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Zweites Blatt. ThmM, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Imtsölult sm die Ugl. Amtshauptmannschaft Meißen, für das Agl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff, sowie für das Agl. Forstrentamt zu Tharandt. Erscheint wöchentlich dreimal und War Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. — Bezugspreis vierteljährlich 1 Mk. 30 Pf., durch die Post bezogen 1 Mk. 55 Pf. Inserate werden Montags, Mittwochs und Freitags bis spätestens Mittags 12 Uhr angenommen. — Jnsertionspreis 10 Pfg. pro dreigespaltene Corpuszeile. Druck und Verlag von Martin Berger in Wilsdruff. — Verantwortlick für die Redaktion Martin Berger daselbst. No. 122. ^-um 18. Sonntage nach Trinitaliv. Matth. 4, 1: Da ward Jesus vom Geist in die Wüste geführt, auf daß er vom Teufel versucht würde. Welche Fülle von Gedanken lagert in diesem Verslein! Nur einige der wichtigsten Gedanken können herausgehoben werden. Gottes Geist war bei der Taufe in verstärktem Maße auf Jcsmu herabgekommen. Dieser Geist trieb Ihn — wohinV in die Wüste! wozu? zur Versuchung! Gesalbt zuin Erlöser der Welt mußte Er zunächst die Welt verlassen und in die Einsamkeit ziehen. Denn ehe Er sie erlösen könnte, mußte der Fürst dieser Welt überwunden werden. Und wieder, ehe Jesus die Macht der Hölle für die Welt über wand, mußte Er sie für Sich selbst überwinden. — Aber wie konnte Gott Seinen lieben Sohn der Versuchung und der Möglichkeit des Falles aussetzen? — Andrerseits, wie konnte der Versucher sich Hoffnung machen, den zu Falle zu bringen, der Sein himmlisches Reich verlassen hatte, um die Gefallenen aufzurichten, die Beschädigten vom Sturze zu heilen? — Und warum geht die Versuchung Jesu in der Einsamkeit der Wüste vor sich, warum nicht im rauschenden Leben der Welt? Werden sonst doch die Weltmenschen so gerne Einsiedler, um den Versuchungen zu entgehen! Ich überlasse diese Fragen dem eigenen Stachdenken des Lesers und frage heute nun meinerseits: welchen prakt ischen Nutzen können wir aus dem Verslein ziehen, welche Lehre giebt es uns? Keinesfalls die Lehre, daß Gott uns versucht. Gott versucht niemand. Wohl aber läßt Gott zu, daß der Fcind unserer «eeleu uns angreift, zn überrumpeln sucht und verfolgt. Es muß klar werden, ob wir ans freiem Willen der Stimme Gottes Folge leisten oder nur gezwungen, also im Grunde widerwillig, und das kann uur klar werden, indem dem Satan Raum gegeben wird, uns zu versuchen. Tie Treue eines Bundesgenossen bewährt sich nicht durch Versicherungen, sondern durch Festhalten gegenüber den Verlockungen des Gegners. Der freie Mensch muß zur Entscheidung gebracht werden für Gott oder wider Gott, -^as kann uur durch Kampf geschehen. Darum sagt Jakobus: „Selig ist der Manu, der die Anfechtung erduldet", und „achtet es eitel Freude, wenu ihr in mancherlei Anfechtungen fallet." Jeder Sieg in der Versuchung fesselt dich starker an die Fahne Jesu Christi und vertieft das selige Bewußtsein in dir, ein Erbe des Himmelreichs zu sein. Dazu kommt — und das ist ungemein tröstlich zu wissen — daß Gott uns in der Versuchung nicht völlig uns selbst überläßt. Er sieht nicht unthätig zu, wenn wir gegen den tausend fach starreren Feind mühsam ankämpfen. Wenn die Noth am größten, ist auch die Hilfe am nächsten, und dann bricht sie mit Macht herein. Also „durch" lieber Leser mit Gottes Hilfe durch alle Anfechtung zum U Siege, nach dem uns der Friede, und im Frieden die Krone winkt. Die Enischädigung unschuldig Verurtheilter. Seit Jahren wird in weiten Kreisen unseres Volkes die Entschädigung unschuldig Verurtheilter gefordert, eine Forderung, deren zeitgemäße Nothwendigkeit und innere Berechtigung von Niemand mehr bestritten wird, auch nicht von unseren Regierungskreisen. Nun hat ja die Reichsregierung schon wiederholt Anläufe zu einer reichs gesetzlichen Regelung dieser dringenden Frage genommen, nachdem es durch die Thatsachen längst festgestellt worden S, daß die hier und da in besonders hervortretenden Een vom Staate gewährte finanzielle Entschädigung LAwIdig erlittene Gerichtsstrafen dein öffentlichen Wie W im Entferntesten genügte - leider! Ler ü'^t, ist dem Reichstage bereits öfters, zuletzt auch Just M »"»'«« Seffim, -Mk zu dm R- °r« w-idm, welch- mdw »mchl-d-um K ma Straslkchti, Wik di- Wi-d->ch°r. die EE u. s. w auch Bestimmungen über wie b M enthielt Aber wie verein früher, so scherte die Justiznovelle auch Sonnabend, den 16. Oktober 18S7. wiederuni in der letzten Tagungsperiode des Reichsvar- laments weil sich die Volksvertretung und die Regierung über gewisse Eiuzelfragen der geplanten Reformen nicht zu einigen vermochten; mit dem Scheitern der ganzen Justizreform-Vorlage verschwand dann auch die geplante gesetzliche Regelung der Entschädigung unschuldig Verur theilter erneut in der parlamentarischen Versenkung. Darüber ob vielleicht in der kommenden Reichstags session eine Wiedereinbringung der Justiznovelle beab sichtigt ist, verlautet nicht das Geringste, es muß auch als höchst unwahrscheinlich bezeichnet werden, daß diese vor aussichtlich nur kurze Tagung des jetzigen Reichstages noch mit einer so wichtigen und so umfangreichen gesetz geberischen Materie belastet werden sollte. Ueberhaupt bleibt es zweifelhaft, ob im Laufe der nächsten Jahre eine Arartige Vorlage abermals an den Reichstag gelangt, da die Stimmung in den leitenden Berliner Kreisen den im Parlamente erhobenen Forderungen in den schwebenden speziellen Justizreformfragen gegenüber offenbar noch unmer keine entgegenkommendere geworden ist. Was in- deffen die Frage der Entschädigung unschuldig Verur theilter anbelangt, so walteten wenigstens hierin keines wegs so weitgreifende Meinungsverschiedenheit zwischen den gesetzgebenden Faktoren vor, es war daher erklärlich, daß mau an maßgebender Stelle auf den Gedanken gerieth, die bezüglichen Bestimmungen aus der nicht zu Staude gekommenen Justizreform-Vorlage herauszunehmen und sie in Form einer besonderen Vorlage dem Reichstage zu unterbreiten. Dieser Plan ist denn auch zur Ausführung gelangt, im Reichsjustizamte hat man einen Gesetzentwurf über die Entschädigung unschuldig Verurtheilter ausge arbeitet, und soll derselbe dem Reichstag alsbald nach seinem vermnthlich in der zweiten Novemberhälfte erfol genden Wiederzusammentritte vorgelegt werden. Ueber den Inhalt der genannten Vorlage ist aller dings noch nichts Näheres bekannt; es bleibt demnach ab zuwarten, was sie etwa von den auf die Entschädigung unschuldig Verurtheilter bezügliche» Negierungsvorschlägen, welche in der Justizvorlage niedergelegt waren, enthalt, und was inzwischen an neuen Gesichtspunkten vielleicht noch hinzugekommen ist. Jedenfalls wird man aber hoffen dürfen, daß die angekündigte Vorlage in ihren wesent lichsten Punkten den Erwartungen, welche feit langem allenthalben im deutschen Volke auf einen solchen humanen Akt ausgleichender Gercchtigkeitsliebe gesetzt werden, ent spricht, und daß eine endliche Verständigung zwischen den verbündeten Regierungen und der parlamentarischen Ver tretung der Nation in dieser Frage auch keine größeren Schwierigkeiten mehr stoßen wird. Wenn nun von manchen Seiten gegen die beabsichtigte Ausscheidung des die Entschädigung unschuldig Verurtheilter betreffenden Stoffes aus der schwebenden Gesammtreform unserer Strafrechtspflege und dessen gesonderte Einbringung im Reichstage Bedenken laut geworden sind, so können die selben nach Lage der Sache schwerlich Anspruch auf Be rücksichtigung erheben. Gewiß ist z. B. auch die Wieder einführung der Berufung gegen Strafkammerurtheile eine dringende und berechtigte Forderung. Aber es sind eben hierin, wie auch in anderen Punkten der einstweilen ge scheiterten Justizreformen, die Aussichten auf eine baldige Verständigung zwischen Regierung und Reichstag noch zu geringe, während auf eine solche in der Entschädiqungs- frage eher zu rechnen ist, man kann es also nur billigen, wenn jetzt wenigstens diese eine Reform der Justizpflege im Reiche ernstlichst in Angriff genommen werden soll. Schatten der Vergangenheit. Roman von E. Heinrichs. (Nachdruck verboten.) (Uebersetzunqsrecht Vorbehalten.) (Fortsetzung.) Die Gräfin lächelte höhnisch, doch war ihr Gesicht dabei krampfhaft verzerrt und wie im Fieber schauerte sie zusammen. Ihre Augen irrten an der Wand entlang, sie zählte, den sil bernen Handleuchter hochhaltend, einige Felder der kostbaren Gobelins, welche die Wände bedeckten und schritt hastig au eins derselhen zu. In einer Verschnörkelung barg sich ein goldener Knopf, ein Druck auf denselben und ein schmaler Theil der Wand, groß genug, um eine schlanke Gestalt durchzulassen, schob sich geräuschlos zur Seite über die andere hinweg. Als sie hindurchschlüpfen wollte, besann sie sich, daß sie die Thürcn zu schließen vergessen, und erst, als dieses geschehen, führte sie ihr Vorhaben aus. Sie befand sich in dem Rauchzimmer ihres Gemahls, das noch die deutlichen Spuren seiner kürzlichen Anwesenheit trug. Es war ihr, als spüre sie den feinen Zigarrenduft, und eine Anwandlung von Schwäche schien sie plötzlich übermannen zu wollen. — Wie? — Liebte sie diesen Mann, der ihr Herz mit Füßen getreten, sie verhöhnt, verrathen und beraubt hatte, wirklich noch immer? „Nein!" spach sie hart, „ich hasse ihn!" Sich mitdiesen Ausspruch wappnend, schritt sie zur Untersuchung des Raumes, doch zeigte sich auch hier keine Spur irgend einer Aufklärung. In dem daronstoßenden Ankleide-Cabinet fand sie nur zu deut» tiche Spuren seiner Flucht und zwar in der von dem Groom angegebenen Verkleidung. Jetzt hatte die sonst so kalte, herz lose Frau eine wirkliche Ohnmachts-Anwandlung. Laut auf- töhnend, den Leuchter hinsetzend, wie ein auf den Tod ver wundetes Thier sank sie in einen Sessel und schloß die Augen, vergebens gegen die furchtbare Schwäche ankämpfend. Endlich hatte sie dieselbe besiegt, wenn auch die Füße sie noch nicht zu tragen vermochten und dos Zittern sie noch nicht verlassen wollte. Ja, er war feig entflohen, irgend einem Verhängniß aus gewichen und hatte die Folgen ihr aufgebürdet. Dort hing ein Anzug, den er bei der Abreise getragen, Ueberzieher und oer Hut, alle« neu aus Berlin erst bezogen, sie hatte ihm heim lich nachgeblickt und sich gewundert, daß er bei dem kalten Herbstwetter, das schon winterlich wurde, seinen Reisemantel nicht mitgenommen hatte. Gewiß hatte er sich bei seinem klugen Kurt Rath holen wollen und dieser ihm zur Flucht gerathen. Die unglückliche Frau schritt jetzt langsam mit wankenden Knieen ins Schlafgemach uno blickte auch hier doch mit ge trübten Augen umher. Sie schüttelte wie geistesabwesend den Kopf, — das Bett schien kaum berührt zu sein — welche Auf- cegung mußte den blassirten Genußmenschen so plötzlich er- griffen haben! — e'E ungeheuren Willens-Anstrengung raffte die Grafen sich jetzt auf und blickte schärfer umher. Zusammen- z. nd sie hastig auf die Toilette zu, griff behend nach einem zusawmrngefalteten Papier und schlug es auseinander. Es enthielt einige flüchtige Zeilen von der Hand ihres Gemahls. Sie mußte das Papier ganz dicht ans Licht halten, weil es ihr vor den Augen dunkelte und die Buchstaben wie Jrr- lchter umhertonzten. Endlich gelang es ihr, den Blick zu estigen. Sie las: Meine theurc Josephine! — Ich muß Dich auf einige Zeit verlaffen, um einer unangenehmen Untersuchung des Ober-Vormundschafts-Gerichts bei dem mich irgend ein Schurke angrschwärzt Hot, auszuweichen. Verzeih, wenn ich Dir Aergel und Kummer bereite und laß meinen Kurt, den nicht der Schattten einer Schuld trifft, es nicht entgelten, was 'ch verbrochen. Um eins darfst Du ruhig sein, ich habe Dich nicht zur Bettlerin gemacht, Dein Vermögen, beziehungsweise die Zinsen desselben bleiben Dir unverkürzt. Da Du für Deinen entlaufenen Sohn doch niemals Liebe empfunden hast, und der ungerathene Bube auch sicherlich längst in fremder Erde modert, so wird der Verlust seines Erbes Dir sicherlich keinen Schmerz bereiten. Wenn Du Kurt adoptirst, würdest Du Dir einen dankbaren Sohn, auf den Du stolz sein könntest, erwerben, gieb ihm den Namen Rotenheim, dies ist die letzte Bitte Deines unglücklichen Gatten Udo v. Hallenberg. ll. 8. Zeige den obervormundschaftlichen Gästen diese Zeilen nicht." Die Gräfin mußte sie zweimal durchlesen, bevor sie den Inhalt ganz zu fassen vermochte. Dann stieß sie ein heisere« Gelächter aus, das schauerlich durch den stillen Raum klang, ballte das Papier zusammen und ließ es dann an der Kerze zu Asche werden. „So vernichte ich Dein Gedächtniß!" sprach sie leise, richtete sich stolz auf und kehrte, alle Thüren hinter sich ver schließend, in ihr Zimmer zurück. Nach einer Weile ließen sich die beiden Beamten der Ober-Vormundschaft, denen sie im Speisezimmer ein Diner hatte servilen lassen, bei ihr melden. Sie ließ sie eintreten. „Wir hören soeben von der Dienerschaft," begann der Wortführer, „daß der Herr Baron allerdings heimgekehrt, je doch beim Parke ausgestiegen und seitdem nicht mehr gesehen worden ist. Können Frau Baronin uns etwas Näheres darüber mittheilen?"