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Wilsdruffer Tageblatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Wilsdrufs-Dresden Telegr.-Adr.: „Amtsblatt" Postscheck: Dresden 2640 Sonnabend, den 4. Juni 1932. ver Reichstag aukgelöst! Berliner Presse zur Reichstagsauflösung Berlin, Juni. Die Nachricht von dem Beschluß der Neichsregierung, den Reichstag aufzulösen, hat, obwohl sie nicht unerwartet kam, in Berlin großes Aufsehen erregt. Die „Germania" bemerkt in ihrer ersten Ausgabe in einem kurzen Kommentar unter anderem: Mit diesem Beschluß hat das Kabinett nur die unerläßlichen Konsequenzen aus der po litischen Lage gezogen, wie sie sich nach dem Sturz des Kabi netts Brüning mit seltener Klarheit herausgebildet hat. Der „Vorwärts", der eine Sonderausgabe kostenfrei auf den Straßen verteilen ließ, sagt unter anderem: Das Reichskabi nett von Papen, das Kabinett der Barone, konnte mit diesem Reichstag nicht regieren. Darum hat es ihn aufgelöst, — Ge gen die Sozialdemokratie und gegen das Zentrum! Das Ka binett der Barone will einen Reichstag haben, in dem mehr Nationalsozialisten sitzen, aber weniger sozialdemokratische und christliche Arbeitewertreter. Die „D.A.Z." schreibt unter an derem: Der Abschied vom alten Parlament müsse nach allem, was sich in den letzten Monaten an qualvoller Spannung in Deutschland zusammengeballt hätte, wie eine Erlösung wirken. Die Reichsregierung erhalte durch die Auflösung des Parla ments freie Hand, sich ganz den ungeheuer schwierigen und sachlichen Aufgaben zu widmen, die ihrer warten, Sie Satzung der Seutschnationalen Sollspartei. Die deutschnationale Reichst« sfrak- tion hielt eine Sitzung ab, in der die durch den Sturz der Regierung Brüning und durch die bevorstehende Reichstagswahl geschaffene Lage behandelt wurde. Dr. Hugenberg nahm an der Sitzung teil. Die Fraktion faßte eine Entschließung, in der es u. a. heißt: Die Fraktion begrüßt es, daß jetzt nach dem Sturz der Regierung Brüning als erste Maßnahme die Auflösung des Reichstages erfolgt. Die politischen Geschehnisse der letzten Jahre stellen eine uneingeschränkte Rechtfertigung der Politik der Deutschnationalen Volkspartei und ihres Führers dar. Die Deutschnationale Volkspartei ist an der Bildung und Zielsetzung der neuen Neichsregierung unbeteiligt. Sie hat also der Regierung gegenüber keinerlei Bindun gen. Ihre Haltung wird nicht von der Erfüllung propa- gandistischer Forderungen oder von wahlpolmfchen Ge- sicytspuNnen avyangtg sem, sondern allein von der sach lichen Arbeit, die für das Vaterland geleistet wird. Der Wahlkampf muß die Systcmparteien aus der Ge staltung der deutschen Politik ausschalten. Die endgültige Entscheidung über die Richtung der deutschen Politik wird erst nach den Reichstagswahlen fallen. An dieser Entscheid düng werden die in der Deutschnationalen Volkspartei verkörperten Kräfte ihren Anteil beanspruchen und durch setzen Wiederauferstehung der deutschen Nation wird das Kennwort dieser Wahl sein. Die Deutschnationa.e Volkspartei, die wie bisher unter diesem Kennwort ficht, vereinigt damit ein anderes lebenswichtiges Ziel: Ab wendung des drohenden Chaos, tadelt, daß er diesen Dampfdruck nicht so nutzte, vatz die „Reparationskrise" zu schnellerer Entwicklung getrieben wurde. Nun haben andere Männer oder viel mehr eigentlich nur ein Mann, Hindenburg, den Regu lator in der Hand, um den Dampfdruck zur Erhöhung der Geschwindigkeit auszunutzen. Aber es ist keine glatte Fahrt, die in den nächsten Tagen und Wochen vor uns Deutschen liegt. Kurven gibt es und Steigungen, Gefälle und unterwaschene Stellen, vielleicht oder vielmehr sicher lich auch feste Hindernisse, die die Fahrt gefährden. An Versuchen dazu wird es nicht fehlen. In eines Volkes schwerster Stunde läßt Goethe den Führer ein Wort sprechen, das nur allzu sehr auch auf diese krisenerfüllte Zeit von heute abgestimmt ist: „Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unseres Schicksals Wagen durch und uns bleibt nichts, als mutig gefaßt die Zügel festzuhalten und, bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da die Räder weg zulenken." Dr. Pr, Die Krise im Kreise. Der Schrei der Welt. — Die ewig Gestrigen. —Der deutsche Schicksalswagen. In den Hauptstädten der verschiedenen, auf Geheiß von Versailles zersplitterten europäischen Staaten macht sich das dumpfe, drohende Erdbeben besonders bemerkbar, das als Weltkrise die Völker zum Erzittern und zur Panik treibt. Ob ein „Siegerstaat" wie Rumänien oder Griechen land, ob ein Unterlegener im Weltkriege wie Österreich gegen das Schicksal von heute anznkämpfen versucht und dabei mit neuen Menschen und Methoden dieses Schicksal meistern will, — die Menschen selbst sind und bleiben so lange hoffnungslos, als sich Frankreich als das Lai»d, das die goldene Türangel bedeutet, nicht zu ändern vermag. ,„Es muß anders werden, es muß etwas ge schehe n", so geht ein Schrei durch die Welt. Aber alles prallt ab an den Panzergewölben der Bank' von Frankreich. Nur zögernd und unter politischem Kruck hat man dort vor ein paar Monaten eine Anleihe für die Tschechoslowakei bewilligt, aber die Wünsche Polens nach einer größeren Kreditgewährung stoßen in Paris auf taube Ohren. Denn selbst die mit Gold an gefüllte Panzerfestung der Bank von Frankreich ist »unterminier" durch allgemeines Mißtrauen, so daß auch den französischen Sparer und Kleinrentner die Sehnsucht nach dem baren, dem „blanken" Gold schon längst überfallen hat. Und dieses Mißtrauen ist es, das heute ebensowohl in Frankreich wie in Amerika — den beiden einzigen „Goldländern", die es noch gibt — wie ein Panzerdruck auf allem liegt; und dieser Panzer scheint fester zu sein als der Eisenbeton, mit dem man die Goldschätze der Staatsbanken in Paris und Washington zu schützen sich bemüht. In diesem „Mißtrauen" liegt der letzte Grund für das, was man als Weltkrise bezeichnet. Diese „Vertrauenskrise" hat als Töchter alle die Regie rungskrisen in den verschiedenen Ländern geboren. Denn vergeblich war die Hoffnung und der Versuch jedes Landes, aus eigenen Kräften sich ans den Polypenarmen eines Weltschicksals befreien zu wollen. -t- Man hat alles andere als die Gewißheit, baß der eigentliche Träger dieses Weltschicksals, Frankreich, sich dessen bewußt ist, woraus es heute ankommt. Nur noch aus die Franzosen paßt die Bezeichnung: die Ewig- Gestrigen. Sie versuchen es zu verneinen, daß die Welt von heute anders ist als die von gestern. Und wenn jetzt auch Herr Herriot der Mann von morgen sein wird, so hörte man doch auch aus seinem Munde nur Worte von gestern. Die „Sicherheit" Frankreichs ver langt er, — sie ist vor bald hundert Jahren von dem Dichter und Romantiker Chateaubriand erfunden und gefordert worden in einem Sinne, aus den Nikolaus Becker antworten mußte: „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein!" Und an dieser Wand haben sich von Stresemann bis Brüning die deutschen Außenminister in den langen Jahren, seitdem Herriot 1924 französischer Ministerpräsident geworden war, die Köpfe eingerannt. Mer geglaubt hat, daß der starke Linksruck in Frankreich, der Sieg Herriots und der Sozia listen auch nur stimmungsmäßig eine Änderung der französischen Haltung in der Reparationsfrage herbei führen würde, muß jetzt hören, daß sich Herriot gerade in dieser Frage nach rechts hinüberwendet zu Tardieu, dem Mann von vorgestern, dem Helfershelfer Clemenceaus im deutschen Unheilsjahre 1919. Gewiß, Herriot verneint nicht die Krise von heute, die, wie wir jetzt wissen, auch eine Krise von morgen ist. Er will uns eine Atem pause gewähren, solange auf der bergehohen Krise die Luft so dünn und spärlich ist, daß wir überhaupt kaum atmen, geschweige denn für unsere Gläubiger arbeiten können. Er hat aber das Angebot der Sozialisten, zu sammen eine Linksregierung außenpolitisch versöhn lichen Charakters zu bilden, glatt abweisen lassen; er will die französische Außenpolitik zusammen mit den Par teien betreiben, die schon 1924 sein „Entgegenkommen" ver urteilten und verhinderten, als er nach der Unterzeichnung des Dawes-Plans sofort das Ruhrgebiet räumen lassen wollte. Erst ein Jahr später rückten die französischen Truppen ab. * Herriot hat damals dem deutschen Verlangen auf so fortige Räumung achselzuckend die Behauptung entgegcn- gestellt, er könne ihr nicht zustimmen, weil ihm dann am nächsten Tage eine Mehrheit in der französischen Depu tiertenkammer — trotz der überwiegenden Zahl politisch links eingestellter Abgeordneter — das Mißtrauen aus sprechen würde. Das war keine Ausrede. Dantons, des redegewaltigen französischen Revolutionärs, Wort von den „natürlichen Grenzen" Frankreichs — Rhein, Pyrenäen, Mittelmeer, Ozean — saß fest in allen Köpfen und Sinnen. Daß man heute von Paris aus weit hinaus greift selbst über diese Grenzen, ist ja auch der eigentliche Hintergrund der deutschen Krise. Dies über dem französischen Feuer im allzu engen deutschen Dampfkessel überhitzte nationale „Notgefühl" stieß die Ventile heraus, die von der Realpolitik Brünings festgeschraubt Worden waren^ Auch Lon feinen a-reunden wurde es ge- Neuer Appell an das deutsche Volk. Vor der Auflösung des Reichstages. Die Neichsregierung trat unter Vorsitz des Reichs kanzlers von Papen am Freitag zu einer längeren Be ratung zusammen, um sich über das Regierungsprogramm einig zu werden. Im Mittelpunkt der Beratungen des Reichskabinetts stand auch die Frage, ob die neue Reichs regierung mit ihrem Negierungsprogramm vor den Reichstag treten soll oder nicht. Bei diesen Erörterungen spielte natürlich die Haltung der Parteien zum neuen Kabinett eine Rolle. Nachdem das Zentrum in dem Schreiben des Führers der Partei, des Prälaten Kaas, dem neuen Reichskanzler von Papen mitgeteilt hat, daß die Zentrumspartei zur neuen Regierung in schärfster Oppo sition stehe, würde die Regierung Papen, wenn sie es im Reichstag zu einer Abstimmung kommen lassen würde, bestimmt in der Minderheit bleiben. Im Schoße der Neichsregierung wird also die Frage erörtert, ob es zweck mäßig ist, sich dem Reichstag zur Abstimmung zu stellen oder das Ncgierungsprogramm etwa nur durch die Zeitun gen der Öffentlichkeit bekannt zu geben. In gut unterrichteten politischen Kreisen rechnet man damit, daß der Reichstagunmittelbar vorder Auflösung steht. Der Ältestenrat des Reichstages ist noch einmal auf Sonnabend nachmittag einberusen worden, ob es aber überhaupt noch zu seinem Zusammen tritt kommen wird, ist sehr fraglich. Wie es heißt, wird am Sonnabend dem Reichspräsidenten der Beschluß der Reichsregirrung zur Reichstagsauslösung vorgelegt werden und dann dürfte in einem Schreiben an den Neichstagspräsidcnten Löbe die Auflösung des Reichstags verfügt werden. Wenn die Neuwahlen nach etwa erfolgter Reichstags- auflösung stattfinden werden, steht noch nicht genau fest. Nach einigen Nachrichten sollen die Neuwahlen bereits am 26. Juni stattfinden, andere wollen davon wissen, daß die Wähler nicht vor Mitte Juli an die Urne gerufen werden würden, weil die formalen Vorbereitungen zu einer Neu wahl so lange Zeit in Anspruch nehmen würden. Mit der Amtsübernahme der neuen Reichsregierung hat auch ein Wechsel in der Leitung der Pressestelle der Reichsregierung stattgefunden. Der langjährige Leiter der Pressealtteilung der Reichsregierung, Ministerialdirektor Zechlin, ist von diesem Posten abberufen worden. " * Dehrminister von Schleicher an die Reichswehr. Reichswehrminister von Schleicher hat an die Reichs wehr folgenden Aufruf erlassen: „Mit dem heutigen Tage trete ich das Amt des Neichswehrministers an, zu dem mich das Vertrauen des Reichspräsidenten, des Oberbefehlshabers der Wehrmacht, berufen hat. Ich werde meine Kraft daransetzen, daß die Reichs wehr dazu befähigt wird, ihre Berussaufgabe zu erfüllen: Deutschlands Grenzen zu schützen und seine nationale Sicherheit zu gewährleisten. Ich werde ferner dafür sorgen, daß diejenigen geistigen und physischen Kräfte unseres Volkes gestärkt werden, welche die unentbehr liche Grundlage der Landesverteidigung bilden. Ich bin überzeugt, daß im Innern die Tatsache, saß wir eine geschlossene und überparteiliche Wehrmacht besitzen, allein genügen wird, um die Autorität des Reiches vor jeder Erschütterung zu bewahren. Ich vertraue darauf» daß jeder. Angehörige der Wehrmacht mir dabei Helsen wird, das mir anvertraute Erbe einer großen Vergangenheit zum Besten von Volk und Vaterland zu verwalten. Der Reichswehrminister gez. von Schleicher." Aeichslagsauflösung am 4. Zum'. Amtlich wird mitgetcilt: Das Reichskabinett hat in seiner heutigen Sitzung beschlossen, dem Herrn Rcichspräsi- dentcn die Auflösung des Reichstages am 4. Juni 1932 in Vorschlag zu bringen. W Auslösungs-Dekret. Berlin. Amtlich wird folgende Verordnung deS Reichspräsidenten über die Auflösung des Reichs tages vom 4. Juni gemeldet: Auf Grund des Artikels 25 der Reichsver- snssung löse ich mit sofortiger Wirkung den Reichstag auf, da er nach den Ergebnissen der in den letzten Monaten stattgehabten Wahlen zu den Landtagen der deutschen Länder dem politischen Willen des deutschen Volles nicht mehr entspricht. Berlin, den 4. Juni 1932. Der Reichspräsident gez. v. Hindenburg Der Reichskanzler gez. v. Papen Ter Reichsminister des Innern gez. Freiherr v. Gayl Das .Wilsdruffer Tageblatt- erscheint au allen Werktagen nachmittags 5 Uhr. 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