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WsdrufferTageblati W sür Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Nr. 175 — 91. Jahrgang Wilsdruff-DreSden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Postscheck: Dresden 2640 Donnerstag, den 28. Juli 1932 s Das »Wilsdruffer Tageblatt- erscheint an allen Werktagen nachmittags S Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— RM. frei Haus, bei Postbestellung 1,80 RM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpsg. Alle Postanstalten, Post- Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend Falle höherer Gewalt, Krieg oder sonstiger Be- ' triebsstörungen besteht kein Anspruch auf Lieferung der Zeitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung -inges-ndie. Schriststü-ke ersolg. nur, wenn Porto Klage -ingeVog-n werden muß k.... Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauvtmannsckatt Moikon d-« gertchts und des Stadtrats ,n Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamt-No^ pls"nige,^die 3ggpaUc^eckl'a mc"cile° im'wEchen TeiN^RMik amtlichsn Bekanntmachungen 4V Reichs' geschriebeneErfchelnungs. " '-r'Nchen Teile 1 RMK. Nachweisungsgebühr 2V Reichspsennige. Dor- Fernsprecher- Amt Wilsdruff Nr, 6 "r"^u.°berm»A«^^k^^n.w^ Deutsche Wehrpolitik. Es soll sogar Politiker geben, die sich durchaus nicht scheuen, heute das zu verbrennen, was sie einst angcbetet haben, die also vor dem Bekenntnis nicht zurückschrecken, sich früher — geirrt zu haben. Der ehemalige englische Ministerpräsident Lloyd George gehört schon seit längerer Zeit zu diesen bekenntnismutigen Politikern und er, einer Ler „Großen Vier" von Versailles, ist heute durchaus nicht mehr stolz auf fein damaliges Werk. Gerade jetzt wieder hat er in einem Artikel über die „Arbeit" der ^Genfer Abrüstungskonferenz einen treffend-beißenden Darkasmus niedergeschrieben, der am wenigsten die eigenen Landsleute schonte: Auf eine Frage an die 'Marinesachverständigen in Genf, wann denn z. B. ein Linienschiff eine „Verteidigungswaffe" fei, würde man Hu hören bekommen: „Wenn es die englische oder die amerikanische Flagge führt." Der deutsche Reichswehrminister General von Dchleicherhat in seiner programmatischen Rede dieses sarkastische Wort Lloyd Georges als beste Kritik dafür Zitiert, was in den sechs Monaten derGenferKonfe- stenzverhandlungen eigentlich geleistet worden ist. Ein Feilschen und „Formulieren" füllte diese Monate aus, aber zu mutigen Entschlüssen kam man nicht. Lloyd Meorge — auch das zitierte der Reichswehrminister — schrieb offen und eindeutig, man habe eben hinsichtlich der Abrüstung „die versteckte Absicht gehabt, jeden Fortschritt zu verhindern". Noch etwas anderes, noch viel Bezeichnenderes für den wirklichen Stand der ganzen Abrüstungsfrage ver mochte der General von Schleicher zu zitieren: die Aus führungen, die der Generalberichterstatter der Pariser iDcputiertenkammer für den französischen Staatshaushalt gemacht hat, als er von einer Besichtigung der großen ^Verteidigungslinie" Frankreichs an der Ostgrenze zurück- rehrte. Diese begeisterte Darstellung gipfelt in dem Satze, Daß jede deutsche Armee, möge sie so mächtig, anutig und hartnäckig sein, wie sie wolle, an diesen Ver teidigungslinien zerschellen müsse; „unser Befestigungs netz gibt deshalb eine völlige Sicherheit gegen einen deutschen Einbruch", habe der Franzose geschlossen. Das „völlige Sicherheit" unterstrich General von Schleicher be sonders, denn dieser Ausspruch, so setzte er hinzu, stehe doch in einem derartigen Gegensatz zu dem ständigen Ruf nach der „Sicherheit Frankreichs", daß man darauf nur mit einem früheren Worte Stresemanns antworten könne: Heuchelei! Aber Wohl noch schärfer prägt sich in jener Feststellung des französischen Generalberichterstatters etwas anderes aus: der Gegensatz zwischen der völligen Sicherheit Frank reichs und der, wie General von Schleicher sagte, „Völl i- gen Unsicherheit" Deutschlands. Denn einer seits könne doch die viel zu kleine Reichswehr nicht als ausreichend für den Schutz der deutschen Grenzen an gesehen werden, und andererseits müsse man damit rechnen, daß an eine Abrüstung der anderen Mächte bis auf unseren Rüstungsstand vorläufig nicht zu denken sei, trotz aller rechtlichen und moralischen Verpflichtungen. Den besten Beweis dafür hat Gens ja gerade jetzt voll gültig geliefert. Uns Deutschen hat Genf also nach wie vor nicht bloß die militärpolitische Gleichberechtigung, sondern auch jede Schaffung besserer Sicherheit vor- enthalten und versagt. Bekanntlich hat diese Tatsache nun zunächst zu dem Protest der deutschen Delegation in Gens und zu der Ankündigung geführt, daß Deutschland sich nicht mehr verpflichtet fühlen könne, an den künftigen Ver handlungen der Konferenz teilzunehmen, wenn man unseren beiden Forderungen kein Entgegenkommen zeigen würde. Aber General von Schleicher ist in feiner Rede noch weiter vorgestoßen. Er erklärte: „Wir können diese Sicherheit erreichen, indem wir unsere Wehrmacht so orga nisieren, d. h. umbauen, nicht ausbauen, daß sie uns wenigstens ein gewisses Maß von Sicherheit gibt", und er fügte mit besonderer Betonung hinzu, daß die Rcichs- rcgierung diesen Weg gehen werde, wenn man uns auch in Zukunft volle Sicherheit und Gleichberechtigung vor- enthalte. Und schließlich sprach der Reichswehrministcr von emer „modernen, ihren Zweck einigermaßen erfüllen den Wehrmacht", die er zu der des Versailler Diktats — also unserer jetzigen — in ein unmittelbares Gegen über stellt. über diese grundsätzliche Linienführung für die künftige deutsche Wehrpolitik ging aber der Reichswehrminister in seiner Rede schon deswegen nicht hinaus, weil er das Beschreiten dieses Weges von den eben erwähnten, sozusagen negativen Voraussetzungen abhängig macht und abhängig sein läßt. Die Ent scheidung darüber, wann diese Voraussetzungen tatsäch lich vorhanden sind, fällt selbstverständlich nicht heut oder morgen, sondern ist von der Entwicklung der ganzen Ab rüstungsfrage, also von dem Verhalten derer abhängig, die bisher in Genf die offizielle Stellungnahme zu den beiden vom Reichswehrminister jetzt wieder klar heraus- tzestellten deutschen Forderungen vermieden haben. Wohl ober wird sich sehr viel schneller ein lautes Geschnatter der Versailler Kapitolswächter erheben. Die MMiWUN Men fallen. Beseitigung der Notverordnungen. Eine Zusage des Kanzlers in einem Briefwechsel mit Hugenberg. Im Anschluß an eine politische Besprechung hat der Führer der Deutschnationalen Volkspartei, Dr. Hugen berg, dem Reichskanzler v. Papen ein Schreiben ge sandt, in dem er die Aufhebung der von dem Kabinett v. Papen am 14. Juni erlassenen Notverordnung mit der Beschäftigten st euer fordert. Weiter hat Dr. Hugenberg in diesem Schreibon die Aufhebung der von der abgesetzten preußischen Regierung er lassenen Notverordnung verlangt, die erhebliche Belastun gen für die Beamtenschaft, die Schlachtsteuer und den Wegfall der Hauszinssteuerbefreiung brachte. In dem Brief an den Kanzler betont Dr. Hugenberg, daß er an zwei Maßnahmen der Regierung v. Papen Grund zur Kritik habe: einmal an der Notverordnung vom 14. Juni, dann am Abschluß von Lausanne. Dann heißt es u. a. weiter: Ich weiß, daß die Regierung Brüning in einem Augenblick zurückgetreten ist, in dem die öffentlichen Kassen leer und Deutschland bankerott war. Sie, Herr Reichskanzler, haben ein Trümmerfeld übernommen. Trotzdem können wir der Art nicht zustimmen, in der die /finanzfrage angefaßt ist. Wir legen Wert darauf, loyal das einzuhalten, was wir zur Zeit des Young- Kampfes versprochen haben: unsererseits nichts dazu bei zutragen, das Volk durch den Young-Plan verelenden zu lassen. Deshalb können wir die Finanzmatznahme der Notverordnung vom 14. Juni 1932, wie seinerzeit schon ausgesprochen, nicht gntheißen. Die Notverordnung ent hält Härten, die bei vielen Betroffenen etneverzwei- felte Lage erzeugen. Der erste, sofortige Schritt zur Beseitigung unnötiger Härten müßte auf Grund eines Zusammenwirkens der Reichs- und der preußischen Regierung die Aufhebung der preußischen Finanznotverordnung vom 8. Juni 1932 sein. Der jetzige Inhalt der Notverordnung vom 14. Juni 1932 ist um so unbefriedigender, als damit zunächst keinerlei auf bauende Maßregeln verbunden waren. Auf solchewartetdas ganzeVolk. Nach meiner Auf fassung ist die dringendste Maßnahme eine grundlegende und jeden künftigen staatlichen Eingriff in die Privat- schuldveryältniffe ausschließende Regelung der bestehenden Schuldverhältnisse. Mit einem sofortigen Vorgehen dieser Art würden auch die Gefahren großenteils abgebogen sein, die mit den Ergebnissen von Lausanne verknüpft smd. Wir wissen, daß auch diese durch die Hinterlassen schaft des Kabinetts Brüning stark beeinflußt waren, aber schon der Mißbrauch, den jetzt Zentrum und Sozialdemo kratie mit Lausanne treiben, zeigt, daß unser Widerstand berechtigt war." Oie Antwort -es Kanzlers. Reichskanzler von Papen hat dem deutschnatio nalen Führer eine Antwort zukommen lassen, in der er sich grundsätzlich bereit erklärt, auf die Vorschläge Hugenbergs einzugehen. Es heißt in dem Brief: Es ist mir völlig klar, daß die ersten Maßnahmen des Neichskabinetts eine schwere Belastung für das Reichskabinett in der öffentlichen Meinung Deutschlands darstellen mußten. Bei der Lage, die das Reichskabinelt nach Übernahme der Regierung vorfand, war aber zunächst kein anderer Entschluß möglich. Erst nachdem die Reichsregierung in der auswärtigen wie in ver inneren Politik, in finanzieller wie in wirtschaftlicher Hin sicht, die Auseinandersetzung mit dem Erbe der voran- gegangenen Regierungen zu einem gewissen Abschluß ge bracht hat, kann die Aufbauarbeit beginnen. Sie wird darin bestehen müssen, aus dem bisherigen, mehr oder weniger unorganisch und unzusammenhängend ent standenen Notverordnungswerk eine nach einem ein heitlichen Finanz- und Wirtschaftsplan geregelte Neuordnung zu schaffen, durch die auch manche durch die vorangegangenen Notverordnungen herbei geführten Härten zu beseitigen sein weiden. Hand in Hand damit wird eine tief einschneidende Verwal tungs- und Finanzreform gehen müssen, durch die sich die Kosten des Verwaltungsapparates der öffent lichen Hand auf das Maß verringern, das der Ver armung Deutschlands entspricht. Es ist selbstverständlich, daß in diesem Neformprogramm der Regierung auch die Regelung der in- und ausländischen Schulden eine wichtige Rolle spielen wird. Die Reichs regierung ist mit der Bearbeitung aller dieser Fragen seit geraumer Zeit beschäftigt und wird in den kom menden Wochen ihre grundsätzlichen Maßnahmen zur Durchführung bringen. Preußens Vertretung im Reichsrat. Die Auffassung der Reichsregierung. Die Ausschüsse des Reichsrats für innere Verwaltung, Verkehrswesen, Rechtsfragen und Volkswirtschaft berieten unter dem Vorsitz des Reichsinnenministers Freiherrn von Gayl die Einzelheiten der von der Reichsregierung beab sichtigten Neuregelung des Rundfunkwesens. In der Frage der Vertretung Preußens im Reichsrat steht die Reichsregierung auf dem Stand punkt, daß die Bevollmächtigung an das Amt gebunden sei und eine Amtsbetätigung bedeute. Demzufolge ist der Reichskommissar für Preußen bzw. sein kommissarischer Vertreter Dr. Bracht für die 13 Reichsrats stimmen der preußischen Regierung zuständig. Es trifft jedoch nicht zu, wie dies behauptet werde, daß von Papen die Mitglieder des Kabinetts Braun brieflich ihrer Funktionen als Bevollmächtigte Preußens enthoben habe. Ein derartiger Brief ist nie geschrieben worden, ebensowenig ist Bracht an Stelle des amts- enthobenen Ministerpräsidenten zum Bevollmächtigten im Reichsrat ernannt worden. Die Rechtsfrage sei so lange in der Schwebe, bis eine Entscheidung des Staatsgerichtshofes gefallen ist. Rechtsverwahrung der Ländervertreter. Eine Reihe von Ländern haben formell Rechts verwahrung gegen die Ausschußverhandlungen des Reichs rats eingelegt, weil die preußischen Stimmen im Reichs rat durch die Neichsregierung instruier: würden. In der Nachmittagsitzung des Reichsrats, die der Be ratung der Richtlinien für die Neugestaltung des Rund funks galt, wiederholten zunächst Bayern und später auch die Vertreter anderer Länder diese Rechts verwahrung. Sie beteiligten sich jedoch trotzdem an der sachlichen Beratung. Das Echo der Schleicher-Nede. Die Rede des Neichswehrministers Schleicher hat sowohl im Inland wie im Ausland ein starkes Echo ge sunden. In der Berliner Presse wird den Ausführungen des Generals von Schleicher größte politische Bedeutung beigelegt. Die rechtsstehende Deutsche Allgemeine Zeitung stellt fest, daß dieses Debüt des Reicksweürministers eine« ausgezeichneten Eindruck gemacht habe; besonders be merkenswert sei die Ankündigung gewesen, Deutschland werde, um sich die unbedingt notwendige Sicherheit zu verschaffen, zum Umbau seiner Wehrmacht gezwungen sein. Der staatsparteiliche Politik vertretende Börsen- courier hebt hervor, entscheidend bliebe die Versicherung, daß der Wehrminister es nie zulassen werde, daß die Reichswehr eine Parteitruppe werde. Das sei um so beruhigender, als die Rede beweise, daß dieser Mann wisse, was er wolle, und wiederum die Kraft in sich fühle, es zu verwirklichen. Die Vossische Zeitung betont, die Stelle am Schluß der Rede, wo von der Ablehnung des Schutzes irgendwelcher Klassen oder Interessenten und die Deckung überlebter Wirtschaftsformen oder un haltbarer Besitzverhältnisse gesprochen werde, werde man ernst zu bewerten haben. Die Deutsche Zeitung bezeich nete die Rede als außenpolitisch wie innenpolitisch bedeut sam. Außenpolitisch seien noch niemals aus dem Munde eines Ministers so treffende Hiebe gegen Frankreich und die Abrüstungsheuchclei gefallen. Das Zentrumsblatt Germania, die den Wortlaut der Rede nicht veröffent licht, spricht von einer enttäuschenden Ministerrede und meint, sie habe an einzelnen Stellen jene überparteiliche Vornehmheit und Sachlichkeit vermissen lassen, die man bei Ministerreden unbedingt voraussetzen müsse. Oie pariser Blätter halten sich besonders an die Stelle der Rede, in der des Minister den Umbau der deutschen Wehrmacht ankündigt, für den Fall, daß Deutschlands rechtlich und moralisch begründete Forderung auch in Zukunft unerfüllt bleiben sollte. Besonders aufgebracht zeigt sich das „Echo de Paris" darüber, daß der Reichswehrminister den gro tesken Gegensatz zwischen dem erneuten Verlangen Her riots nach Sicherheit imd der Erklärung des Abgeord neten Lamoureux festgestellt hat, der nach einer eingehen den Bereisung der riesigen, vom Kanal bis an die schweizerische Grenze hinunter reichenden französischen Angriffsfront an Frankreichs Ostgrenze öffentlich erklärt und geschrieben hat, daß Frankreichs Sicherheit durch jenes Befestigungsmonstrum vollständig gewährleistet sei. Die an die Adresse Frankreichs gerichteten Sätze in der Ministerrcde veranlassen den „Matin" in einem Kom mentar, der auch in der Form ungewöhnlich ausfallend ist, zu der dreisten Behauptung, General Schleicher habe eine „Haßrede gegen Frankreich" gehalten.