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Voigtländi scher Anzeiger. 9. Stück. Sonnabends den 4. Marz 1309. Vorschlag für gebildete Deutsche zur Abstellung eines Nebelstandes in dem deutschen Brief-und Geschäfts, styl. Daß die Sprache und Schreibart der Deut- schen in unserm Zeitalter einen weil höher» Grad von Bildung erreicht hat, als ste bey unsern Vorfahren in den vorigen Jahrhunderten hatte, Muß jeder zugcstehen, der nur einige Keuntniß davon besitzt und eine Vergleichung zwischen den Schriften der älter» und neuern Zeit anstellt. Gleichwohl giebt es in dem neuern Bries« und Geschäftsstyl noch viele alte Flecken, welche der gebildeten Schreibart eben so übel stehen, wie alte Lappen einem neuen Gewände. In diese Classe gehört unter andern die seltsame ver altete Anrede: Eure — oder wie die Al ten schrieben: Ewre, abgekürzt: Ew.— als: Ew. Majestät, Ew. Durchlaucht, Ew. Gna den, E«. Hoch-Hochehr- Hochwohlehr-Wür den, Ew. Hoch-Hochwohl-und andere Ge- bohrnen, und wie alle übrigen Ew. lauten. Gehen wir auf den Ursprung dieser An rede zurück: so suchen wir ihn in den allen Sprachen der Vorwelt vergebens, wo allein das Du als die allgemeine Anrede an jeden Einzelnen galt Späterhin, als die latei nische Spracht theils milden Sprachen ande rer europäischer Völker vermischt, theils zur Gelehrten - Kirchen - und Hofsprache erhoben wurde, findet sich jene Anrede Ihr und Eu, re— besouders in der französischen, und hernach, da diese die Modesprache wurde, auch in der deutschen, als herrschende Redensart, da es an allen europäischen Höfen Hof- und höfliche Sitte wurde, den ausgezeichne ten Einzelnen nicht mehr als eine Einzeln« heil, sondern als eine Vielheit anzureden. Daher wurde bei den Franzosen das Vous und Votre, und bep den nachahmenden Deut schen das Ihr und Eure, im Curialstyl und über, *) Eine Spur, wo man angefangen zu haben scheint, djp Anrede Eure für Deine bisweilen zu ge brauchen, findet sich im Zeitalter des römischen Kaisers Trajan, an welchen der bekannte Briefstel ler Plinius der Jüngere in einem seiner Briefe (im ro. Buch, 20. Briefe,) also schreibt: „Vc xiimnm me, Oomine, i n ä lß e II cia Ve s ci— (ungefähr das deutsche E u r e G n a d e n) — xromovie Lkuivni, Omnibus ruivoca:ionibu» — — I«nunci»vi." Außer dieser Stelle gebraucht er immer das gewöhnliche Du.