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Montag, 27. IM 1SV8. M wr 3»«0 MM 5luer und Anzeiger für das Lr' pelaniwoltliche; ReSakieur. Fritz Arnhold L>" d,e Inserate o«ran!«orUip; 10 a> rer krau» beide in Ao». mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Ilb Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von z—5 Uhr. — Telc Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann Gewähr niä Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins Haus monatlich 50 pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich Ho pfg- und wSchentlich >o Pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich l.so Mk. — Durch den Briefträger frei ins Haus vierteljährlich 1.92 Mk. — Einzelne Nummer 10 Pfg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Str Jnsertionsp, Diese rrrrminee «nrfatzt 6 -eiten Das Wichtigste vom Lage. Der Kaiser tritt heute nachmittag von Bergen aus die Heimreise an und trifft Mittwoch vormittag in Swinemünde ein. (S. pol. Tgssch.) - Unter st aatssekrctär Lindequist tritt seine Reise nach Deutsch-Ostafrika zum Studium der B e s i e d l u n g s in ö g l i ch k e i t am 10. August an. G Der Sultan soll angeblich z u g u n st e n seines Lieb lingssohnes abdanken wollen. (S. Art. i. Hptbl.) G Das portugiesische Budget für 1908/09 weist trotz verschiedener Abstriche an den Ausgaben ein Defizit von 1585 Contos Reis auf. * Abdul Aziz ist auf seinem Zuge nach Marrakesch von Anhängern Muley Hafids völlig ge schlagen worden. * In Schroda kam cs am Sonnabend abend infolge der Verhaftung eines Betrunkenen zu Straßen tumulten. (S. N. a. a. Welt.) Die Wahlreform schwenkt ein. Wenn heute von der sächsischen Wahlreform die Rede ist, pflogt man fast immer zu lächeln. Dennoch rauschts jetzt durch den Blätterwald, als ob das Heil zu erwarten sei. Nun, soweit ist's vorderhand ja noch nicht; und ob's soweit kommen wird, bleibt dem Ratschluß der Vorsehung vorbehalten. In dessen, das Geflüster, das eben die Sommerlangeweile so wohl tuend belebt, plappert aus Plaudertäschchen, die nichts Neues mehr bergen. Ehegestern marschierte Herr Oertel mit der Feder in den Ufersand der Spree. Sein Waffengang galt den Leuten vom Mittelstand, die in den letzten Wochen eine ziemliche Regsamkeit an den Tag legten, eigens zu dem Zweck, um in das Wahlrechts-Kompromiß einen Keil zu treiben. In der kleinen konservativen Provinzpresse ließ bereits vor mehr als Mondesfrist Herr Mehnert zum Kreuzzug wider die auf ständischen Vasallen vom Mittelstand blasen und gegen Herrn Ludwig Fahrenbach, der vor der Mittelstandsvereinigung aus dem Kriegspfade marschiert, wurden Vorwürfe erhoben, die gar nicht spitzer geschliffen sein konnten. Man erzählte sogar, Herr Ludwig habe die Stimme in der Wahlreform künstlich erzeugt. Die Mehrheit der Mittelständler (ließ Herr Mehnert verkünden) stehe gar nicht auf dem Boden der Hohen- thalschen Vorschläge und die Führer der Mittelstandsvereinigung hätten der Regierung eine gänzlich falsche Vorstellung von der Stimmung im Lande suggeriert. Wie gesagt: Diese Knallerbsen flogen aus den Re' stuben der kleinen Mehnertpresse hinaus ins Land, z machten ein wenig Geräusch und wurden dann vergeße in> Mittelstand. Seit nun fast Jahresfrist gärts und in seinen Reihen. Die konservative Vormunds ch wird immer lästiger empfunden. Die Mittelstandsvereinigr spürt die Flügel und möchte sie rühren; findet aber an den Gittern des konservativen Käfigs Widerstand. Da kam die Wahlreform! Herr von Hohenthal pries die Politiker Theo dor Fritsch und Ludwig Fahrenbach als die Träger der idealsten Lebensanschauung, während die Mittelstandsvereinigung in der Hohenthalschen Wahlreform das Heil des Vaterlandes verehrte. Tatsache ist, daß Graf Hohenthal auch als Staatsmann mit der idealen Lebensanschauung des Mittelstandes gerechnet hat: Hohenthal schätzte in der Erstarkung des mittelständlerischen Selbständigkeitsgefühls die Macht, die im entscheidenden Augen blick (bei der in den Bereich der Möglichkeiten gezogenen Kam merauflösung gegen die drohende Vormachtstellung der kon servativen Reaktion ins Treffen geführt werden konnte. Die Entwickelung der Wahlreform hat die bestehenden Grund sätze zwischen Mittelstand und Agrariertum noch verschärft und der Angriff auf die Wahrhaftigkeit der mittelständlerischen Wahlrechtspolitik in der konservativen Presse schlug dem Faß den Boden aus. Die Deutsche Tageszeitung, deren sächsische Politik immer noch ihren Odem von Medingen aus eingeblasen erhält, fand es deshalb ehegestern geboten, die Friedensglocken zu läuten. Und man muß anerkennen, daß Herr Oertel als Glöckner beträchtliches zu leisten vermag. Ein paar Wochen früher sah man ihn noch im grimmen Strauß mit den widerstrebenden Mächten um Fritsch und Fahrenbach, die es sich hatten bei- komme.i laßen, Politik auf eigene Faust zu treiben. Heute zieht er mit der Palme durch die Gauen. Mahnt an Pflicht und Schuldigkeit und predigt die Eintracht aller Gutgesinnten. Das kräftige Geschreibe des Agrarierblattes würde als solches kaum überraschen; aber aus dem Satzgefüge spricht der Geist des Geheimrats Mehnert, der vor der Wiederkunft der Reform-Deputation in den Tagen des September an die Ge treuen im Lande die Parole ausgibt. Man weiß, daß Herr Opitz sowohl als Herr Mehnert still verschwiegen im konservativen Busen immer noch die Hoffnung nähren, daß ein freundliches Geschick die Konservativen vor der Erfüllung peinlicher Kompromißverpflichtungen bewahren werde. Und nun plötzlich dieser peinliche Eifer im Weinberge des Herrn. Daß es der Reaktion über Nacht ernst geworden sei mit der Förderung der Wahlreform, darf nicht angenommen werden. Bleibt also nur die andere Möglichkeit übrig, daß Zweck mäßigkeitsgründe sie veranlaßen, das Fähnchen im Winde zu wenden. Und hier ist auch tatsächlichdes Rätsels Lösung zu finden. Aus Dresden hört die Zittauer Morgenzeitung, daß Vorbereitungen im Gange sind, um bis zu der Zeit der herblichen Tag- und Nachtgleiche eine Verständigung zwischen der Regierung und den Kompromißparteien anzubahnen. Herr o. Hohenthal hat aus Bad Nauheim zur Residenz vermelden lassen, daß er unter Umständen zu gewissen Kon- scheint 'an, Der tausendzeiUge , durch die Eaßen flattern ließ, oäftet zu. rung, aber was will das besagen? Die A>», sächsischen Mittelständler marschiert stramm mit H., er vom Weg«, stampft unverdrossen hinter ihm die Ver^-. Les Mittelstandes. Es läßt sich also begreifen, daß Herr M e . nertdie Glocken läutet. Kommt man sich auf dem Wege dieser Politik näher, dann muß sich alles, alles wenden, und Sachsen wird dann noch den Tag sehen, der das Werk krönt. König Frierich August sprach in seiner letzten Thronrede von der Wahl reform als von einem Werke, berufen, die Zufriedenheit imLande wieder herzustellen. Uns dünkt, aufdiesem Wege wird man dies hohe Ziel kaum erreichen. Abdankung des Sultans. Wie aus guter Quelle in Konstantinopel mitgeteilt wird, hat der Sultan Abdul Hamid in einer in der Nacht zum Sonnabend in Jldis abgehaltenen Sitzung di« Absicht ausge sprochen, zugunsten seines Lieblingssohnes Burhaned- din abzudanken. Diese Meldung klingt keineswegs unwahr scheinlich. Abdul Hamid war niemals «in Anhänger der kon stitutionellen Idee, und er hat sicherlich mit großem Widerwillen seine Zustimmung zu dem Erlaß des Verfaßungsirades erteilt. Man kann es daher begreifen, wenn der sein ganzes Leben hin durch an das autokratische System gewöhnte Sultan sich bei der Neugestaltung der Ding«, die seiner ganzen Natur widerstrebt, aufs Altenteil zurückziehen will. Heber die Stimmung in Konstantinopel meldet ein Telegramm des offiziösen Wiener k. k. Telegr.-Korr.- Bureaus: Die gesamte Preße begrüßt die Neugestaltung der Ver hältnisse mit Jubel und dankt dem Sultan begeistert mit dem Hinweis, daß die Entwicklung ohne Opfer erfolgte. Di« Blätter veröffentlichen die Verfassung sowie das im Jahre 1876 erlaßene darauf bezügliche Reskript an Midhat Pascha. Die allgemeine Stimmung ist begeistert, aber würdevoll. - Sehr groß wird der Jubel und die Begeisterung in Kon stantinopel sicherlich nicht sein. Die jungtürkischen Kreise, die in der türkischen Hauptstadt bei weiten die Oberhand haben, bringen der plötzlichen Sinnesänderung des Sultans mit vollem Recht Besorgnis und Mißtrauen entgegen. In der europäischen Preße wird diese Besorgnis einstimmig geteilt. So schreibt der Lon doner Daily Chronicle: Bezüglich der Konstitution hoffen wir, daß sich die alte Geschichte nicht wiederholt. Keinesfalls darf die Gewährung einer allgemeinen Verfassung als Mittel gebraucht Die Nachbarn. Novellette von Rolf Harboe. Nachdruck verboten. Eine halbe Stunde von der kleinen Hafenstadt Fjordby liegt, weit entfernt vom Weltverkehr, an einem der schönsten Punkte der Föhrde eine Villenkolonie, wo es im Sommer zur Badezeit lebhaft zugeht, im Winter aber Totenstille herrscht. Es war ein richtig knirschend kalter, Heller Wintertag. Den Tag vorher und die ganze Nacht hindurch hatte es heftig geschneit, so daß alles draußen weiß und weich erschien. Als es aufgehört zu schneien, war der Himmel klar und blau geworden, und die Sonne leuchtete jetzt zwischen den schneebedeckten Bäumen. In dem schmalen Seitenwege, der am Gartenzaun entlang zu seiner roten Villa führte, beschäftigte sich der Oekonomierat Esmarch in höchsteigener Person mit Schneeschippen. Er trug lange Stie fel und statt des Paletots eine gestrickte Weste unter der grünen Jogdjoppe. Mit der blanken Schaufel schnitt er viereckige Stücke aus dem Schneewall, der den ganzen Weg verschüttet hatte, und türmte sie an dem Bretterzaun entlang auf, so daß sich nach und nach ein Pfad bildete. Jedesmal, wenn die Schaufel einen Kubik- fußaus derSchanze herausgeschnitten, wuchsdi« lotrechte hellblaue Mauer im Schnee. So stark er auch fror, war der Oekonomierat doch schnell warm geworden. Er hielt nun inne, um sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn zu trocknen. Potz Wetter," sagte er, ,/das ist schlimmer als ich geglaubt. Man muß sich ja aber Bewegung schaffen. Außerdem soll der Weg ja passierbar sein, wenn Andreas mit seiner Herzallerliechten kommt. Solch Großstadtfräulein würde di« Nase rümpfen, wenn es sich hier naße Füße holte." Er war in seiner Arbeit halb bis zur Allee gekommen und stand jetzt vor einer kleinen Villa, die wie bepudert hinter ihrem Zaun lag. Di« Veranda war fest zugeschneit, und dort «»schien in diesem Lugenblick ein älterer, wie der Oekonomierat Mt einer Schaufel bewaffneter Herr. „Guten Morgen, Oeko. nomierat!" rief er, während er mit seiner Arbeit begann. „Sie sind, wie ich sehe, schon früher auf den Beinen als ich." „Ja, ja, lieber Hauptmann," antwortete der Rat, „wenn man Fremde erwartet —" „Fremde!" wiederholte der Hauptmann. „Sie er warten doch nur Ihren Andreas." „Ja, er kommt aber nicht allein — leider." Das letzte fügte der Oekonomierat in einem Tone hinzu, der nicht hörbar sein sollte, es aber doch war. „Nun, und das ist Ihnen so unangenehm?" fragte der Hauptmann. „Sie pflegen doch sonst gern Besuch zu haben." „Ach, ich meinte es nicht so. Es kam nur so unerwartet, so überraschend. Natürlich werden wir sie freundlich aufnehmen. Niemand soll mir nachsagen, daß ich nicht gastfrei bin, und wenn Andreas —" Die eine Schaufel Schnee nach der andern flog beiseite. Auch der Hauptmann arbeitete tapfer auf der Veranda. Plötzlich hörte er auf. „Und wenn Andreas —?" fragte er. „Was ist es mit Andreas?" „Ach, nichts — nicht wert, darüber zu sprechen. Aber zufrieden bin ich nicht, obgleich ich cs eigenlich sein sollte." „Hören Sie, alter Freund," sagte der Hauptmann und wischte sich den Reis aus seinem kräftigen Schnurrbart, „was sind das nur für Geschichten! Wir haben doch sonst voreinander kein« Geheimnisse." Der Rat antwortete nicht, arbeitete aber mit einem Eifer weiter, der von innerer Erregung zeugte. Die Tür der Veranda wurde von neuem geöffnet und Frau Hauptmann Holle zeigte sich. „Ach, wie kalt es hier draußen ist," rief sie aus. „Max, komm herein und trinke eine Tasse Kaffee, ehe du die Arbeit fortsetzest. Ah, guten Morgen, Herr Oekonomierat. Nein, wie eifrig die beiden Herren sind!" Der Rat lüftete die Mütze. „Gnädige Frau sollten lieber hineingehen. Sie sind zu leicht gekleidet. Wir haben heute das reine Polarwetter." „Dann müßen die Herren aber mit kommen. Herr Oekonomierat, trinken Sie eine Taffe Kaffee mit uns. Dann frühstücken wir zusammen. Außerdem habe ich zur Feier des Tages Kuchen gebacken. Den müssen Sie kosten, Herr Rat." „Kann ich mir denken. Sie erwarten ja heute Fräulein Johanna." „Mr wissen von nichts," antwortete der Hauptmann, „denn st« hat noch nichts von sich Horen lassen." „Vielleicht über rascht sie uns heute mittag mit dem Postomnibus, Doch, jetzt bitte zu kommen." Die Frau Hauptmann zog sich eiligst in das Zimmer zurück. Der Oekonomierat trat durch die Gartenpforte und stampfte so gut es ging, den Schnee von den Füßen. Im Speisezimmer war es warm und gemütlich, und der Tisch festlich gedeckt. Trotz dem blieb der sonst so redselige Oekonomierat in sich gekehrt. „Sie sind heute so still, Herr Oekonomierat," sagte die Frau des Hauses ermunternd. „Haben Sie Unannehmlichkeiten gehabt? Freuen Sie sich nicht auf die Heimkehr Ihres Sohnes?" „Nun ja. Ich verstehe den Menschen aber nicht." „Was hat er denn gemacht?" fragte der Hauptmann. „Will es mit dem Examen nicht klappen?" „Das ist es nicht. Seine schriftlichen Arbeiten sind, wie er schreibt, gut gewesen. Er hat aber, fürchte ich, eine große Torheit begangen, vielleicht auch sonst nicht gehandelt, wie er handeln sollte." „Nun, dann sagen Sie doch, was es ist." „Andreas hat sich verlobt," sagte der Rat mit trauriger Stimme. Der Hauptman und Frau blickten verblüfft drein. „Ach, Andreas hat sich verlobt," brachte die Frau des Hauses endlich heraus. „Nun — du meine Güte — das ist doch kein Unglück," äußerte der Hauptmann. Der Ausspruch seines Gesichts widersprach aber seinen Worten. „Mit wem hat er sich denn verlobt?" fragte die Frau Hauptmann. „Ja, wenn ich das wüßte," entgegnete der Oekonomierat, „scheinbar ist er von dem Ereignis selbst ganz verwirrt. Denn er nennt in seinem Briefe weder den Namen noch die Familie seiner Braut. Er schreibt nur, daß sie sicher meinen vollen Beifall finden werde." „Nun dann — herzlichen Glückwunsch," sagte die Frau Hauptmann mit einem etwas ge zwungenen Lächeln. „Hoffentlich besucht uns Lndrea» mit seiner Braut. „Sehr liebenswürdig," bemerkte der Oekonomte» rat leise. — Etwas später stand er auf dem Wege und schippt« Schnee. Der Hauptknann ging mit seiner Meerschaumpfeife im Zimmer auf und ab, während sein« Gattin mit «iner Handarbeit am Fenster saß. „Das war ein« schrecklich« Nachricht!" Er -lieh