Volltext Seite (XML)
MdmfferTageblatt Nationale Tageszeitung für die Landwirtschaft, Nr. 125 — 91. Jahrgang Wilsdruff Dresden Telezi.-Adr,: „Amtsblatt" Poslicheck: Dresden 2640 Dienstag, den 31. Mai 1932 ddruffei Tageblatt- erlcheini an allen Werktagen nachn ittagc s Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— AW. bei Pobbeftcllung 1,80 AW. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 1V Aplg. Alle Postanstallen, Post- ooien und untere Aus. ar>r» er ,» träger und Eejchästsstellen nehmen zu jeder Aei, B-. Wochenblatt für Wilsdruff u. Umgegend st-llung-n entgegen, Sherer Gewalt, " Krieg oder sonstiger Be- vneosstörungen besteht kein Anspruch aus Lieferung der Leitung oder Kürzung des Bezugspreises. — Rücksendung eingesandter Schriftstücke erfolgt nur, wenn Porto bewegt. Z für Bürgertum, Beamte, Angestellte u. Arbeiter werden nach Möglichkei, Fernsprecher: Amt WilsdrnK k w«eund stlatznorjülisten nnnahmeblsvoim.ioUhr. — ' "Ult «.'ltSorUsl y beiüchstchilgi. Anzeicen. burch «ernru, -»mii^^.i,^ Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Melken des Amts- genchts und des Stadtrats zu Wilsdruff, des Forftrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt. NO dm MM Brünings Sturz. die Meinungsverschiedenheiten zwischen Reichspräsident und Reichskanzler. Die Politiker, die prophezeiten, daß diese Woche eine Woche großer politischer Entscheidungen sek» würde, haben recht behalten. Reichskanzler Dr Brüning hat am Wochen- »»fang mit dem Gcsamtkabinctt dem Reichspräsidenten den Rücktritt angeboten, der von Hindenburg auch sofort Angenommen wurde. Der Reichspräsident hat das derzeitige Kabinett ge beten, die Geschäfte bis auf weiteres fortzuführen. Er wird tunächst versuchen, auf dem üblichen parlamentarischen Wege die Neubildung der Regierung vorzunehmcn. Er hat zuerst den Reichstagspräsidcnten Löbe, dann an schließend die Fraktionsführcr der verschiedenen Parteien in der Reihenfolge ihrer Fraktionsstärke empfangen. Reichskanzler Dr. Brüning hat gebeten, ihm möglichst bald einen längeren Urlaub zu bewilligen, da er in die Erörterungen um die künftige Kabinettsbildung nicht hin- eingczogen werden möchte. Ob es dem Reichspräsidenten von Hindenburg ge lingen wird, auf parlamentarischer Grundlage, wie es zunächst sein Wunsch ist, eine neue Reichsregierung bilden zu lassen, wird in politischen Kreisen allerdings stark bezweifelt. Sollte die neue Reichsregierung nicht aus parlamentarischer Grundlage zustande kommen, so wird der Reichspräsident an die Spitze der neuen Reichsregierung einen Mann berufen, der sein persönliches besonderes Vertrauen genießt. In diesem Zusammenhänge wird der Name des Herrn v. Gayl genannt, der der Vertreter Ostpreußens im Rcichsrat ist, ferner Herr v. Brandes, der rm Präsi dium des Reichslandbundes sitzt, weiter Landrat a. D. v d Osten, der Reichskommissar Dr. Goerdeler, der ehemalige Reichswchrminister Dr. Geßler. Weiter auch Landrat Dr. Gerecle, der an der Spitze des Hindenburg-Ausschusses bei der letzten Reichspräsidenten wahl stand. der RWrkgikkW geplanten Notverordnungen durchzusetzen und ferner die Gewähr dafür zu erhalten, daß er auch nach der Konfe renz von Lausanne im Amte bleiben würde, und schließlich eine besondere Vertrauenskundgebung durch den Reichspräsidenten zu erhalten, die er besonders kür die Konferenz von Lausanne füx notwendig Das zurückgetretene Oden, von links: Reichsinnen- und provisorischer Reichswehr- Minister Groener — Dietrich (FinanWinister) — Dr. Brüning (Reichskanzler und Außenminister) — Dr. Ivel (Iustizminister) — Dr. Stegerwald (Arbeitsminister) — unten , von links: Schiele (Minister für Ernährung und Land ¬ hielt. Brüning wollte also, um seine Wünsche aus einen kurzen Nenner zu bringen, vom Reichspräsidenten einen Wechsel auf lange Sicht für seine Politik unterschrieben haben. Dazu glaubte Reichspräsident v. Hindenburg nicht in der Lage zu sein. Wie es heißt, wird die von der Regierung Brüning vorbereitete Notverordnung, die zur Deckung des Etats und zur weiteren Sicherung der Arbeitslosenhilfe oienen sollte, von dem jetzigen geschäftsführenden Kabinett dem Reichspräsidenten nicht mehr unterbreitet «erden, zumal sich ja gerade über ihren Inhalt die Differenzen entspannen haben, die in erster Linie de» Anlaß zum Rücktritt des Kabinetts boten. Kabinett Brüning. Wirtschaft) — Staatssekretär T r e n d e l e n b u r g (beauftragt mit der Leitung des Wirtschastsministeriums) — Trevira- nu s (Verkehrsminister) — Dr. Schätzel (Reichspostmimster) — Schlange-Schöningen (Minister ohne Porteseuille, I Reichskommissar für Osthilfe und Siedlungswesen). Wie es zum Sturz kam. Dem Rücktritt der Reichsregierung gingen zwei Unterredungen voraus, die Reichskanzler Dr. Brüning am Sonntag und Montag mit dem Reichspräsidenten hatte Es war schon ausgefallen, daß der Empfang Dr. Brünings durch den Reichspräsidenten am Sonntag nur sehr kurz bemessen war. Schon bei diesem Empfang dürften die starken Meinungsverschieden heit e n, die zwischen dem Reichskanzler und dem Reichs- Präsidenten über die künftige Führung der Politik be stehen, zutage getreten sein. Dr. Brüning hat dann, be vor er am Montag zum Reichspräsidenten ging, nochmals das Reichs kabinett zusammenberufen, um seme Ministerkollegen über die Auffassung des Reichsprasi- denten zu unterrichten, wie sie sich aus der Unterredung des vorhergehenden Tages ergeben hatten. Ein großer Teil der Kabinettsmitglieder soll sich dabei mit dem Kanzler solidarisch erklärt haben. Da auch beim zweiten Empfang leine Einigung zwischen Reichspräsident und Reichskanzler zu erzielen war, hat dieser dann dem Reichspräsidenten die De- Mission des Kabinetts angeboten, die auch sofort angenommen worden ist. Natürlich werden in politischen Kreisen zahlreiche Gerüchte und Nachrichten verbreitet, die Einzel heiten über die Meinungsverschiedenheiten zwischen Hindenburg und Brüning wiedergeben. Es wird u. a. behauptet, daß Reichskanzler Dr. Brüning in Neudeck mehrfach hat anfragen lassen, ob er nicht zur Bericht erstattung über die geplanten Notverordnungen und über die geplanten Veränderungen im Kabinett nach Ostpreußen kommen sollte, und daß diese Anfragen stets in vern e.inen dem Sinne beantwortet worden sickd. Wie es weiter heißt, soll Reichspräsident v. Hinden burg an Dr. Brüning drei Forderungen gestellt haben, von deren Erfüllung er das Weiterverblekben Brünings im Amte abhängig machen wollte. Der Wille des Reichspräsidenten soll dahin gegangen sein: 1. daß die Regierung Brüning aus die vorbereiteten neuen Notverordnungen verzichte; 2. daß der Kanzler im Kabinett leine personellen Veränderungen vornehme; 3. daß eine KurSdrchung nach rechts vorgenommen werde. Dr. Brüning glaubte nicht, diesen Forderungen nach- aeben zu können. Worauf es ihm ankam, war, seine neuen Was die Presse sagt. Die politische Öffentlichkeit ist bemüht, die Hinter gründe aufzudeckcn, die zu dem Rücktritt der Reichs regierung geführt haben. Naturgemäß legen sich auch alle politisch interessierten Kreise sie Frage vor, was jetzt nach dem Sturz Brünings kommen wird. Der sozialdemokratische Vorwärts, der die Politik des Kabinetts Brüning im wesentlichen eine Politik der Aushilfen nennt, meint, daß der Weg, der jetzt betreten werde, in Zustände hineinführe, die mit der Verfassung kaum noch zu decken seien. Das demokratische Berliner Tsoeblatt betont, daß nach dem Rücktritt der NeichsRAerung offen ausgesprochen werden müsse, daß nunmehr das „System" gestürzt sei. Das, was jetzt beginne, sei in immer ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Welche Lösung man auch wählen werde, Brünings Rück tritt wäre eine sichtbare Zäsur in der deutschen Politik. Die der Staatspartei nahestehende Vosstsche Zeitung ist der Meinung, daß bei der Trennung des Reichsprä sidenten von seinem Kanzler entscheidend die Frage der Osthilfe mitgesprochen habe. Der interessierte Groß- grundbesitz habe seine politischen Gefolgsleute noch einmal gesammelt, um die im Entwurf fertiggestellte „Notverordnung des Reichspräsidenten über die Förde- rung der landwirtschaftlichen Siedlung" zu einer prinzi piellen Entscheidung über die zukünftige Agrarpolitik zu machen. Gleichzeitig werde der Kampf geführt gegen einen angeblich „sozialistischen Anschlag" des Neichs- arbeits Ministeriums, das die nicht mehr sanierungsfähigen Großbetriebe des Ostens der Siedlung zuführen wolle. Brüning sei nicht nur darum gefallen, weil er nicht der Kanzler einer nationalsozia listisch stark besetzten Regierung sein wolle, sondern er sei eher den ostelbischen Großgrundbesitzern zum Opfer gefalley, denen kein Zoll hoch genug und keine Subvention aus dem Osthilfefonds ausreichend genug gewesen sei. Die rechtsstehende Deutsche Allgemeine Zeitung, die sich in letzter Zeit mit besonderer Wärme für erne Be teiligung der Nationalsozialisten an der Reichsregierung und in Preußen eingesetzt hat, vertritt die Ansicht, daß der Rücktritt Dr. Brünings erfolgt sei, weil fett dem politisch unglaublich kurzsichtigen Verbot der SA. - Abteilungen eine Spannung zwischen Regierung und Reichspräsidenten bestand, die gelöst werden mußte, über die neue Notverordnung, die das Kabinett vorgelegt habe, stellten sich grundlegende Meinungsverschiedenheiten ein; die Wünsche des Reichspräsidenten hinsichtlich der Kabinettsumbildung gingen weiter, als Dr. Brüning sie zu erfüllen geneigt war. Der Nachfolger, wer er immer sein mag, übernehme eine schwere Last. Das Blatt meint, daß die Rückkehr Dr. Brünings in die Ver antwortung in dieser oder jener Form nur eine Frage der Zeit sei. Die Ausnutzung des Kapitals an Vertrauen, das er im Ausland erworben habe, sei eine politische Not wendigkeit für Volk und Land. — Der bürgerliche Berliner Lokal-Anzeiger erwartet, daß insbesondere der Führer der Deutsch nationalen und der Führer der Nationalsozia listen den Reichspräsidenten über die wirkliche Lage völlig aufklären werden und daß damit die Aussichten für die Möglichkeit einer „Zwischenlösung" erschüttert würden. Das Blatt weist weiter darauf hin, daß ein Reichskanzler, der etwa seine Tätigkeit mit der Auf lösung des Reichstages beginnen müßte, in Lau sanne, falls es überhaupt zur Konferenz am 6. Juni kommen sollte, nicht über die für die dortigen Aufgaben notwendige Autorität verfügen würde. Das Zentrums- organ, die Germania, ist auffallend zurückhaltend. Es weist nur kurz daraus hin, daß der Rücktritt des Kabinetts Brüning eine grund- legende politische Entscheidung von größter Tragweite für vie weitere Entwicklung der deutschen Politik bringe und geeignet sei, im In- und Auslande größtes Aufsehen zu erregen. Die agrarisch eingestellte Deutsche Tageszeitung hofft, daß nach dem Rücktritt der Reichsreglerung Mil lionen von Menschen in Deutschland, vor allen Dingen die Kreise der Landwirtschaft mit neuer Hoffnung erfüllt werden. „Wir können", so schreibt das Blatt wört lich, „nicht nachdrücklich genug wünschen, daß diesen Hoff nungen Verwirklichung beschieden sei, denn hinter ihnen stehen drängendste Forderungen ideeller und materieller Art, Notwendigkeiten ebensowohl des nationalen Wollens wie der wirtschaftlichen Existenz."