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für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Liebenlch« und die Umgegenden. Umlsklait für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den SLadtrath daselbst. Dienstag den 2. Juli ^7 Z1. 1872. Tagesgeschichte. Wilsdruff, am 1. Juli 1872. Nach der Arbeit frohe Feste! Das ist uns Deutschen nicht übel zu nehmen. In den letzten 6 Jahren ist uns ohnedies über der werdenden Einigkeit Deutschlands mancher FcstschmauS durch Kano nendonner vereitelt worden. Wenn es nun auch den Nationalfesten nicht gelungen ist, ein einiges deutsches Vaterland zu crturnen oder zu erfragen, auch in gewissem Sinne nicht zu erschießen, so haben sie doch immer den Patriotismus wach erhalten, so daß er zur rech ten Zeit in glänzenden Thaten sich äußern konnte. Nachdem nun aber auch der Thatcndrang befriedigt ist, verlangt das Volksgemüth wieder nach seinem Rechte: Nach der Arbeit frohe Feste! Die viel fachen Sänger-, Schutzen- und Turnfeste wollen diesem Verlangen nach allen Seiten Rechnung tragen. So auch unser Wilsdruff; die Vorarbeiten zu dem am 14. und 15. d. M. hier abzuhaltendcn Gauturnfest der sächsischen Nicderelbe schreiten rüstig vorwärts, und es scheint, als ob diese beiden Tage für unsere Stadt recht lebhaft werden sollten, wodurch sich mancher Landbewohner veranlaßt finden dürfte, an diesen Tagen unsere Stadt zu besuchen. Im Uebrigcn verweisen wir auf das in den nächsten Tagen in diesem Blatte er scheinende Festprogramm. Acht Tage nach diesem Feste wird die hiesige Scheibenschützengescllschaft ihr alljährlich sich wiederholendes Schützenfest abhallen, welches, wie wir hören, durch den Hinzutrilt vieler neuer jüngerer Kräfte, immer belebter zu werden verspricht. Zu allen guten Dingen gehören aber Drei, und so wird sich denn au die obengenannten beiden Feste als drittes ein von Jedermann gern gesehenes Fest anreihcn, nämlich ein Schul- oder Kinderfest, welches jedenfalls auch noch in diesem Monat stattfinden wird. Möge der Himmel allen drei Festen günstig sein und durch warme, sonnige Tage dieselben verherrlichen. — Recht sehr zu beklagen ist cs, daß so oft Corporationcn, ja ganze Gemeinden bei vorkommcndcn Festlichkeiten von den Launen der Herren Musiker abhängig sind, resp. sich zum Narren haben lassen müssen; das dem so ist, mußten auch wir vorigel» Freilag erfahren. So sehr sich die hiesigen Einwohner auf die vom Militair-Musik director Herrn Werner aus Meißen arrangirteu Abonncmeut- ConzertS auch freuten und dieselben gewiß auch besucht hätten, so scheint doch über denselben ein Unstern zu walten, denn schon das erste vor bereits 4 Wochen stattgefundcne wurde durch kurz vorher stattgcfundencn Regen etwas geschädigt, — war aber trotzdem leidlich besucht —; ebenso schienen vorigen Freitag öftere Regenschauer dem Publikum den Hinausgang nach der Restauration vereiteln zu wollen, aber es wurde doch gegangen, man hat einmal abonnirt und das veröffentlichte, gulgewählte Programm lockt, auch ein lieblicher Damcn- flvr hat sich cingefunden, das Eonzcrt wird mit Gespanntheit er wartet, aber o weh, die Herren Musiker auS Meißen sind nicht gc- kounncu und kommen auch nicht; man sicht sich gegenseitig an und staunt über das Benehmen des Meißner Militairmusikchors und kann den rechten Ausdruck dafür nicht sofort finden — obwohl mau ihn fühlt! — Wenn man auch den guten Willen hätte, Herrn Werner mit seinem Chore in Schutz zu nehmen, denn Wohl wissen wir, daß das Abonnentengeld allein die Kosten nicht deckt und sie bei gutem Wetter auf das Entree von Nichtabonnenlen und den Ertrag der Ballmnsik besonders mit rechnen, so bestimmt wissen wir auch, daß Herr Werner den Abonnenten gegenüber verpflichtet ist, ein au- gekündigtcs Conccrt zu spielen, oder cs wenigstens, und wenn wenige Stunden vorher, absagen zu lassen; sein Benehmen einer ganzen Stadt gegenüber somit'als ein rücksichtloses zu bezeichnen ist. Meißen, 25. Juni. Als ein seltenes Naturspiel wurde uns heute vou Niederauer Flur eine siebenfältige Wcizcnähre überbracht; aus der Hanptähre waren fächerpalmenartig rechts und links seitwärts noch je drei kleinere Aehren herausgcwachsen. Möge es als ein pro phetisches Wahrzeichen kommender sieben fetten und fruchtbaren Jahre sich erweisen. (M. T.) Ringethal b. Mittweida, 26. Juni. Gestern in der neunten Abendstunde wurden die Bewohner unseres friedlichen Dörfchens durch die Sturmglocke aufgeschreckt. Es brannte die in der Nähe der Kirche i stehende, gewiß fast im ganzen Sachsenlande bekannte Linde, die Lutherlinde genannt, unter deren Zweigen einst vr. Luther, weil ihm im nahen Mittweida das öffentliche Auftreten nicht gestattet wurde, und die hiesige kleine Kirche die anwesende Menschenmenge nicht fassen konnte, gepredigt hat. Mit tiefem Schmerze sahen wir diesen alten ehrwürdigen Vanni, der so manches Menschenalter überdauert, den wir mit Stolz jedem durchpassirenden Fremden zeigten und der so manchem Sturm getrotzt, dem vernichtenden Elemente, ohne nur etwas zu seiner Rettung beitragen zu können, preisgcgeben. Lange trotzte noch der alte Baum demselben, denn erst nach Mitternacht brach die schöne Krone desselben herunter, so daß jetzt nur noch der innen aus gebrannte hohle Baumstumpf, einer alten Ruine gleich, in die Lüfte ragt. Die Habgier und die Unbedachtsamkeit einiger Dorfbewohner, die, mit einen in einem Astloche schon längst sich festgesetzten Bienen schwarm einzufangcn, denselben durch Feuer austreiben wollten, find die Ursache, daß wir diesen unersetzlichen Verlust erlitten. Freilich ist das Gebühren derselben durch anwohnende angesehene Einwohner des Ortes geduldet worden. Ueberhaupt scheint in letzter Zeit ein eigner Unstern über dem so schönen Baume gewaltet zu haben, denn voriges Jahr wurde derselbe durch Befehl eines Anwohnenden zum Schmerze vieler Parochianen, eines großen Theiles seines schönen Blätterschmuckes und seiner größeren Aeste beraubt. Der EssenerKrupp hat an die Arbeiter seiner Gußstahlfabrick einen Tagesbefehl erlassen, dessen Srache fest und sicher lautet, wie die eines Feldherrn, gewaltig und deutlich, wie die seiner Kanonen. Seit 45 Jahren befehligt er seine Armee und damals gab's nur 7'/r Sgr. tägliche Löhnung für den Kopf, die ganze Woche anderthalb Thaler. Krupp hat die Löhnung allmählig gesteigert, aber immer freiwillig und dabei will er bleiben. Er besitzt das Vertrauen seiner Arbeiter und verdient es auch. Ernstlich warnt er sie vor herumtrcibenden Aufwieglern und solchen Zeitschriften, die unter dem Schein dcS Wohlwollens und unter Mißbrauch vou religiösen und sittlichen Denksprüchen die Arbeiter für sich gewinnen wollen, um im Trüben zu fischen und von dem Ersparten deS Arbeiters zn leben. Auf'S Bestimmteste erklärt er, cr lasse sich nichts abtrotzen, jedem gerechten Verlangen werde cr zuvorkommcn; wer damit nicht zusrnden sei, möge ihm kündigen, je eher desto lieber. „Ich will in meinem Hanse wie auf meincm Boden Herr sein und bleiben." Frankfurt, 28. Juni. Die „Frankfurter Presse" meldet aus Paris: Der Abschluß der Unterhandlungen ist erfolgt. Nach Bezahl ung einer Milliarde bleiben 25,000 Mann in den Festungsplätzen. Frankreich verpflichtet sich, keine Befestigungsarbeiten vorzunehmcn. ÄnS Prag, 27. Juni, meldet man der „N. Fr. Pr.": Die Schadenerhebuugs-Commissionen in den überschwemmten Bezirken sind nahezu am Ende ihrer Arbeiten. Völlig erhoben ist der Ge- sammtschadcn der dringend einer Entschädigung Bedürftigen. Der selbe beträgt nach offiziellen Abschlüssen fünf Millionen. Selbstver ständlich sind hierin die Schäden an den Bahnen des Bezirkes und am Grundeigcnthum, sowie die der Großgrundbesitzer und Wohl habenden nicht eingerechnet. Die Pariser Fabriken arbeiten, wie man der „Köln. Ztg." schreibt, im Augenblick sehr wenig; eine Masse Arbeiter sind entlassen worden; Leule/die früher 200 Arbeiter beschäftigten, haben jetzt kaum noch zwanzig. Das Darniedcrliegen der Geschäfte wird hauptsächlich dem fortdauernden Aufenthalte der Nationalversammlung in Ver sailles zugeschrieben, der großes Mißtrauen ciuflöße und viele Fremde von Paris abhalle. Dazu kommt dann noch, daß die Royalisten ihre Ausgaben so sehr als möglich einzuschränken und überall Mißtrauen hervorzurufen suchen. Ihr Plan besteht bekanntlich darin, die Repub lik dadurch in Mißcredit zu bringen, daß sie keine normalen Zustände aufkvmmen lassen. Die Jesuiten packen an manchen Orlen schon ihre Siebensachen zur Reise ins gelobte Land. Sie wissen nur noch nicht genau, wo dieses für sie liegt. Ihre große Besitzung am Laacher See in der Rheinproviuz haben sie der Sicherheit halber schon in Privathände übergeben. Hoffentlich gelingt es bald ganz, die „Nacht am Rhein" zu verscheuchen.