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Adorker Wochenblatt. Mittheiltingen über örtliche und vaterländische Angelegenheiten. Zehnter Jahrgang. Preis für den Jahrgang bei Bestellung von der Post: I Thaler, bei Bestellung des Blattes durch Bctengclegenheit: 20 Neugroschen. — ' ' , Erscheint geben Mittwoch. 16. April 18^0. Ans Vr Wirth s Schriften?'O Freiheit der Rede und Schrift. Was im 16. Jahrhunderte der Ablaß war, ist im 19. die Censur; jene Erfindung stellte die Hie rarchie über die Gottheit, dieses Institut dagegen die Staatsgewalt über die Weltordnung. Der Ablaß tödtcte die Religiosität, die wirkliche Tugend, indem er Gcldvpfer für sittlich gute Thaten forderte; die Censur tüdtet die wahre Wissenschaftlichkeit, indem sie das geistige Streben dem Leben und dem Völke ent fremdet, von praktischen Staatsfragen auf unfruchtbare Schulsätze ableitet und in seinem freien Aufschwünge lahmt und verkümmert. Noch mebr, die Religiosität unserer Zeit ist der Kultus der Tugend, der Vater landsliebe, der Freiheit, des zur That gewordenen göttlichen Funkens, der den innern Menschen vergei stigt und veredelt, zur Anschauung und Erfassung der Weltordnung erhebt und als unsterbliches Wesen zum selbstständigen Einwirkcn in die Zwecke der leitenden Ordnung der Dinge bestimmt. Sowie der Ablaß die Religiosität im 16. Jahrhunderte erstickte, ebenso be wirkt dieß die Censur im 19. Jahrhunderte, indem sie alle höheren Ideen der fortschreitenden Bildung be kämpft, und dem Hciligthum unserer Zeit, dem Kultus der Freiheit und Vaterlandsliebe, der Bürgertugcnd und der geistigen Unabhängigkeit vernichtend in den W-'g tritt. Dc^ Ablaß war das Mittel, die Schwel gerei der kirchlichen Aristokratie zu fördern, und den Luxus derfelbens deiü'Elende des Volkes gegenüber, bis zum äussersten llbcrmaaße zu steigern: die Censur hindert die Kontrole der Staatsgewalt und die Erör terung der durchgreifenden Maaßregeln, wodurch die —" 9 Zugleich al« Beilage eines nächstens folgenden Aufsatzes: ve. ijZirlh's Kamps mit der Eensur» Staatklasten vermindert, den Bedrängnissen der nie der» Klassen gesteuert und die bürgerliche und geistige Selbstständigkeit derselben gefördert werden könnte. Indessen eine noch weit traurigere Wirkung, als die materielle Verarmung der Massen, brachte der Ablaß durch die geistige Verarmung derselben hervor, durch die Lähmung der Geistesfreihcit, Nährung des Aber glaubens und der stumpfsinnigen Unterwürfigkeit, be gleitet, wie immer, von Frivolität und Sictenverderb- niß. Auch die Censur wirkt auf Vermehrung d« Geistesarmulh, auf Verkümmerung der inn rn Selbst ständigkeit des Menschen hin, auch sie nährt den Stumpfsinn und gefährdet die Reinheit der öffentlichen Sillen. Abstellung des Ablasses war im 16. Jahr hundert die unabweisliche Bedingung einer weitern geistigen Entwicklung des Menschengeschlechts, Abstel- lung der Censur ist diese Bedingung im 19. Jahr hundert, ist insbesondere die Bedingung der künftigen Lebens-Existenz Deutschlands. Wir haben ohne diese Reform keine geistige Zukunft mehr. Aus der Ver weigerung der Entfernung des Ablasses entstanden tief gehende Reformen der Kirche, an die Anfangs bei der Bille um Beseitigung jenes Krcbsübels Nie mand gedacht hatte; auch aus der Verweigerung der Entfernung der Censur werden lief gehende Staaks- reformen entspringen, an die bei dem ersten Begehren der Preßfreiheit Niemand gedacht hatte, noch glauben wollte. Es gab sogar Monarchen, welche die Freiheit der Erörterung liebten und mit jeder starken Regierung für vereinbar erklärten. Friedrich ll. trat im vvsjgcn Jahrhundert mit solchen Grundsätzen die Regierung an und es scheint nicht, Laß er Geringeres geleistet, daß er schwächer, oder ohnmächtiger war, als die Dnnastcn, welche sich auf die Censur stützen. Noch größere Kraft gewährt jedoch die Freiheit der Erörte rung dem auf Bvlksthum und. Nationalität gegründe ten Staate: sie ist sein Licht und seine Wärme, also