Volltext Seite (XML)
Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Mmtsölatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. 42. Dienstag, den 30. Mai 1876. Bekanntmachung. Im Laufe des Monats Ium ist die Landtagswahlliste einer Revision zu unterwerfen. Indem wir vorschriftsgemäß auf diese Revision aufmerksam machen, bringen wir zugleich zur öffentlichen Kenntniß, daß die Liste für den hiesigen Ort zu der Betheiligten Einsicht in der hiesigen Rathsexpedition ausliegt. Etwaige Einsprüche dagegen sind rechtzeitig und spätestens bis zum Ende des siebenten Tages nach dem Abdrucke eines Wahl ausschreibens in der Leipziger Zeitung bei uns anzubringen. Nach Ablauf von weiteren 14 Tagen wird die Liste geschlossen, auch werden alle bis dahin in dieselbe nicht eingetragenen Personen von der Wahl ausgeschlossen, sowie auch elwaige bis dahin nicht erledigte Reclamationen unberücksichtigt gelassen werden. Uebrigens hat Jeder, welcher seine Stimmberechtigung ans Steuerentrichtung außerhalb des hiesigen Orts zu gründen gemeint ist, solches zur Berücksichtigung unter Beibringung des nöthigen Nachweises hier anzuzeigen. Wilsdruff, am 29. Mai 1876. Der Stadtgemeinderath. Ficker, Brgmstr. Bekanntmachung! Das Wasserhosen von der Pumpe am Kirchhofe zum Begießen der Gräber wird andurch bei 1 Mark Strafe verboten. Wilsdruff, am 29. Mai 1876. Der Stadtgemeinderath. Ficker, Brgmstr. Tagesgeschichte. Wilsdruff, 29. Mai 1876. Trübe scheidet diesmal der Mai, der eigentliche Wonnemond des Jahres, von uns, wenig Freude hat er uns bereitet, viel Schaden uns gebracht. Was wird der neue Mouat uns bringen? Wild und drohend jagen die Wolken am politischen Horizonte dahin, von trüben Dünsten ist die Luft erfüllt. Alle Anzeichen deuten auf den nahe» Ausbruch des lauge hereinhängenden Unwetters, auf deu Krieg. Die „Dr. Ztg." schreibt: Die Pforte hat die Vorschläge der Con- ferenzmächle „geprüft"; aber das starke Gebräu, das in Berlin zu recht gemacht wurde, scheint nicht Gnade zu finden in ihren Augen Der Kranke, weigert sich, die ihm verordnete Medicin einzunehmcn; er verlangt nach milderen Trünkchen, hofft aber inzwischen Zeit zu gewinnen, den Leiden, die in seinem Inneren toben, durch eigene Hausmittel beizukommen. Den Insurgenten ist dies nur Wasser aus ihre Mühle. Von einem Waffenstillstände ist unter diesen Umstanden keine Rede; ja, der Kampf der eine Zeit lang zu ruhen schien, hat mit erueuler Heftigkeit auf der Linie begonnen. In der Herzegowina ist cs zu schweren und blutigen Gefechten gekommen, in denen sowohl die Türken, als die Insurgenten gesiegt haben wollen, die aber jedenfalls beweisen, daß die Aufständischen sich vor den Türken nicht fürchten und von der Fortsetzung des Kampfes mehr Gewinn für ihre Sache hoffen, als von Waffenruhe und diplo matischen Unterhandlungen. Aber auch in den anderen Landschaften ist die Lage kritischer geworden. Aus Bosnien werden neue, für die Türken ungünstige Kämpfe gemeldet. Von Serbien und Montenegro, die völlig gerüstet und marschbereit dastehcn, wird der Aufstand mit Mannschaften und Mitteln aller Art genährt. In Belgrad ist, nehen anderen abnormen Maßregeln, eine Verordnung erlassen worden, wo nach kein serbischer Unterihan im Alter vom 18. bis zum 50. Jahre das Land verlaffen darf; es dürfen weder Reiselegitimationen verab folgt, noch auch Beurlaubungen selbst für die kürzeste Zeit gewährt werden. Diese Verordnung bezweckt, die streitbare Mannschaft im Lande bei der Hand zu halten. Die serbische Presse drängt die Re gierung kategorisch zu einer Entscheidung und erklärt, die Regierung müsse sich für Krieg oder Frieden entschließen, das Land könne die die 12monatliche Rüstung nicht länger ertragen. Montenegro brennt vor Begier, in den Kampf einzugreifen, da es bei dieser Gelegenheit einen Landzuwachs auf Kosten der türkischen Grenzgebiete zu erschnappen hofft. In Constantinvpel selbst bereitet sich eine Staatsumwälzung vor, ein Versuch, das alternde Stoatsgebäude noch einmal durch ganz neue Einrichtungen zu restaurircu. Die „Sofias" (Studenten der Theologie und Aspiranten aus die höheren Staatsämter) sind die treibende Kraft dieser Revolution; sie wollen vom unfähigen Sultan Abdul Aziz die Reduction der Civilliste auf 1 Mill. Pfund, die Heraus gabe von 5 Mill, an den Staatsschatz, die Einsetzung eines National- rathes und die Ablegung des Kalifentitels erlangen. Die Sofias meinen es sicher sehr gut mit ihrem Reiche und mit der Lehre der Propheten. Auch England, das offenbar hinter dieser Bewegung steckt, glaubt durch solche Reformen die Gefahr der Vernichtung vom Os- manenreiche abwenden zu können. Aber gerade das Gegentheil wird erreicht. Wenn der Feind vor den Thoren steht, ist es zu inneren Besserungen zu spät; solche Krisen beschleunigen dann nur von innen her den Zerfall, der dem von außen heranrückenden Verderber die Arbeit erleichtert. Dem Geist der Phantasie eines Disraeli mag der Gedanke schmeicheln, das in allen Fugen krachende Ostreich durch Re formen wiederaufzufrischen; das nimmt sich Prächtig auf dem Papiere aus. In Wirklichkeit aber thut England, indem es nicht die Wider standskraft, wohl aber die Widerstandslust der Großtürken stärkt, nur Rußland einen Gefallen, dem es in die Hände arbeitet, während es seine Pläne zu durchkreuzen glaubt. Nach deu soeben veröffentlichten Hauptresultaten der letzten Volks zählung hatte das deutsche Reich am 1. December 1875 42,757,812 Einwohner gegen 41,058,792 im Jahre 1871; es hat also um die bedeutende Zahl von 1,699,020 zugenommen. Cobb lenz, 23. Mai. Von der hiesigen Polizei wurde gestern ein Italiener hier aufgegriffen, der sich unter eigenthümlicheu Um ständen danach erkundigte, ob Fürst Bismarck, wie ihm mitgetheilt, sich augenblicklich in Coblenz aufhalte. Auf die an ihn gestellten ein gehendsten Fragen erklärte er unumwunden, daß er aus Italien sei und die Absicht habe, den Fürsten Bismarck, der allein die Schuld trage, daß die katholische Religion unterdrückt worden, und den man in Italien hasse, zu ermorden. Unterstützt sei er bisher von ver schiedenen Vereinen und einzelnen Personen, die mit seinem Vorhaben sich einverstanden erklärt hätten. Es wurde nun ferner festgestellt, daß der Mensch schon im Anfang der 60er Jahre in Polch verhaftet und demnächst aus Preußen ausgewiesen worden war. Auf seinen Namen führte ein in seinem Rock eingenähter Paß, den er sich hatte in Bern ausstellen lassen. Die weiteren sofort eingeleiteten Nachforschungen werden ergeben, ob man es in diesem Falle mit einem Fanatiker