Volltext Seite (XML)
Belehrung und Unterhaltung. Dresden, den 25. Mat »8^2. 39* Erinnerungen aus dem neuesten Oratorium des Herrn Cantor Weinlig zu Dresden. Der Herr Cantor und Munkdirektor Weinlig, dieser Mit Recht geschätzte Tonsetzer, ist, seines ziemlich hohen und dabei von manchen körperlichen Beschwerden getrüb ten Alters ungeachtet, für die Kirchenmusik immer noch so unermüdet thäug, daß er uns zur dießjährigen Char- freitagsfeicr wieder mit einem neuen Oratorium erfreuen konnte. Der Zeitraum von 4 Jahren, der zwischen dem zuletzt neu gewesenen und dem itziqen neuen Oratorium liegt, ist indessen nicht bloß zur Hervorbringung deS vorliegenden Werks angewendet worden; sondern Herr Weinlig hat in dieser Zeit, außer kleinern Kirchensachen, auch zu der von Hohlfeld gedichteten Cantate, die Früh- lingsfeier, eine sehr gute Musik gesetzt, deren, nach ihrer öffentlichen Aufführung, in diesen Blattern Erwähnung geschehen ist *). Allein immer blieb daS neueste Orato rium: „IesuS Christus, der Welterlöser", mit welchem er sich seit 8er Mitte deS Sommers 1310. zu beschäftigen anfing, der vorzüglichste Gegenstand seiner Thätlgkcit- Das zuletzt angegebene Jahr verfloß Herrn Weinlig un ter den sorgfältigsten Vorbereitungen zu dieser Arbeit, an welche er überhaupt nie anders, als mit der absicht lich angeregten und unterhaltenen frommen Stimmung erncS von der Größe und Heiligkeit deS Gegenstandes ohnehin ganz durchdrungenen GemüthS, zu geben ge wohnt ist. Auch von dieser Seite, wie von so vielen andern, giebt Herr Weinllg für alle Kunstjünger ein In dm Beiträgen -.Belehr. U. UM. Nr.77 U. 78/ rSro. nachabmenswürdigeS Muster ab, das von unsern jungen KwchencompositeurS die größte Beherzigung verdient. Inzwischen wurde der treffliche Greis durch ein eben so unerwartetes als schmerzhaf tes häusliches Mißgeschick in seiner kaum begonnenen Arbeit gestört; sein Geist verlor dadurch auf lange Zeit die Heiterkeit und Freiheit, ohne welche ein Kunstwerk weder geschickt entworfen, noch glücklich ausgeführt werden kann. Und diesem Umstande ist es einzig zuzuschreiben, daß das Oratorium, von wel chem die Rede ist, nicht schon im vorigen Jahre, wie eS bestimmt war, sondern erst in dem itzt laufenden, aufge führt wurde. Ehe wir unS aber den angenehmen Erinnerungen an den Genuß dieser jüngsten Frucht der weinligschen Muse überlassen, so ist es nöthiq, einige Bemerkungen über den von Herrn Weinlig dießmal bearbeiteten Oracorien- Text vorauSzuschicken, weil es scheint, als habe man hin und wieder dieser Poesie eine weitere Tendenz bei- gelcgt, als ihre ganze Anlage, ihr Inhalt und ihr Um fang gestatten. Eine möglichst kurze Entwickelung des dem Texte zum Grunde liegenden Plans soll hierüber die nöthige Auskunft geben; daS, was wir über Herrn Weinligs Musik nachher zu sagen haben, wird dadurch an Klarheit und Deutlichkeit gewinnen. Der Verfasser des Textes hielt bei Entwerfung deS Plans vorzüglich die Idee der, durch den Versöh nungstod Jesu bewirkten, Erlösung -er Welt fest und glaubte daher alles Andere, sich hierauf nicht zunächst Beziehende, ansschließen zu müssen. Die aus den Evangelisten geschöpften vorzüglichsten Umstände