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Wochenblatt für WilMA Beilage zu Nr. 46. Sonnabend, 22. April 1911. Tenksprüche für Gemüt u«» Verftamd. Darf sich der Mensch zu richten unterwinden? Wer unter uns ist rein von Sünden? Veteachtnng zum Sonntag stZuasimsdsgeniti. 1. Joh. 5, 1: Wer da glaubet, daß Jesus sei der Christ, der ist von Gott geboren, und wer da liebet den, der ihn ge boren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist. Kleinostern nennt man den Sonntag nach Ostern als den Anfang der 40tägigen Nachfeier von Ostern, dieser Freudenzelt der Kirche. Er heißt auch der weiße Sonntag im Hinblick auf die Neuqetauften, die man als die Neugeborenen zu bezeichnen pflegt. Darum heißt der heutige Sonntag ja eben mit dem Fremdwort Quasimodo- Miti. Wir gedenken heute an ihm besonders noch ein mal der Neukonfirmierten, von denen jetzt so viele aus dem Elternhaus und aus ihrer Kirchgemeinde geschieden find, um in die Arbeit und die Stätte ihres Berufe» rinzutreten. Werden sie alle bleiben in dem, was sie gelernt haben? Ja, können wir da- von uns selber sagen? Wir müssen vielfach beschämt dazu schweigen, denn auch wir lassen es vielfach an dem fehlen, was das Merkmal der Wiedergeborenen ausmacht. Was aber ist das? Johannes faßt es zusammen in das Wort: „Wer da glaubt, daß Jesus sei der Christ, der ist von Gott geboren" Wer also nur an Gott, den Schöpfer, glaubt, aber nicht an Jesum, seinen Sohn, oder, wer den Herrn Jesus für einen bloßen Menschen hält, der ist noch nicht wiedergeboren. Denn allein wer solchen Glauben hat, hat den rechten Glauben, der tätig ist in der Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten und seine Gebote find nicht schwer, der aber auch tätig ist in der Liebe zu den Menschen, weil er in ihnen allen sieht Kinder des selben einen Baters im Himmel. Haben wir aber solchen Glauben, dann find wir von Gott geboren und erlangen auf die Frucht solchen Glaubens, die Ueberwindung der Welt. Freilich von solchem Sieg fühlen wir oft nichts in unserem Herzen und sehen wir oft nichts in unserem Leben. Allein wir dürfen uns getrösten des WorteS: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben". Darum Wollen wir uns unentwegt an den Herrn halten, der uns doch endlich zum Sieg oder gar zur Seligkeit aus- Helfen wird. An» Kaetzssn. Wilsdruff, den 21. April. Vorgestern früh wurde daS 13jährige Schulmädchen Johanne Elsa Bohl, die Tochter einer in der Fürsten- straße in Dresden wohnhaften Familie tot in ihrem Bette angetroffen. Das Mädchen schlief in der Küche der elterlichen Wohnung allein. Während der Nacht hat sich nun auS irgendwelchem Grunde der Schlauch vom Gaskocher gelöst und das Mädchen hat infolge Gasver giftung einen frühen Tod erlitten. Im Orte Boberfe« bei Riesa hat sich vorgestern früh in seiner Wohnung der Lehrer Otto Theodor Weise erschossen. Gegen den Verstorbenen schwebte ein Verfahren wegen Sittlichkeitsverbrechen, die er seit Jahren an Schul- Mädchen begangen hat. ES ist anzunehmen, daß W. aus Furcht vor Strafe wegen dieser Verfehlungen Selbstmord verübt hat. Nach der mit gutem Erfolg abgelegten Meisterprüfung für das Schneiderhandwerk ist der Frau Johanna verw. Neidhardt in Leipzig-Reudnitz durch den Obermeister der Schneiderinnung namens der Innung und der Prüfungskommission die Genehmigung zur Führung des Meisteriitels erteilt worden. Frau Neidhardt ist die erste geprüfte Handwerksmeisterin in Leipzig. In Bräu«Sdorf kam am Dienstag nachmittag der mit dem Abputzen eines Hauses beschäftigte Maurer Lindner mit den Händen an die elektrische Leitung und wurde durch den elektrischen Schlag getötet. Am Sonnabend nachmittag sprang ein 46 Jahre alter Stuckateur auf der Hainstraße in Chemnitz von einem in Fahrt befindlichen Straßenbahnwagen ab, kam zu Fall und erlitt so schwere Verletzungen, daß er bald darauf verstarb. Infolge übermäßigen Alkoholgenusses starb am Frei- tag in Hoheustei« Ernstthal der Handarbeiter König an Herzschlag. Der Mann sollte 10000 Mark erben. In ArnoldSgrün hat sich am zweiten Feiertag ein Doppelsrlbstmord zugetragen. Der in een 50er Jahren stehende Gutsbesitzer Robert Ludwig soll seiner 27 Jahre alten Tochter Vorwürfe darüber gemacht haben, daß ihr Verkehr mit einem Liebhaber nicht ohne Folgen geblieben war. Das nahm sich das Mädchen so zu Herzen, daß es davon lief und sich im Rittergutsteich bei Marieney ertränkte. Der Vater machte sich, wie man erzählt, über den Fall die bittersten Vorwürfe und glaubte, am Tod seiner Tochter schuld zu sein. Er stürzte sich bald darauf selbst in den Teich und fand ebenfalls den gesuchten Tod. Die beiden Leichen wurden geborgen. AIS erste weibliche Automobilführer in Plaue« i. D. haben am Donnerstag vor dem amtlichen Sach- verständigen die Frauen Dr. Herrmann und Fabrik besitzer Kurt Köchel die erforderliche Prüfung bestanden. — Am zweiten Feiertage fand ein dort wohnendes Mäd- chen ihren Geliebten an der Türklinke erhängt vor. Er scheint die Tat im Rausche begangen zu haben- Auf eine tragische Art ist die Maurersfrau Wil helmine Kindermann in am Freitag gegen abend ums Leben gekommen. Beim Futterholen vom Boden stürzte die Frau von der Leiter und fiel in die zur Seite stehende Regentonne, wo sie ihr Mann, als er von der Arbeit heimkehrte, tot vorfand. In Tifchau bei Teplitz ist die 18jährige Gastwirts- tochter Rosa Kunert erdrosselt aufgefunden worden. AIS Täter ist ihr früherer Liebhaber Anton Köcher verhaftet worden, der nachts als Frau verkleidet in das Zimmer des Mädchen» eindrang und es aus Eifersucht er mordete. Anrze Lhronik. Verhängnisvolle Explosiv» bei« Böller« schießen. In Erlhausen fand, wie aus München ge meldet wird, bei einem Böllerschießen ein Unglück statt. Fünf Burschen, die Benzin nachgossen, wurden durch eine Explosion lebensgefährlich verletzt; einer verlor beide Augen. Verheerender Waldbrvnd. Ein in der Nähe der Arbeiterkolonie PetruSheim bei Goch (Rheinland) beim Wembroich ausgebrochener riesiger Waldbrand ergriff rund 1500 holländische Morgen Tannen- und Eichenschälwal dungen, die dem Grafen von Loe auf Schloß Wnsem gehören. Zahlreiches Wild ist verbrannt. Brandkaterstrophen. Wie aus Posen gemeldet wird, brach in dem Dorfe Nieslabin bei Schrimm eine Feuersbrunst aus, durch die 21 Gebäude eingeäschert wurden. Das Feuer soll durch spielende Knaben ent standen sein. — Auch der in der Nähe Wiens gelegene Marktflecken Langenlois ist von einem Brand heimgesucht worden. 17 Wohnhäuser und ebenso viele Nebengebäude sind niedergebrannt. Zwei Frauen sind in den Flammen umgekommen. — Eine große Feuersbrunst wütete ferner in der russischen Ortschaft Alcxandrowskaja im Kreise Krestezk. 136 Gebäude wurden ein Raub der Flammen. — Schließlich wird noch aus Beuthen gemeldet, daß das Dorf Woykowice-Koscielne an der schlesisch-russischen Grenze durch Feuer zerstört wurde. 30 Häuser brannten nieder. Der größte Teil der Abgebrannten hatte nicht versichert. — Ein Schadenfeuer in der Nähe der Grune- waldseeS vernichtete 15000 Quadratmeter Kiefernschonungen und etwa 400 Quadratmeter Waldbestand. Das Feuer entstand in der Nähe des Bahnhofs Eichkamp. Schweres Eisenbahnunglück. In Radom (Polen) stieß ein Güterzug mit einem Personenzug zu sammen. Der Güterzug wurde total zertrümmert. Zwei Zugbedienstete wurden getötet, drei tödlich verletzt. Acht Personen bei einem Da mpserzusamme« stoß ertrunken. Der Frachtdampfer „Reserve" ist in der Nähe von Rotterdam von dem Frachtdampfer „Paula" angerannt und zum sofortigen Sinken gebracht worden. Der Kapitän, seine Frau und deren sechs Kinder ertranken, der Maschinist und ein Matrose wurden gerettet. Die Einwohnerzahl -er Stadt Paris. Nach der im März dieses Jahres vorgenommenen Volkszählung betrug die Einwohnerzahl von Paris 2876968 gegen 2722734 im März 1906. Vierzig Häuser mit Nebengebäuden nieder gebrannt. Aus Budapest wird gemeldet: Die Gemeinde Groß-Kinizs im Komitat Abauj-Torna ist durch Feuer zerstört worden. Vierzig Häuser samt Nebengebäuden sind niedergebranni, von denen der größte Teil ver sichert war. Furchtbarer Sturm in Ostbenga. Nach einem Telegramm der „Daily Mail" aus Kalkutta wurde die Stadt Santehar an der ostbengalischen Eisenbahn von einem furchtbaren Sturm heimgesucht. Urber 60 Häuser sind vollständig zerstört. Ein Eisenbahnzug wurde vom Sturm die Böschung hinabgeworfen; eine große Anzahl Personen wurden verletzt, es sollen auch viele getötet worden sein. Lotte; MMen. Erzählung von Wilhelm Braunau. 18 Nicht minder erfreut als das geängstigte Mädchen war aber auch der Kapitän, welcher neben der Beruhigung, daß seine Uniform nicht sei mißbraucht worden, durch den Nachweis von dem wirklich erfolgten Tode des ihm entsprungenen Ver brechers auf einen Erlaß der über ihn verhängten Strafe hoffen durfte. Die Bedeutung dieses Umstandes stand ihm höher als der durch den Zeitaufwand entstehende Verlust, welchen er chmen^mhedern bereitete und so ging er denn bereits am anderen -rage nüt seinen neuen Freunden unter Segel, um nach kurzer Fahrt w Cherbourg zu landen lind als Entlastungs zeuge m der Untersuchung gegen Mignons Vater sich zu stellen. Seme Umlagen wurden zu Protokoll genommen, und es war vielleicht nur um der Form willen, daß er dieselben beschwören mußte, der frühere Kommandeur des „Adlers" war ja in der Seefeste zur Genüge als ehrenwerter Mann bekannt und sein Unfall mit dem entsprungenen Verbrecher voch in gutem Andenken. Gleichwohl war sein Zeugnis noch nicht hinreichend, um eine sofortige Befreiung des alten Schiffers zu bewirken, letz teres erst konnte geschehen, nachdem festgestellt worden war, daß 'N jener Michaelisnacht kein anderes Schiff als der „Adler" die ^rmannischenJnselnpassiert hatte, sowie aus der Totenliste der Marinebeamten sich ergab, daß ein Kapitän seit mehr denn Jahren nicht gestorben sei oder gar vermißt werde. trotzdem hätte der angebliche Mörder doch noch einen tchaMmen Stand gehabt, wenn ihm eben nur nachgewiesen rourde, daß die Tötung des., vermeintlichen Kapitäns eine orsetzljche gewesen sei, allein der Anklage hatte nach dieser ^te hin-Jaques Sei seinerMzeige die Spitze selbst abge- weil er die Tat^wse sie geschehen war, immer noch y»,Ichwer^genuL hieltz^üm den Alten auf die Galeeren zu bringen. In jener Michaelisnacht hatte der Legiere, da er an dem Brausen des Windes einen heranziehenden Sturm erkannt, mit einem langen Bootshaken gerüstet, den Weg zur Küste eingeschlagen, um einige Grundnetze besser zu befestigen oder, wenn dies nicht möglich sei, dieselben heraufzuziehen und in Sicherheit zu bringen. Wie er nun in dem seichten Wasser des Ufers dahinschrcitet, erblickt er im Scheine deS durch die geöffneten Wolken strahlenden Mondes eine mensch liche Gestalt, welche anscheinend in großer Erschöpfung dem Ufer zuschwimmt, und einmal festen Grund unter den Füßen, das trockene Land in großer Eile zu gewinnen sucht. Die Schiffer sind alle abergläubisch und mehr unwill kürlich als mit Absicht öffnet der alte Berignard die Lippen — ein derbes „hoho" macht den Ankömmling auf seine An wesenheit aufmerksam und läßt ihn, über den unerwarteten Anruf erschrocken, inne halten. Eben will, da der alte Schiffer die glitzernde Uniform erkennt und den Fremden für einen Verunglückten hält, Berignard denselben die Bootsstange mit dem eisernen Widerhaken hinreichen, damit jener mit ihrer Hilfe leichter das Ufer gewinne — da hebt der Unbe kannte plötzlich die Hand, der Schiffer sieht einen Blitz, es fühlt einen heißen Streifen an seiner Wange, der Knall der Revolvers belehrt ihn, daß jener nach ihm geschossen. Einen Augenblick hält er inne, es ist ja möglich, daß der Schuß ohne Willen eines Anderen losgegangen, er ruft dem Unbekannten zu, er solle sich nur nicht fürchten, er sei ein einzelner Mann, der ihm bcizustehen bereit sei, ich vor den immer schärfer anrollendcn Wogen an das Ufer zu retten. Allein der Fremde mußte mit der Gewohnheit der Küsten bewohner sehr wohl bekannt sein, denn mit dem Rufe: „Strand räuber! Gib Raum!" feuerte er noch 2 schnelle Schüsse ab, deren eine Kugel dem Alten durch das dicke Fleisch des Ober armes fährt. Zu vielem Besinnen gab es da keine Zeit mehr, ohnehin wiegt ja ein Menschenleben in der Hand der Strandsucher nicht sehr schwer, schon hatte der alte Berignard die Boots stange gehoben, ein schwerer Stoß — und der eiserne Wider haken fährt dem Angreifer mit dumpfen Laute durch die über das Wasser ragende Brust. Nach wenigen Minuten hatte der Alte den augenblick lich Getöteten an das Ufer gezogen, um zu sehen, ob noch Leben in ihm sei. Allein das Herz stand still, der Manu war tot. „Na, Alterchen, was treibst Du denn da? Das scheint ein gar vornehmer Gast zu sein!" Jäh, wie vom Blitz getroffen, fuhr der mit dem Toten Beschäftigte empor, als er Plötzlich die Worte hinter sich ver nahm — da sah er Jaques hinter sich stehen, mit höhnisch grinsendem Gesicht auf ihn und den Getöteten niederschauend — er hatte den Alten in der Dunkelheit dem Strande zu schreiten sehen und bei sich gemeint, es könne nichts schaden, wenn man einmal der Fährte des alten Fuchses folge — jetzt stand er vor ihm und mit kalten Worten erklärte er dem Armen, der fast selb stnicht wußte, wie alles gekommen war, daß der Getötete ein französischer Kapitän sei, und daß ein einziges Wort aus seinem, Jaques Munde, imstande sei, den Anderen auf die Galeere zu bringen. Berignard, der sich für schuldiger hielt, als er in der Tat war, bat Jaques, die Leiche mit ihm zu verbergen, und beide schleppten dieselbe, damit nicht das Meer sie irgendwo auswerfe und dadurch zur Entdeckung der Tat führe, in eine tiefe Felsspalte, wo sie sie mit Steinen und Rasen über schütteten. Es war, wie sich nunmehr vollkommen erwies, eine Hand- lung der Notwehr gegen einen Menschen gewesen, der den alten Schiffer als Zeugen seiner Flucht gefürchtet und auf die Seite zu schaffen beabsichtigt hatte. Daß der Getötete die Uniform eines Kapitäns getragen, hatte wohl den alten Mann in Angst und Schrecken versetzen können, war aber kein Grund, ihn des Mordes an einem solchen anzuklagen.