Volltext Seite (XML)
Freitag, 3. April 1914. S. Jahrgang. Nr. rr. /luer Tageblatt MW Anzeiger für öas erzgebirge NsKLZD mit -er wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: /wer Sonntagsblaü. Gpmchswn»» «e-akNen «It Hnsnahm« s», SemNagi aachmlNag» 4—s Uh». — ckelegramm-si-r-ll» I Tognina ftuemzgettez«. ßemsheeche« «. "',«,«1 -ür unverlangt ringefan-t» Manuftrlpt» kann D»»ähr nicht geleistet werden. Dies« Nummer »»saht 8 Seiten. Das Wichtigste vom Tage. Der Bruder des Kaiser», Prinz Heinrich von Preußen, ist mit seiner Gemahlin in Santiago de Chile eingetroffea und von der Bevüllerung feierlich empfangen worden. Besonder» unter den zahlreichen deutschen Ansiedlern, die in der Nütze de» Lago Llanquthue und in Osomo wohnen, herrscht große Begeistert»»«. Vie Reform der RetchSratSkammer, die die Liberalen beantragt hatten, ist von der bayrischen Abgeordnetenkammer mit großer Majoritüt abge lehnt worden. « Dürst Wilhelm von Albanien — gegen den sich übrigens nach unkontrollierbaren Gerüchten eine Aufstands bewegung vorbereiten soll — hat den holländischen Obersten Thomson von seine» Mission in Südalba- nie» zurLckgerufen. * Vor bekannt« deutsch« Dichter Paul Hehse ist am Mittwoch nachmittag um - Uhr SO Minuten im 8ö. Lebensjahr« in Mlwchen gestorben.*) » Vie russischen Waffen- tmd Munitionsfabriken, die durch den Streik staick in Mitleidenschaft gezogen worden waren, haben infolgedessen den Betrieb auf unbe stimmt« Zeit eingestellt. >. « ist« Ausstand der englischen MektrizvütvarbeUe» nimmt immer größere Dimensionen an. Auch die Kohlen- und Bauarbeiter schließen sich tu großen Mengen dem Streik an. -» riLkri ,!«»« « mn«, «Ul«. SchaufensterpotMK. Won allen Seiten prasseln jetzt die Protest« aus den Gesetzentwurf gegen die Gefährdung der Jugend durch Zur schaustellung von Schrift«», Abbildungen und Darstel lungen herttn. Der Gäthsbuad, der Börsen- verein dar Buchhändler, ein Teil der Presse er gehen sich in schärfsten -KrWksn. Man befürchtet eine neue Aera polizeilicher Kuftstzenfar und Knebelung der geistigen Bewegungsfreiheit. Don einem neuen Lex Heinze ist ge sprochen worden. Man könnte nach dem allem saft glauben, daß »oir «och in den schwärzesten Zeiten steckten und vor der ganzen Kutturwilt uns unser« Mckständigkett schämen müßten. NUn kann gewiß nicht das schroff« Gegenteil von alledem behauptet werden. Ein h«Me» Gebiet ist die Frage der Kunst- »nd Buchtzensur auf alle Mille. Daß hier ein Gesetz in den Händen einer engherzigen Polizei schweren Schaden stiften dürft, wird kein Gmstchtiyer verkennen. Ader -trotzdem muß mindesten» vor Einseitigkeit der Bear- Heilung gewarnt werden. Wurde doch selbst in der Döthe- bund-Protestoerfainmlung von einem Kunstbuchhändler der beachtenswert« Auchpruch getan, daß manche Schaufenster tatsächlich auf da» Unrein« spölUlierrn und daß es vital viel Lockerung der Schamhaftigkeit in unserer männlichen Jugend gäbe. Da« Motto des Gesetzentwürfe» könne darum nicht kltt-u«feindlich genannt werden. Man mutz der Ob- jekttvität dieser Feststellung inmitten der hochgehenden Wogen der Protestentrüstung Anerkennung zollen. Man wird dann bereitwillig dein Riedner auch darin Recht gehen,, dah Sine qntwfü!vdig«Nd« Aeftfur gegenüber dem Buchhandel auf alle Fälle vermieden werden sollt« und daß es au» diesem Gründe wie auch aus-Rücksicht auf die notwendige geistige Bewegungsfreiheit auf eine sorg sam« Ausgestaltung de» Gesetze» ankamme. Mit der völligen Verwerfung d«s Gesetze» aber wär« sicherlich nicht» gewonnen. Entwürdigend mag di« Bevormundung durch ein« poli zeilich« Zensur Mr den Buchhändler sein. Ist über Mr seinen Stand di« Existenz von Schaufenstern, die auf da» Unrein» spekulieren, nicht gleichfalls, entwürdigend? Und wa» würde nun wohl der genannt« Riedner an Maßnahmen gegen dich« Sorte von Kollagen empfehlen? Kat vielleicht der BSrsenverein ein Mittel an der Hand, «m derartig» unlauteren Geschäften ihr Handwerk legen? Oder hat er brauchbar« Maßstäbe, um rein und unrein» schädlich und unschädlich besonder» zu unterscheiden, al» der Gchetzent- wurf der Regierung. In der Eingabe de» Böchenaerein» an den Reichstag Ulfen wir! unter anderem den sehr richtigen Gedanken, dich «» gegenüber den beklagten Mißständen um relative Urteile Handl«, di« nicht nur zur Grundlage von Polizetmvtzregeln gemacht werden könnten. E» wird deshalb davor gewarnt, Vie Schaufenster der Buch- und Kunsthandlungen der Kritik de» Publikum» zu unterstellen, da» aus Grund sehr verschiedener Parteianschauungen und subjektiver Veranlagungen bald diesen, bald jenen Gegen stand al» feines Erachten» verderblich der Polizei denun zieren könnte. Soll aber nun au» Vorsicht gegenüber dieser Gefahr Mn Schutz der gefährdeten Jugend absolut gar nichts geschehen? Es ist die reinste -Skylla und Gharydis! Wie wir uns auch wenden, an einer SM« stoßen wir gewiß verhängnisvoll an. Eimes aber übersehen die Gegner de» Gesetzentwurf«» vielfach, daß nämlich hinter ihm viel weniger di« Polizei al» vielmehr di« Erzieh«r stehen. Vor allem gerade in Lchrerkretfen, wo man tag täglich di« traurigsten Beobachtungen über die Schädigun gen der Jugend durch di« -unehmende Laxheit der Oeffent- lichkM in sexuellen Dingen machen kann, hat sich d« Be dürfnis nach gesetzlichem Handhaben gegenüber den Aus wüchsen der pikanten Schaufemsterdarbietungen entwickelt. Und wenn da« Gesetz «infach zu Fall käme, so Mrd« darüber niemand mehr frohlocken, al» gerade jenen unsauberen Ele mente, di« mit ihren Darbietungen eben auf die sexuelle Lüsternheit spekulieren. St« Mürben da» Scheitern de» Ge setze» zweifelsohne wie «inan Freibrief zu noch größeren Kühnheiten benutzen. Die Existenz und Gefährlichkeit solcher Elemente aber leugnen zu wollen, da» wäre doch ver hängnisvolle Blindheit. Wenn man die PMzeigensur nicht will, di« sehr viele Freunde des Gesetzentwurf« auch nicht wollen, so möge man für besser« Formen d«r Zen sur sorgen. Es liehen sich sehr wohl, beispielsweise bei den Stadtverwaltungen, SachverMndigenkommissionen bil den» di« mit großer MeitherzigfM nur das wirklich Un anständige verhinderten. Aber aus Angst vor der Zensur der Lüsternheit alle Bahnen frei geben, da» wär« gewiß auch keine gute Lösung. Man hat da» Schaufenster auch als das Museum de» kleinen Mannas bezeichnet. Ruft gut, so sorge man dafür, dah dieses Museum ebenso wie da» au» anderen Publikums durch schale Pikanterien sich selbst herabwürdigte. Irgend ein« Form wirksamer Kritik der Oeffentlichkeit muß sich doch schließlich auch dem Schaufenster gegenüber finden lasten. Schutz gegen Schmutz. (von unserem Berliner s-Mitarbeiter). Di« groß« PwtestoeHammstmg de» Gäth«V»«tz,» am vorigen Sonntag in Berlin hat da» Problem» wirk- samon Iugendschutz wieder in den Bottettnmd dm öffentlichen Erörterungen gerückt. Di« allgemeine Atz», sprach« über den Entwurf eine» Gesetze» gegen die Gefähr dung der Jugend durch Zurschaustellung von Schriften, Ab bildungen und Darstellungen nimmt aber «inen ander«« Verlauf, wie e» di« Veranstalter der Kundgebung gewünscht und erstrebt haben. Selbst di« schärfsten Kritiker de» Ge setzentwurf» stimmen jetzt darin überein, daß in der Tat ein überaus ernstes Problem der allgemeinen Volksgefähr- düng mach Lösung schreit, Ute nicht in witzigen Reden und geistreichen Pointen, sondern Mr in tiefgründigen Unter- suchungen der Gefahren und in ernster Würdigung dm Ab- wehrvorschläge gefunden werden kann. Zu den intimen Kennern der gefährlichen MWände, die der Gesetzentwurf bekämpfen will, gehören zweifellos Ute deutschen Buch» Römische Ainäersürsorge. Nachdruck a-rdal-v. Auch in Italien ist im letzten Dezennium da» sozial« Interests evwachk. Allerorten haben sich Wohlfahrtsein richtungen gebildet. Und naturgemäß marschiert die Haupt, stvdt an der Spitze dieser Bestrebungen. Dem Charakter der Römer entsprechend, gilt ihre HMptfürsopge dem Her anwachsenden Geschlecht. Di« Kinder sind e», denen im Familienleben und in der breiten Oeffentlichkeit das größte Interests entgegengebracht wird. So gelten die bestorganisierten und bedeutendsten Wohhahvtsinstttute der Kindersürsorge. Waren die Wahlfahrtsinstitut« urfprüng. lich von religiösen Genossenschaften begründet und geleitet, in den Händen der kirchlichen Ordensgemeinschaften, so wurde der charitative Gedanke später in Laienkreisen aus genommen und durch sozial« Unternehmungen verwirklicht. Obwohl die modern» MEturbewegung erst in den letzten anderthalb Dezennien in der italienischem Kapitale einge setzt hat, so find' doch viele d«r von Laken begründeten Wohlfahttsinstitute der Kinderfürsorge älter«« Datum». Eine» der Unternehmungen dieser Art, da» auch heute noch als da» bei weitem umfangreichst« in seinem Werken zu bezeichnende, ist die Sociedä dsglt Astli d'JHanzi», die be reit» -im Jahre 1847 au» Privaimitteln begründete we- fellschcht für Kintxvofyl«. Da» dutch ttne Reih« müder Stiftungen und durch tt*«n fiststchenden Jcchreezufchuß der Gemeinde wohlfundiert« Institut bezweckt» den Kindern be dürftiger Familien im mnfangrttchem Mich« tagsüber Zu flucht und «in« Mittawmohhzeit tosteNlo» zu gewähren. Am 1800 Kindern genossen in den letzte« Jahren täglich in sechs verseht, «denen, in den dicht bevölkersten, ärmeren Stadtvierteln gelegenen Asylen die Segnumgen diese» Wohlfichrttveretn». Unbeaufsichtigt« Kstnd«v den Gossahrsn der Straß» ferwzuhalien, httmttt den Jmtemrn an vadezu »ine unabweisbar» Notwendigkeit. Während bet »n» »u Lande da» Straßenttben der Kleinen ketnMveg» mit scheelen Augen amchttm Mtt gilt w i» Rom ge radezu al» unmenschlich ein Mitt ohne Schutz au» dem -aus« zu Mstw. K«t« Mutter würde sich dazu verstehen. darf allein nach Hause gehen. Ja, die Lehrerinnen find verpflichtet, di« Kleinem di« nicht abgchoüt werden, mach Hause zu begleiten, und dem Grund für da» Ausbleiben der Mutter zu erforschen und zur Kenntnis der Inspektorin zu bringen. Auch für di« Aussicht d«r ganz Kleinen sorgt di« Gesellschaft. So ist außer im drei anderen Asylen dem San Lorenzo-Kinde rhöim im oberen Stockwerk eine Kinderkrippe angsgliedert. Dort werden unter der Aufsicht einiger Nonnen hundert Kinder im Mter von dreiviertel bis zu dr-i Jahren beaufsichtigt und mit Milch und Suppsn gespeist. Mn großer Schlot- foal nimmt mit seinen weißem Bettchen U.« Kleinsten, di« noch nicht einmal laufen können, zur Nachmittagsruhe auf. Hin und her von einem zum andern wandern die frommem Schwestern in ihren wallenden Gewändern, wie Schutzengel die Kleinen umgebend, die im ihren blauen und rosa Asyl- schüizchen — rosa die Mädchen, blau die «Knaben —> gar sauber und Nett gehalten werden. > Zu einer anderen Kinderkrippe führt« mich d«r Präsi dent der Soctetä d'Jnfanzta^ und zwar zu der von der Königin-Mutter au» ihrer Privatschatulle begründeten und unterhaltendem Tast» Matern« Jolanda Margherita. Da» hübsche, mit allem wünschenswerten Komfort auegestatt-et« Hau», in dem siebzig arme Arbeiterkinder im Wter von einem hi» drei Jahren tagsüber von weißgekleideten Non nen gepflegt werden, grenzt an den Garten de» Palastes der Königin-Mutter, die sehr häufig unangemeldet und ohne jede Begleitung ihr« pechöMchen Schützlinge besucht und sich von der tadellosen Sauberkeit und Ordnung der kleinen Erdenbürger überzeugt. Ms ich bet Sonnenunter gang, der in Rom, allem Kirchenbrauch gemäß, al» di« Ave Matta-Stund« bezeichnet wirk UI« Anstatt verlieh s- all« Kindevasyle schließen um diese Stund, wurden Ui« Kleinen dem Müttern, di« am Lor» ihrer LiMt-nge harrten, »»geführt. Und jwe» der Kinder erhielt, röi» allabendlich «in große» Weißbrot, da, w der Mutter al» Wmotzn- lpende der hohen Gönnerin mtt-ringt. Neben diesen Da» stttutan bestehen in Kam «Her «ine Reihe pvn WattdA» hüusorn, tn denen Ate Httmttkchm »oWändfg «WW wetten, noch nahezu zwei Dutzend mittel», Wil» van wligiHea Daher steht man in der Stvdt, in der das Battelwesen l noch immer nicht aus dem SttatzeNleben verbannt ist, j Kinder niemals Almosen heischen, ohne dah st« von älteren MamMenangchLttgen begleitet find. Kinder betteln unter Aufsicht der Erwachsenen. Die SocietL d'Jnfanzia will nun mögl.chst vielen der Kleinen, deren Mütter nicht in der Lag« sind, ihre Kjinder dauernd zu beaufsichtigen, unent geltlich «ine Zuflucht sichern. Die Asyle find nach Art der deutschen Kindergärten organisiert und nehmen di« noch nicht schulpflichtigen Kinder Mr den ganzem Tag auf. Btt meinem Besuch in San Lorenzo, dem römischen Proletarier, viertel, das in feinen düsteren, äußerste Dürftigst ver ratenden Hausern nicht wemigvr als W 000 Einwohner birgt, — den 20. Teil aller Rombewohner bot sich mir inmitten dieser traurigen Umgebung ein erfreulicher An- blick. In einem gut veniili«rten, eigen, Mr diesen Zweck erbauten, an «inen freien Platz grenzenden Hause, waren in Klassen geordnet, 300 Kinder vereinigt. In getrennten Räumen wurden Knaben und Mädchen in Gruppen von SO bi» SS nach einem vereinfachten FvöbeUystem mit leichten Tätigkeiten LeschäWgt. Unter Aufsicht der Erzieherinnen lernen die Kleinen allerlei HamLferrigketten: Zeichnen, Flechtarbeiten, da» Anfertigen zierlicher Gegenstände aus farbigen Papterbogsn. Zutraulich, wi« -ahme Täubchen, kam«« einzelne der kleinen Mädchen zu mir und über reichten mir di« bescheidenen Erzeugnisse ihre» Fleißes: Lampenteller, Körbchen und Bastkästchen. In einem hohen, Hellen, luftigen Riiesensaül vereinigten sich in der Nach- Mittagsstunde sämtliche Zöglinge, Knaben und Mädchen, und führten unter fröhlichem Gesang gemeinsam« Ringel reigen und klein« Tänze aus. Zwischen vormittag,, und NachmittvgSbeschäftiguna^ gibt «» FrettuMpiele und gym nastisch« llebungen im Garten, der in dem milden Klima auch im Winter fickt täglich benutzt Witt. Wenn der durch die ganze Stadt schallend» Mnonenschuh vom Gianiwko die Mittagzstumd« verkündet, Vst die ganze Schar tn den Spetseräumen versammelt, wo fie an niedrigen, langen Marmortischen ihr» kräftige WWagchupp, verzehren. Di« Zukost, «in große» Stück VroL bringen sie von -mch Mist Zu, festgesetzten Zett, am SpätnachmitkP«, »Ästen alle Ktttter von chr«» httmgichM wetten. Ktt«W