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Wochenblatt U MW Beilage zu Nr. 29. Donnerstag. 9. März 1911 Tenksprüche für Gemüt u«» Verstand. Neu Regiment bringt neue Menschen auf, Und früheres Verdienst veraltet schnell. Ars» wachse« WilSdrnff, den 8. März. Der erste diesjährige Dresdner Jahrmarkt wird am 27. und 28. März abgehalten. — Eine sehr lehr» reiche Ausstellung gegen Schundliteratur befindet sich in Dresden, Carolastraße 4, in der 2. Bezirksschule, Zimmer Nr. 27 und ist bis mit Sonntag, den 12 März, geöffnet. Zutritt gegen Karten, die im Königl. Sächs. Adreß- Comptoir, Breite Straße 7, umsonst zu haben find. Kinder und jugendliche Personen haben keinen Zutritt. — Der Lordmayor von London hat den Vorsitz des nationalen Ausschusses zur Vorbereitung der Beteiligung Englands an der Internationalen Hyzicne-AuSstellung in Dresden angenommen. Er hat einen Aufruf erlassen, in dem jeder patriotische Engländer zur Unterstützung des Unternehmen- aufgefordert wird. Von den als «forderlich bezeichneten 10000 Pfund Sterling steht dem Komitee bereits die Hälfte zur Verfügung. Im Luftkurorte Gohrisch bei Königstein lötete der in der „Seunerhütte" zur Kur weilende Referendar Otto Hundertmark aus Danzig dar in dem Etablissement dienende Stubenmädchen durch einen Revolverschuß und richtete darauf die Waffe gegen sich. Beide waren sofort tot. Sie unterhielten ein Liebesverhältnis, dar vom Mädchen gelöst werden sollte. Nachdem die städtische Gasanstalt in Radeberg die Fernzündung eingeführt hat, werden nun Gasautomaten von der Anstalt eingerichtet. In Naunhof wurde dir Landwirt Hahnemann bet Aufräumungsarbeiten in seiner niedergebrannten Scheune von einer einstürzenden Lehmmauer verschüttet und getötet. Ein Knecht wurde schwer verletzt. In Leipzig unternahm vorgestern früh ein 25 Jahre alter Arbeiter auf seine von ihm getrennt lebende Ehe frau einen Mordversuch. Er schlug die Frau mit einem Hammer auf den Kopf, so daß sie bewußtlos zusammen- brach. Bei seiner Verhaftung gab er zu, daß er die Absicht gehabt habe, seine Frau zu erschlagen. Die Frau dürfte am Leben erhalten bleiben. — Zur Unter stützung bedürftiger Kriegsveteränen von 1849 bis 1870/71 hat sich in Leipzig eine besondere Vereinigung gebildet, die sich „die Germanen" nennt. Sie erließ in diesen Tagen einen Aufruf, in dem sie die Oeffentlichkeit um Förderung ihrer Bestrebungen bat. Sie wird zugunsten der Veteranen einen Kornblumentag veranstalten. Da sich die Großviehmarkthalle auf dem städtischen Vieh- und Schlachthose in Leipzig als räumlich unzu- länglich erweist, soll eine neue mit einem Kostenaufwand Von 774000 Mk. errichtet werden. Die jetzige Großvieh- Markthalle wird zur Kleinviehmarklhalle umgebaut werden. Dit Kosten sind auf 221408 Mk. veranschlagt. Die Bergarbeiter in dem Braunkohlenreviere von Altenburg, Borno, Naumburg, Weißenfels und Zeitz find in eine Lohnbewegung eingetreten. Die Haupt- ford rungen bestehen in achtstündiger Arbeitszeit und Lohnerhöhung um etwa 20 Prozent. Die Entscheidung fällt jedoch erst im April. Die beiden Strolche, welche auf der Straße nach Oberroßa« bei Mittweida das Dienstmädchen Kretzschmar überfielen und zu vergewaltigen versuchten, wurden Sonntag vormittag festgenommen. Es sind die Arbeiter Stohwaffer und Riebasch aus Niederroßau. Der Margaretentag, der in Chemnitz zum Besten der Krippe und deS Altersvereins abgehalten wurde, hat einen Reingewinn von 92700 Mk. erbracht. ES ist dies im Vergleich zu Leipzig, wo 152000 Mk. erzielt wurden, ein sehr erfreuliches Resultat, wenn auch die ursprüngliche Schätzung von über 100000 Mk. nicht ganz erreicht wurde. Der Rat in Zwickau hat selbst die Veranstaltung eines Margareteutages in die Hand genommen und den städtischen Festausschuß mit der Vorbereitung des Festes, für den ein Sonnabend im Monat Mai in Aussicht steht, betraut. Unter der Kirche von vockwa lagern noch etwa 77800 Kubikmeter Kohlen. Der betreffende Steinkohlen- bauverein hat der Kirchgemeinde 203000 Mk. für das Abbaurecht angeboten, das Gebot ist aber als ungenügend zurückgewiesen worden, zumal dann Bergschäden für die Kirche zu erwarten sind. In der letzten Schulvorstandssitzung in Eibau ist beschlossen worden, die bisher bestehenden Schulgrldsätze um die Hälfte herabzusetzen. Umrze Lhronik. Durch elektrlfcheu Strom getötet. Ein Dach- decker hatte von der Berliner Elrktrizitätsgesellschaft den Auftrag bekommen, mit einem Mechaniker das Dach der Schaltstation bei Eberswalde einer Reparatur zu unter ziehen. Beim Zufafsen kvm der Dachdecker der Strom leitung zu nahe und wurde auf der Stelle getötet. Die Leiche ist teilweise verkohlt. — In dem Dorfe Stokki im Kreise Meseritz (Posen) wurde der Gastwirt Bara- nowski, als er einen gerissen Draht der elektrischen Hoch- spannleitung der Ueberlandzentrale von einem Kirschbaum mit einer Stange entfernen wollte, von dem Draht am Arm getroffen und vom Strom getötet; der ihn begleitende Lehrer Hoehle, der ihn in demselben Augenblick beiseite ziehen wollte, fiel gleichfalls auf der Stelle tot um. Einfturzkatastrophe. Beim Abbruch einer Scheune in Opitz stürzte ein Giebel ein und begrub drei Personen unter sich. Zwei wurden getötet, eine erlitt lebensge fährliche Verletzungen. Die Bluttat eiues Raubmörder- im Zucht- hauS. Ein Ruffe namens August, der wegen eines an einem Mannheimer Rechtsanwalt in Glaswaldsee im Schwarzwald verübten Raubmordes zum Tode verurteilt, aber zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt worden war, verwundete Sonntag früh in der Abteilung für Geisteskranke des Landgerichtsgefängnisses zu Bruchsal in einem Tobsuchtsanfall dem Aufseher Schmidt durch mehrere Stiche mit einer spitzen Schere schw.r und tötete den Aufseher Kaufmann durch einen Stich ins Herz. Bei einem Deckeuetusturz vier Personen getötet. In Samocz auf russisch-polnischem Gebiet stürzte in einem Privathause eine Decke ein. Vier Per sonen, die gerade beim Mittagessen saßen, wurden getötet. — Soweit bis gestern abend festgestellt wurde, verbrannten bei dem in dem Kinematographen in Bologoje auSgebrochrnen Feuer 120 Menschen. 82 Leichen sind unter den Trümmern hervorgeholt worden, weitere 40 werden vermißt. Herz zerreißende Szenen spielten sich ab. Frauen und Männer suchten unter wildem Geschrei unter den verkohlten Trümmern ihre Kinder. Bravdkatastroph- im «in-matographo», theoter. Bei dem Brande eines Kinematographen- theaters in einer Ortschaft bei Bologoje (Gouvernement Nowgorod), sind etwa neunzig Personen, darunter viele Kinder, umgekommen. Fünfzig Personen wurden verletzt. «erbot des AutomobilverkehrS in «rar»- bünde«. Durch eine Volksstimmung im Kanton Grau bünden wurde mit 10500 Stimmen gegen 3095 Stimmen beschlossen, daß der Automobilverkehr in ganz Graubünden verboten ist, nachdem er vorher auf einzelnen Straßen noch gestattet war. Der Papagei als Lebensretter. Im „Lok.- Anz." wird folgender aus London gemeldet: „Vater, komm schnell! Vater, komm schnell l" gellte es um Mitter nacht durch das Haus der Familie Pett, die über einem Lader in der Church Street in London wohnt. Frau Pett erwachte von dem Geschrei und gewahrte, daß dicker Rauch aus dem Laden in die oberen Räume drang. Mit Hilfe einiger Nachbarn gelang eS, ihren hilflosen kranken Mann, ihre Kinder und den — Papagei in Sicherheit zu bringen, der mit seinem Geschrei die ganze Familie vor dem Erstickungstode gerettet hatte. Der Laden und die darüberli-gendrn Stockwerke wurden rin Raub der Flammen. Neue Hundertmarkscheine. Die kürzlich zur Ausgabe gelangte neue Art von Rei-Sba»knote» zu 100 Mk. unterscheidet sich von den bisher im Umlauf gewesene» wesentlich. Die in der Hauptsache in bläulichem Kupferdruck auSgefübrtev, 20,7 Zentimeter breiten und 10,2 Zentimeter hohen Noten datieren vom 7. Februar 1908 oder 10. September 1909 oder 21. April 1910 und find aus geschöpftem Papier herzestellt. Sie zeigen in einem Nebenteil — von der Vorderseite auS gesehen links — al» Wasserzeichen da- Brustbild Kaiser Wilhelm I. und darunter ein von lichte» Punkten umgebener, dunkel umrandetes Oval mit der Hellen Zahl 100. Auf der linken Hälfte befindet sich rin Streifen auS purpurroten und grünen Pflanzenfaser». Die Nummer «scheint auf jeder Note fünfmal, und zwar zweimal auf der Vorderseite, dreimal auf der Rückseite. Die Mitte deS Hauptteils der Vorderseite enthält in kräftig hervortretendem Druck in deutscher Schrift mit verzierten Initialen den Text: Et» Hundert Mark zahlt die Reichs- bavkhauptkasse in Berlin ohne Legitimatiousprüfung dem Emlteferer dieser Banknote. Dau» folgen Datum und Unterschriften. An jeder Seite, neben den Unterschriften, befindet sich ei» roter Kontrollstempel mit dem Ritchs« ! In den Fjorden. u Novelle von Madeleine Kragh. Uebertragung von Heinrich Hesse. 3s (Nachdruck verboten.) Dieser Einfluß hatte jedoch nur solange gedauert als ihr Ehebündnis. Lars war niedergezwungen worden, doch sein Naturell hatte sich in Wirklichkeit weder besänftigt, noch war es nachgiebig geworden. Wenn er eine Frau von anderem Temperament geheiratet hätte, eine Frau, die sich mit größerer Hingebung Autorität genug über ihn bewahrt hätte, um ihre Sanftmut über die Härte des Gatten trium phieren SU lasten, so würden ihre so verschiedenartigen Charaktere sich nach und nach ergänzt haben, und Lars' leidenschaftliche Heftigkeit würde sich nicht solange behauptet haben, wie sie es dieser kaltblütigen, an den alten Eigen schaften festhaltenden Frau gegenüber getan. Ihr Trachten war so entgegengesetzt, daß sie sich nicht hatten verstehen können. So wallte das stürmische Naturell des Lars von neuem auf, sobald es fessellos geworden — sobald sein Weib gestorben. So verging einige Zeit, und als Lars gegen sich und alle, die mit ihm in Berührung kamen, genug gewettert batte, fühlte er sich niedergeschlagen und erschöpft — er empfand ein großes Bedürfnis der Ruhe und Sammlung. Mit seiner wilden, jähzornigen Natur war, wie schon gesagt, keine Besänftigung vorgegangen, und wenn Sorgen und Kummer der von der Vernunft geratenen Ergebung in das Schicksal nicht die Oberhand gewinnen lassen, so verhärten sie das Herz und machen es selbstsüchtig. Das war bei Lars der Fall. Er kam und ging mit finsterer Miene, als habe er den unverbrüchlichen Schwur getan, sich über nichts mehr zu freuen und niemand mehr eine Freude Zu machen — er, der täglich Gelegenheit hatte, Menschen glücklich zu machen. In besonders unausstehlicher Laune war er seinen Kindern gegenüber. Sie waren in seinen Augen an dem Tode ihrer Mutter schuld und blieben ihm eine unaufhör liche Erinnerung an eine Vergangenheit, die er jetzt für immer verloren und die er als die glücklichste Zeit seines Lebens betrachtete. So fachte der Anblick der Kinder seinen Zorn nur von neuem an. Er konnte sie nicht in seiner Nähe dulden. Ihr Lächeln machte ihm keine Freude, und es war ihm nicht möglich, ihr Schrnen anzuhören. Später, als der Charakter sich bei den Zwillingen ent wickelte, gewöhnte er sich mehr und mehr daran, sie zu sehen. Als sie nun zwei Jahre alt waren, bezeigten sie sich gegen seitig eine tiefe Abneigung und Gefühle, die ganz verschieden waren von denen des siamesischen Zwillingspaares. Und als sie größer und größer wurden wie zwei Aeste desselben Stammes, die in verschiedener Richtung wachsen, fühlte Lars sich eher zu ihnen hingezogen. Als man sie noch später sah, wie sie zwei jungen Wölfen gleich über einander herfielen, mußte Lars laut auflachen. Und das ließ ihn seinen Kummer vergessen. Die Nachbarn und Fremden, die auf den Pachthof kamen, sahen diese Szenen nur mit Widerwillen, doch nie mand wollte es wagen, Lars Vorhaltungen zu machen — der Haß der beiden Brüder wurde größer und größer. Noch aber hatten ihre Streitigkeiten nichts Böses im Gefolge. Doch ihre Verderbtheit warf deshalb nicht weniger tiefe Wurzeln in ihrer Seele. Bald gab es des öfteren einen Heidenlärm auf dem Pachthofe, sobald der eine von ihnen in diesem oder jenem Falle mehr begünstigt wurde, und sie fanden auch noch einen Grund zum Streiten, wenn sie beide das gleiche Teil er hielten. Denn der eine konnte durchaus nichts in den Händen des andern sehen, für das er selbst Verwendung hatte. Kurz, sie waren einander ein Hindernis nicht nur auf dem Pachthofe von Lukne, sondern auch im Leben, gleichviel bei welcher Gelegenheit. »Du hast da ein paar schöne Bürschchen!" sagte hin und wieder ein Besucher, der zu Lars kam. „Gewiß, gewiß!" antwortete der Gutsherr ganz zu frieden. „Es sind Geier, die Schnabel und Krallen haben. Der eine wird dem andern nichts abtreten, bevor sie sich nicht gegenseitig die Haare oder Federn ausgerissen haben!" Und „der Mann von Lukne" hielt sich die Seiten vor Lachen. Dann rief er Aumond — er sagte, Aumond sei der ältere, weil er das Licht der Welt einige Stunden früher erblickt als sein Bruder Niels. Doch kaum hatte Lars Aumond gerufen, so lief Niels auch schon eiligst herbei, um zu sehen, was man von Aumond wollte und ob man ihm selbst nicht etwas nähme, um es seinem älteren Bruder zu geben. Wenn nun die beiden Brüder so nebeneinander standen, warf Lars ein Kupfergeldstück auf die Erde. Und schon hatten die beiden Söhnchen sich gepackt und wälzten sich kratzend und beißend auf dem Boden — sie machten sich die Beute streitig wie zwei Hunde, die sich um einen Knochen streiten und die man noch aufhetzt. „Die Bürschchen werden sich doch wohl nicht schlagen, bis sie Männer geworden sind?" fragte eines Tages ein Nachbar, als nach einem solchen Kampfe die beiden jungen Wölfe keuchend und mit blutigem Gesicht die Fäuste ballten und einander haßerfüllte Blicke zuwarfen. „Ihr tätet besser daran, Lukne in zwei Teile zu teilen und die beiden Hälften durch eine Hecke zu trennen. Der Hof ist übrigens groß genug..." j „O . . ." höhnte Lars Björn, und in diesem Augenblick erinnerte er sich nicht mehr an seinen eigenen Kampf mit dem Bären, „das Gut soll dem Stärksten gehören. Gib Dein Geldstück her!" fuhr er fort, sich an Aumond wendend. „Du bist der Aelteste und hast nur das kleinste aufgehoben. Gib auch das Deine, Niels. Wer den Groschen erwischt, bekommt das Gut — der andere wird sich damit begnügen müssen, zu betteln." (Fortsetzung folgt.) !