Kreuze „Mich dürstet" rief, da hielten alle Bäche und Quellen der Erde still in ihrem Lauf und stürzten sich klagend in die Tiefe, weil es ihnen niit aller ihrer Wasferfülle nicht ver gönnt war, dem Sohne Gottes einen einzigen Trunk frischen Wassers zu reichen. Nun, was ihnen versagt war, das steht uns frei. Laßt uns genauer auf das „Mich dürstet" achte», das von den lechzenden Lippen unseres Nächsten klingt. Die neue Gesetzesvorlage M Hebung des Handwerks. Es dürfte alle gewerblichen Kreise interessiren, daß der Beschluß des Bundesraths über die Fassung des dem Reichstage vorzulegenden Gesetzentwurfs, betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung, wie sie aus den lang wierigen und eingehenden Verhandlungen hervorgegangen ist in wichtigen Punkten der Auffassung der preußischen Regierung in dieser Reformfrage zustimmt. Nach der Auffassung der preußischen Vorlage kann von einer ge deihlichen Thätigkeit der Innung nur da die Rede sein, wo wenigstens die Mehrheit der Handwerker bereit ist, mit Energie und Nachhaltigkeit an die Erfüllung der Jnnungsaufgabcn heranzugehen. Aus dieser Erwägung verlangt die jetzige Vorlage, daß die Mehrheit der bethei- ligten Gewerbetreibenden der Einführung des Beitritts zwanges zustimmt, daß der Bezirk zweckmäßig so abgegrenzt fft, daß kein Mitglied durch die Entfernung seines Wohn ortes vom Sitze der Innung behindert wird, am Genossen schaftsleben theilzunehmen und die Jnnungseinrichtungen Zu benutzen, und endlich, daß die Zahl der im Bezirke vor handenen betheiligten Handwerker zur Bildung einer leistungsfähigen Innung ausreicht. Nach der jetzige» Vor lage sind die Handwerksausschüsse, die auch bei der Mehr zahl der Handwerker keinen Beifall gefunden haben, fallen gelassen worden, während die Bildung von Jnnungsaus- schüssen und Handwerkskammern beiüehalten worden ist. Jedoch gehen die Befugnisse der Handwerkskammern über die Bestimmungen des dem Reichstage vorliegenden Gesetz entwurfs erheblich hinaus, insofern ihnen nicht nur eine begutachtende Stimme in allen wichtigen, die Gesammt- interessen des Handwerks berührenden Angelegenheiten, sondern auch gewisse Zwangsbefugnisse auf dem Gebiete des Lehrlingswesens und gegenüber den Innungen und Jnuungsausschüffen eingeräumtwerden sollen. DieJnnungs- verbände sind mit den geringen Abänderungen, die sich aus de» Einrichtungen der Handwerkskammern erforderlich machten, beibehalten worden. Die Gesellenprüfung ist nebst der vorgeschlagenen strengeren Regelung des Lehr lingswesens bestehen geblieben. Dem Gesellenausschuß ist eine Mitwirkung auf denjenigen Gebieten eingeräumt worden, wo sie nach dem ursprünglichen Vorschläge vor gesehen war. Der auch in den Kreisen der orgamsirten Handwerker ersehnte Schutz des Meistertitels ist gleichfalls in den Entwurf ausgenommen worden. Der Gesetzentwurf geht davon aus, daß im Handwerkerstande ein starker Drang nach einer korporativen Zusammenfassung bestehe. Aeußert sich dieser demnächst durch die Bereitwilligkeit der Majorität zu gemeinsamer Mitarbeit in der alle Berufs genoffenschaften umfassende» Jnnuug, so wird die Organi sation, wie sie jetzt geplant ist, dem Handwerk diejenige Kraft verleihen, die erforderlich ist, den Kampf gegen die vorhandenen Mißstände mit der Aussicht auf Erfolg aus zunehmen. Wenn auch die jetzige Fassung des Entwurfes einige wesentliche Aenderungen der ursprünglichen enthält, so läßt sie doch andererseits unzweideutig erkennen, daß an dem Gedanken der Zwangsorganisation, als des geeig neten Mittels, die vorhandenen lebenskräftigen Ansätzedes Jnnungswesens zur besseren Entwickelung zu bringen, fest- gehalten worden ist. Im Riedhof. Original-Roman von Em. Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) „Das ist zuviel, — zuviel, —" stöhnte sie, mit starren Augen den schrecklichen Ankläger betrachtend. Wie im Traum ging ihr die Erinnerung durch das schmerzende Gehirn, daß Philipp Rank schon als Knabe eine Leidenschaft für glänzende Dinge, besonders für Ringe gehabt, und daß er schon damals nahe daran gewesen war, als Dieb bestraft zu werden. Mechanisch wickelte sie den Ring in ein Stück Ze'tungspapier und steckte ihn zu sich, dann strich sie sich über die Stirn, warf einen feindseligen Blick herzzerreißenden Vorwurfs auf den Elenden und richtete sich wieder entschlossen auf, um noch den beiden ihr so wichtigen Briefen zu forschen. Sie fand sie, ihre Hand zitterte nicht mehr, als sie das Schreiben seines ehemaligen Londoner Spießgesellen las. Holzing's Brief lautete: „Ich wollte Dich, mein feiner Herr Philipp Rank, alias Matthias Rentzel, hiermit benachrichtigen, daß Smith glücklich aus Newgate entwischt und jetzt in Deutschland ist, um seinen lieben Genossen, der ihm die Suppe nach dem mißglückten Einbruch allein aus löffeln ließ, aufzusuchen. Falls Du mir die versprochene Summe nicht mit umgehender Post schickst, dann werde ich Smith, der mir schon geschrieben hat, Deine richtige Adresse geben. Jakob Holzing." Frau Dore mußte sich in den Sessel niederlassen, um nicht umzusinken, da sie sich nach dieser Lektüre einer Ohnmacht nahe fühlte. Dann aber raffte sie sich mit ungeheurer Willens kraft wieder auf, dos Bild des unglücklichen Flüchtlings, den jener Mörder dort aus dem väterlichen Elbe heimathlos und geächtet Hinausgetrieben hatte, um vogelfrei auf der Erde um- herzuirren, stieg vor ihr auf und rief ihr unerbittliches Ge rechtigkeitsgefühl wach. Sie öffnet- den zweiten Brief, der aus Boston datirt und mit dem Namen William Helfenstein unterzeichnet war und laS auch diesen mit einer Empfindung, welche ihr Herz gegen den Menschen, den sie Bruder nennen mußte, vollends versteinte. O, hätte Philipp Rank es ahnen können, daß seine thierische Leidenschaft für den Alkohol ihm in dieser Nacht zum Verhängniß werden sollte und daß der letzte Funke er barmender Liebe in dem Schwesterherzen für ihn erloschen war. Nachdem Frau Dore auch die beiden Briefe zu sich ge nommen, verließ sie das Zimmer und kehrte geräuschlos in ihren einfach auögestatteten Wohnraum zurück. Als Frau Dore in ihrem Zimmer angelangt war, setzte sie sich sofort zum Schreiben nieder. Es war ein Brief an ihren Bruoer, der folgenden Inhalt besaß: „Ich betrat in dieser Nacht, als Du bis zur Sinnlosigkeit betrunken auf dem Sopha lagst, Dein Zimmer, weil ich, von Schlaflosigkeit und innerer Angst gepeinigt, im Korridor umherging und plötzlich bei Dir ein Klaren uud Stürzen vernahm. Du hattest die Branntweinflasche vom Tisch geworfen, wie Du beim Erwachen wohl sehen wirst. Der gerechte Gott, welcher wohl jede Missethat schon auf Erden rächt, führte mich in dieser Nacht zu Dir, um Dein Verbrechen zu enthüllen. Du hattest die Thür nicht verschlossen, die Lampe auf dem offenen Schreibtisch brennen lassen und die Beweise Deiner Schuld, welche wie Kain's Todtschlag zum Himmel schreit, offen umhergestreut. Ich habe sie an mich genommen, nämlich den Ring Deines Opfers, die Briefe von Deinem Kameraden in London und von Anni's Vater in Boston. Ich werde den Ring und den Londoner Brief versiegeln und mit einem Schreiben von mir an die Staatsanwaltschaft in M. adressiren. Doch will ich Dir um unserer Eltern willen, denen Du schon als Knabe so viel Kummer gemocht hast, noch acht Tage Frist zur Flucht lassen. Wenn Du heute nicht den Needhof für immer verlassen hast, dann sende ich morgen das Päckchen an die genannte Adresse ab. Geld wirst Du Dir hier genug schon zusammengerafft haben. Daß ich Wort halte, weißt Du, ich schone den Mörder nicht und wäre er mein eigener Sohn. Dore B". Sie legte dieses Schreiben in einen Umschlag, adresstrte es an Philpp Rank, und trug es in sein Zimmer, wo sich nichts verändert hatte. Einen Augenblick sah sie auf den Un seligen nieder, der ein abschreckendes Bild darbot, legte den Brief auf den Tisch und entfernte sich eb-nso geräuschlos, wie sie eingetreten war. Als sie nun noch die furchtbaren Beweis stücke eingestegelt, sie gewissenhaft wie sie geschrieben, mit der bezeichneten Adresse versehen und sorgfältig weggeschlossen hatte, setzte sie sich erschöpft auf einen Stuhl, den Blick in eine un bestimmte Ferne gerichtet, die als Zukunft grauenhaft vor ihr lag, die Hände gefaltet im Schoß. So fand der erste goldene Sonnenstrahl die Unglückliche, deren Gestalt greisenhaft geworden war in der Erfüllung einer fürchterlichen Mission. Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als Philipp Rank aus seinem todtenähnlichen Schlaf erwachte und sich mit dem unbehaglichen Gefühl, wieder einmal in jenem Gifte seinen Meister gefunden zu haben, aufrichtete. Sein wirrer Blick über flog das Zimmer/ blieb an der noch brennenden Lampe, den Papieren auf dem offenen Schreibtisch und schließlich an den Scherben der zertrümmerten Flasche haften. Er stieß einen wilden Fluch aus und erhob sich, um die Lampe zu löschen, das Fenster zu öffnen und die Spuren seiner gemeinen Unmäßigkeit zu tilgen. Als er die Scherben auflesen wollte, fiel sein Blick auf den Brief. Er besah die Adresse, — an ihn selber von seiner Schwester? Was konnte sie ihm zu schreiben haben und wie mochte der Brief in sein Zimmer ge kommen sein? Er riß den Umschlag ab und las. Sein Gesicht verzerrte sich und wurde wie eine Todtenmaske. Mit einem Wuthschrei, der nichts Menschliches an sich hatte, schleuderte er das Schreiben auf den Fußboden und stampfte darauf umher, bis es in Fetzen war. Dann sank er in einen Sessel und zerwühlte sich die graue Perrücke, bis sie sich verschob und brandrothe Stoppeln hervorschimmerten. Sein Blick fiel seitwärts in einen Spiegel, — er lachte grell auf, doch klang dieses Lachen wie die hoff nungsloseste Verzweiflung. „O, ich Narr, ich unvorsichtiger Dummkopf!' knirrschte er, sich mit der geballten Faust wüthend vor die Stirn schlagend, „alles offen zu lassen und ihr die gefährlichen Beweisstücke wie ein Wahnsinniger zurechtzulegen. O ja, sie wird Wort halten, diese zärtliche Schwester, in ihrem tollen Gerechtigkeitshochmuth, sie wird mich erbarmungslos dem Büttel überliefern. Ist denn wirklich Alles verloren?" Er stierte grübelnd vor sich hin und sprang dann plötzlich wie von einem rettenden Gedanken erfast, empor. „Bah," murmelte er, „jetzt mag es biegen oder brechen, Du hast es so gewollt, gerechte Schwester! — Log Reinecke Fuchs sich noch am Galgen los, wird's auch mir an einer Rettung nicht fehlen. So sei es denn, Frau Dore, — ich er fülle Deinen Willen und reise heute «h,"