Volltext Seite (XML)
Ottendorfer Zeitung. Die „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. D»rch die Post bezogen >,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bi, vormittag w Uhr. Inserate werden mit w Pf. jfür die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Vkrilla. Nr. I4l. Oertliches und Sächsisches. Vttendorf-Vkrilla, 2^. November 1903. — Selten hot der Totensonntag so unter der ungünstigen Witterung gelitten als wie in diesem Jahre. Der am Sonnabend gegen Nachmittag einsetzende Sturm hielt auch den Sonntag über mit uuvermindeter Heftigkeit an. Daß unter diesen Umständen der Besuch des Friedhofes verhältnismäßig nur ein mittel mäßiger war, läßt wohl kaum wundernehmen. An den Dagen zuvor waren schon vielfach die Gräber geschmückt worden, so daß am Sonntag der Friedhof wieder den alten schönen Anblick zeigte. Das Bestecken der Gräber mit frischen und meist wohl auch künstlichen Blumen bürgert sich immer mehr und mehr ein, es gibt das der nun schon im halben Winterschlafe liegenden Natur etwas ungemein Anziehendes und belebt das stille Friedhoföbild. — Die frühere Prinzessin Luisesoll den „Daily Expreß" zu der Feststellung er mächtigt haben, daß das vom Freiherrn von der Planitz über ihre Angelegenheit veröffent lichte Buch „Bekenntnisse" ohne ihr Wissen und ihre Genehmigung erschienen ist. Sie stelle nachträglich in Abrede, den Freiherrn jemals empfangen zu haben, obgleich er wiederholt um eine Unterredung mit ihr bat, und bezeichne die in seinem Buche enthaltenen Angaben für gänzlich falsch. Dresden. Am Bußtag lief in Cotta eine 23jährige Schneiderin in selbstmörderischer Ab sicht in die Elbe. Nachdem sie bereits eine größere Strecke vom Strome fortgetrieben worden war, aelon > es dem Hilssbahnwärter Karl Fachal n C sse> - e, U Äesahr für sein eigenes Leb. n, die dem Ertrinken nahe Unglückliche wieder an das Land zu bringen. Nach den von ihrem Retter mit Erfolg angestellten Wiederbelebungsversuchen brachte man sie zu ihren Eltern, woselbst sie einige Stunden darauf Mutter eines Knaben wurde. — Sonntag gegen i/,0 Uhr wurde auf der Wallslraßt eine ältere Frau (ungefähr 65 Jahre alt) von einer Droschke überfahren. Sie erlitt einen Knöchelbruch am linken Unter schenkel und eine schwere Verstauchung des rechten Fußes, wurde auf der SanitälSwache Wallstraße mit einem Notverband versehen und mittelst Unfallwagens nach dem Friedrichstädter Krankenhause übergeführt. Radeberg. Die Epileptischen - Anstalt Kteinwachau hat in letzter Zeit eine bedeutende Erweiterung erfahren durch den Bau eines neuen Knabenhauses, welches am 23. Oktober dieses Jahres feierlich eingeweiht wurde. Durch den Bau ist es nicht nur möglich geworden, 25 Pfleglinge mehr als früher aufzunehmen, sondern auch die geistesschwachen Knaben von den geistigflischen zu trennen und die Schwachen besonders zu pflegen, wozu hauptsächlich das neue Haus bestimmt ist. Ferner können nun auch epileptische Knaben bemittelter Stände als Prioackranke ausgenommen werden. Der jetzige Krankenbcstand ist 3l Knaben und 45 Mädchen, zusammen 76 Insassen, zu deren Pflege zwölf Diakonissen und 3 Pfleger vorhanden sind. Ausdrücklich sei darauf aufmerksam gemacht, daß bis auf weiteres wieder Raum zur Auf nahme epileptischer Knaben in Kleinwachau vorhanden ist. Anfragen und Anmeldungen sind zu richten an den Hausvorsteher, Grafen Brühl auf Seiferödorf bei Radeberg oder an die Geschäftsstelle des Landesvereins für innere Mission (Pastor Weidauer), Dresden, Zinzen- dorfstraße l7, I. Ebendahin wolle man auch Weihnachtsopfer für die Anstalten des Landes vereins im Nödertal (Epileptischen - Anstalt Kleinwachau und Frauenheim Tobiasmühle bei Radeberg) senden. Radeberg. Am Mittwoch machten sich auf dem Bahnhof in Freiberg zwei junge Burschen durch größere Geldausgaben verdächtig. Sie wurden infolgedessen von einem Schutzmann sistiert. Es stellte sich heraus, daß man es mit Mittwoch, den 25. November 1903. zwei Ausreißern zu tun hatte und zwar handelt es sich um zwei Glasarbeiter von hier, von denen der eine >4 Jahre, der andere 17 Jahre alt ist. Der Aeltere hatte sein Fahrrad und seine Uhr verkauft, um sich Geld zu verschaffen. Der Vater des Jüngeren brachte die Ausreißer nach hier zurück. Der Aeltere steht in dem Verdacht, auch Geld unterschlagen zu haben. — Erstickt ist am Sonnabend abend in folge einer Wette der Fuhrwerksbesitzer Kaiser. Derselbe wollte 2 Pfund rohes Rindfleisch ver zehren, dabei blieb ihm ein Bissen in der Kehle stecken, sodaß der Tod infolge Erstickens eintrat. Sofort hinzugezogene ärztliche Hilfe war umsonst. Weinböhla. Eine recht unliebsame, auf regende Störung ereignete sich am Bußtage nachmittags in unserem Gotteshause während der Abendmahlsfeier. Milten in der Beichtrede stand ein junger Mann auf, ging stracks nach dem Marplatze und redete einige Worte mit Pfarrer Krug, worauf derselbe von den Altar stufen herabkam und den Mann in die Sakristei verwies, in welcher sich Pfarrer Horn befand. Kurz darauf vernahm man lautes Rufen und Stöhnen, worauf Pfarrer Krug und mehrere Männer in die Sakristei eilten, um den Mann, welcher zweifellos plötzlich in Tobsucht oder religiösen Wahnsinn verfallen war, festzunehmen. Nach einigen zuredenden Worten des Pfarrers Krug ließ sich der ganz verstört aussehende Mann von seiner hinzugekommenen Ehefrau ruhig aus der Sakristei fortsühren. Der junge Mann ist Fabrikarbeiter; er hat, wie verlautet, bereits Tobsuchtsanfälle gehabt. Ebersbach. Diese Woche verließ der hiesige ständige Briefträger Kr. plötzlich seinen Dienst, ohne daß derselbe seiner vorgesetzten Be hörde die geringste Mitteilung gemacht hätte, warum. Was den jungen Mann bewogen hat, seine sichere Stelle so plötzlich aufzugeben, be darf noch der Ermittelung. Bautzen. Der GrrichtSaktuar Herig wurde vom Landgericht wegen bei den Amtsgerichten Löbau und Zittau begangener Unterschlagungen im Amte und Unterdrückung amtlicher Schrift stücke zu 2 Jahren 1 Monat Gefängnis und 5 Jahren Ehrverlust verurteilt. Freiberg. Ein schweres Brandunglück ereignete sich Sonntag abend in dem Restaurant „Zum Ritterhof" hier. In einem Zimmer des Grundstücks löste sich ein Haken, an dem eine schwere Zuglampe befestigt war. In dem Zimmer hielten sich zwei Kinder auf, die 13 Jahre alte Pflegetochter und der 4 Jahre alte Sohn des Besitzers. Als die Lampe von der Decke herabfiel, ergoß sich das brennende Petroleum auf das Mädchen. Im Nu stand dasselbe in Flammen. Es erlitt am ganzen Körper fürchterliche Brandwunden, denen es erlag. Auch der Knabe erlitt Brandwunden, doch sind die Verletzungen nicht lebensgefährlich. Auf die Hilferufe der Kinder eilte die Mutter herbei; sie zog sich bei ihrem NettungSwerk ebenfalls Brandwunden zu. Lichtenstein. Auf der von der benach barten Funkenburg nach Mülsen-St. Jacob führenden Straße wurde Sonnabend früh der Weber F. Lippmann aus Micheln erfroren aufgefunden. Scheibenberg. Der Gutsbesitzer Prager wurde in der Scheune seines Gutes in Ober scheibenberg tot aufgefunden. Es ist eine Untersuchung eingeleitet worden. Der Leichnam des in der Mitte der vierziger Jahre stehenden Diannes wurde gerichtlich beschlagnahmt. — Die Auffindung des Leichnams des Gutsbesitzers Prager in der Scheune seines Gutes in Oberscheibenberg ist unter so selt samen Begleiterscheinungen erfolgt, daß der Fall Gegenstand einer gerichtlichen Untersuchung geworden ist. Der Leichnam wurde am Donners tag bemerkt. Er lag direkt unter der Oeffnung der Eniporscheune. Der Annahme, daß Prager durch die obere Scheunenöffnung gefallen und der Tod durch den Sturz aus der Höhe herbei geführt worden ist, stehen die Tatsachen gegen über, daß der Leichnam Wunden am Hinterkopfe, am Gesicht, sowie Hautschürfungen an den Hände» trägt, daß ihm ferner das Vorhemd chen vom Halse geriffen war und blutbefleckt neben der Leiche lag. Außerdem wurden in unmittelbarer Nähe mehrere Zündhölzer unter dem Stroh vorgefunden. Diese Nebenumstände bildeten den Anlaß zur gerichtlichen Aufhebung des Leichnams. Es konnte festgestellt werden, daß die bei oberflächlich erfolgter Untersuchung (ohne Spezierung des Leichnams) vorgefundenen Wunden tödliche Folgen nicht haben konnten. Wenn deshalb der Tod Pragers weder durch innere Verletzungen, noch durch einen Schlag fluß herbeigesührt worden ist, so liegen zunächst nur zwei Möglichkeiten als Todesursache vor: Entweder Prager, der dem Alkohol ergeben war und deshalb mit den Seinen in fortwährender Fehde lag, hat sich in der Trunkenheit in der Nacht des Mittwoch in die Scheune begeben und ist dort verunglückt oder die Wunden sind ihm in einem Streite beigebracht, er sodann im Alkoholrausche liegen gelaffen worden und der herrschenden Kälte zum Opfer gefallen. Schneeberg. Die auf Wunsch des Ge meinderates zu Oberschlema, einer Gemeinde mit 3000 Einwohnern, eingeleiteten Unterhand lungen wegen Einverleibung des genannten Ortes nach Schneeberg, sind auf Beschluß des Gemeinderates zu Oberschlema wieder abge brochen worden. Chemnitz. Der als guter Reiter bekannte Leutnant und Adjutant Kirchner des 181. Regi ments hatte am Freitag früh das Mißgeschick, beim Aufsitzen in der Reitbahn von dem im Moment des Aufsitzens abgehenden Pferde ab geworfen zu werden. Er erlitt einen Schädel bruch und Bluterguß ins Gehirn. Der Zustand des im Garnisonlazarett liegenden, allgemein beliebten Offiziers gibt zu ernsten Besorgnissen Veranlassung. — Eine spätere Mitteilung be sagt, daß der genannte Offizier seinen schweren Verletzungen erlegen ist. — Freitag gegen Mitternacht wurde am Roßmarkt das vier Stockwerke hohe Baugerüst eines Neubaues von einem orkanartigen Sturme umgerissen und eine in demselben Augenblicke jene Stelle passierende Frau wurde durch herab fallende Balken schwer verletzt. An einem Warenhause drückte der Sturm eine große Spiegelscheibe ein und zertrümmerte den ganzen Inhalt des mit Porzellan dekorierten Schau fensters. Auch an anderen Gebäuden und an Gartenanlagen richtete der Sturm beträchtlichen Schaden an. Oschatz. 18 Tage gefastet hat ein junger Schweizer, der auf einem Gute entlassen worden war, sich dann aber in einer Scheune desselben versteckt und 18 Tage lang ohne jegliche Speise zugebracht hatte. Leipzig. In Reuth wurde gestern der Bahnwärter Rudert überfahren und sofort getötet. — Auf telegraphischen dringenden Hilferuf rückte heute morgen 6 Uhr 50 Minuten ein Dampfspritzenzug unserer städtischen Feuerwehr unter Brondinspektor Kaestner nach Schkeuditz ab. Dort war in vergangener Nacht r/z11 Uhr in der Dachpappenfabrik von Weber Feuer ausgebrochen, das bald einen außerordentlichen Umfang annahm und .die Fabrikgebäude zer störte. Die Entstehungöursache des Feuers ist unbekannt, der Schaden ist sehr beträchtlich. Die Gefahr der Explosion des Teerölkellers der Weberschen Fabrik war abgewendet worden. Aus der Woche. Die Monarchenbesuche häufen sich in letzter Zeit so sehr, daß der einzelne an Bedeutung einbüßt. Das italienische Königspaar weilt zurzeit beim König Eduard und wird natürlich gefeiert; die beiden Herrscher haben sich auch mit den üblichen Trinksprüchen regaliert und wenn König Eduard dabei an das Zusammen gehen Englands und Sardiniens im Krimkriege 2. Jahrgang. erinnerte, so hat er damit eine wunde Stelle im Herzen des Zaren Nikolaus berührt, was besser unterblieben wäre; denn der Zar will doch nach Italien kommen, sein Besuch ist doch nur verschoben. Vielleicht ist auch Zar Nikolaus ruhig genug, um einzusehen, daß die 15000 Mann, die Sardinien damals geschickt hatte, den Eupatoriakohl nicht fettgemacht haben; außerdem sind auch schon anderthalb Jahrzehnte oder mehr verflossen, daß die Knochen der Krim helden schiffsladungsweise an holländische Leim siedereien abgegeben wurden; warum also an einer Königstafel jetzt noch auf die „ollen Kamellen" zurückkommen?! — Die mazedonische Frage schmort langsam im eigenen Fette weiter. Die Mürzsteger Abmachungen zwischen dem Zaren und dem Kaiser Franz Joseph mögen ja ganz gut gemeint sein und die übrigen Groß mächte stehen hinter ihnen; das verschlägt aber für den Sultan nichts, der sich besonders darüber zu ärgern scheint, daß Boris Sarafow, der Hauptführer der Komitatschi, trotz des auf seinen Kopf gesetzten hohen Preises unversehrt nach Bulgarien zurückzugelangen vermochte und dort von hoch und niedrig wie ein siegreicher Held empfangen wurde. Das feste Auftreten des russischen und österreichischen Botschafters in Konstantinopel ist erfolglos geblieben; der Sultan will sich die europäische Kontrolle nicht gefallen lassen, wie er wohl überhaupt keine ernstlichen Reformen für Mazedonien wollen mag. Es geht auch so! sagt er sich, und seine mohammedanischen Untertanen, besonders die Albanesen, sind ihm für diese Bocksbeinigkeit sehr dankbar. Es wird also noch lange Zeit vergehen, ehe die Akten der orientalischen Frage wieder für eine längere Frist ins Repositorium gelegt werden können. — In Mittelamerika brodelt es zwar noch, aber Nordamerika steht mit dem großen Löscheimer bereit, um jeden etwaigen Brand im Keime zu ersticken. Mit der Panama-Aktion hat es eine hübsche Summe Geld gespart und ist außerdem fast blitzschnell zum Ziele gekommen. Panama soll 10 Mill. Dollar erhalten (also 15 Mill, weniger, als Kolumbien gefordert hatte) und davon soll es einen Teil an das Mutterland als Quote der allgemeinen kolumbianischen Schuld abgeben, damit die auswärtigen Gläubiger zufriedenge stellt werden und keine Weiterungen wegen der Bildung des neuen Freistaates machen. Es ist das reine Geschäftssache und so wird sie auch von den praktischen Amerikanern aufgefaßt. Dis großen, nordamerikanischen Eisenbahngesell schaften, die die Konkurrenz des zu erbauenden Kanals fürchten, hatten sich die kolumbischen Senatoren gekauft und diese gegen die Kon- zessionierung des Kanals stimmen lassen. Das ist zwar nach unsern Begriffen Bestechung und Landesverrat, aber nach amerikanischem Begriff ein Geschäft wie jedes andere. Der Großhandel und politische Erwägungen mehrfacher Art haben über die Bestechungsgelder gesiegt und der atlantisch - pacificische Kanal wird nun doch gebaut werden. — Der Kwielecka-Prozeß hat in dieser Woche noch nicht sein Ende gefunden. Mit Gründlichkeit und Hartnäckigkeit gehen Änklagebehörde und Verteidigung vor, jene um die Schuld, diese um die Unschuld der An geklagten klarzustellen. In dieser Angelegenheit Geschworener zu sein und sein Urteil abzugeben, scheint außerordentlich schwer. Der Verteidig ung ist eine Aufgabe gestellt, auf deren Lösung sie allen Scharfsinn verwenden muß; aber Wronker hat davon eine Menge Vorrat. Das ganz Ungewöhnliche des Falles,Voreingenommen heit gegen die Angeklagten und gegen die in direkten Ankläger, die Wirkung des Prozesses auf die Zukunft des kleinen Grafen und die des Majorats — alles zusammengenommen erzeugt beim Publikum eine ungewöhnliche Spannung, und wie das Urteil auch ausfallen mag — mindestens eine große Minderheit wird es als ungerecht betrachten; so sehr gehen die Meinungen des Publikums auseinander.