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1872 Freitag, de» 8. November r (Schluß folgt.) werden kann. — l lind abgcrichteten Kinde der Hochmuths- und Eitelkeitsteufel in den Kopf und der früher ausgestrcute Samen wird zertreten und geht vielleicht für ewig verloren. Ein solches Kind sieht sich den Erwach senen fast gleichgestellt und möchte sich nun auch deren Gedanken, Gefühle und Willensäußerungen möglichst aneignen. In diesem Bestreben verfällt nun das Äcsfchen auf allerlei Thor- heiten undUnsinnigkeiten; es will sich als Gelehrter, Künstler, Mode herr, Liebender rc. producieren, offenbart aber dabei dem Wahrheits liebenden nur ein halb leicht- halb unsinniges Gemenge von Wind beutelei, Geckerei und raffinirtester Unnatur. Durch den öfteren von den Eltern erlaubten oder gar gebotenen Besuch des Theaters und der unserm Zeitalter zu unauslöschlicher Schande gereichenden Kinder bälle wird die geschilderte unselige Verbildung und Zerrüttung der anfänglich unverdorbenen Kindesnatur vollendet, und die einst so hoffnungsfreudig leuchtenden Sterne der Jugend fallen herunter aus dem reinen Himmel der Ideale und erlöschen im Sumpfe der Im moralität. Wenn doch alle Eltern bedenken wollten, welch' schreckliche Folge für ihre Kinder ihre eigne Eitelkeit und Unwissenheit, ihre eigene Thorheit und Nachlässigkeit nach sich ziehen; sie würden heilsam er schrecken und dem Unglücke ernstlich vorzubeugen suchen, ehe wie Posaunenschall des jüngsten Gerichts das sie und ihr Erziehung-werk verdammende Wort „zu spät!" ertönt. — Als ein viertes Hauptgebrechen der Häuslichen Erziehung er scheint uns, daß sie in vielen Fällen lediglich den Müttern, Geschwistern oder gar den Dienstboten überlassen bleibt. Dieser Umstand wird ;ehr häufig durch die socialen Berhültnisse der Gegenwart verschuldet und muß um so schmerzlicher beklagt werden, als eine völlige Abhilfe desselben anch von der Zukunft kaum verhofft werden kann. Nicht blos in den Familien der Proletarier, sondern auch in denen der kleineren Gutsbesitzer, Handwerker rc. wird der Vater und häufig auch die Mutter derartig von der Arbeit und der Sorge um das tägliche Brod in Anspruch genommen, daß für genügende Erziehung der Kinder weder die nöthige Zeit, noch die erforderliche Heiterkeit und Frische der Gemülhsstimmung sich cinstcllen will. Der Unterhalt für eine zahlreiche Familie ist schwer zu beschaffen, und währens der ruhelosen Jagd nach den un entbehrlichen materiellen Bedingungen des Lebens, vergißt der Mensch die Pflege der idealen Güter oft gänzlich oder kommt doch nicht weit über dürftige Anfänge zu einer solchen Pflege hinaus. Durch Grün dung von Kindergärten und Kinderbewahranstalten sucht man in unserer Zeit jenem Uebel erfolgreich zu steuern und die den Kindern ärmerer Stände mangelnde Erziehung seitens der Eltern nach besten Kräften zu ersetzen. Es liegt auch nach unsrer Meinung in der Ver mehrung dieser Anstalten und in der Vervollkommnung der bereits bestehenden beinahe das einzige Mittel, wodurch jenem immer droh ender aufsteigenden socialen Uebel in wirksamer Weise abgeholfen Die Hauptgebrechen der häuslichen Erziehung. (Vortrag, gehalten im Arbeiterverein zu Chemnitz.) (Fortsetzung.) Ein drittes Hauptgebrechen der häuslichen Erziehung erkennen wir darin, daß sie gar oft der Sinnlichkeit der Kinder in gefährlicher Weise Raum gicbt. Wenn schon von dem Erwachsenen gilt, was Göthe so treffend mit den Worten bezeichnet: „Was uns Alle bändigt, das ist das Ge meine" —, so gilt dies ganz besonders von dem Kinde, bei welchem die angeborne Natürlichkeit, d. i. die Sinnlichkeit, noch nicht in der Cultur des Geistes das entsprechende Gegengewicht gefunden hat. Die Seele des Kindes zeigt sich in ihrcn ersten Regungen und Trei ben nur als Sinnlichkeit. Was den Sinnen sich cinschmcichelt, in Ler Kindcsseele Lustgefühle veranlaßt, das gilt als das Wünschenswcr- thcste und wird in der lebhaftesten Weise erstrebt. Die Thäligkeiten der niederen Sinne (Gefühl, Geschmack) herrschen in dieser Periode über die höheren (Gehör, Gesicht) bedeutend vor. Erst nach und nach entfalten sich aus den niederen psychischen Gebilden höhere, und da mit tritt eine Vergeistigung der anfänglich sinnlichen Seele ein. In dieser Entbindung des Geistes aus der elementaren Sinnlichkeit — der Klärung trüben Mostes zu edlem Weine vergleichbar —, und in diesem Emporschwunge der Seele, bei welchem sie ihre himmlischen Flügel allmählich entfalten lernt, liegt ja die irdische Bestimmung unseres Geistes und damit zugleich der Zweck der Erziehung deutlich ausgesprochen. Da nun in den ersten Lebensjahren die Thätigkeit der Seele ausschließlich oder doch überwiegend in Erregung der Sinn lichkeit besteht und da ferner die Erziehung des Menschen lediglich Sache des Elternhauses ist, so ergiebt sich daraus die Dringlichkeit der Forderung, das Elternhaus möge die Sinnlichkeit der Kinder zu Gunsten der Ausbildung der höheren Geistesthütigkeiten auf ein weiseZ Maß beschränken. Auch gegen diese Forderung wird in beklagens- wcrchester Weise gesündigt. Schon bei dem Säuglinge legt man durch Einwiegen und Darreichung von Süßigkeiten, durch Gewöhnung und Verwöhnung den Grnnd zu einem sich rasch ausbildcnden Trotz, wie zur Unordnung. Mit Leckereien verwöhnt man den Gaumen der Kinder, reizt ihr Nervensystem, schwächt die Verdauung, ruft vorzeitig geschlechtliche Reizungen hervor und entfremdet die Kinder dem Natürlichcinfachen und Kräftiggcsunden. Daß jedoch Leckermäuler fast stets zugleich auch Näscher, Lügner und Diebe sind, scheint dabei gänzlich übersehen zu werden. Die Verzärtelung und Veweichlichung, der in zahlreichen Familien die Kinder verfallen, ist gleicher Weise ein höchst betrüben der Umstand. Wofern das Kind weder an Anstrengungen, noch an Entbehrungen und Ertragung der mannigfaltigen Mühseligkeiten des Lebens gewöhnt wird, da lernt cs anch nichts mehr scheuen, als kör perliche Schmerzen und Unbequemlichkeiten, da gicbt cs lieber alles Streben nach den unvergänglichen Gütern der Wahrheit und Schön heit auf, ehe cs kämpfet, aüsharret und leidet, da ist ihm allerdings, Wie ein leichtfertiger Schriftsteller sagt, „ein böses Gewissen noch lieber, als ein böser >Zahn." Wendet man gar noch Zuckcrwaaren und seines Backwerk als Belohnungsmittel für Fleiß und Gehorsam an, dann darf sich Niemand wundern, wenn das Kind anstatt die Tugend zu lieben und zu erstreben, der Genußsucht fröhnt unv einem blasierten Epikuräismus zusteuert, welcher mit Heine'scher Frivolität denkt: „Es ist ein schönes Ding um Religion, Liebe und Freiheit; aber Aepfeltorte und Krebssuppe ist gewiß das Allerbeste!" Aber nicht genug, daß manche Eltern so gut wie gar nichts thun, um die überwuchernde Sinnlichkeit ihrer Kinder zu beschneiden, das crufglimmcnde Feuer schlimmer Leidenschaften zu dämpfen! sie schüren cs vielmehr in verblendender Eitelkeit lind in bcklagcnSwerther Affen liebe häufig noch zu vollem Brande an. Da soll das „liebe un schuldige" Kind modern lind standesgemäß gekleidet sein, sich manier lich und der „guten Gesellschaft" gemäß betragen lernen, und deshalb wird es aufgeputzt und zngcstutzt wie ein Kammcrjunkerchen oder wie ein Dämchen vom Ballet. Natürlicher Weise fährt dem so zu Tagcsgcschichtc. Aus Dresden vom 6. November Nachmittags wird geschrieben: Graf Beust ist also nun wirklich hier; er ist in voriger Nacht, direct von London kommend, eingetroffen und logirt im Hotel de Saxe. Es bestätigt sich, daß derselbe als außerordentlicher Botschafter des Kaisers von Oesterreich unsern Majestäten zn ihrem goldenen Eheju biläum die Glückwünsche seines Souverains überbringt. ES wird nicht fehlen, daß diele Thatsache nach mehr als einer Seite hin aus- gebeutet wird und namentlich scheint bei einem Theile der Presse die gute Lehre bereits vergessen zu sein, welche Kaiser Wilhelm durch den sächsischen Gesandten aus Berlin hierher hat übermitteln lassen, daß es sich bei diesem Dresdner Jubiläum nicht um Politik, sondern um ein Familienfest handelt, zu dem die hierher kommenden Fürsten als Gäste unseres Hofes erscheinen. Von diesem ganz richtigen Gesichts punkte mag wohl anch der Kaiser von Oesterreich die Sache betrach- für Wilsdruff, Tharandt, Raffen, Si ebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst.