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Donnerstag, 86. Oktober Ivll üiM ^000 nhlnst Amnsti Nr. TSV. Sechster Jahrgang. 5luer Tageblatt und Anzeiger für das Erzgebirge 0«kantw»vlich»r Redakt«u« - srltz Ar»d»l«l. dl« Inserat« verantwortlich, Mal»«« klrari» v«id« tn Au, i. Lrz-«d. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Lluer Sonnlagsblatt. Spnchstund« der Redaktion mit Au-nahme der Sonntag» nachmittag, von 4—» Uhr. — Telegramm-Kdreffer Lageblatt Nueerzgeo.cge Fernftr-chrr as. Für unverlangt eingesandt« Manuskript« kann Gewähr nicht geleistet werden. vnuk «ad vertag Ha«, Vkvclt- a.v«eIsg»-S«««U»<U»e» m. b. ff. in Aue i. Lrzgeb. Bezugspreis: Durch unser« Boten frei in, Hau, monatlich »o 0fg. Lei der Geschäftsstelle abgeboltmonatlichoo pfg. und wächentlich >o ptg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich >.»o INk., monatlich so pfg.— Durch den Briefträger frei in, Hau, vierteljährlich ,.gr Mk„ monatlich pfg. — Linzelne Nummer tO pfg. — Deutsch« postzeitungrkatalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit klu»nahme von Sonn» und Feiertagen. Insertion,preis: Vie siebengespaltene Korpuszeile oder deren Raum für Inserate au» Rue und den Ortschaften de> Amtshauptmannschast Schwarzenberg >o pfg., sonst Pfg. Reklamepetitzeil« r» pfg. Bei gräßeren Abschlüssen ent- tzrrechender Rabatt. Annahme von Anzeigen bi, spatesten» -'/> Uhr vormittag,. Für Aufnahme von «räßeren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn fie am Lag« vorher bei un» ringehen. vltft vl»tk »k«ß« , gtttt. La- Wichtigste vom Lage. König Friedrich August unternahm gestern eine Land re t s e »m Bez»! derAmt»hauptmannschaftPirna. tztz Auf Veranlassung des sächsischen Justtzministe- > tum» weiden jttzt für die zur Ausbildung den Ge richten übtiwlrsenen jüngeren Juristen Be triebsbesichtigungen etngeführt. O Der Tag der R e i ch r t a g » n e u w ahle n tstder 12. Januars der Termin für die Suflösungde» Reich »tagI hängt vom Gange der parlamentarischenArbeitenab. von italienischer Seite wird jetzt , ug«geben, daß zahireicheAraberan dem jüngsten Gefecht bei Tripoli« auf türkischer Seite teilgenommen haben. Sechs chinesisch« Proviuzialhanptstädte find jetzt in der Gewalt der Aufständischen. Das Kougoü-ereiukommeu. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, ist da, diplomatische Werk, an dem di« Herren von Kiderlen-Wächter und Tambon nach der Fertigstellung des Marokkovertrages gearbeitet haben, nunmehr fertig bis auf den Segen der französischen Regierung, der jeden Tag erwartet wird. Sollte «r vorerst noch an die eine oder andere Bedingung geknüpft werden, so wird man noch einmal hin- und herreden, jedoch goird um den ersten November herum der Kongovertrag abgeschlossen sein und dann gleich mit dem Marok- kovertrag unterzeichnet werden. Wie bei dem bisherigen Ver lauf der Verhandlungen, so geigt sich auch unmittelbar vor ihrem Abschluß die Pariser Regierung trotz ihrem Schwetgegelöbnis mitteilsam, und so hat man denn jetzt die Umrisse de- Kongoüber. einkommens aus dem der dortigen Regierung nahestehenden Temps erfahren. Danach erhalten wir die Cori» co - Bucht am Ozean und einen Streifen des Hinterlandes bi« zum Sanga und die beiden Ufer dieses Flusses bi» zu dessen Einmündung in den Kon go. Dafür müssen wir aber die Spitze de»Ente «. schnapel» opfern, di« über den Logoneflutz hinausgeht und außeidem einen Teil de« Hinterlcknde » von Togo. Das wären freilich umso schwerere Opfer, al» der Zugang zum Kongo durch sumpfige» Land führt, da» von der Schlafkrankheit heim- gesucht ist, und al» Togo eine unserer besten und zukunftsreich- sten Kolonien ist. Etwa 10 000 Quadratkilometer von Togo sol. len abgetreten werden, während die GHamtgröße dieser Kolonie aus 87 200 Quadratkilometer berechnet wird. Den Zugang zum Tschadsee behalten wir, die un» verbleibende Nordostecke de« Käme- runhinterlande» wird auch nach der Abtrennung de» von den Franzosen verlangten Streifens zwischen dem Logone und Schari noch die Gestalt eine» Schnabel« ausweisen. In welcher Form der Reichstag mit dem gesamten MarvNo- abkommen besaht werden wird, dürfte ausschließlich von dem In. halt de» Abkommens abhängen. Sind Geldausgaben erforderlich, etwa zur Ablösung der im Kongogebiet aus lange Jahre htnau» konzessionierten französischen Monopolgesellschaften, so muß die Zustimmung de» Reichstage» unter allen Umständen eingeholt werden. Sonst ist di« Zustimmung de» Reichstage» nur erforder. ltch, wenn der Artikel ä der Reichsverfassung durch den Marokko vertrag berührt wird, was aber nicht anzunchMen ist. Jedenfalls wird es im Reichstage über den Vertrag, der ihm mindesten» zur Kenntnisnahme vorgelgt werden muß, zu umfangreichen Debat ten kommen Der Reichstag hat leider verfassungsmäßig keine Mittel in der Hand, di« .Veräußerung von jKoloirtalland zu ver hindern. Gr sollt« di» jetzige Gelegenheit benutzen, um sich dies Recht zu sichern. EinAntrag dazu soll auch bereit» vorLe. reitet sein. Wäre der Leiter de» Reichskolonialamte« Herr von Lindequist zu den diplomatischen Verhandlungen eingeladen worden, so hätte er gewiß gegen die Preisgabe deutschen Kolo niallandes sich mit allen Kräften gewehrt. , Nationalliberalen Antrag im Seniorenlomxnt. Wie verlautet, brachte ein Vertreter der Nattonalliberalen im Eeniorenkonvent den Antrag ein, die Stimme des Reichstag» sollte vor der Abtretung und vor dem Erwerb von Kolonial gebiet und vor dem Abschluß de» Marokkovertrags Noch gehört werden. Die Anregung war angeblich so gedacht, daß sie als gemeinsa'mer Antrag aller Parteien im Plenum eingebracht werden sollte. Sie wurde aber abgelehnt. Äm welchen Parteien fie zu Fall gebracht worden ist, wird un» nicht berichtet, doch liegt die Vermutung nahe, daß z. B. die Konservativen ihre Zustimmung dem Antrag versagt haben. Der dritte La- der TeuerrmgSdedatte. (197. Sitzung de» Reich»ftV »o» «. OktWeL) X Recht träge flössen auch gestern im allgemeinen die Teue- rungsdebatten dahin, von der großen Erregung der Parteien, di« man erwartet hatte, nicht» zu spüren. E, dauert ziemlich lange, ehe man begann, da» übliche akademisch« Viertel wutde um «tn weitere» Viertel überschritten, ein Zeichen, daß hinter den Ku lissen etwa» »orging. Der Eeniorenkonvent tagt« noch, den Beraiungpstoff zu ordnen, und bald verbreitet sich auch in den Wandelgängen die Nachricht, daß die Regierung offiziell Mit teilung davon habe machen lassen, al» Termin für die Reich»tag»- wahlen sei der 12. Januar in Aussicht genommen, ein« Mit teilung, die bei ihrer Wichtigkeit bei dem Wahlkampf lebhaft erörtert wurde. Man vergaß darüber in den Sitzungssaal zu kommen, wo derweilen Kolonialrechnungssachen be sprochen wurden, für die e» einige Spezialisten gibt, und ko führt« denn «in seltsame» Trifolium da» Wort, di« Herren Erzberger (Zentrum), Goerke von den NattonaMbevalen und der sächsisch« Genosse Nosk«. Dann ging man zurTeu«r«ng»deLait, Uber, die durch den Grafen Kanitz eröffnet wurde, dessen Rede man schon längst «rwgrtet hatte. Er polemisiert« im wesentlichen gegen die Linke und legt di» Notweitdigkett von den Eetreidezöllen für di« Landwirtschaft dar. Der Staatssekretär des Reichsamtes de» Innern, Delbrück, befaßt sich nach ihm besonder« mit der Frage der Fleischeinfuhr und kommt hierbei zu einem runden Nein, au» Gründen der Veterinärpolizei; auch von der Einfuhr argentinischen Fleische», di« in anderen Ländern zum Teil mit, zum Teil ohne Erfolg versucht worden ist, will man in der Retchsregierung nicht» wissen. Nach dem Staat», sekretär noch ein Minister, der Lenker der preußischen Eisenbah nen, Herr Breiten Lach, dem e» Vorbehalten wurde, sich zur Tariffrage zu äußern. Dann rückte der große Eüdekum mit einer Dauerred« an, in der^r gegen di« Haltung d«r Regierung polemisiert und die jüngste Reichskanzlerrede zu zersplittern sucht«. Staatssekretär Delbrück tritt für den abwesenden Ehef ein, dem Südokum Brutalität vovgswovsen hatte. Dieser ergreift nochmal» das Wort und zieht sich auch noch «inen Ordnungsruf zu. Damit war um 7^ Uhr die Sitzung zu Ende, die heutig« soll bereits um 12 Uhr beginnen. Di« Disposition«» du» Reichstag». Der Eeniorenkonvent de» Reichstage» trat am Mittwoch vor Beginn de» Plenum» zu einer Sitzung zusammen. Man einigte Das letzte Gel». Skizze von Rudolf vovveuhufen. (Nachdruck »«boten) Eine Mark — zwanzig — fünfzig — siebzig . . . Frau Ma- linke zählte schon zum -weiten Male den Inhalt ihre» alten, abgegriffenen Portemonat» — aber «» wurde nicht mehr . . . einssiebzig. Davon mußte man noch vier Tage leben, und Bri- kett» mußten gekauft werden — denn e» gab schon empfindlich kalte Tage — und Kartoffeln vor allem, Kartoffeln, die tn die sem Jahr so teuer sind, daß sie einem richtig in den Korb gezählt werden. Einssiebzrg . . . und e» waren noch drei Schal» fertig zumachen, bis man wieder liefern kqnnt«. Da» heißt — der eine war ja bald so weit, und wenn man sich daranhielt... Frau Malinke ging mit doppeltem Eifer an die Atbeth. Sie nähte Pailletten auf Seide, winzige, schwarze Fltmmerschetbchen, deren Glitzern wie Nadeln tn die Augen stach. Und nun gar, wenn die Sonne daraufprallte, wie eben jetzt — diese merkwürdige Ber. ltner Spätherbstsonne, die keine Wärm» hat, dafür aber einen um so helleren blendenden Glast. Die Sonn» hatte den seit Tagen wie grauer Chiffon Wer dem Häusermeer lagernden Nebel durchbrochen «nd ergoß sich nun auch tn Frau Malinke» Stübchen. Flimmernde, von den scharsgezogenen Schatten der Scheibenumrahmung gevierteilt« Lichtflecken legten sich in da» schmal» Simmerchen, vergoldeten den alten, »linden Schrank, di« Fransende«, de» Bett« «nd klet- terten sogar bi» zur Hälft« der graublau getünchten Hinteren Wand empor, an die sich noch «tn kleiner«, schmal« vettchen drückte. Fra« Malinke hatte di» Hand an die schmerzhaft ge blendeten Augen gedrückt. St, mußt« sü, «inen Moment mit der Arhett aussetzen — den» wenn sie da» Stechen In den Augen- winkeln nicht beachtet», dann begannen die Augen zu tränen, »Nd da» bedeutet» den Verlust einer ganzen kostbaren Atbeittstund«. Le« Kassenarzt hatte -«sagt, st» müßt» tn solchem Fall» recht wett «nd möglichst tn belaubt« grün« värlme sehen. Aber man siHt nicht «eit au» etnmn Hoff«»», der Naunhnstraß» tm vier ten Stock, wer da «ett sehen will, muß schon »um Himmel auf- schauen — tn da» vtemcktge Stückchen Unendlichkeit, da» Wer den Dachfirsten und Schornsteinen sich öffnet. Und Bämna wachsen in dielen Himmel nicht btnetn. ste der Fra« Maurer- -ar in die Hand —? ste «M da» Geld für etngehemdelt. Frau Malinke legte den schimmernden Atlas, der an den braunen zerstochenen Fingerspitzen festhakte, auf den Ti'ch und erhob sich, um die sauberen Schirtinggardinen am Fenster zuzu ziehen. Aber es war, als konnte sie e» nicht gleich übers Herz bringen, die Sonne zu bannen. Ihr Licht hatte so etwas Er mutigende» und Tröstliches — vielleicht brauchte man noch gar nicht Brikett» zu kaufen von den einsstebzig . . . Mik den ent. zündeten Augen zwinkernd, öffnete Frau Malinke für «inen Mo- ment beide Fensterflügel — und mächtiger noch flutete die Sonne herein und mit ihr die Lebensgeräusche eines winzigen Eckchens der Großstadtwelt. Aus den Fenstern seitwärts und gegenüber klang lachende» Sprechen, auch Schelten und Husten und da» Klappern von Töpfen, Tellern und Herdringen. Dazwischen ratterten drei, vier Nähmaschinen den dumpfen Grundton un- Mässigen Ringen« um da» tägliche Brot Unten auf dem Hofe jauchzten, johlten und lärmten die Kinder. Frau Malinke Mitt der Jubel in» Herz. Ei« mochte gar nicht htnuntersehen. Da« war wie alle Tage. Die anderen spielten Und tobten, und ihr Junge, der schon 10 Jahre war, mit seinen schwachen Beinchen aber und dem schmalen, großäugigen Leiden»gesicht kaum ein sechs jähriger schien —, ihr Junge saß auf der untersten Stufe der Stetntreppe, die vom Flur tn den Hof führte, in der Rechten den alten und doch noch fast neuen GummtVall, nur mit den stillen, altklugen Augen dem Spiel der Kinder folgend. E» forderte ihn auch kein» mehr auf zum Mtspielen. Nur hier und da letzt« sich «tn klein« Mädchen nu ihm, um den Kranken zu bemuttern. E, schob ihm da» Mützchen -urecht oder schürzte den llnterrock auf, um ihm diu Ras» »u putzen. Dann ab« stürzt« « sich mit roten Wangen und lachenden Augen wieder in den Strudel übermütiger, tobender Gesundheit. Und nun gar, wo di« Som, an den stockigen Hausmauern entlang fast bi» tn den Hof taucht«. Frau Malinke mußt» die schmerzenden Augen abwenden — und »Len wollt« sie da» Fester schließen, al» der Jubel tm Hof plötzlich sich zu indianischen Freudenausbrüchen steigerte. Dann «tn einzelner jauchzender Schrei — »nd tn demselben Moment ein Hmttern und Klirren von Glasscherben. Für «inen Augen, »lick wurde « muck»stiL. Neugierig« Köpf» «Sten sich aus den Fenstern — ein -in und Her von Rufen «nd Fragen. Al» auch Frau MaNnL» in den Hof -inavschaut«, wurde i« ersten Stock unten ein Fenster «öffnet- Unter «terUdmn Schelt« fragt« Frau Maurermeister Grummach nach dem llebeltäter, der ihr die Scheibe eing«worfen. Und es klang nicht angeberisch, sondern fast wie «in Triumphgeschrei, als die ganze kleine Gesellschaft, Jungens und Mädel« durcheinander, sich in der Antwort über: bot,: Da, war Malinken» Fungel Der Malinken ihrer! Mape Malinke! iE» fehlte nur noch da» Hurra! und Koch soll er leben! Die Frau eilte die Treppen hinab, so schnell die Füße sie tragen mochten. Mit einem unterdrückten Jauchzen stürzte sie auf ihr Kind zu, das mit geröteten Wangen und Hellen, etwa» erschrockenen Augen inmitten der anderen stand. Sag', Jung« — warst du'» wirklich? rief sie, indem fie sich niederbeugte und den kleinen Kerl mit beiden Armen umfing. Der Klein« mochte wohl merken, daß ihm nicht« Böse» drohte. Gr lehnte dt« Wange, in der es gegen sonst überraschend warm pulsierte, an die der Mutter und nickte. Nein, sag' mir'» — hast du da» wirklich gemacht? War « nicht doch vielleicht ein anderer? Der Fritz vielleicht oder der -eine? Di« Letden Genannten wiesen den Verdacht lebhaft von sich. Na nu wird'» Tach! mault« Fritz Kliemsch, «in kleiner, flachsblonder Strolch von acht Jahren, in dem er di« schmutzigen Fäuste ordentlich mit einem Ruck in dt« Hosentaschen Mb. Men» soll ick immer jeoxsen sind — wo ick nich mal 'n Ball hab'! Frau Malinke achtet« Nicht auf ihn. Mit leuchtenden Augen lauschte sie dem zaghaften GestSndnt» ihre» Sohne», nach dem wahr und wahrhaftig er «» gewesen, der di« Scheibe mit seinem Ball -erketlt. Gr würde «» ganz gewiß nicht wieder tun — und er könnt, eigentlich auch nicht» dafür — er fei mit einem Mal» so lustig a,worden, wte dt» Sonne auf den Hof gekommen: er hab« mit den Kindern gespielt, und rot» er da» Fenster gesehen, da» in der Sonn, wie »tn große» blanke» Stück Gold sich au»- aenommen, da hab» «ihn in den Fingern gektibbett — und s» sei « gekommen ... Zmn nicht geringen «Fremden der kleinen Gefellschaft, di« für Magen mindesten» -wei Knallschoten befürch tet hatte, küßte Frau Malinke ihren Jungen, bi» er sich ungedul- dtg von ihr lovsttampelt«. Dann bezahlt» ste der Fra» Maurer- meister Grün mit einem so den ganzen